SPIEGEL ONLINE - 04. November 2005, 17:02
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Offener Brief
 
Reiche wollen mehr Steuern zahlen

Es gibt sie - die Reichen, die den Begriff Gemeinwohl nicht als leere Floskel begreifen. In einem offenen Brief an die designierte Bundeskanzlerin Angela Merkel wirbt eine Gruppe von Vermögenden für eine Erhöhung der Vermögen - und Erbschaftsteuern.

Hamburg - Zu den Unterzeichnern des offenen Briefes gehören unter anderen Literaturnobelpreisträger Günter Grass, die Autoren Erich Loest und Peter Rühmkorf, Wirtschaftsexperten wie Thilo Bode und Rudolf Hickel sowie die Millionenerben Frank Hansen, Percy Rohde und Susann Haltermann. Initiator des Aufrufs ist der Hamburger Reeder Peter Krämer.

Die 21 Unterzeichner kritisieren, dass im internationalen Vergleich in Deutschland Vermögen am niedrigsten besteuert wird. Fasse man Grund-, Erbschaft-, Schenkung- und Vermögensteuer zusammen, sei Großbritannien mit einem Anteil von 4,3 Prozent am Bruttosozialprodukt Spitzenreiter der Belastung von Vermögen, wird in dem Brief eine aus dem Jahr 2004 stammende OECD-Studie zitiert. Es folgten Frankreich mit 3,3, die USA mit 3,2 und Japan mit 2,8 Prozent. Schlusslicht sei Deutschland mit nur 0,8 Prozent.

Die Unterzeichner regen an, die Vermögensbesteuerung auf 3,8 Prozent des Bruttosozialprodukts anzuheben. Damit könnte der Staat eine Summe von 66 Milliarden Euro an Mehreinnahmen erwirtschaften. Selbst nach Abzug der nur in Deutschland anfallenden Gewerbeertragsteuer in Höhe von 28 Milliarden blieben immer noch Mehreinnahmen von 38 Milliarden Euro jährlich.

Krämer sagte, es könne nicht sein, dass ernsthaft über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nachgedacht werde, ohne auch die Vermögenden stärker zu belasten. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer träfe die Normalverdiener, Rentner und Arbeitslose wesentlich stärker.

Die Forderungen seien keine Lippenbekenntnisse: "Viele von den Unterzeichnern wären von einer höheren Besteuerung von Vermögen betroffen und müssten dann mehr Steuern zahlen. Wir sind dazu bereit", sagte Krämer. Die Initiative will am Samstag ganzseitige Anzeigen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der Hamburger Ausgabe der "Bild"-Zeitung schalten.
 


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SPIEGEL ONLINE - 05. November 2005, 14:36
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Große Koalition
 
Union stimmt Reichensteuer zu

Ein Geschenk der Union an die SPD-Linke? In der Spitzenrunde der Koalitionsunterhändler haben CDU und CSU nach Informationen des SPIEGEL ihr Einverständnis zu einer Reichensteuer gegeben - auch Gutverdiener müssten ihren Beitrag zum Sparkurs leisten.

Hamburg - Der Sparkurs der künftigen Regierung mute den Bürgern mit kleinen Einkommen derart viel zu, dass es auch für Gutverdienende Einschnitte geben müsse, lautet nach Informationen des SPIEGEL die Begründung der Vertreter von CDU und CSU. Auch könne ein solches Signal vor dem SPD-Parteitag als Zeichen der Kooperationswilligkeit Wunder wirken. Die Union würde mithelfen, die labile Verfassung der SPD zu stabilisieren. Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes hingegen schließen die Spitzen von CDU/CSU kategorisch aus. Eine endgültige Einigung soll erst verkündet werden, wenn der ganze Koalitionsvertrag unter Dach und Fach ist.

Allerdings setzte sich der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) inzwischen öffentlich dafür ein, auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent zu prüfen. Für die Koalition solle der Grundsatz gelten, starke Schultern tragen mehr als schwache, sagte Müller der "Welt am Sonntag".

An der Spitzenrunde am vergangenen Donnerstag nahmen CDU-Chefin Angela Merkel, CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, der künftige SPD-Chef Matthias Platzeck, sein Vorgänger Franz Müntefering und Bundeskanzler Gerhard Schröder teil. Außerdem waren die Finanzunterhändler von Union und SPD, der hessische Ministerpräsident Roland Koch und der designierte Finanzminister Peer Steinbrück, dazugeladen worden.

Damit wird wohl mit Billigung der Konservativen eine der Lieblingsforderungen der SPD-Linken erfüllt. Die von der SPD im Wahlkampf geforderte Reichensteuer soll für Einkommen ab 250.000 Euro für Ledige und 500.000 Euro für Verheiratete gelten. Die Top-Verdiener müssten dann künftig von jedem Euro, der über dieser Summe liegt, drei Prozent zusätzlich an den Fiskus abführen. Insgesamt lassen sich damit nach SPD-Berechnungen Mehreinnahmen von 1,2 Milliarden Euro pro Jahr erzielen.
 


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