598. Bremer Montagsdemo
am 19. 12. 2016  I◄◄  ►►I

 

Die Würde des Menschen steht unter Finanzierungsvorbehalt

Elisabeth GrafWie schon in ihrem ersten BuchExotische Schlan­gen vor dem So­zi­al­ge­richt“ beschreibt Charlotte Mourner, was Hartz-IV-Berechtigten im Umgang mit den Jobcentern widerfahren kann. Der neue Band „Pas­tell­matt­schwarz“ wird mit einem Zitat von Ellen Diederich aus dem Dezember 2007 eingeleitet: „Die Würde des Menschen steht unter Finanzierungsvorbehalt“. Denn ob sich ein Erwerbsloser oder Aufstocker seine Kosten der Unterkunft, sein Essen und sonstige Lebenshaltungskosten leisten kann, das hängt selbstredend davon ab, ob die sogenannte Grundsicherung überhaupt auf das Konto überwiesen wurde.

Wer jetzt annimmt, Langzeiterwerbslose befänden sich in Deutschland doch in einem Sozialstaat, der ihnen mit Artikel 20 des Grundgesetzes wiederum die verfassungsmäßige Grundlage für das Sozialstaatsprinzip zusichert, der wird häufiger mal eines „Besseren“ belehrt. Erstens sichert die „Grundsicherung“ gar keine noch so bescheidene Existenzgrundlage ab, selbst wenn sie pünktlich gezahlt wird. Zweitens macht auch Mourner deutlich, dass Hartz IV nicht nur sprachlich als Sondergesetz erkennbar ist, sondern etliche Betroffene sich in der vielerorts gelebten Praxis offenbar auch in einem rechtsfreien Raum befinden. Wie ist es sonst zu erklären, dass die den Betroffenen zustehende „Hilfe zum Lebensunterhalt“ nicht eben selten gar nicht, zu spät oder nicht in der zustehenden Höhe gezahlt wird?

Oftmals wird einem berechtigten Widerspruch nicht stattgegeben, muss erst das Sozialgericht zu Hilfe gerufen werden, um den Anspruch in einer Klage durchzusetzen. Dazu muss ein um seine Existenz, seine Wohnung Bangender aber in der Lage sein, sein Recht zu erkennen, sich Hilfe zu organisieren und den Mut besitzen, legalen Widerstand zu leisten. Da merkwürdigerweise vielerorts die Unterlagen von Hartz-IV-Betroffenen in den Jobcentern auf wundersame Weise und wie von Zauberhand geleitet einfach so verschwinden können, empfiehlt es sich, diese nur mit einer vom Jobcenter abgestempelten Kopie abzugeben oder ein teures Einschreiben mit Rückschein abzusenden.

Obwohl die Autorin glaubhaft versichert, hier nur eine Auswahl der härtesten Rechtsstreitigkeiten ihres Freundes Kurt darzustellen, läuft mir bei dieser wie unaufhörlichen Aneinanderreihung von Rechtsbrüchen ein eisiger Schauer nach dem nächsten den Rücken herunter. Ob nun der Pfändungsschutz von Sozialleistungen geradezu ausgehöhlt wird durch eine Überweisung innerhalb eines laufenden Klageverfahrens ohne vorherige Ankündigung, oder ob die Übernahme der Kaution für die neue Wohnung in Form eines Darlehens abgelehnt wird, weil nach einem Räumungstitel und drohender Obdachlosigkeit natürlich keine Zustimmung zum Umzug eingeholt wurde?

Oder wie das Jobcenter Kurt mit der Miete in der Luft hängen lässt, nachdem sich dessen Mitbewohner das Leben genommen hat? Oder wie viele Stöcke Kurt zwischen die Beine geworfen wurden, als er sein Umgangsrecht mit seinen minderjährigen Töchtern regelmäßig im 14-tägigen Rhythmus über das Wochenende und in der Hälfte der Ferienzeit wahrnehmen wollte, er aber für jeden einzelnen Umgangszeitraum kontinuierlich weiter die Übernahme der Kosten beantragen musste? Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie viel seelischer Schaden, permanente Beschämung, Entwürdigung, Ausgrenzung und Existenzangst durch solch eine in meinen Augen oft bewusst eingesetzte, menschenverachtende Behandlung angerichtet wird.

Glücklicherweise müssen Zumutungen und Willkür durch so viele Mitarbeiter in den Jobcentern nicht hingenommen werden. Es lohnt sich zu klagen: Auch Mourner belegt, in wie beeindruckend vielen Fällen juristische Klagen von Erfolg gekrönt sind. Der Ausgang des Buches überrascht damit, wie Kurt durch lehrbuchhafte echte Förderung, ganz ohne Verfolgungsbetreuung, tatsächlich einen Arbeitsplatz bekommt, der zu ihm passt und von dem er leben kann. Aber machen wir uns nichts vor: So viel Glück können nicht alle Erwerbslosen haben, weil es so viele bezahlte Arbeitsplätze schlicht nicht gibt, auch wenn uns das eine immer wieder neu euphemisierte Arbeitslosenstatistik glauben machen will.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Die erste Montagsdemonstration im Jahr 2017 beginnt am 9. Januar
wieder um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz.

 

Die Weihnachtsbotschaft 2016
heißt Ethoxyquin

Helmut MinkusEs ist nicht etwa der Papst, der sie verkündet, sondern eher ein neuzeitlicher „Friedensengel“. Die Botschaft wurde Anfang Dezember von „Greenpeace“ veröffentlicht und betriff alle Züchter, Händler und vor allem uns Käufer von Produkten aus Aquakulturen, der „modernen“ Massenhaltung von Fischen. Massentierhaltung auf dem Land, ihr Gestank und einige andere ihrer üblen Folgen wie beispielsweise Tierquälerei, Gefahr von Seuchen oder Resistenzbildung gegen Antibiotika sind uns heutzutage sehr gut bekannt.

Von der Öffentlichkeit nicht so leicht wahrnehmbar sind Massenfischhaltung in Gewässern von Küstenregionen (konventionelle Aquakultur) und die damit verbundenen Probleme. Die gibt es nur deshalb, weil die Weltmeere überfischt sind, was bedeutet, dass sie nicht mehr genug Fische auf natürliche Art liefern können. Doch die moderne, freie Marktwirtschaft findet noch immer Wege, zu möglichst günstigen Preisen für möglichst viele Konsumenten möglichst viele Produkte zu beschaffen, mit denen möglichst große Gewinne erzielt werden.

Das gilt für Computer, Autos, Palmöl, Tier- und Menschenfutter genauso wie für Fische: Alles muss in möglichst großen Mengen möglichst zentral produziert werden, damit es „wirtschaftlich“ wird. Dann „rechnet“ es sich, Lachse in norwegischen Zuchtstationen mit Fischmehl zu füttern, das in Peru hergestellt wird – aus Fischen, die es dort im Südostpazifik noch gibt. Damit das Fischfutter aus gemahlenem Fisch auf seinem 15.000 Kilometer langen Weg nicht vergammelt, müsste es mit Kühlschiffen transportiert werden. Aber die sind dann doch zu teuer – und so wird das Problem „chemisch gelöst“: Dem Fischmehl wird das Pflanzenschutzmittel Ethoxyquin beigemischt.

Das ist ein Insektenvernichter – vornehm: Pestizid –, von dem niemand so genau weiß, wie er wirkt, wenn er von Zuchtfischen gefressen wird. Im Gegensatz zu Glyphosat hat es die Europäische Union bereits 2011 geschafft, das Versprühen des Insektengiftes Ethoxyquin auf den Feldern zu verbieten. Doch erlaubt ist es im Tierfutter zur Haltbarmachung und als Brandschutzmittel. 150 Mikrogramm pro Kilogramm im Tierfutter sind legal. Für Fleisch, das der Mensch zum Essen auf seinen Teller packt, sind 50 Mikrogramm pro Kilogramm Fleisch zulässig. Für Fisch gibt es aber keine Grenzwerte, weil darin normalerweise kein Insektenvernichter enthalten sein kann.

Doch wenn man das bisher beschriebene „Weihnachtsmärchen“ kennt, müsste man auf die Idee kommen, das zu hinterfragen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat bisher noch nicht einmal ein Urteil über Ethoxyquin abgegeben, geschweige denn entsprechende Tests durchführen lassen. Sie entscheidet nach Datenlage. Solche Machenschaften von Wirtschaftskriminellen scheinen niemanden zu interessieren, der dafür zuständig beziehungsweise verantwortlich ist, das zu prüfen.

Das Gutachten eines Kieler Toxikologie-Professors und „Greenpeace“ liefern jetzt ernüchternde Daten zur Lage. Es wurden Ergebnisse von 38 Stichproben verschiedener Fischprodukte aus Aquakulturen für Aldi, Edeka, Famila, Kaufland, Lidl, Marktkauf, Netto, Penny, Real und Rewe in einer Info-Broschüre ausgewertet und zusammengestellt. Ersichtlich ist, dass 30 davon die zulässige Höchstmenge von 50 Mikrogramm pro Kilogramm zum Teil erheblich überschritten haben.

Führend sind dabei: Stremellachs aus Norwegen von Real (851), Regenbogenforelle aus der Türkei von „Sea-Pride“ bei Netto (392), Räucherlach aus Norwegen von „Nordsee“ bei Marktkauf (330). Nehmen Sie also die Broschüre mit bei Ihrem Weihnachtsfischeinkauf und suchen Sie sich aus, was Sie möchten. Wildlachs ist in der Regel frei von Ethoxyquin und Antibiotika, weil er sich auf natürliche Weise selbst ernähren darf. Es ist fraglich wie lange es ihn noch geben wird bei steigendem Bedarf, denn Fisch ist beliebt, normalerweise gesund und für Küstenbewohner Lebensgrundlage.

Laut „Fisch-Informationszentrum“ konsumierten die Menschen in Deutschland im Jahre 2015 insgesamt 1,15 Millionen Tonnen Fisch. Das wären durchschnittlich etwa 19 Kilogramm, auch für mich. Ich esse schon gerne Fisch, doch es ist sehr schwer. zu prüfen wie viel pro Jahr. Vielleicht stimmt es, aber ich finde es bedenklich oder seltsam, dass andere Leute so etwas besser zu wissen scheinen als ich selbst. Das sind wohl auch „Geheimnisse“ der modernen Marktforschung, Datenerhebungen und sozialen Marktwirtschaft.

Helmut Minkus (parteilos)

 

Nur die Atomwirtschaft
hat Grund zum Feiern

Der Rückzug ist nur ein Trick! Dazu erklärt Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation „Ausgestrahlt“: „Wenn die AKW-Betreiber jetzt 20 Klagen fallen lassen, so ist das nicht viel mehr als eine PR-Maßnahme“. In diesen Verfahren geht es lediglich um 600 bis 800 Millionen Euro. Dagegen umfassen die Klagen, die die Stromkonzerne weiter aufrechterhalten, ein Volumen von elf bis zwölf Milliarden Euro. Zurückgezogen wird also lediglich ein Anteil von fünf bis sieben Prozent.

Harald BraunDie 20 Klagen, die jetzt aufgegeben werden, sind teilweise juristisch aussichtslos. Die AKW-Betreiber hatten manche bereits in ersten Instanzen verloren. Bei anderen ist klar, dass die geforderten Summen nicht zu halten sind. Der Jubel der Merkel/Gabriel-Regierung ist typisch: Damit unterstützen sie den Trick der Konzerne und erweisen sich erneut als Diener der Atomwirtschaft. Wenn der Bundestag bereit ist, sich für einen symbolischen Betrag die Haftung der Konzerne für ihren Atommüll abkaufen zu lassen, dann muss er sich nicht wundern, wenn die Ablehnung der Regierung und die Proteste im Land weiter wachsen.

Jetzt sollen die AKW-Betreiber 23 Milliarden in den öffentlichen Atommüll-Fonds einzahlen und sind damit die Verantwortung für alle Zeiten los. Zu erwartende Kostensteigerungen muss dann die Allgemeinheit zahlen. Sind die noch laufenden Klagen der Stromkonzerne erfolgreich und wird die Brennelementesteuer wie geplant zum Jahreswechsel abgeschafft, dann reduzieren sich die 23 Milliarden um bis zu 18 Milliarden. Unterm Strich würden Eon, RWE und Konsorten also nur 5 Milliarden Euro für die ewige Lagerung ihrer strahlenden Abfälle zahlen – ein Skandal!

220.000 Menschen haben sich im November innerhalb weniger Tage an der Protestunterschrift-Aktion gegen die geplante Abschaffung der Brennelementesteuer beteiligt. Die Bundesregierung ignoriert dieses Votum und auch den Willen von 80 Prozent der Bevölkerung, die sich für das Ende der Atomenergie aussprechen.

Wie skrupellos die Atomkonzerne vorgehen, zeigt sich aktuell wieder: Weil die Brennelementesteuer nach derzeitigem Stand Ende 2016 ausläuft, haben EnBW, Eon und RWE ihre Reaktoren nicht wie sonst üblich „vollgetankt“, sondern nur wenige neue Brennelemente eingesetzt. Stattdessen wollen sie alle Reaktoren Anfang 2017 erneut öffnen, um – dann steuerfrei – weitere Brennstäbe nachzuladen. Bei jedem Öffnen des Reaktordeckels steigen jedoch die radioaktiven Emissionen eines Kernkraftwerkes auf ein Vielhundertfaches des sonst üblichen Wertes. Diese Emissionsspitzen stehen im Verdacht, für die erhöhten Kinderkrebsraten in der Umgebung von Atomkraftwerken verantwortlich zu sein.

Bei den Weltklimakonferenzen in Paris und Marrakesch beschlossen die versammelten Regierungsvertreter allen Ernstes, die „Energiewende“ auch mithilfe der Atomtechnologie erzielen zu wollen. Damit wird die Reduzierung der klimaschädlichen Treibhausgase noch zum „Argument“ für die Fortführung und den Ausbau der menschheitsbedrohenden Atomtechnologie. Dabei ist es dringend notwendig, sowohl die Atom- , als auch die Kohle- und Gaskraftwerke abzuschalten. Wir fordern: Rasche und vollständige Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien! Sofortige weltweite Stilllegung und Entsorgungen aller Atomanlagen auf Kosten der Betreiber! Verbot und Vernichtung aller atomaren, biologischen und chemischen Waffen!

Harald Braun („Umweltgewerkschaft“)

 

Aufruf zur Gegenwehr

Hans-Dieter Binder Überprüfungs­anträge nach § 44 SGB X sind in diesem Jahr noch für die Zeit ab 1. Januar 2015 möglich! Schenkt euch selbst „Gegenwehr“ zu Weihnachten: Den Eigenanteil zu den Kosten der Unterkunft sparen, abgelehnte Anträge wieder aufleben lassen, Kürzungen durch Sanktionen zurückholen und alles, was euch verwehrt wurde! Zeigt, dass ihr lebt! Es lohnt sich! Es geht allein in Bremen für 2015 um über fünf Millionen Euro. Wenn euch jemand sagt, die Mietrichtwerte der Verwaltungsanweisung seien richtig und sattelfest, und ihr sollet den Widerspruch einfach bleiben lassen, dann lügt dieser Mensch!

Auch Fachleute wurden von Behördenvertretern dazu angehalten: Bremen setzt die Mietobergrenzen fest – und ihr habt euch daran zu halten! Wer das tut, rät vom Überprüfungsantrag oder Widerspruch ab. Es gibt nur ein einziges Gerichtsurteil zu diesem Sachverhalt, weil alle, die ihren Differenzbetrag eingefordert haben, diesen auch erhielten, wenn sie sich nicht einwickeln, also von ihrem Vorhaben abhalten ließen. Es wurde ihnen ausgeredet! Das ist Rechtsbeugung von ansonsten kompetenten Leuten! Wenn es noch Rückfragen gibt: Wir sind am 19. Dezember noch einmal auf dem Hanseatenhof, ab 2017 dann wieder in Bremens „Guter Stube“. Allerdings sind Überprüfungsanträge rückwirkend auf den 1. Januar 2015 nur bis zum 31. Dezember 2016 möglich. Es gilt das Eingangsdatum beim Jobcenter!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“, „so:leb – Sozialer Lebensbund“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz