90. Bremer Montagsdemo
am 26. 06. 2006  I◄◄  ►►I

 

Deutschland, ein Sanierungsfall

Ursula GatzkeKanzlerin Merkel, wir haben es längst vernommen: Deutschland ist vom „Wunderland“ auf den Hund gekommen! Politiker, die sich und ihresgleichen nur immer viel Gutes gönnen, sind so beschäftigt, dass sie das Land jahrzehntelang nicht regieren können!

Der „Eid“, den ihr dem Volk habt geschworen, war immer nur für die Katze! Ihr habt lange gepennt, und nun hebt ihr gegen Arme eure Tatze. Hättet ihr eure Arbeit getan, dann wären wir Rentner besser dran! Wäret ihr mehr auf Zack gewesen, könnten die Kinder heute besser lesen!

Bei den Gesundheitskosten habt ihr geschnarcht, ganz tief und fein. Nun macht ihr Jagd auf Arme und holt die Kosten wieder rein! Für dieses Abzocken sollte man euch zum Teufel jagen! Deutschland ist erst durch euch Versager so im Argen!

Vom Knebeln, Einschüchtern, Bespitzeln und Abzocken solltet ihr euch sofort abwenden, stattdessen Systeme ändern, teure Fehl-, Unter- und Überversorgung beenden! Ihr regiert, als hättet ihr den Schuss nicht gehört: Das ist es, was immer wieder den Wähler stört!

Wenn ich Zeitung lese, denk’ ich, es geht 65 Jahre zurück. Bald sollen die „Bürgerstreifen“ kommen: Ist die Bespitzelung ein Glück? Langzeitarbeitslose sollen einen „Eid“ bei der Behörde leisten können, denn bei „bewusstem Lügen“ will man ihnen bis zu drei Jahren eine Zelle gönnen!

Ach Politiker, ihr säßet ja wohl schon fast alle hinter Gittern! Eure Gesetze machen euch nur immer zu Lügen-Edelrittern.

Ursula Gatzke (parteilos)
 
Ein sozialer Staat muss nicht nur von Arbeitnehmern finanziert werden:
Auch höhere Steuern auf Grundbesitz, Vermögen und Erbschaften
kommen grundsätzlich in Betracht („Tageszeitung“)
„35 Millionen erschlichen“: „Nürnberg (DPA). Mehrere zehntausend Hartz-IV-Betroffene haben nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr mit falschen Angaben 35,7 Millionen Euro erschlichen. Dies habe ein Abgleich der Daten von Krankenkassen, Rentenversicherungen und Finanzbehörden ergeben, teilte die Bundesagentur mit. Beim Arbeitslosengeld II habe es ‚Überzahlungen‘ von 26,9 Millionen, bei den Kosten für Unterkunft und Heizung von 8,8 Millionen Euro ergeben. Insgesamt hatte die Bundesagentur im vierten Quartal 2005 die Daten von 7,5 Millionen Hartz-IV-Betroffenen überprüft. In 4.200 Fällen führten die neu gewonnenen Erkenntnisse dazu, dass die Betroffenen ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld II verloren.“ („Weser-Kurier“ vom 21. Juni 2006)

Der Skandal des Verzichts auf Milliarden von Steuereinnahmen

Elisabeth GrafMehr denn je ist die Macht der Medien von ungebrochener Bedeutung, schließlich wird hier Volkes Meinung erschaffen und geprägt! Nicht immer gehen die Meinungsmacher damit derart verantwortungsbewusst um, wie es ihrer Position gerecht werden würde, sondern missbrauchen sie oft zur gezielten Beeinflussung der Bevölkerung. Wir Arbeitslosen könnten ein mehrstimmiges Lied davon singen, das viele Strophen hat! Manchmal reicht bloß ein kleines, aber gemeines Wörtchen, um die Leser- oder Hörerschaft in eine ganz bestimmte Ecke zu lenken.

Wie verschieden sich eine und dieselbe Nachricht verkaufen lässt, möchte ich hier knapp veranschaulichen: Unter „Kurzgefasst“ übernahm unser allseits geliebtes SPD-Blatt „Weser-Kurier“ am 21. Juni 2006 ganz ungeniert von der DPA einen kleinen Artikel mit der fulminanten Überschrift: „35 Millionen erschlichen“. Natürlich: die Arbeitslosen mal wieder! Wer sonst könnte dazu wohl in der Lage sein? Und dann gleich so viele: „Mehrere zehntausend Hartz-IV-Betroffene haben nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr mit falschen Angaben 35,7 Millionen Euro erschlichen“. Nach Abgleich mit den Daten anderer Behörden habe es „Überzahlungen“ beim Arbeitslosengeld II und bei den Kosten für Unterkunft und Heizung gegeben.

Derselbe Sachverhalt findet sich bei „Spiegel-Online“ unter „Kaum Missbrauch beim Arbeitslosengeld II“ wieder: „Bei weniger als drei Prozent aller Arbeitslosengeld-II-Fälle liegt Missbrauch vor. Das ist nach Angaben der Bundes­agentur für Arbeit das Ergebnis eines Datenabgleichs bei den Beziehern der staatlichen Leistung. In fast 60.000 Fällen, also weniger als drei Prozent aller ALG-II-Bezieher, seien aber Tatsachen bekannt geworden, die zu Leistungskürzungen führten.“ Das hört sich doch schon ganz anders an, oder?

Was sich mit der Benutzung des Verbs „erschleichen“ doch gleich für ein ungeheuerlicher Verdacht aufbauschen lässt, der uns Arbeitslosen generell und automatisch Faulheit, Betrug und Missbrauch im Rahmen einer Straftat unterstellt! Hetz, hetz, hetz! Ich bin empört, dass der „Weser-Kurier“ es nötig hat, im Stile der „Blöd“-Zeitung über die angeblich mit falschen Angaben erschlichenen Millionen der Hartz-IV-Betroffenen zu hetzen. Doch war ich nicht gewillt, mich mit dieser Tatsache unkommentiert abzufinden.

Da ich ja häufig die Erfahrung habe machen müssen, dass der „Weser-Kurier“ keine Leserbriefe mehr von mir veröffentlicht, habe ich mich per E-Mail direkt an die Redakteure gewandt und ihnen meinen Unmut geschildert. Ich will nicht erst im Internet surfen oder zum Beispiel die „Süddeutsche Zeitung“ lesen müssen, um objektiv informiert zu werden. Deswegen wünsche ich mir vom „Weser-Kurier“ ebenfalls eine faire und ehrliche Berichterstattung.

Um den dortigen Redakteuren zu zeigen, wie sie denselben Sachverhalt ohne das Verteilen des „Schwarzen Peters“, dafür aber mit mehr intelligenter Differenzierung hätten melden können, habe ich ihnen zur Verdeutlichung den Text von „Spiegel-Online“ angehängt. Natürlich war das kein netter Zug von mir und obendrein schulmeisterlich. Doch nehme ich mir das Recht heraus, mich auf diese Art gegen das tägliche Trommelfeuer vom angeblichen Leistungsmissbrauch und anderen vermeintlichen Schandtaten von ALG-II-Beziehern zu wehren. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich darauf keine Antwort erhalten habe.

Die Schelte gebührt in erster Linie den Politikern, die von den Medien gespiegelt werden. Die Große Koalition verschließt bewusst die Augen vor der Realität und will partout nicht davon ablassen, uns Arbeitslose zum Sündenbock zu machen. Angesichts der geplanten Massenentlassungen bei der Allianz-Versicherungsgesellschaft trotz verdoppelten Jahresüberschusses wäre es mehr als angemessen, etwas gegen das skrupellose Verhalten der Manager zu unternehmen, die auf diese Weise die Börsenkurse steigen lassen, um den eigenen Reichtum zu mehren. Stattdessen unterstützt die Bundesregierung eine solch brutale Gewinnmaximierung auch noch mit einer Absenkung der Unternehmenssteuer. Wir brauchen zwingend einen Richtungswechsel in der Politik, der Konzerne und Wohlhabende derart in die Pflicht nimmt, dass sie sich wieder angemessen an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beteiligen!

In Anbetracht dieses Missstandes erscheint es geradezu grotesk, wenn die SPD nur den „Missbrauch“ von Sozialleistungen wie Hartz IV „ächten“ will. Es wirkt geradezu ehrenrührig, wenn darauf hingewiesen wird, dass auch einfache Tätigkeiten „ehrenwerte“ Arbeiten seien, die nicht geringgeschätzt werden dürften, und dass „jede menschenwürdige Arbeit ehrenwert“ ist. Dann sollte es jedoch ebenso verpflichtend gewährleistet sein, dass jede „menschenwürdige“ Arbeit auch menschenwürdig bezahlt wird!

Und vor allem: Wo sind sie denn, die ganzen unbesetzten Arbeitsstellen? Ich schließe mit der Feststellung von Martin Behrsing vom „Erwerbslosenforum“: „Es ist ein Skandal, dass wir als eines der reichsten Länder uns verarmte Menschen leisten und gleichzeitig auf Milliarden von Steuereinnahmen verzichten, auf die die Gesellschaft aber ein Recht hat.“

Elisabeth Graf (parteilos)
 
Pendlerpauschale nur noch für Leute mit Häuschen im Grünen: Große Koalition setzt beim Streichen der Steuervergünstigungen für kleine Arbeitnehmer einen umweltpolitischen Fehlanreiz („Spiegel-Online“)
 
Steuerzahlerbund kündigt Verfassungsklage an: Die vom Bundestag
beschlossenen Steuerbelastungen verstoßen gegen die Grundsätze
von Gleichbehandlung und Besteuerung nach Leistungsfähigkeit
und sind systemwidrig („Spiegel-Online“)

 

Viele von uns waren und sind psychisch ziemlich am Boden

Liebe Montagsdemoteilnehmerinnen und -teilnehmer, liebe Überlebenskünstlerinnen und -künstler, liebe Menschen auf dem Marktplatz, herzlich willkommen zu unserer 90. Montagsdemo!

90 Demos – das sind fast zwei Jahre. Zwei Jahre können kurz oder lang sein, es kommt immer darauf an, was in dieser Zeit so passiert. Für uns, die wir uns jeden Montag hier treffen, ist in dieser Zeitspanne viel geschehen: Wir sind unverschuldet, von der Regierung geduldet und gefördert, arbeitslos geworden. Wir sind in das sogenannte ALG II gerutscht, das ein menschenwürdiges Leben nicht gestattet und dessen Höhe unter der Armutsgrenze liegt. Wir sind für die Bagis-Stellen zu staatlich verordneten „Fällen“ abgestiegen.

Während dieser 90 Demos haben wir gelernt, uns gegen verbale Unterstellungen und Angriffe zu wehren. Wir mussten erfahren, dass der Staat seine Mitarbeiter dazu einsetzt und missbraucht, uns menschenverachtend, verletzend und arrogant zu behandeln. Ich denke, keiner von uns würde sich wünschen, bei der Bagis diese unmoralische Arbeit auszuführen zu müssen: Man würde sich fühlen wie der berühmte Körperteil mit seinen berühmten fünf Buchstaben!

Viele von uns waren und sind psychisch ziemlich am Boden. Sie sind davon ausgegangen, dass sie ein Einzelschicksal sind und dass die Behandlung, die ihnen durch die staatlichen „Betreuungs“stellen widerfährt, nur bei ihnen angewandt wird. Dem ist nicht so: Diese schlimme Methode hat System, sie soll die betroffenen Menschen dazu bringen, dass sie nicht nur ihre Arbeitsplätze, sondern auch ihren Stolz und ihre Würde verlieren. Diese schlimme Methode soll erreichen, dass die Menschen wieder Angst vor der „Obrigkeit“ bekommen, dass sie sich elend fühlen, dass ihr Selbstwertgefühl vor die Hunde geht.

Man hofft, sie trauen sich dann nicht, gegen diese willkürlichen, staatlich gewünschten Maßnahmen, die sie körperlich und seelisch an den Abgrund bringen, vorzugehen. Ihre noch vorhandene Energie wird durch zweifelhafte und sinnentleerte Aufgaben und Spielchen aufgezehrt. Der Druck auf die Menschen, die unverschuldet arbeitslos geworden sind, wächst ständig!

Doch seit fast zwei Jahren findet die Bremer Montagsdemo auf dem Marktplatz statt. Auf dieser einzigen öffentlichen Protestveranstaltung gibt es die Möglichkeit, laut gegen die durch unsere total unfähigen Volksvertreter verordnete Armut und Bedürftigkeit aufmerksam zu machen. Wir haben ein Offenes Mikrofon, das jedem zur Verfügung steht, der seine Lage, seine Erfahrungen und Eindrücke schildern möchte oder gern etwas Aufbauendes und Hilfreiches oder Unterhaltsames erzählt.

Gudrun BinderLiebe Bremerinnen und Bremer, liebe Touristen im schönen Bremen, die 90. Bremer Montagsdemo grüßt Sie! Wir demonstrieren gegen Arbeitslosigkeit, gegen die absolut unsoziale Politik in unserem Staat, für soziale Gerechtigkeit, gegen den nicht enden wollenden Arbeitsplatzabbau!

Arbeitslos gewordene Menschen, die Ein-Euro-Jobs übernehmen müssen, verdrängen Menschen, die diese Arbeit zu reellen Verdiensten und Bedingungen ausgeführt haben. Es ist eine Spirale nach unten: Werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen, weil die Geschäftsführung beschlossen hat, dass sie nicht ausreichend Gewinn einstreicht – oft wegen der eigenen dicken Einkünfte, die an Unverschämtheit nicht zu überbieten sind –, gehören sie plötzlich zur Masse der Arbeitslosen.

Sie sind dann von heute auf morgen in der Gemeinschaft der Schmarotzer, Parasiten und Abzocker gelandet. Dafür werden andere Schmarotzer die stark reduzierten Arbeitsplätze übernehmen, und zwar als Ein-Euro-Jobber zu staatlich aufgezwungenen Bedingungen, die sie akzeptieren müssen, damit sie nicht finanzielle Sanktionen treffen, die menschenunwürdig und moralisch sehr zweifelhaft sind.

Auch Berufstätige, die noch zu reellen Bedingungen arbeiten, müssen sich um ihre soziale und finanzielle Zukunft Sorgen machen: Es gibt das schlimme Druckmittel der Änderungskündigung. Darin geht es um Lohn- und Gehaltskürzungen, um Arbeitszeitverlängerungen ohne finanziellen Ausgleich, um Lebensarbeitszeitverlängerung, steigende Sozialabgaben, gestrichene Zuschläge.

Es ist also wichtig, dass wir – Arbeitende und Arbeitslose – zusammenhalten und dass wir gemeinschaftlich gegen unsere Volksvertreter und deren miese Politik demonstrieren und uns gewaltfrei wehren, sehr gerne auch endlich mit Unterstützung der Gewerkschaften!

Apropos Volksvertreter: Der Staubsaugervertreter verkauft Staubsauger, der Versicherungsvertreter verkauft Versicherungen! Was verkauft der Volksvertreter? Diese Volksvertreter – übrigens von uns gewählt – wissen nicht mehr aus noch ein, wie es mit ihrer katastrophalen Politik weitergehen soll. Darum wälzen sie einfach alle Schuld an ihrem monströsen Desaster auf zehn Millionen Arbeitslose ab, die es nach Meinung derselben Politiker allerdings gar nicht gibt.

Ja, wie denn nun? Mal schmarotzen wir uns wie wild durch die Paragraphen, mal existieren wir überhaupt nicht! Es ist für uns alle deshalb wichtig, dass es die Montagsdemos – allen Unkenrufen zum Trotz – immer noch gibt, und das in über 120 Städten in Deutschland. In ausweglos erscheinenden Situationen helfen und unterstützen wir uns gegenseitig, in moralischen und seelischen Tiefs können wir uns stärken und Mut machen.

Wenn Sie also betroffen sind in diesem Unsozialstaat – und wer ist das nicht? –, kommen Sie zur Montagsdemo, jede Woche um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz, und wehren Sie sich mit uns, nutzen Sie unser Offenes Mikrofon! Übrigens: Vertretern droht bei Unfähigkeit der Rauswurf! Wann werfen wir unsere Volksvertreter raus?

90 Demos, und es geht weiter! Unsere Volksvertreter werden nicht gescheiter. Man hört die Demonstrationen überall, in 120 Städten ist das der Fall. Unsere Demos werden nicht leiser: Manchmal schreien wir uns heiser! Wir sind hier bei jedem Wetter und denken manchmal: Daheim ist es schon netter. Aber es nützt nichts, wir müssen uns wehren, wir müssen diese Politik wieder umkehren!

Es ist in den zwei Jahren viel staatliches Unrecht geschehen. Dagegen kämpfen wir, so darf es nicht weitergehen! Gemeinsam müssen wir diese fiesen Ungerechtigkeiten ertragen. Wir werden dagegen weiterdemonstrieren und nicht nur klagen, doch wir werden klagen, muss es denn sein: Wir legen Widerspruch nach Widerspruch gegen Bescheide ein! Wir wollen unser Leben wieder lebenswerter! Wir wollen nicht mehr diese Volksvertreter, und darum weg mit ihnen!

Gudrun Binder
 
Zwangsräumung: Mutter springt vom Balkon („Bild“, „Süddeutsche Zeitung“)
 
Unfreundlich und schwer erreichbar: 10.000 Hartz-IV-Sachbearbeiter
haben selber Angst vor Arbeitslosigkeit („Bild“-Zeitung)
 
Humor lebt weiter: Herr Sensenmann, der holt sich munter einen nach
dem andern runter („Süddeutsche Zeitung“, „Spiegel-Online“)

 

Gesundheitsreform, Steuerreform:
Zwei neue Drohungen, aber
nur für die kleinen Leute

1. Bei der Gesundheitsreform wird es teurer für die Versicherten und günstiger für die Unternehmen. Letzteres gilt auch für die Steuerreform. So werden die Kassen noch leerer!

Die Gesundheitsreform will vieles neu gestalten. Erfunden wurde ein „Ge­sundheitsfonds“, an den, statt an die Krankenkassen, der Beitrag gezahlt wird. Aus dem Fonds werden dann die Beiträge an die Krankenkassen verteilt, und damit sind die Beitragsunterschiede zwischen den Kassen wohl erledigt, die bisher einen festen Anteil an die kassenärztlichen Vereinigungen überwiesen haben. Diese haben die Abrechnungen mit den Ärzten vorgenommen. Demnach wäre der Gesundheitsfonds nur eine kostenintensive Umleitung der Beiträge und bestimmt keine Ersparnis!

Die Krankenkassen haben nach dieser Reform das Recht und die Pflicht, Fehlbeträge durch eine Kopfpauschale von ihren Versicherten einzufordern, die für alle Versicherten gleich hoch ist, egal wieviel Einkommen diese haben, auch von geringfügig Beschäftigten, Rentnern, Arbeitslosen! Das Krankengeld soll entfallen. Es wird jetzt durch die gesetzlichen Krankenkassen für zwölf Monate gezahlt; vorher hat der Arbeitgeber in der Regel sechs Wochen Lohnfortzahlung geleistet.

Die privaten Krankenkassen haben nochmals angeboten, alle Besserverdienenden zu versichern. Wie geht dies? Private Krankenversicherungen bieten die Leistungen gemäß Tarif an. Dieser wird nach einer gewissen Zeit geschlossen und ein neuer angeboten, meistens mit geringfügigen Änderungen. Die Versicherten eines Tarifs werden älter und damit leistungsanfälliger. Der Aufwand für diese Gruppe wird auf alle Köpfe dieses Tarifs umgelegt. Etwa alle fünf Jahre wird solch eine Rechnung aufgemacht und der Beitrag entsprechend erhöht.

Wer die Erhöhung nicht bezahlen kann, darf eine abgespeckte Leistung vereinbaren! Wer ein „gutes Risiko“ darstellt, kann die Umstufung in einen anderen Tarif beantragen. Wenn die Versicherung zustimmt, kann dieser Versicherte meistens für weniger Beitrag mehr Leistung erhalten, er muss nur aufpassen, dass auch die für ihn gebildete Rücklage mit übertragen wird! Wegzulaufen ist für die Versicherten mit höherem Krankheitsrisiko selten möglich.

Der Tarif geht nach dem Lebensalter, und bekannte Risiken werden entweder ausgeschlossen oder mit Risikozuschlag versichert. Die Private Krankenversicherung zahlt den Ärzten ein höheres Honorar, natürlich zu Lasten der Versicherten, aber sie zahlt nicht für eine Behandlung ohne Heilungsaussichten, zum Beispiel bei Krebs oder Aids ohne Chance auf Besserung. In gewissen Tarifen werden Behandlungen wegen der gleichen Krankheit auf einen gewissen Zeitraum begrenzt, zum Beispiel ein Jahr.

All dies steht im krassen Widerspruch zu den Werbeaussagen der Privaten Krankenversicherungen. Wer dorthin wechseln will, sollte sich als Anlage zum Versicherungsantrag folgende Frage schriftlich beantworten lassen: Welche Negativabweichungen gibt es zur gesetzlichen Krankenkasse? (Platz für die Aufzählung, Schlusssatz:) Diese Aufzählung ist abschließend und vollständig. (Ort, Datum, Unterschrift wie Police)

Wer diesen Rat befolgt, wird nie eine Private Krankenversicherung abschließen! Selbst wenn der Schlusssatz geändert wird: „Diese Aufstellung ist nach dem heutigen Stand abschließend und vollständig“ und damit die Hauptausrede entfällt, dass keiner die Zukunft kennt, wird keine Versicherung dazu bereit sein. Falls doch, wird wohl der Antragssteller nicht mehr zum Wechsel bereit sein, denn die Aufstellung der möglichen Nachteile wird detailliert nicht auf eine Seite passen!

Daher lasst uns gemeinsam für die solidarische und soziale Krankenver­sicherung kämpfen! Unsere Probleme insbesondere mit der letzten Gesundheitsreform sind wohl aus den Köpfen der Politiker verschwunden! Dies sollten wir ändern! Lasst uns gemeinsam aufzeigen, wo uns heute der Schuh drückt! Schreibt auf, welche Erfahrungen ihr gemacht habt und was geändert werden muss! Siehe auch meine Rede vom 23. Januar 2006. Lasst uns am nächsten Montag darüber reden! Daher Montagsdemo: Kopf zeigen! Für eine friedliche, weil gerechte Zukunftsperspektive!

 

Hans-Dieter Binder2. Die Halbierung der Körperschaftssteuer auf 12,5 Prozent sei ein Schritt in die richtige Richtung, aber erst ein Schritt, so hat ein Arbeitgebervertreter diese Planung kommentiert. Er hat aus Sicht der Unternehmen recht: Die Regierung erwartet schließlich im Gegenzug Arbeitsplätze! Aus meiner Sicht ist es eine törichte Erwartung, wie von einem kleinen Kind, das sich in eine Idee verrannt hat und keinen Ausweg mehr weiß.

Dass bei Senkung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung die Lohnnebenkosten sinken, ist richtig, aber dass dadurch je Prozentpunkt soundsoviele Arbeitsplätze entstehen, ist falsch. Arbeitsplätze entstehen durch Nachfrage der Arbeitsleistung, und dazu wird Kaufkraft benötigt!

In Osteuropa werden auch im Automobilbau Monatslöhne von 440 Euro gezahlt; dennoch wird eine Verlegung dieser Produktionsstätten in Länder mit noch geringeren Löhnen vorbereitet. Mein ehemaliger Arbeitgeber hat teilweise in Ungarn produzieren lassen, und der dortige Vertragspartner seinerseits in Vietnam. So billig können wir gar nicht werden! Lohn und Lohnnebenkosten werden zwar in der Kostenrechnung gesondert ausgewiesen, aber das Gesamtergebnis zählt!

Es ist nicht nötig, dass wir in Deutschland den billigen Jakob geben, es nützt überhaupt nichts, im Gegenteil: Die Allianz-Unternehmensgruppe schwimmt im Geld, hat ausgezeichnete Gewinne und gute Zukunftsaussichten – trotzdem werden Arbeitsplätze vernichtet, und bestimmt nicht ein einziger weniger, weil der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt wird! Die Politiker reden so gerne von „neu zu schaffenden“ Arbeitsplätzen, damit sie nicht realitätsbezogen handeln müssen.

Ja, die Beschäftigung von Mitarbeitern muss sich für die Unternehmen wieder lohnen! Die Unternehmenssteuer muss reformiert werden: Ein Unternehmen mit vielen Mitarbeitern zahlt den niedrigsten Steuersatz, ein Unternehmen ohne Mitarbeiter den höchsten! Dafür sind alle anderen Zuwendungen an Unternehmen zu streichen, siehe auch meine Rede zur 51. Bremer Montagsdemo.

Unternehmensschließungen sind nur noch durch Übergabe des Unternehmens an die Mitarbeiter möglich! Der Mindestlohn ist dann ein Selbstläufer, die Kaufkraft der Beschäftigten auch! All dies eilt! Ammenmärchen der Politiker sind der Hauptgrund für Untätigkeit oder Laufen in die falsche Richtung!

Jedes unserer sozialen Sicherungssysteme steht vor dem Kollaps: Es fehlen die Beitragszahler, es stört der Rückgang des Beitrags pro Versichertem. Frau Merkel hat der alten Regierung einen Verlust von 2.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen pro Monat angekreidet. Leider verlieren wir unter der Kanzlerin Merkel Monat für Monat mehr als 2.000 Arbeitsplätze! Allerdings ist Frau Merkel besser im Kaschieren der Wirklichkeit.

Neue Arbeitsplätze, ach wäre das schön! Die Unternehmen nutzen die Ertragslage zur Arbeitsplatzvernichtung und das Überangebot an Arbeitskräften zur Lohnkürzung. Bei Zulagen, Weihnachts- und Urlaubsgeld eifert die öffentliche Hand der Lohnsenkung nach: Auch hier wird die Arbeitsplatzvernichtung im großen Umfang betrieben. Die Lücken werden durch Ein-Euro-Mitarbeiter geschlossen. Ein zweifacher Effekt: Die öffentliche Hand spart Personalkosten und hat noch eine außerordentliche Einnahme.

Der Ein-Euro-Mitarbeiter erscheint nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik, außerdem wird noch ein eventueller Rentenanstieg verhindert, gleichzeitig eine Erhöhung des ALG-II- und Sozialhilfe-Regelsatzes, siehe 78. Bremer Montags­demo am 13. März 2006. Die Ein-Euro-Jobs verhindern die notwendigen Arbeitsplätze im sozialen und auch wissenschaftlichem Bereich. Bei 1.000 Ein-Euro-Mitarbeitern erhält ein Sozialverband oder Träger circa eine halbe Million zusätzlicher Steuergelder und die Arbeitsleistung dazu! Allein dies ist ein lohnendes Unterfangen, also: Es lebe Hartz IV, ArMEN! Daher Montagsdemo: Kopf zeigen! Für eine friedliche, weil gerechte Zukunftsperspektive!

 

3. Es gibt Neues vom Bremer Theater: Verdi hat die Ansprüche für das Weihnachtsgeld 2005 durchgesetzt, und alle Beschäftigten haben es erhalten, im Mai 2006! Die Verhandlungen über den Notlagentarifvertrag wurden ergebnislos vertagt. Verdi lässt sich eben nicht weichkochen!

Senator Kastendiek hat einen Titelgewinn zu verzeichnen: Er hat den Bremer Rekord im Zurückrudern im Einer gewonnen, ohne Steuermann, denn scheinbar hat ihn der Fürsprecher der Bremer GmbHs verlassen – Herr Perschau ist sehr ruhig geworden! Senator Kastendiek hat sich wohl am Bremer Theater die Finger verbrannt und nunmehr Herrn Pierwoß, den Intendanten, mit Streit belastet!

Das heißt: „Die Argumente von Herrn Pierwoß gegenüber Herrn Dünnwald habe ich, Kastendiek, ohne Prüfung, im guten Glauben von meinem künstlerischem Geschäftsführer übernommen und daher dem kaufmännischem Geschäftsführer, Herrn Dünnwald, gekündigt, fristlos und ohne Begründung im Kündigungsschreiben, aber prompt nach der Aufsichtsratssitzung, in der Herr Dünnwald, meine, Kastendieks, Idee aufgegriffen und die umgehende Auszahlung der Haushaltsmittel gefordert hat, damit das Bremer Theater das Weihnachtsgeld 2005 fristgerecht auszahlen kann. Falls die Auszahlung nicht bis zum Stichtag erfolgt, stelle ich beim Amtsgericht Insolvenzantrag für das Bremer Theater!“

Dies war die letzte Aufsichtsratssitzung von Herrn Dünnwald! War dies der Grund für die Kündigung? Herr Dünnwald wäre berechtigt und auch verpflichtet gewesen, diesen Insolvenzantrag zu stellen! Bitte, Herr zukünftiger Intendant Frey, hören Sie sich diesen Senator genau an und lesen Sie meine Beiträge zu diesem Thema ab 24. Oktober 2005. Schauen Sie sich an, wie dieser Senator mit Schuldzuweisungen umgeht, fragen Sie nach dem letzten Jahresabschluss und schauen Sie nach den Fristen für die Veröffentlichung! Danach sollten Sie sich vertraglich von der Haftung für diese Gesetzesverstöße und die Nichteinhaltung der Verträge und Arbeitsanweisungen freistellen lassen!

Die Streitverkündung von Senator Kastendiek an Intendant Pierwoß stand am 24. Juni 2006 im „Weser-Kurier“, die dort genannten Äußerungen von Herrn Pierwoß standen auch im letzten Gutachten über das Theater. Was davon zu halten ist, steht in meinen Reden für die Bremer Montagsdemo! Senator Kastendiek ist schon öfter auf diese Kündigung und die Gründe dafür angesprochen worden. „Wir haben uns vorher gut beraten lassen“, war seine Äußerung dazu.

Davon ist scheinbar nichts übrig geblieben: Alle mir bekannten Anschuldigungen gegen Lutz Uwe Dünnwald sind entweder unwirklich oder widerlegt! In vielen Fällen war der Senator Kastendiek der Störfaktor durch langes Liegenlassen oder Nichtmerken. Gekündigt wurde nicht Herrn Dünnwald allein, sondern auch der Personalleiterin, wegen zu guter Zusammenarbeit mit Herrn Dünnwald! Herr Kastendiek hat aus meiner Sicht seine nächste Bruchlandung vorbereitet.

Alles, was der jetzige alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer, Herr Patzelt, einführen oder schneller machen sollte, gab es bereits! Der Schreibtisch des Senators ist einfach zu groß, die Mitarbeiter des Rechnungshofes oder der Kulturbehörde sind zu unklar: Es finden sich immer Umstände, die es verdecken! Senatorisches Theater eben, das den möglichen Kandidaten Kastendiek offensichtlich verbraucht hat: Keine Fürsprache von Herrn Perschau mehr.

Dabei ist die BLG sehr erfolgreich gewesen: Eine Sonderprämie für Herrn Aden von 320.000 Euro und somit ein Gesamteinkommen von circa 700.000 Euro sind der Lohn, laut „Weser-Kurier“ vom 22. Juni 2006. Wie sieht die Erfolgsprämie für die Mitarbeiter der BLG aus? Zum Beispiel für den Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft, Herrn Patzelt, circa 390.000 bis 530.000 Euro. Würde diese Erfolgsbeteiligung auch gezahlt, wenn insgesamt ein Zuschussbetrieb bestände?

Die üble Nachrede des Kultursenators wird ein Ende haben, eventuell eine für Bremen sehr teuere Erfahrung. Hoffentlich gibt der Richter dafür genug Raum und ist nicht mit einem Abfindungsangebot ohne Diskussion zufrieden, dann kann Senator Kastendiek nur noch seinen sofortigen Rücktritt erklären! Darum Montagsdemo: Kopf zeigen! Wir schaffen eine Zukunft mit ehrlichen Politikern!

Hans-Dieter Binder
 
Fördermittel zu verschwenden: Überfünfzigjährige, die sich eine reguläre
Stelle selbst suchen wollen, informieren sich auf der Montagsdemo, bevor
Steuerberater alles für ihre Mandanten einsacken („Arbeitsagentur“)

 

Wann kommt der Protest
aus der Kultur auf die Straße?

Jens SchnitkerMit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen wuchs auch der Widerstand dagegen. Zu den sozialen Protesten von den Arbeitslosen kamen durch die Ankündigung, Studiengebühren einzuführen, Proteste der Studenten hinzu. Beides flaute wohl ab, dennoch gibt es sie weiter. Dem verbleibenden Widerstand wird von Staats wegen entweder die wirtschaftliche Basis zertrümmert, oder er wird kriminalisiert. Dabei ist Radikalisierung eine logische Antwort auf die Arroganz der Macht.

Radikaler wird der Studentenprotest seit Sommer 2006. Als ein Fußball-WM-Spiel in Frankfurt stattfindet, demonstrieren Studenten nicht nur aus Hessen. Es ist eine gute Idee, Protest öffentlich zu machen, während die Welt gerade nach Deutschland schaut. Es bleibt nicht das einzige Mal, dass Studenten in dieser Zeit auf die Straße gehen: In Hamburg kommen über 3.000 Menschen zusammen, als am selben Tag der Senat Studiengebühren beschließt, in Wiesbaden werden über 7.000 Demonstranten gezählt.

In Hessen trifft es die Studenten besonders hart: Im Jahr 2007 müssen sie 1.500 Euro zahlen, dreimal so viel wie in anderen Bundesländern, Koch sei Dank. Am 5. Juli besetzen Studenten das Wissenschaftsministerium in Wiesbaden und blockieren stundenlang Autobahnen und Gleise. Die Gewerkschaft hat ebenfalls angekündgt, während der Weltmeisterschaft zu streiken, aber das ist wohl eine Seifenblase gewesen. Wer über den eigenen Tellerrand guckt, dem stellt sich die Frage: Wo ist der Protest aus der Kultur?

Die Kulturschaffenden, die zumeist in prekären Verhältnissen arbeiten, werden gegenwärtig erneut in die Zange genommen. Im Juni war in den Zeitungen etwas über die Lohnentwicklungen der Künstler zu lesen. Der deutsche Kulturrat, die bundesdeutsche Vertretung der Künstler, gab bekannt: Die neuen Arbeitsgesetze stürzen Filmschaffende und Schauspieler immer schneller in Hartz IV. Um ALG I zu kriegen, mussten Künstler bisher 360 Tage lang sozialversichert sein, innerhalb von drei Jahren. Das ist geändert worden auf zwei Jahre.

Eine Flexibilität der Arbeitsverhältnisse, die die Politik jahrelang von den Künstlern forderte, wird durch diese Maßnahme bestraft. Es ist kein Geheimnis, dass die Kunstschaffenden zur Gruppe der Geringverdiener gehören: Sie haben keine festen Beschäftigungen, sondern hangeln sich von einem kurzfristigen Auftrag zum nächsten. Das ist das bittere Brot nicht nur der Schauspieler; auch Maler, Bildhauer und Schriftsteller sind davon betroffen. Der Kulturrat veröffentlichte im Juni 2006 den Verdienst dieser Gruppe.

2004 verdienten sie durchschnittlich 11.078 Euro im Jahr, 2005 waren es 11.091 Euro. In diesem Jahr werden sie nur noch 9.879 Euro verdienen, das sind 823,25 Euro im Monat. Ein deutlicher Abstieg! Bedeutet dies ein weiteres Gefälle? In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 22. Juni 2006 stand über die finanzielle Situation dieser Lebenskünstler einiges, das den beschriebenen Trend bestätigt: Künstler sind auf Nebenjobs angewiesen, da sie nicht mehr von ihrer künstlerischen Tätigkeit allein leben können.

Am besten verdienen Menschen, die sich mit Literatur beschäftigen: Autoren, Publizisten und Übersetzer kommen netto auf 2.375 Euro im Monat. Weniger bekommen Musiker, ihr Gehalt liegt bei 1.954 Euro im Monat. Diese Zahlen stammen von der Künstlersozialkasse, sie belegen deutlich die schwierige Lage im Kulturbereich. Gerade diese Gruppe ist auf die Almosen, den Mäzen mehr denn je angewiesen. Sie unterhalten auch diese Klasse und werden auf der anderen Seite abgewürgt. Die Künstler belustigen die wohlhabende Kaste und reißen sie aus ihrer Langeweile, während sie selbst seelisch zerrissen werden.

Es bleibt die Frage: Wann kommt der Protest aus der Kultur auf die Straße? Der Kölner Aktionskünstler Georg Joachim Schmitt ruft jetzt zum ersten deutschen Künstlerstreik auf: Am 29. Juli 1890 starb Vincent van Gogh an selbst beigebrachten Verletzungen, am 29. Juli 2006 soll vor dem Brandenburger Tor demonstriert werden. Schmitt sagt: „Lasst unser Land spüren, was es heißt, wenn unsere Pinsel ruhen!“

Haben die Künstler keine Arbeit, kommen sie bald in den Bezug des ALG II. Dann ist der Ein-Euro-Job nicht mehr weit. In Bremen zeigen sich schon krasse Auswüchse: Im Museum, in der Kunsthalle und den Galerien der Stadt arbeiten seit Anfang 2005 viele in dieser Position. Es werden immer weitere Jobs angeboten. Dieses Programm hat nach seinem Start die erste Hürde genommen, die Akzeptanz bei den Langzeitarbeitslosen. Deren Nachfrage ist groß. Ihnen ist klar, dass sie keinen Job mehr finden: Also hinein in noch prekärere Verhältnisse!

Günstlinge in Bremen sind Bürgerhäuser, Galerie des Westens, Kulturzentren Schlachthof und Lagerhaus, Kunsthalle, Kunstverein, Offener Kanal, Staatsarchiv, Stadtbibliothek, Tanzwerk, Theater, Theatrium, Überseemuseum, Volkhochschule und Weserburg. Ohne die Ein-Euro-Jobs käme der Kulturbetrieb der Stadt Bremen ins Straucheln. Bisher läuft auf den ersten Blick alles problemlos. Doch was für bleibende Schäden hinterlässt dieses Programm außer den strukturellen Folgen für die Arbeit? Die psychischen Folgen bleiben unbekannt. Wer unten ist, kennt das Getretenwerden: Dieser absurden Logik folgen die Ideengeber.

Exemplarisch steht der Streik des Theaters. Sieht man genauer hin, erkennt man weitere klaffende Risse: So werden die kleineren Spielstätten nicht mehr finanziell unterstützt, nur noch die großen bekommen etwas vom Rest. Dementsprechend biedert man sich dem Senat an: Das Bremer Theater setzt vermehrt auf unkritische Oper. Das Packhaustheater ist von der Bras aufgekauft worden. Zukünftig arbeiten dort nur noch Ein-Euro-Kräfte. Wann kommt in Bremen der kulturelle Protest auf die Straße?

Jens Schnitker (parteilos)
 
„Solidarsystem bleibt auf der Strecke“: DGB kündigt für den Herbst Protest­aktionen gegen die Reformpolitik der Koalition an („Spiegel-Online“)

 

Zeit für französische Verhältnisse!

Ich möchte kurz an den Beitrag von Matthias, den er vor vier Wochen gehalten hat, erinnern und daran, wie beschränkt das Streikrecht in Deutschland ist! Nur unter gewerkschaftlicher Führung und bei tariflichen Fragen besteht etwas, das sich „Gewohnheitsrecht auf Streik“ nennt, sonst ist nichts drin.

Ist es nicht an der Zeit, gegen die ganzen „Reformen“ mit der scharfen Waffe des Streiks vorzugehen? Ich bin der Meinung, wir müssen dringend für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht kämpfen! Ich höre immer wieder von Kollegen oder Freunden: „In Frankreich haben sie es ja geschafft, ein Gesetz zu kippen, aber in Deutschland ist man entweder zu feige, zurückhaltend oder zu gehorsam dazu.“ Oder man sagt: „Das bringt eh alles nichts, man kann nichts dagegen tun!“

Abgesehen von den ganzen Massenentlassungen, tariflichen Fragen oder Rentenkürzungen möchte ich nur drei Beispiele nennen: Wer wollte eigentlich diese komische Reform von Hatz IV? Bestimmt kein einfacher arbeitender Mensch, von den Arbeitslosen ganz zu schweigen! Oder diese kranke, menschenverachtende „Gesundheitsreform“, die einen nicht mehr gesund, sondern krank werden lässt. Man kriegt ja noch Bauchschmerzen dazu, wenn man zum Arzt gehen muss! Oder unsere Umwelt: Sie wird wegen der Profitgier der Monopole zerstört.

Das sollte man sich mal klar machen: aus Profitgier! Dagegen sollen wir nicht streiken dürfen? Unsere Umwelt geht vor die Hunde, und wir müssen erst mal unsere Zeit damit verplempern, für ein wirkliches Streikrecht zu kämpfen: Es wird allerhöchste Zeit für französische Verhältnisse! Meiner Meinung nach müssten wir bis dahin in solchen Grundfragen den gewerkschaftlichen Rahmen durchbrechen und selbständig streiken!

Zu diesem Thema veranstaltet die MLPD am Mittwoch dieser Woche um 18 Uhr in der „Sahara Lounge“ (Kornstraße 88, Bremen-Neustadt) einen Diskussionsabend, zu dem ich alle herzlich einlade!

Ümit (MLPD)
 
Die Zukunft sozialer Sicherung braucht Modelle für ein Grundeinkommen: Einladung zum Diskussionsabend am Mittwoch dieser Woche
um 19 Uhr im „Jan-Reiners-Zentrum“, Hemmstraße 212,
Bremen-Findorff („Rosa-Luxemburg-Initiative“)
 
„Fickt eure Gebühren!“: Hessische Studenten protestieren à la française –
und rufen auf zur bundesweiten Demo in Frankfurt am 6. Juli
(„Tageszeitung“, „ABS-Bund“)

 

Aufruf zum Sternmarsch gegen die
Große Koalition der Sozialräuber
am 16. September in Berlin

Seit November 2005 ist die „Große Koalition“ von Merkel und Müntefering jetzt im Amt. Wir ziehen Bilanz: Hartz IV hat die Massenarbeitslosigkeit noch gesteigert und zwingt Arbeitslose in die Armut! Tarifrechte werden durch Ein-Euro-Jobs und Lohndumping unterlaufen, der Kündigungsschutz wird ausgehöhlt! Die Jugend wird mit Lehrstellenmangel, Studiengebühren und dem Zwang, ohne Arbeit bei den Eltern zu wohnen, um ihre Zukunft gebracht! Die Nullrunden bei den Rentnern und die Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre bedeuten massive Rentenkürzungen! Eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung gibt es zunehmend nur noch für die Reichen! Mit der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke und dem Ausbau der Verbrennung von fossilen Energieträgern wird die Umwelt rücksichtslos und unwiederbringlich zerstört! Migranten werden schikaniert und diskriminiert, demokratische Rechte und Freiheiten immer weiter abgebaut, die Bevölkerung bespitzelt, kämpferische Aktionen und Kollegen diszipliniert und unterdrückt! Zugleich geben die staatlichen Behörden neofaschistischen Organisationen Spielraum für ihren Terror! Die Kriegsgefahr wächst!

Die Montagsdemonstranten, Verdi-Kollegen, Metaller, Ärzte, Schüler, Studenten, sie alle sind mit Streiks und Demonstrationen für ihre Interessen aktiv geworden. Sie blicken über Ländergrenzen hinaus: „Kämpfen wie in Frankreich“ ist zum geflügelten Wort geworden. Die Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative wächst. Wenn sich etwas ändern soll, dann müssen wir uns verändern und für unsere Rechte und unsere Zukunft auf die Straße gehen! Die Stärke der Arbeiter und Arbeitslosen, der Jugendlichen, der Frauen-, Umwelt- und Friedensbewegung liegt in ihrem Zusammenschluss und ihrer Einheit! Ergreift in Betrieben, Schulen, Büros und Praxen, in der Nachbarschaft und in Vereinen die Initiative! Setzen wir mit dem dritten Sternmarsch gegen die Regierung ein unübersehbares Zeichen des gemeinsamen Kampfes gegen die volksfeindliche Politik der Großen Koalition! Gegen die Große Koalition der Sozialräuber! Weg mit Hartz IV! Für Arbeitsplätze, soziale und politische Rechte, Frieden, Schutz der natürlichen Umwelt und ein menschenwürdiges Leben! Wer nicht kämpft, hat schon verloren! Hinaus auf die Straße! Am 16. September nach Berlin!

Der Beschluss zur Demonstration wurde auf dem bundesweiten Delegiertentreffen der Montagsdemos am 4. März 2006 in Hannover mit Vertretern aus 50 Städten gefasst und dieser Aufruf von den Montagsdemonstrationen verabschiedet. Die Montagsdemonstrationen arbeiten auf überparteilicher, gleichberechtigter und finanziell unabhängiger Grundlage. Spenden werden erbeten auf das Konto der Montagsdemo Gelsenkirchen, Postbank Gelsenkirchen, Kto.-Nr. 69 562 9462, BLZ 440 100 46, Stichwort: „Sternmarsch 16. 9.“

 

Rumdoktern am „Sanierungsfall“ –
oder lieber eine
gesellschaftliche Alternative?

Zur 90. Montagsdemo kamen am 26. Juni 2006 um 17:30 Uhr im Trubel zwischen einem angekündigtem Gewitter und den Übertragungen der Fußball-Weltmeisterschaft am Domshof mit 35 Teilnehmern nicht ganz so viele wie sonst auf den Bremer Marktplatz. Aber mit dabei war wieder die schon 87 cm große Paula, ein echtes Montagsdemokind, zuerst noch in Mutters Bauch und dann alle 14 Tage, je nachdem, wie Vater Schichtdienst hat. An ihrem Wachsen und Gedeihen sehen wir, dass die Massen leben und sich entwickeln wollen und werden.

Das große Redebuch
Band I (2004/2005):
Schröders Hartz-Attacke und 
seine vorgezogene AbwahlEin Sanierungsfall ist dagegen der Kapitalismus mit seinen korrupten und kriminellen Unternehmen und Regierungen; daher wurde Frau Merkels Wort vom „Sanierungsfall“ gern obduziert. Unsere Diagnose lautet nur ganz anders als ihre. Neulich kam in der Zeitung ein Bild von den Müntemerkels: „Toter kann man gar nicht aus der Wäsche schauen!“, witzelte selbst der Redakteur.

Aber es gibt ja auch schon erste In-Frage-Steller. Der bayerische Börsen- und Finanzexperte Professor Wolfgang Gerke sagte im WDR-Interview: „Das kann doch nicht die Zukunft der Menschheit sein, dass immer mehr Menschen sich sagen müssen: Ich bin überflüssig!“, wenn in immer größeren Dimensionen weltweit Arbeitsplätze abgebaut und immer höhere Profite eingefahren werden, die man gar nicht mehr angelegen kann.

Im Windschatten dieser Weltmeisterschaft meinen Monopolkapital und Regierende, mal eben alles durchziehen zu können, durch die verschiedenen Parlamentsgremien: Mehrwertsteuer, Gesundheitsreform, Optimierungsgesetz. Alles kostet das Geld der Massen: Die Unternehmenssteuern runter, ansonsten neue Steuern rauf!

Wie wenig bei allem die Regierenden ihren Laden im Griff haben, zeigen immer wieder die fehlerhaften Finanzansätze, Verordnungen, eine Statistik, die keiner nüchternen Analyse mehr standhält, und andererseits das Gerichtswesen, das immer mehr „Fälle“ zu bearbeiten hat und das löchrige Gewebe der Inkompetenz, Voreingenommenheit, Lüge, Vetternwirtschaft und Filz von Merkel bis zum entmündigten Schreiberling in der konturlosen Mediensoße ans Licht bringt. Selbst Christiane Sabinsen sieht da keine Sonne und Zukunft mehr und macht ab ins Ausland: Je früher desto besser, aber nur zu Billiglohn!

Auch heute waren wieder die Frauen die Aktivsten und Wortgewaltigsten mit tollen Redebeiträgen. Kurz vor 18 Uhr zogen wir erneut zur Demo zum Hanseatenhof. Dort findet sich zwischen Arbeitsende und letztem Einkauf eine eigene Mischung von Menschen, die interessiert zuhören und sich auch ansprechen lassen. Gerade der letzte Beitrag zum Bremer Theater und den Rollen, die verschiedene „Figuren“ zu spielen haben, damit Senator Kastendiek nicht vor der Zeit zu Fall gerät, wird gebannt angehört. Die Bremer sind nach Spacepark, Musicaltheater, der Sektaffäre von Senator Gloystein und der Selbstbedienung von Ex-Senator Jens Eckhoff sehr hellhörig, was diese sauberen Herren so alles zelebrieren!

Jobst Roselius für dieBundesweite Montagsdemo
 
Weitere Tote: Bruno der Bär, Ich die AG („Spiegel-Online“, „Tageszeitung“)
 
Sparen statt Fördern: Arbeitsagentur macht Überschuss von
sechs bis acht Milliarden Euro („Spiegel-Online“)
 
AStA rät zum Widerspruch: Über 6.000 Bremer Studierende sollen
Gebühren zahlen („Tageszeitung“)
 
Arbeitslose tragen höchstes Erkrankungsrisiko: Die Verteilungsprozesse, wer die Zeche zahlen soll für die sozialen Kosten einer alternden Gesellschaft, sind überlagert von Gesundheitsmoral und Fitnesszwang („Tageszeitung“)
 
Sauber: Revolutions-Engel kündet vom Klassenkampf („Rote Fahne“)
 
Und auf allen Straßen Trubel: Das haut Merkela und Horstel
aus dem warmen Ohrensessel („Spiegel-Online“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz