405. Bremer Montagsdemo
am 17. 12. 2012  I◄◄  ►►I

 

Ist Israel noch zu retten?

Rudolph Bauer - Foto: Hella StreicherEine Buchbesprechung. Das Buch „Wer rettet Israel?“ von Arn Strohmeyer ist auch ein Dokument der Leidenschaft, die in jener Verantwortung wurzeln dürfte, welche der Autor angesichts des Holocaust und des Völkermordes an den Juden „für dieses unsägliche Verbrechen“ (S. 1) empfindet. Gleich vier Mal begegnet der Begriff „Verantwortung“ bei der Lektüre am Anfang des Buches: Schon auf der ersten Seite wird die „deutsche Verantwortung“ beschworen, auf der zweiten dann die „Verantwortung für Israel und die Juden“, eine „Verantwortung ohne Vorbehalt“, eine „Verantwortung ..., die ihnen (d. h. den Deutschen) aus den Verbrechen des ‚Dritten Reiches‘ gegen das jüdische Volk erwächst“ (S. 2). Als Leserin und Leser droht man, ähnlich wie der Autor, in den Sog des schuldbeladenen Bekenntnisses einer Verantwortung zu geraten, welche von der deutschen Bundeskanzlerin vor dem israelischen Knesset-Parlament als „immerwährend“ und „historisch“ bezeichnet und in den Rang eines Teils der „Staatsräson meines Landes“ erhoben wurde (Angela Merkel im März 2008, zit. S. 236).

In demselben Buch, das leidenschaftlich von der deutschen Verantwortung spricht, werden aber auch andere als die Nazi-Verbrechen benannt. Sie wurden begangen in der Verantwortung des Zionismus, einer nationalistischen Bewegung zur kolonialistischen Inbesitznahme des von den Palästinensern besiedelten „Heiligen Landes“, und sie werden weiterhin ausgeübt in Verantwortung des 1948 von der zionistischen Bewegung gegründeten Staates Israel und seiner Regierungen. Einerseits erinnernd an die deutsche Schuld und andererseits konfrontierend mit den israelischen Schandtaten, erweist sich die Lektüre des Strohmeyer-Bandes als beschämend, bedrückend und belastend. Kein einfaches Buch, kein leicht bekömmlicher Lesestoff.

 

Worum geht es? Arn Strohmeyer erzählt die Vor- und Gründungsgeschichte des Staates Israel sowie den seitherigen historischen Verlauf der israelischen Politik im Verhältnis zu den Palästinensern einerseits und den Nachbarstaaten andrerseits. Dabei geht es dem Autor vor allem darum, die zahlreichen „Mythen“, wie er es nennt, zu widerlegen – Legenden, die nicht nur im Selbstverständnis Israels, seiner Politiker und Militärs sowie des Großteils seiner Bewohner verankert, sondern weit darüber hinaus prägend sind. Israel-Mythen bestimmen nicht zuletzt auch und gerade in Deutschland, bei den deutschen Politikern und in der Bevölkerung, das politische Bewusstsein.

Zweck solcher Legenden, die deshalb auch hartnäckig fortbestehen, ist es, hierzulande wie auch in Israel „Identität (zu stiften) und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinschaft (zu ermöglichen)“ (S. 12). Im Falle Israels bilden die von Strohmeyer akribisch entlarvten „Mythen“ Narrative mit Rechtfertigungscharakter. Sie legitimieren zum einen die Existenz des israelischen (bzw. jüdischen) Staates auf einem Territorium, das ursprünglich im Zuge kolonialistischer Landnahme durch Ankauf, weitgehend aber unrechtmäßig in Besitz genommen wurde. Zum anderen dienen sie zur Rechtfertigung der seither teils terroristisch, teils mit militärischer Übermacht, teils durch die Besetzung mit „Siedlungen“, immer aber gewaltförmig erfolgten Ausweitung, Annexion und Okkupation der für die zionistische „Heimstatt des jüdischen Volkes“ beanspruchten Landesfläche.

Da die kolonialistische und nationalistische Landnahme den Protest der palästinensischen Bewohner herausforderte, diente und dient deren Widerstand zusätzlich – neben den Mythen – zur Rechtfertigung von Diskriminierung, Unrecht, Vertreibung, Überfällen, Massakern, Gefangennahmen, Folter und Kriegen aller Art. Arn Strohmeyer spricht in wohlbegründeter Weise von Apartheid (u.a. auf S. 90, 154, 171, 173), von Rassismus (u.a. auf S. 101, 123, 156, 160, 167 ff.) und von ethnischer Säuberung (u.a. S. 74 und 131). Damit verbunden sind Anklagen, die auch von kritischen Israelis erhoben, von offizieller israelischer Seite und von Israels Verbündeten aber strikt zurückgewiesen werden.

 

Analysen statt Legenden. Neben den vielen bestürzenden Fakten, die der Autor recherchiert hat und in seinem Bericht mit Quellen belegt, kommen bei Strohmeyer zahlreiche kritische Historiker und Sozialwissenschaftler aus Israel oder mit jüdischer Herkunft zur Sprache. Sie alle entwerfen ein Bild von Israel, das diametral Gegensätzliches enthält zu dem, was die staatliche israelische Öffentlichkeitsarbeit verbreitet und was auch in Deutschland allgemein gilt: auf politischer Ebene, in den Medien, bei den Kirchen und an den Schulen, nicht zuletzt auch seitens jüdischer Gemeinden und des Zentralrats der Juden.

In ihrer Konsequenz konterkarieren die in Strohmeyers Veröffentlichung gewissenhaft zusammengetragenen Befunde die offiziell propagierte, teils schönfärberische, teils lügnerische Phraseologie von Israels geduldiger Bereitschaft zum Friedensschluss mit einem biterritorialen Staat Palästina (sog. Zwei-Staaten-Lösung) – ein Angebot, das nach israelischer Lesart gegenwärtig von „den Arabern“, „der Hamas“ und durch das Abfeuern von Qassam-Raketen ausgeschlagen werde.

Das israelische Militär, die israelische Regierung und die Mehrheit in der Knesset mit ihren „zionistischen Fraktionen“ Likud und Arbeitspartei (vgl. S. 47) verfolgen in Wahrheit die gegenteilige Absicht. Ihr Ziel schlechthin ist es, den Widerstand der in Gaza und den besetzten Gebieten noch vorhandenen palästinensischen Bewohner zu brechen bzw. sie weitestgehend durch jüdische zu ersetzen. Erreicht werden soll dies mit den Mitteln und Folgen von Diskriminierung, bürokratischer Schikane, Misshandlung, Erschwerung der Lebensbedingungen, wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen, territorialer Verdrängung, Einsperrung, Vertreibung und Tötungen aller Art.

 

Ausweg oder Perspektive. Für die Palästinenser gibt es nach Maßgabe der von Strohmeyer analysierten israelischen Politik nur einen einzigen Ausweg. Sie sollen für das von ihnen bewohnte und beanspruchte Land die israelische Oberhoheit akzeptieren und sich dem jüdischen Staat als Bürger zweiter, wenn nicht dritter Klasse unterwerfen. Die geschichts- und politikwissenschaftliche Untersuchung von Israels Mehrheitspolitik kommt zu dem Resultat, dass der Friedensprozess ein „Riesenschwindel“ sei (S. 240). Dieses nüchterne, aber auch niederschmetternde Urteil ist der Süddeutschen Zeitung vom 10. April 2008 entnommen. Es stammt aus dem Mund von Henry Siegmann, einem früheren Präsidenten des American Jewish Congress, der heute dem US/Middle East Project vorsteht.

Das Fazit von Henry Siegmann ist dermaßen erschreckend, dass Arn Strohmeyer in seiner Schrift nicht damit zu enden vermag. Der Untertitel des Buches lautet: „Ein Staat am Scheideweg“. In dieser Formulierung kommen der Wunsch und die Hoffnung zum Ausdruck, es sei denkbar und trotz allem immer noch möglich, dass Israel sich eines anderen Weges besinnt, statt den seit Jahrzehnten eingeschlagenen weiter zu gehen – einen anderen Weg als den, der dem Autor zufolge in die „politische Isolierung“ und in einen Zustand von „Lähmung, Stillstand und Immobilismus in der israelischen Politik und Gesellschaft“ (S. 245) führt.

Das würde freilich zunächst und in erster Linie zur Voraussetzung haben, dass die Staaten und Regierungen an der Seite Israels – an erster Stelle die USA, Deutschland und die EU – auf den israelischen Partner entschiedenen Druck ausüben, damit dieser bereit ist zu einer Politik der vorbehaltlosen Anerkennung palästinensischer Interessen, des Ausgleichs, der Abrüstung (auch atomar!) und der gemeinsamen Gestaltung der Zukunft im Nahen Osten. Stellt das eine begründete und begründbare Perspektive dar?

 

Retter Israels? Mit Blick auf Deutschland und den hiesigen Philosemitismus und -zionismus sind größte Zweifel angebracht. Aufs Ganze gesehen [und m. E. allzu voreilig] stellt Strohmeyer fest, „dass der als Mainstream vorherrschende Philosemitismus sich längst als verkappter Antisemitismus entlarvt hat“ (S. 225). [Das wäre in der Tat eine gute Botschaft!] Er zitiert Judith Butler: „Der Philosemitismus macht dieselben Fehler wie der Antisemitismus ... Der Philosemitismus verkehrt den Antisemitismus, ohne die Prämisse in Frage zu stellen, die sie beide stützt.“ (Zit. ebd.)

Die These, dass Anti- und Philosemitismus die zwei Seiten einer rassistischen Münze sind, wirft erschreckende Fragen auf: Hat die Judophobie, der Judenhass, sich in unverdächtige Freundschaftsgewänder gekleidet? Werden die Wann­see-Beschlüsse erst jetzt vollständig grausame Wirklichkeit, indem sich das Handeln deutscher Politik „der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet“ (Angela Merkel; zit. S. 236) – einer Sicherheit wohlgemerkt, die allein auf Gewalt, Töten und Waffen beruht und somit ohne menschlich lebbare Perspektive ist?

Die deutschen Waffenlieferungen und -schenkungen an Israel sowie der heuchlerische Schulterschluss mit der israelischen Aggressions- und Besatzungspolitik zeigen an, dass es der Bundesregierung nicht um das friedliche Zusammenleben und die Gestaltung einer humanen Zukunft geht, sondern um Morden, Krieg und Vernichtung. Ein Regime aber, das seine Macht nur auf militärische Überlegenheit allein stützen kann, droht an Waffen zu Grunde zu gehen: physisch oder moralisch.

 

Verdienstvoll, streitbar und beherzt. Arn Strohmeyer scheut sich nicht, in seiner Untersuchung diese und andere Fragen anzuschneiden und grundsätzliche Problematisierungen aufzuwerfen, die fundamental an deutsche Tabus rühren. Indem er so verfährt, setzt er ein persönliches Zeichen der moralischen Verpflichtung angesichts der historischen Schuld des rassistischen deutschen Herrenmenschentums. Das ist verdienstvoll und verdient Achtung.

Seine Analyse ist aber auch streitbar und beherzt, weil damit das Licht auf ein anderes Herrenmenschentum geworfen wird, welches ohne arisches Vorzeichen gleichfalls die Menschen- und Lebensrechte anderer negiert. Der militante Judaismus der zionistischen Bewegung trägt jedenfalls Herrenmenschenzüge, die – ohne sie denen der Nationalsozialisten gleichsetzen zu wollen – ebenfalls menschenverachtend und gefährlich sind.

Darauf mit seinem Buch hinzuweisen, wird dem Autor gewiss mit bitteren Anfeindungen aus dem Heerlager des philosemitischen Antisemitismus entgolten werden. Allerdings gibt er sich dafür auch die eine oder andere Blöße. Seine Arbeit – teils journalistisch, teils wissenschaftlich – ist wegen der Überfülle der Aspekte anstrengend zu lesen. Sie bietet kleinere formale sowie terminologische Angriffsflächen. Schließlich werden nur die eine Konfliktpartei, die israelisch-zionistische, und deren Verfehlungen untersucht. Es gibt aber auch auf der anderen Seite politische, diplomatische und militärische Fehler: bei den Palästinensern und den Nachbarstaaten Israels. Nicht zuletzt spielen schwerwiegende Fehlentscheidungen der Großmächte eine nicht unwesentliche Rolle.

Die Schwächen des Buches hätten leicht behoben werden können, wenn einer der deutschsprachigen Verlage mutig genug gewesen wäre, die Publikation Strohmeyers in sein Programm aufzunehmen und sie sowohl leserfreundlicher als auch dem Thema angemessen zu lektorieren. Dem Autor und seiner Veröffentlichung ist daher sehr zu wünschen, dass das Interesse daran eine zweite, verbesserte und ergänzte Auflage (mit Kartenmaterial, Schlagwort- und Personenverzeichnis!) bei einem friedensengagierten Verlag möglich macht. Für den öffentlichen Diskurs ist Strohmeyers Dokumentation eine wertvolle und unerlässliche Quelle.

Rudolph Bauer – Foto: Hella Streicher („NRhZ“)
 
Strohmeyer, Arn: Wer rettet Israel? Ein Staat am Scheideweg. Bremen 2012. 275 Seiten, 16 Euro. Zu beziehen über arn.stroh­mey­er(at)web.de

Aus der Bremer „Bild“-Zeitung vom 15. Dezember 2012 ist zu entnehmen, dass auf der Webpage der Bremer „Linken“ eine Rezension des neuen Buches von Arn Strohmeyer durch Professor Rudolph Bauer veröffentlicht wurde. Allerdings erfahren wir dort auch, dass diese Rezension durch den Landesgeschäftsführer „nach einem externen Hinweis“ wieder entfernt wurde. „Bild“ titelt: „Zwei Israel-Has­ser bekommen immer wieder ein Forum auf der Partei-Homepage. Wie viel Nazi-Sympathie steckt in den Bremer Linken?“. Derartige bösartige und verleumderische Angriffe passen ins „Bild“. Ich finde es aber mindestens ebenso skandalös, wie der Landesgeschäftsführer der Bremer „Linken“ auf derartige Angriffe reagiert. „Bild“ zitiert ihn mit den Worten: „Wir werden uns darüber unterhalten müssen, dass dies nicht mehr passiert“. Dem kann man nur zustimmen, allerdings bezogen auf diesen Akt von Selbstzensur. Mit freundlichen Grüßen.

Leserbrief von Johannes Feest (Hochschullehrer i.R., Bremen) an „Die Linke“

 

Einstweilige Verfügungen zur Wohnungsräumung hat es im Rechtsstaat noch nicht gegeben

1. In der Öffentlichkeit mag so niemand recht zur Kenntnis nehmen, dass knapp ein Viertel der EU-Bürger von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen ist. Hierbei wird unterschieden zwischen Personen, die armutsgefährdet sind, nach Sozialleistungen; solchen, die unter erheblicher materieller Entbehrung leiden; und Menschen zwischen null und 59 Jahren in Haushalten mit sehr niedriger Erwerbstätigkeit. Wer von mindestens einem der drei Kriterien betroffen ist, erscheint in dem Report „Armutsgefährdung und soziale Ausgrenzung in der EU 27“.

Elisabeth GrafIn Bulgarien traf dies 2011für 49 Prozent der Bevölkerung zu, in Rumänien und Lettland für 40 Prozent. In Litauen betraf die Armutsgefährdung ein Drittel der Bevölkerung, in Griechenland und Ungarn 31 Prozent. Ein kleines bisschen besser, aber alles andere als gut sah die Lage in der Tschechischen Republik mit „nur“ 15 Prozent aus, in den Niederlanden und Schweden mit je 16 Prozent sowie in Luxemburg und Österreich mit je 17 Prozent. Deutschland lag mit circa 20 Prozent im unteren Mittelfeld.

Als „armutsgefährdet“ gelten Personen, die in einem Haushalt mit einem verfügbaren Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle leben, welche auf 60 Prozent des nationalen verfügbaren Median-Einkommens (inklusive Sozialleistungen) festgelegt ist. Dabei stellt die Armutsgefährdungsquote eine relative Messgröße von Armut dar. Die Armutsschwelle unterscheidet sich deutlich zwischen den Mitgliedstaaten. 17 Prozent der Bevölkerung in der EU sind auch nach Zahlung von Sozialleistungen armutsgefährdet. Neun Prozent leiden unter erheblichen materiellen Entbehrungen, sodass sie nicht dazu in der Lage sind, ihre Rechnungen zu bezahlen, ihre Wohnung angemessen zu beheizen oder sich ausreichend zu ernähren. Wir sehen: EU macht arm!

 

2. Nun ist es auch beim „Paritätischen Gesamtverband“ und der AWO angekommen, dass Hartz-IV-Totalsanktionen verfassungswidrig sind, die Streichung des Arbeitslosengeldes II also unvereinbar mit der Menschenwürde ist! Der Geschäftsführer des „Paritätischen“ kritisierte die gängige Praxis von Jobcentern, bei bestimmten Pflichtverletzungen ihrer zur „Kundschaft“ verniedlichten Klientel das Arbeitslosengeld II vorübergehend komplett zu streichen, und sagte, dass es keinen Totalentzug von Leistungen geben dürfe, sondern das Existenzminimum notfalls durch Gutscheine oder durch Sachleistungen zu sichern sei.

Auch Antje Helbig von der AWO hält derartige Totalsanktionen für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz und betont, dass sie sich selbstverständlich nicht mit der Menschenwürde vertragen, weil die Betroffenen dadurch in Isolation und im Extremfall auch in Wohnungslosigkeit getrieben werden. Solche drastischen Sanktionen sind immer kontraproduktiv! Werner Hesse vom „Paritätischen Gesamtverband“ ergänzt, dass bei den jungen Erwachsen unter 25 Jahren die Totalsanktionen nach dem Gesetz ganz schnell einsetzen. Auf der Straße können sich die Jugendlichen kaum um Arbeit bemühen, daher kommen sie am Ende in Nichtsesshaften- und Obdachlosenheimen an. Allerdings sind sie dann aus der Statistik verschwunden, demnach „in Arbeit“, und Deutschland sonnt sich in seinen durch brutale Härte gefakten pseudo-niedrigen Arbeitslosenzahlen.

 

3. Das Augenoptikerhandwerk fordert Sehhilfen für die Bezieher von Hartz IV- und Sozialhilfe, weil gutes Sehen elementar wichtig für die Teilhabe an der Gesellschaft sei. Vor ein paar Tagen endete in Berlin die Aktion „Gutes Sehen für alle“ mit der Abgabe der letzten von knapp 3.000 kostenlosen Brillen an arme Menschen und mit der Erkenntnis, dass es einen großen Mangel in der Versorgung mit Sehhilfen bei den Transferleistungsbeziehern gibt. Seit der eher krank machenden „Gesundheitsreform“ 2004 und dem weitgehenden Wegfall der Krankenkassenzuschüsse für Sehhilfen im Rahmen der menschenverachtenden Hartz-Gesetze, die nicht nur Erwerbslose betreffen, haben weder Hartz-IV- noch Sozialhilfe-Bezieher einen realistischen Zugang zu gutem Sehen, „auf das jeder Mensch ein Recht hat“.

Der „Zentralverbandes der Augenoptiker“ und der „Deutsche Caritas­ver­band“ versorgten im Rahmen der Aktion „Armut macht krank“ über die Einrichtungen der Caritas ausgesuchte Berliner mit kostenlosen Brillen und fertigten in über 60 teilnehmenden Innungsbetrieben insgesamt knapp 3.000 Brillen neben dem täglichen Geschäft an. Die 3.000 Brillen sind natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein, doch als Brillenträgerin weiß ich, wie wertvoll den Begünstigten ihre neue Brille sein muss. Dennoch halte ich diese Aktion trotz der gut gemeinten Absicht ebenso für falsch wie die „Tafeln“, weil sich auf diese Weise unser eigentlich reicher Staat auch weiterhin aus seiner Verantwortung ziehen kann, statt sich gefälligst um eine gute (hier: medizinische) Grundversorgung für alle zu kümmern!

 

4. Das schwarz-gelbe Gruselkabinett hat beim Mietrecht eine neue Reform aus dem Ärmel gezogen. Wir haben uns ja inzwischen daran gewöhnt, dass das Wort „Reform“ synonym für Verschlechterung für viele, im Sinne der Beschränkung oder der Umverteilung von unten nach oben steht, also immer auf Seite der Habenden. Nun wurde ein für Mieter gruseliger Entwurf verabschiedet, der die Streichung des Mietminderungsrechts im Falle von Modernisierungsmaßnahmen ebenso vorsieht wie eine einschneidende Lockerung des Kündigungsschutzes zugunsten der Hauseigentümer. Wenn ein Vermieter energetisch saniert, entfällt künftig trotz Lärm und Bauschutt das bislang gültige Recht auf eine Mietreduzierung.

Als ob das nicht schon genug wäre, darf, wer die Maßnahme vornimmt, die Miete heraufsetzen. Zukünftig werden finanzielle Härten, die Modernisierungsbegehren bis dato ausgeschlossen haben, keine Rolle mehr spielen, und der Vermieter kann bei nicht gezahlter Kaution demnächst eine fristlose Kündigung aussprechen, frei nach dem Motto: „Deine Armut kotzt mich an!“. Der gravierendste Eingriff in die bisherige Rechtslage ist jedoch, dass ein Vermieter per einstweiliger Anordnung zügiger als bisher ein Räumungsurteil erwirken kann, wenn ein Mieter im Falle der Räumungsklage wegen Zahlungsverzugs gegen die zukünftig vorgesehene „Sicherungsanordnung“ verstoßen hat.

Hier soll nun der Rauswurf ohne Abschluss des eigentlichen Gerichtsverfahrens möglich werden. Der Direktor des „Deutschen Mieterbundes“ kritisiert das Gesetzespaket, weil wir angesichts drastisch steigender Mieten und einer Wohnkostenbelastung auf Rekordniveau Mietrechtsverbesserungen und keine Verschlechterungen bräuchten. Bereits im Oktober wurde vor dem Bundestagsrechtsausschuss angeprangert, die Einführung eines dreimonatigen Ausschlusses des Mietminderungsrechts bei energetischen Modernisierungen sei ein fundamentaler Eingriff in die Systematik des Gesetzes.

Der Vorsitzende Richter am Landgericht Berlin bezeichnete die „Sicherungsanordnung“ als fragwürdig, weil es „eine derartige Regelung wie die einstweilige Verfügung zur Räumung der Wohnung in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland wohl noch nicht gegeben“ habe. Ich empöre mich mit der Berliner Abgeordneten der Linkspartei Halina Wawzyniak, die die Regelung der Räumung per einstweiliger Verfügung für „krass verfassungswidrig“ hält und hofft, dass „dieser Unsinn“ aus dem Gesetz noch verschwindet.

 

5. In Deutschland arbeiten immer mehr Menschen als Leiharbeiter(innen), in Teilzeit oder in Minijobs. Der Anteil dieser „atypischen Beschäftigungsverhältnisse“ verdoppelte sich in den vergangenen 20 Jahren: Er ist seit den frühen 1990er Jahren von rund 20 auf knapp 38 Prozent der Gesamtbeschäftigung gestiegen. Am weitesten verbreitet ist demnach die Teilzeitarbeit, der rund ein Viertel aller Arbeitnehmer nachgehen. 80 Prozent aller Teilzeitbeschäftigungen werden von Frauen ausgeübt. Mehr als zwei Millionen Deutsche verdienen schlecht, obwohl sie einen Berufsabschluss haben. Immer mehr Qualifizierte rutschen in den Niedriglohnsektor, also in einen niedrigen Lohn trotz guter Ausbildung. Es gibt 7,4 Millionen Menschen in Deutschland, die sogenannte Minijobs ausüben, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie alle nur in solchen geringfügigen Beschäftigungen mit einem Gehalt von bis zu 400 Euro pro Monat arbeiten wollen.

Die Gehälter in Deutschland sind im unteren Lohnbereich inzwischen derart gesunken, dass jeder dritte Minijobber den Job als Nebentätigkeit nutzt, um das Gehalt aus dem Hauptberuf aufzubessern. Dabei werden im Hauptjob bereits 41 Stunden pro Woche gearbeitet, im Minijob weitere 5,3 Stunden angehängt. Mehr als die Hälfte der Menschen, die in einem „atypischen Arbeitsverhältnis“ beschäftigt sind, erhält laut Studie nur einen Niedriglohn, wobei die Niedriglohngrenze in Westdeutschland bei 9,50 Euro, in Ostdeutschland bei 6,87 Euro pro Stunde liegt. Niedriger Lohn trotz guter Ausbildung: So „schafft“ die Bundesregierung Arbeitsplätze, mit denen sie die Statistik euphemisiert, indem sie die einzelnen Vollzeitarbeitsplätze in mehrere Minijobs zerlegt.

 

6. Es gibt Flop-, Mob- oder (No-)Job-Center, die meinen, sich ihre eigenen Gesetze schaffen zu müssen! In Zwickau-Glauchau werden regelmäßig Hilfesuchende an der Informationstheke des Jobcenters abgewimmelt. Wer wegen einer dringlichen Angelegenheit ganz normal das Jobcenter aufsuchen will, hat böse Konsequenzen zu fürchten, da im Eingang ein großes Schild warnt: „Bei Aufgang ohne Aufforderung verstoßen Sie gegen unsere Hausordnung. Vielen Dank für Ihr Verständnis“. Verstöße gegen die Hausordnung würden unter anderem mit Hausverbot geahndet.

Offenbar soll möglichst wenig Kontakt mit den sogenannten Kunden zustande kommen, denn zusätzlich wurden an den Türen der Sachbearbeiter die Namen abgeschraubt. Die Bezieher von ALG II werden dafür schwerlich Verständnis aufbringen können, da sie diesen Ort wohl kaum „aus schier Schandudel“ aufsuchen, sondern weil sie ihre magere Existenz sichern wollen. Ein echter Arbeitsplatz ist beim Jobcenter kaum zu erwarten. Es scheint geplant zu sein, den Erwerbslosen ihr Recht vorzuenthalten. Doch hoffe ich, dass sich die so Behandelten zu wehren wissen!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke

 

EWE hindert Kunden am Wechsel des Anbieters für Gas oder Wärme

Hans-Dieter Wege Sehr geehrter Herr Professor Doktor Schwandner, ich habe gerade mit der EWE telefoniert, da ich im Gegensatz zum Stromanbieterwechsel beim Gaswechsel, den ich vorher schon beantragt hatte, immer noch nichts gehört habe, weder vom neuen Anbieter noch von der EWE. Nichts habe ich schriftlich bekommen. Nun sagte mir der zuständige Mitarbeiter der EWE heute am Telefon, ich könne den Gasanbieter nicht wechseln, da ich ja Wärme beziehen würde.

Meiner Kenntnis nach sind aber in meiner Wohnung überhaupt keine Messgeräte für Wärme vorhanden. Es wird bei mir immer nur einmal im Jahr der Gasstand abgelesen. Hinzu kommt jetzt ab dem 8. Januar 2013, dass ich einen neuen Stromanbieter habe. Woher will die EWE dann den Strom nehmen, um die ihr (?) gehörenden Heizungskessel zu betreiben? Dann können sie mir theoretisch überhaupt nichts mehr liefern, es sei denn, sie kaufen meinen Strom. Abschließend erklärte der Mitarbeiter noch, ich sei vertraglich an die EWE bezüglich der Wärmelieferung gebunden. Ich kann mich aber nicht erinnern, jemals einen solchen Vertrag mit der EWE unterschrieben zu haben.

Nun haben Sie ja öffentlich in der Oldenburger Ratssitzung vom 26. November 2012 erklärt, dass jede(r) Oldenburger Bürger(in) das Recht hat, den Energieanbieter frei zu wechseln. Da die Stadt Oldenburg an der EWE und an der Wohnungsbaugesellschaft GSG, deren Mieter ich bin, beteiligt ist, werden Sie mir bestimmt erklären können, wieso jetzt für mich ein Anbieterwechsel zu einem preiswerteren Gaslieferanten nicht möglich sein soll, zumal das ja gesetzeswidrig sein dürfte?

Ich möchte Sie hiermit bitten, mir meine Nachfrage zu beantworten, bevor ich sie öffentlich im Rahmen der nächsten Einwohnerfragestunde im Rat stelle. Es wird bestimmt viele Mieterinnen und Mieter der Wohnungsbaugesellschaft GSG interessieren, warum sie mehr Geld als nötig für das Heizen ihrer Wohnungen ausgeben müssen. Mit freundlichen Grüßen.

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner unsozialer Politik)

 

Dass euch nur anständig schlecht werde vom Zimt aus Madagaskar!

Bald ist schon wieder Weihnachten, mit all seinen Überraschungen. Nicht nur gut gemeinte Geschenke sind dabei, sondern auch faule Haselnüsse oder schimmeliger Zimt für die Lebkuchen von Fuchs und Weiss in Bayern. Zimt hat eigentlich einen tollen Geschmack, aber wenn wir das Gewürz genauer betrachten, erkennen wir Schmerzen. Auf Madagaskar leben viele Bauern, die ihn anpflanzen und ernten, doch dann geht der neoliberale Kapitalismus los: Bauern, die am meisten arbeiten, bekommen wieder mal fast nichts, und beim Reinigen und Sortieren von Zimt ist Kinderarbeit weiter die Regel.

Das wird hier in Deutschland von allen Vertretern ja immer verneint. Dabei ist ganz klar: Von hier, aus einem der reichsten Länder der Erde, wird die Ausbeutung der Welt betrieben. Auch jene, die damals noch Widerstand gegen die Staatsgewalt leisteten, sind jetzt Mittäter der Weltausbeutung, nämlich diese Grünen, damals dieser Schlaumoralist Fischer. In den Neunzigern hat die Masse noch geglaubt, dass Weltgerechtigkeit mit diesen Angepassten gekommen sei, aber nein: Den Einstieg zur extremen Globalisierung haben die Grünen mit beschleunigt!

Zurück zum Zimt: Wer jetzt gern Lebkuchen isst, dem sollte mal anständig schlecht werden, weil Gift den Bauern dort sogar das letzte Taschengeld retten muss, und weil die Kinderarbeit an sechs Tagen in der Woche, zehn Stunden täglich, nicht mal reicht, um das letzte Kleinkind zu ernähren. Das müsste eigentlich zum Boykott der Fabriken Fuchs und Weiss führen! Diese fetten Chefs fressen sich Weihnachten durch, auf Kosten der Bauern auf Madagaskar, abscheulich!

Diese neoliberale Tragödie ist kein Einzelbeispiel, denn der ganze Globus ist voll von diesen Zimthändlern. Sie liefern alles Mögliche, was es gibt, während fast alle Bauern und Arbeiter der Welt arm und klein bleiben sollen. Soziale Gerechtigkeit ist nur über den Mitbesitz durch alle Menschen auf der Welt zu erreichen. Der Sozialismus ist die menschliche und ökologische Erneuerung der Erde. Wenn es so weitergeht, wird die Strafe groß sein: Dann haben diese Herrenmenschen der Finanzen und die Privatbesitzer mit ihren korrupten Staatsvertretungen alles vernichtet. Dann gibt es nichts mehr zu gewinnen.

Zuschrift von Günni, dem „Mann mit dem großen Hut“

 

Die Geringschätzung der
Arbeitslosenfrage

Gerolf D. BrettschneiderLiebe Genossinnen und Genossen, in der „Roten Fahne“ 32/2012 steht eine Ernährungsberatung, in der das Wort Eiweiß nicht vorkommt. Wann wird das Wich­tig­ste – griechisch: das Protein – behandelt, um im dialektischen Sinne die Ernährungstheorie höher zu entwickeln? Muss zu den vielen Meinungen in Sachen Ernährung nicht Stellung bezogen werden? In Ausgabe 49/2012 steht nun – von der jüngsten Tagung einer sozialistischen Partei – eine Schlussresolution, die sich zur Sozialpolitik nicht äußert.

Bei der Schule des Klassenkampfes ist außer der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit die Umweltfrage nicht geringzuschätzen. Doch wenn die Partei den Menschen in den Mittelpunkt stellen will, darf sie die Arbeitslosen nicht vergessen – das ist für die Montagsdemo gegen Hartz IV das Wichtigste. Wenn die Partei zur Frage der Existenzsicherung schweigt, braucht sie sich über die Stagnation ihrer Mitgliederzahlen nicht zu wundern. Unser aller Ernährungszustand könnte besser sein. Herzliche Grüße.

Gerolf D. Brettschneider (parteilos)
 
Gewollte Armut: Soziale Spaltung wird unser Land zerreißen („Tagesspiegel“)

 

Solidarität mit den
Opel-Arbeitern in Bochum

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Opel Bochum, General Motors will euer Werk schließen und damit eure Arbeitsplätze und die der Zulieferindustrie vernichten. Wir wollen euch hiermit unsere uneingeschränkte Solidarität versichern. Bereits seit Jahren kämpft ihr für den Erhalt eurer Arbeitsplätze – das hat immer unsere Bewunderung und Solidarität hervorgerufen. Wir wünschen euch und euren Familien viel Kraft und den Mut, den Kampf um jeden Arbeitsplatz mit aller gebotenen Härte zu führen. Wir sind sicher, dass eine riesige Woge der Solidarität aus ganz Deutschland und darüber hinaus euren Kampf unterstützen und beflügeln wird. Herzliche Grüße!

Einstimmig verabschiedet von den circa 30 Teilnehmenden
der 405. Bremer Montagsdemo am 17. Dezember 2012

 

 
„Das Buch zum Rauswurf-Skandal“: „Emmely“, „Deutschlands
berühmteste Kassiererin“, „rechnet ab“ („Bild“-Zeitung)
 
„Niemand darf wegen seiner Rasse benachteiligt werden“: Am Unisee herrscht Gleichberechtigung von Mensch und Hund („Bremen bewegen“)
 
Der Rosensteinpark darf nicht abgeholzt werden: Es ist ja nicht einmal
die Finanzierung von „S21geklärt („Open Petition“)
Die Bremer Montagsdemo wünscht einen guten Rutsch! Wir sehen uns im neuen Jahr erstmals am 7. Januar 2013 zur gewohnten Zeit, also um 17:30 Uhr, auf dem Marktplatz wieder.
 
Amerika stürzt sich von der Haushaltsklippe: Werden die Arbeitslosenhilfe
und die Krankenversorgung für Arme gestrichen? („Spiegel-Online“)

 

www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz