60. Bremer Montagsdemo
am 31. 10. 2005  I◄◄  ►►I

 

Deutschland am Ende

Ursula GatzkeWenn es in einem Staat für Rentner nur noch Nullrunden gibt, ist das ein Zeichen, dass dieser Staat finanziell und wirtschaftlich am Ende ist! Aber wer hat denn den Staat so runtergewirtschaftet?

Es waren nicht die Rentner oder das arbeitende Volk! Nein, es waren an erster Stelle unsere unfähigen, arroganten, schamlos habgierigen Politiker! Es war die Korruption, die seit langem Hochkonjunktur hat! Die Politiker hätten vor Jahren schon eingreifen müssen! Doch wer von ihnen steckt da nicht mit drin?

Die Korruption ist wie ein langer schwarzer Tunnel, keiner sieht mehr ein Ende! Der Staat interessiert sich nicht mehr für Gerechtigkeit! Die Politik ist nur noch diebisch verlogen, unberechenbar und aufgebläht wie ein riesiger Ballon, dem nun die Luft ausgeht! Jetzt sagen uns die Politiker: „Wer wenig hat, kann auch mit weniger auskommen“ und schicken uns in eine ungewisse Zukunft!

Wir aber fragen euch Habgierigen: Wann fangt ihr endlich an, auch von eurem Hab und Gut kräftig abzugeben? Ihr lebt doch in Saus und Braus, während ihr einen großen Teil der Menschen in Hunger und Obdachlosigkeit treibt! Ihr solltet euch öfter daran erinnern, wer eure „Brötchengeber“ sind! Das sind auch die Menschen mit den billigen Schlappen an den Füßen!

Ursula Gatzke (parteilos)
 
Halloween in Berlin: Nahles meuchelt Müntefering –
und die Große Koalition? („Spiegel-Online“)
 
Urknall: Detoniert die SPD? („Stattnetz“)
 
Bravo: Reiche wollen mehr Steuern zahlen („Spiegel-Online“)

 

Patriotismus statt
Verteilungsgerechtigkeit

Hermann SiemeringDeutschland hat 91 teils mehrfache Milliardäre und einige Tausend Millionäre, von denen manche kurz davor stehen, Milliardär zu werden. Diese Reichtümer sind auf Kosten des Volkes zusammengeramscht, von Sozialschmarotzern und Parasiten! Nehmt diesen Leuten nur circa 25 Prozent „ihres“ Vermögens, und das 35-Milliarden-Euro-Loch im Bundeshaushalt ist gestopft, ohne Heulen und Zähneklappern beim Volk! Aber was machen die Politiker?

Die CDU geht in die Offensive: Schon kleine Kinder sollen die Bedeutung von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ lernen. Die Union will den Nationalstolz wecken, indem Erst- bis Viertklässler das „Lied der Deutschen“ einüben! Auch ein Sozialdemokrat, Herr Lemke, verantwortlich für Bildung in Bremen, meint laut „Weser-Kurier“ vom 23. Oktober 2005: „Ich halte es für selbstverständlich, dass die Schülerinnen und Schüler die dritte Strophe des Deutschlandliedes kennenlernen, ebenso wie die Zahl der Bundesländer und die Namen der Bundespräsidenten“. Patriotismus muss her!

Behauptet wird, so könne man „den Nazis das Wasser abgraben“. Ich meine: Irrtum, das ist Wasser auf den Mühlen aller Rechten und Neonazis! Ich habe mich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geweigert, aufs Fordern des Lehrers genau jenes zu tun, denn ich hatte noch die Schnauze voll aus der Nazizeit. Wer wissen will, wie alles in den dreißiger Jahren geschah, beobachte gut unsere heutige Entwicklung! Die Anfänge sind die gleichen. „Du bist Deutschland!“? Nein, das sind die von mir eingangs Erwähnten.

Hermann Siemering, Rentner, parteilos, Jahrgang 1932,
seit über 58 Jahren Mitglied der Gewerkschaft (heute Verdi)

 
Frankreich brennt: Vorstadt-Jugendliche haben die Schnauze voll
von der Entwürdigung („Spiegel-Online“)
 
Stillgestanden: Tausende Potsdamer stoppen
Neonazi-Aufmarsch („Spiegel-Online“)

 

Kleine Anlässe zur Hoffnung

Gestern war ich in der Solidaritätsveranstaltung für das Bremer Theater und hörte mir die Argumente und Vorstellungen der Betroffenen an: Toll! Weiter so, lasst euch das nicht gefallen! Das Theater und die Arbeitsplätze müssen bleiben!

Info-MichelDie Solidarität gab zu Hoffnung Anlass, ebenso die Aussage der Frau Emiholz, die Eigenkapitaldecke solle aufgestockt werden. Dass sie zu niedrig ist, wurde ja auf der letzten Montagsdemo vorgetragen. Einige Politiker haben auch festgestellt, dass die Mietkosten zu niedrig angesetzt worden sind. Nun, das lässt sich ja ändern, Herr Böhrnsen!

Und gestern haben im ARD-Fernsehen endlich einmal Politiker zugegeben, dass es einfach nicht genügend Arbeitsplätze gibt! Die Wirtschaft sieht das allerdings anders. Hoffnung ließe sich auch daraus schöpfen, dass sich einige Politiker von den Äußerungen des Herrn Clement distanziert haben: Sie wollen es nicht zulassen, dass ein großer Teil der Hartz-IV-Empfänger als „Schmarotzer“ hingestellt werden!

Wir sollten also nicht die Hoffnung aufgeben, dass die Montagsdemonstranten etwas erreichen. Wir haben schon viel erreicht und werden es auch in Zukunft tun, denn Einigkeit macht stark! Gebt niemals die Hoffnung auf! Wo sie fehlt, ist auch kein Wille da, und dann hat man verloren. Doch alle, die meinen, sie würden ungerecht behandelt, dazu gehören auch Rentner, können sich uns gern anschließen! Hier wird nicht nur Kritik geäußert, sondern auch geholfen!

Udo Riedel (parteilos)

 

Erlebte Solidarität
im Zuschauerraum

Wir waren im Theater, am Sonntag um zwölf, und haben viele Reden und viel Zuspruch gehört. Neue Erkenntnisse gab es auch zu gewinnen: Unser Finanzsenator Nußbaum hat bereits im August Insolvenz für das Theater angesprochen. Zu der folgenden Beratungssitzung erschien ein Jurist mit PC und dem Vortrag „Denkansatz Insolvenz des Theaters“. Auftraggeber war der Finanzsenator. Der Jurist wurde abgewiesen. Im August waren ja auch die gefundenen 7 Millionen Euro noch nicht ausgegeben!

Hans-Dieter BinderInzwischen haben die Mitarbeiter des Theaters auf ihr Weihnachtsgeld verzichtet, für die nächsten drei Jahre. Das Oktobergehalt wird ausgezahlt. Die Kuh ist trotzdem erst mit einem Bein vom Eis, so Herr Pierwoß. Dem Verzicht der Mitarbeiter, „freiwillig“ mit dem Rücken zur Wand und einem Revolver an der Stirn, steht keine Garantie des Senats gegenüber!

Die Differenz ist auf 4,7 Millionen Euro angewachsen und wird nach oben offengehalten. Zusätzlich wurde von der Kulturexpertin der SPD die Kapitalbildung durch das Theater angemahnt, nochmals 2 Millionen, dann wären wir bei 6,7. Das ist mehr als nur eine Unverschämtheit! Sie hat Herrn Pierwoß für seine „stille“ Verhandlungsführung gelobt und Radio-Bremen-Fernsehen für die eingeräumte Redemöglichkeit, ihre Redemöglichkeit! Daher Montagsdemo: Kopf zeigen! Wir schaffen eine Zukunft mit neuen Politikern!

Noch eine Bitte an die Spielstätten: Die Kinos haben 16 Prozent Zuschauerrückgang und versuchen, diesen mit Kinotagen und Sonderpreisen auszugleichen. Wenn das Theater jeweils zehn Minuten, bevor die Vorstellung beginnt, verbilligte Karten an ALG-II- und Sozialhilfebezieher verkaufte, wäre Kultur auch für diese Betroffenen wieder zugänglich! Wir würden es gerne besprechen, natürlich erst, wenn die Hauptsorge Vergangenheit ist!

Hans-Dieter Binder
 
Nur-„Spiegel“-Leser wissen weniger: 15.000 Teilnehmer beim Sternmarsch
gegen die neue Regierung in Berlin („Rote Fahne News“)

 

Solidarität mit dem Bremer Theater

Die Bremer Montagsdemo erklärt ihre Solidarität mit dem Ensemble und allen Mitarbeitern des Theaters, die von der Politik des Senats betroffen sind! Die Bezahlung der Oktober-Gehälter und Löhne, die im Moment zugesichert scheint, soll verknüpft werden mit einer Erpressung, nämlich dass ihr auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichtet! Darauf solltet ihr nicht eingehen! Wir achten eure Bereitschaft hoch, dass ihr weiterspielen und aufführen und ein interessiertes Publikum erfreuen wollt! Wir denken, dass euch das Publikum in eurem Kampf ebenso unterstützen wird!

Hannelore Riedel und Gudrun BinderVerursacher der Misere seid nicht ihr, sondern ist die Politik von Senat und seiner Bürokratie, also von Behörden und den sogenannten Gesellschaften. Über die Jahrzehnte hat sich da ein Filz und Sumpf entwickelt, worin SPD und CDU gleichermaßen tief verwickelt und versunken sind. Ob Theater, Musical, Space-Park oder Straßenbahn, überall das gleiche Spiel: Tricksereien, Mauscheleien, Versprechungen, die nicht eingehalten werden, unsaubere Berichte und Überprüfungen bis zur völligen Verantwortungslosigkeit. Die Herren Scherf, Perschau, ein stadtbekannter Theaterignorant, und die aktuellen Verantwortlichen machen keine Abstriche an ihrem Salär, obwohl sie maßgeblich diese Politik gestaltet haben!

Als Bremer Montagsdemo führen wir seit über einem Jahr den Kampf gegen die asoziale Politik von Kanzler Schröder und die Umsetzung durch den Bremer Senat. Nicht zuletzt aufgrund unseres Kampfes, den Streiks der Opel-Kollegen und vieler anderer musste Schröder abtreten! Die Neuwahlen und das Geschacher um die neue Regierung zeigen, dass es richtig ist, den Kampf fortzusetzen gegen diese Politik zulasten der Mehrheit in der Bevölkerung! Wir rufen auch euch auf: Kommt mit nach Berlin zum Sternmarsch am 5. November 2005 gegen die neue Regierung!

Initiative Bremer Montagsdemo

 

Endzeitprobleme und das
Programm der einträglichen
Zwangsstruktur

Liebe Kolleginnen und Kollegen des Bremer Theaters! Ich hoffe, alt genug zu sein, um bei euch für das, was ich euch sagen will, Gehör zu finden, auch dann, wenn es euch nicht unbedingt passt. Schließlich verdankt sich ein Teil eurer Arbeitsplätze einer auch von mir organisierten ersten Kampagne gegen den Bremer Theatertod, mit der im Jahre 1981 die Schließung des Bremer Schauspiels verhindert und ein (wenn auch problematischer) Neubau erzwungen werden konnte. Das waren noch Zeiten!

Euch ereilt nun, was Millionen anderer Menschen, die noch nie ein Theater von innen gesehen haben, vor euch ereilt hat: Gehaltskürzung, Arbeitszeitverlängerung, Lohnverzicht, Entlassung – in eurem Fall sogar, und das ist eine originäre Bremer Errungenschaft, die temporär gänzlich unbezahlte Arbeit. Nicht einmal mehr der berüchtigte Ein-Euro-Job steht zur Verfügung. Wie Millionen anderer Menschen steht ihr vor der Frage, ob eure Bereitschaft, auf Teile eurer Löhne, Gehälter und Gagen zu verzichten, falls nur sie den Arbeitsplatz zu retten vermag, als klägliche und endgültige Kapitulation vor denen, die euch erpressen, oder als pure Vernunft zu werten sei. Ihr streitet darüber.

Ihr seid vermutlich überrascht. Damit habt ihr nicht gerechnet. Das kann doch nicht wahr sein! Wer darf sich erlauben, derart dreist in bestehende Vertragsverhältnisse einzugreifen? Die Antwort lautet: Euer Aufsichtsrat ist es, der sich das erlaubt. Und, das ist hier zu lernen, nicht obwohl, sondern gerade weil er euer Aufsichtsrat ist! Diese Erfahrung teilt ihr inzwischen mit sechs bis sieben Millionen Arbeitslosen allein in diesem Land. Euer Aufsichtsrat besteht aus Politikern, die allesamt, wie andere Aufsichtsräte auch, einem Prinzip gehorchen: Dem Prinzip, dass es zum Bestehenden keine Alternative gebe.

Was euch von den anderen Unglücklichen, die bereits Opfer dieses Prinzips geworden sind, unterscheidet, ist, dass ihr meint, etwas herzustellen, mit dem man so nicht umgehen kann: Ihr stellt nicht Autos her oder Schokolade, Turnschuhe oder Werkzeugmaschinen, nein, ihr stellt Kultur her, mithin doch bitte keine x-beliebige Ware. Dass Kultur nicht herstellbar ist, höchstens Kunst, dass Kunst und Kultur in all unseren Debatten fälschlich gleichgesetzt werden, Kultur jedoch im Augenblick des Auftauchens eines Kultursenators, in einer Kultursendung etwa, aufgehört hat zu existieren, all das umschreibt ein Endzeitproblem, dessen auch nur begriffliche Lösung bei der Dürftigkeit unserer Debatten in allerweiteste Ferne gerückt scheint. Ihr jedenfalls stellt Kunst oder Kultur oder beides zugleich her und wollt nicht behandelt werden wie Leute am Fließband. Dass viele unserer Theater längst bereits wie am Fließband produzieren, soll dabei keine Rolle spielen.

Also werft ihr euch mit Forderungen nach Solidarität in die subventionierte Brust: Aber wann habt ihr zuletzt an die Wirklichkeit außerhalb eures Theaters nicht nur in diesem Land, gedacht? Wann habt ihr zuletzt schlecht geschlafen, wo doch die Mehrheit der Menschen in diesem Land, ungeachtet der geschwollenen Werbesprüche eurer politischen und der in ihrem Schlepptau agierenden künstlerischen Arbeitgeber, ein fatales Leben ohne die sogenannte Kultur zu leben haben und, wie kann man es begreifen, tatsächlich zu leben vermögen? Und wann hat es euch geplagt, dass diejenigen Bürger, für die eure Theater spielen, für die eure Musiker musizieren, eure Sänger singen und eure Museen öffnen, ein Publikum bilden, welches jede Verantwortung für die üblen Verhältnisse vor den Toren der Theater, Opernhäuser und Museen von sich weist – wenn es nicht gar von ihnen profitiert? Wann je war euch euer Erfolg verdächtig? Und wenn er euch verdächtig war, was habt ihr getan, den Verdacht zu entkräften? Wo war eure Solidarität? Während die Künstler unter euch ihre Kritiken lasen, ging der soziale Rechtsstaat vor die Hunde. Unter dem Beifall der Blätter, bei denen eure Kritiker angestellt sind, mehrten sich Armut, Unbildung und Unternehmensgewinne.

Eines allerdings unterscheidet die Schließung eines Theaters von der Schließung eines Industriebetriebs: Wenn Theaterleute ihre Arbeitsplätze verlieren, macht niemand Gewinn, so wenig, wie Gewinn zu machen war, als sie ihre Arbeit noch hatten. Es steigen auch nicht, wie im anderen Falle üblich, die Börsenkurse. Die Entlassenen erhalten, finden sie keinen neuen Arbeitsplatz, nur einfach sehr viel weniger Geld aus der Staatskasse als zuvor. Oder ihr kommt, wenigstens hin und wieder, bei Rundfunk- und Fernsehunternehmen unter, Anstalten, von denen die öffentlich-rechtlichen ihrerseits ebenfalls bedroht sind. Bei der Schließung eines Industriebetriebs dagegen, bei massivem Stellenabbau um des heiligen Wettbewerbs willen, stellt der private Eigentümer der Produktionsmittel seine eigenen Zahlungen an die betroffenen Mitarbeiter ein und überlässt die Gekündigten kaltblütig der öffentlichen Hand. Man trifft sich dann auf den Korridoren der hochtrabend „Arbeitsagenturen“ genannten Elendslokale. Oder die Beschäftigungslosen können euch auf dem Bildschirm bewundern. In einem Fall, dem euren, wird kein Unternehmensberater und kein Kultursenator der Welt je aus einem Theater eine Rendite abwerfende Geldmaschine machen. Im anderen Fall ist die Mutation einer sinnvollen menschlichen Erfindung zu einer unmenschlichen, aber einträglichen Zwangsstruktur Programm.

Die Kernfrage aber, mit welchem Recht die Millionen aus dem Produktionsprozess geworfenen Menschen die öffentlichen Haushalte und nicht die mit ihrer Ausgrenzung erzielten Gewinne belasten, wird mit wachsender Brutalität dahingehend beantwortet, dass sie genau dieses Recht eben nicht haben. Und dass man es ihnen beschränken, beschneiden und, wo immer es geht, absprechen muss. Die Gewinne gehen sie dabei nichts an. Dass die wirklichen „Parasiten“ – ich zitiere den amtierenden Minister für Wirtschaft – aber diejenigen sind, die zu Lasten der Staatskasse ihre Profite maximieren – von denen in die Staatskasse selbstverständlich so gut wie nichts gelangt – das sagt, bis auf ein paar verhöhnte Linksparteiler, niemand. Diese geldbesessenen Herrschaften sind eure eigentlichen Gegner. Sie pfeifen auf alles, was nicht aus einem Dollar oder Euro zwei Dollar oder Euro macht. Sie haben die Politik im Griff. Sie haben den Nationalstaat ad absurdum geführt. Sie haben dafür gesorgt, dass der Rechtsstaat mit dem von ihnen bevorzugten Wirtschaftssystem gleichgestellt wird. Sie führen Krieg gegen euch.

Unter ihrem erbarmungslosen Blick geht der öffentlichen Hand das Geld aus und auf ihr Betreiben versucht der Staat, sich mittels ökonomischer und sozialer Erpressung der ohnehin durch Armut, Alter und Arbeitslosigkeit Geschädigten und einer zunehmenden sozialen Verwüstung schadlos zu halten. Unsere neuen Großkoalitionäre denken doch wahrhaftig über die Senkung von Unternehmenssteuern und die Anhebung der Lebensarbeitszeit nach! Mit welchem Recht wollt ihr angesichts dieses für die Oberen lukrativen politischen Irrsinns im Umgang mit den Unteren auf eure kulturelle Schlüsselfunktion pochen? Sie ist zerfallen. Wird die Menschenverachtung gesellschaftlich sanktioniert, müssen die Theater schließen, oder sie werden geschlossen. Stellt sich die Systemfrage? Und ob sie sich stellt, Kolleginnen und Kollegen!

Hier sollten die Theaterleute aufstehen. Aufstehen und laut sagen, dass sie, von Berufs wegen, die Rückkehr zu Unterdrückung, Armut und Ausbeutung nicht wollen. Dass der demokratische und soziale Rechtsstaat die größte Errungenschaft der letzten beiden Jahrhunderte war. Dass das Geschwätz von seiner Unbezahlbarkeit eine Lüge ist. Dass es ein uralter Traum der Menschheit war, leben zu können, ohne arbeiten zu müssen. Dass wir uns, nun, wo wir, in diesem Teil der bekannten Welt, der Erfüllung dieses Traums so nahe gekommen sind, seine Verwirklichung nicht durch die Habgier einer Handvoll international agierender Finanz- und Handelsdespoten in die pure Barbarei verkehren lassen. Schließen wir die Börsen, nicht die Theater! In diesem Sinne einen solidarischen Gruß nach Bremen!

Frank-Patrick Steckel inszenierte 1979 als Regisseur am Bremer Theater
eine denkwürdige Aufführung von Hans-Henny Jahns „Krönung Richards III.“
in der später leider abgerissenen Fleischmarkthalle des Schlachthofes
auf der Bürgerweide

 

Wir sollen zu Hause
Däumchen drehen

Bettina FenzelVom 28. bis 30. Oktober war ich auf der Bundes­fachkonferenz der Sozialhilfe-Initiativen in Bielefeld. Ich erfuhr, dass Wirtschaftsminister Clement von uns Arbeitslosen erwartet, dass wir den ganzen Tag zu Hause sind! Gehen wir einkaufen, sollen wir Kassenbons vorlegen, denn wir müssen schließlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen!

Im Buch „Geschichte der Armut“ von Bronislaw Geremek heißt es: „Schon 1527 bis 1529 kamen die Ausweisung der Armen, das Einsperren der Immigranten in Hospizen, das Bettelverbot, die Heranziehung zur Arbeit, die man als Zwangsarbeit betrachten kann, da für sie nur die Hälfte des üblichen Lohnes vorgesehen war. Ein im Jahre 1834 vom englischen Parlament beschlossenes neues Armengesetz kann als voller Sieg der Auffassung gelten, die Sozialpolitik müsse den Interessen der Arbeitsmarktpolitik untergeordnet werden. Strenge Repressionsmaßnahmen solten die Attraktivität der Arbeit erhöhen. Die Unterstützung der Armen wird für schädlich gehalten, wenn man von ihr besser leben kann als von der Arbeit. Der Arbeitszwang bekommt einen ausschließlich ökonomischen Charakter. In den Arbeitshäusern wird eine Gefängnisdisziplin eingeführt, sodass sie zu einem Instrument werden. Die Angst vor den Armenhäusern trieb die überflüssigen Arbeitskräfte vom Land in die Städte.“

Die Armenhäuser sind geschlossen worden, da die unterjochenden Maßnahmen im Endeffekt teurer waren als gedacht. Heute haben wir die Zeitzurückdreher mit ihrer Sozialkahlschlagspolitik, den Hartz-Gesetzen und allen anderen sogenannten Reformen, die das Grundgesetz von 1949 über den Haufen werfen, das die soziale Verpflichtung des Privateigentums vorsah, keine Zwangsarbeit, und dass die Bundeswehr eine Verteidigungsarmee ist. Die Errungenschaften der Arbeiter-Frauen-Studenten-Öko-Friedens-Bewegungen werden von Rot-Grün und Rot-Schwarz über Bord gekippt!

Seit die Angst vor dem „real existierenden Sozialismus“ im Osten gewichen ist und Westdeutschland nicht mehr das „Schaufenster des sozialen Staates“ zu sein braucht, zeigt der Kapitalismus sein wahres Gesicht und betreibt massiven Sozialabbau, verbunden mit Beschneidung der demokratischen Rechte! Vor den Wahlen hieß es noch in der SPD, es werde keine Erhöhung der Mehrwertsteuer geben. Die CDU, die einst vorgab, den „Mittelstand“ zu vertreten, will eine Erhöhung von 16 auf zunächst 18 Prozent, zu deren Bezahlung ein Vierpersonenhaushalt 1.100 Euro im Jahr mehr einnehmen müsste. Arbeitslose, Rentner, Arme werden mit insgesamt acht bis neun Milliarden Euro belastet! 15 bis 18 Milliarden sollen im Jahr mehr hereinkommen, wobei Exportwirtschaft und Konzerne die Mehrwertsteuer wieder zurückerhalten. Die Nachfrage auf dem Binnenmarkt wird dadurch geschwächt, kleine und mittlere Betriebe und Geschäfte gehen bankrott!

Der Präsident des Deutschen Städtetages fordert, dass die Reformen verschärft werden, um „sozialen Missbrauch“ zu verhindern. Vor allem Jugendliche, die volljährig sind, dürften nicht mehr ohne weiteres aus der elterlichen Wohnung ziehen, die Unterhaltspflicht der Eltern müsse nachgeprüft werden und verschärft Anwendung finden. Doch Jugendliche haben einen Anspruch auf existenzsichernde Ausbildungsvergütungen, auch wenn das den Arbeitgebern nicht passt! Es muss eine Ausbildungsabgabe von all den Konzernen verlangt werden, die nicht ausbilden wollen, um ihre Profite zu erhöhen! Die Vermögensteuer muss wieder eingeführt, die Hartz-Gesetze und unsozialen Reformen müssen zurückgenommen werden! Die Reichen müssen zahlen!

Ich möchte schließen mit einigen Worten von Kurt Tucholsky über die freie Wirtschaft: „Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen. Ihr sollt auf euren Direktor vertrauen. Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen. Ihr sollt alles weiter dem Chef überlassen. Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein. Wir wollen freie Wirtschafter sein! Wir diktieren die Preise und die Verträge. Kein Schutzgesetz sei uns im Wege. Ihr braucht keine Heime für eure Lungen, keine Renten und Versicherungen. Ihr sollt euch allesamt was schämen, von dem armen Staat auch noch Geld zu nehmen! Ihr sollt nicht mehr zusammenstehen! Wollt ihr wohl auseinander gehen! – Ihr sagt: Die Wirtschaft müsse bestehen. Eine schöne Wirtschaft! Für wen? Für wen? Das laufende Band, das sich weiterschiebt, liefert Waren für Kunden, die es nicht gibt. Ihr habt durch Entlassung und Lohnabzug sacht eure eigene Kundschaft kaputtgemacht. Denn Deutschland besteht, Millionäre sind selten, aus Arbeitern und Angestellten! Und eure Bilanz zeigt mit einem Male eine Salto mortale, während Millionen stempeln gehen. Die wissen, für wen!“

Bettina Fenzel (parteilos)

 

Horrorkatalog der neuen Regierung

Wolfgang LangeNach dem Ergebnis der neuen Pisa-Studie ist Deutschland das Industrieland mit weltweit der geringsten Chancengleichheit, am krassesten in Bayern: Dort können bei gleicher Intelligenz und gleichem Lernwillen sechseinhalb Mal so viele junge Angehörige der Oberschicht das Gymnasium besuchen und Abitur machen wie Arbeiterkinder. Das alles wird sich noch verschärfen mit einer Bildungsministerin Schavan, denn Merkel und Müntefering haben eine Etatlücke von 35 Milliarden Euro ausgemacht! Wie wollen sie diese schließen? Hessen-Koch kündigt bereits „flächendeckendes Heulen und Zähneklappern“ an!

Es drohen: Mehrwertsteuer-Erhöhung nicht auf 18, sondern gleich auf 20 Prozent! Streichung der Eigenheimzulage! Kürzung von ALG II auf 80 Prozent für Jugendliche! Verstärkter Einsatz von Schnüfflern! Streichungen bei Kultur und Bildung, wie beim Bremer Theater! Kürzung der Pendlerpauschale von 30 auf 25 Cent pro Kilometer! Streichung der Steuerbefreiung und Einführung der Sozialabgabenpflichtigkeit für Nacht- und Sonntagsarbeit! Heraufsetzung des Rentenalters auf 67, entsprechend einer Rentenkürzung um zehn Prozent bei Rentenbeginn mit 64! Erneute Nullrunde für die Rentner, entsprechend einer Rentensenkung um die Inflationsrate! Anhebung des Krankenkassenbeitrags der Rentner um weitere 2,5 Prozent! Private Zwangszusatzrente, Kirchhof lässt grüßen! „Gesundheitsprämie“ beziehungsweise Kopfpauschale für alle bei Senkung der Unternehmerbeiträge zur Krankenversicherung! Mindestbeitrag von 55 Euro für bisher frei mitversicherte Ehepartner! Zerschlagung der gesetzlichen Pflegeversicherung und Ersetzung durch Private! Zerschlagung von Arbeitsbeschaffungs- und Weiterbildungsmaßnahmen! Kürzung von ALG II und Abwälzung der Verwaltungskosten auf die Kommunen! Einführung von Billiglohnsektoren! Und wenn es nach der CDU geht: Weitgehende Abschaffung des Kündigungsschutzes! Verkauf der Autobahnen und Einführung der Personenwagen-Maut! Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken!

Doch woher stammt eigentlich diese 35-Milliarden-Euro-Lücke? Schon die letzte Regierung hat massiv die Unternehmersteuern gesenkt! Das will die neue Regierung verschärft fortsetzen: Die Körperschaftsteuer soll von 25 auf 19 Prozent gesenkt werden. Tatsächlich ist Geld in Hülle und Fülle da! Letzte Woche veröffentlichte die Deutsche Bank ihre Zahlen: Allein im dritten Quartal 2005 stieg ihr Gewinn auf 1,88 Milliarden Euro! Die Kapitalrendite beträgt 28 Prozent! Aber wenn wir unsere Ersparnisse, falls vorhanden, aufs Sparbuch legen kriegen wir ein Prozent! Dazu werden weitere Massenentlassungen angekündigt, zum Beispiel von Siemens, damit die Profite steigen. Dagegen streiken seit über einer Woche die Infineon-Kollegen! Sie haben sich auch von einem brutalem Polizeieinsatz nicht einschüchtern lassen! In Belgien gab es letzten Freitag den zweiten Generalstreik im Oktober, und wir fahren an diesem Samstag, dem 5. November, zum Sternmarsch gegen den Horrorkatalog der neuen Regierung nach Berlin!

Wolfgang Lange (MLPD)

 

Staatsmännisches Larifari
der In-den-Sand-Setzer

Die Zeitumstellung setzte uns wieder ins Dunkelwerden, aber der beleuchtete Eingang und die Stufen vor dem „Haus der Bürgerschaft“, dem Bremer Landtag, boten einen guten Rahmen für unsere Kundgebung. So fanden sich zu unserer 60. Montagsdemo auch wieder über 50 Mitstreiter, Redner und Zuhörer um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz ein.

Im Mittelpunkt der Beiträge stand die Solidarität mit dem Bremer Theater, dem wegen eines plötzlichen 4,8-Millionen-Loches die Insolvenz droht. Die Oktober-Gehälter sollten nicht mehr gezahlt werden. Der Bremer Senat wies und weist alle Verantwortung dafür von sich. Mit der „großzügigen“ Bereitschaft, die ausstehenden Gehälter zu überweisen, betätigt sich dieser Senat aber gleichzeitig als Erpresser: Die Theaterleute sollen bis 2007 auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten!

Die intensiven Recherchen eines unserer Mitstreiter brachten zutage, dass es die mangelhafte juristische und finanzielle Konstruktion des Theaters ist, die diese Situation herbeigeführt hat, herbeiführen musste. Da das Theater gar keinen eigenen Spielraum hatte, ist es die mangelhafte und inkompetente Aufsichts- und Führungstätigkeit durch den von der Politik besetzten Aufsichtsrat, den Kultursenator und seine Behörde, die diese Lage verursacht hat!

Da traf es sich gut, dass gerade eine CDU-Fraktionssitzung zu diesem Thema zu Ende ging. Der verantwortliche CDU-Kultursenator Kastendiek verschwand eilends ins Dunkle. Durch die aufgehaltene Tür schallten dem Fraktionsvorsitzendem Perschau, der uns im Sommer schon durch seine Äußerung, das „Affentheater“ der Montagsdemo wolle er nicht unterstützen, aufgefallen war, unsere Beiträge entgegen. Wir stellten ihn zur Rede. Er antwortete mit staatsmännischem Larifari. Auf konkretere Vorhaltungen ließ er sich dann nicht ein und antwortete nur: „Alles ganz anders, davon verstehen Sie ja nichts“ und drehte ab. Perschau ist einer der professionellsten Bremer In-den-Sand-Setzer mit seinen gescheiterten Projekten wie Musical-Theater oder Space-Park!

Wir verabschiedeten eine Resolution und demonstrierten anschließend zum Theater am Goetheplatz, wo wir mit offenem Mikrofon unsere Kundgebung abschlossen.

Alle Interessierten und noch Unentschlossenen rufen wir auf: Kommt am Samstag, dem 5. November 2005 mit nach Berlin zum Sternmarsch gegen die neue Regierung! Es gibt nur noch wenige freie Plätze, Infos unter 0421-70 56 87. Abfahrt ist um 5:30 Uhr am ZOB Breitenweg, in Oldenburg bereits um 4:45 Uhr ab Autobahnabfahrt Kreyenbrück. Mitfahrer aus Wilhelmshaven steigen bitte dort zu. – Am kommenden Montag, dem 7. November 2005, sind wir wieder um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz.

Jobst Roselius für dieBundesweite Montagsdemo
 
Zersetzung: Leserbriefschreiber beschimpfen Demonstranten und Sozialprotest-Organisatoren („Indymedia“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz