361. Bremer Montagsdemo
am 30. 01. 2012  I◄◄  ►►I

 

Kinderarmut wird kleingerechnet

Elisabeth Graf1. Entgegen aller Lobhudelei unserer Bundesregierung waren nach Angaben der „Internationalen Arbeitsorganisation“ (ILO) im Jahr 2010 rund 45 Millionen Menschen in der Europäischen Union ohne Job. Die Ar­beits­lo­sig­keit in Europa erreichte einen geradezu historischen Höchststand. Die ILO gab den niedrigen Löhnen im Billiglohnland Deutsch eine Mitschuld daran, weil die dadurch günstigen deutschen Exporte andere europäische Staaten unter Druck setzten. Da in den meisten EU-Ländern heute weit mehr Menschen als vor der Finanz- und Wirtschaftskrise ohne Erwerb sind, müsse Schaffung von Arbeit in der Wirtschaftspolitik „oberste Priorität“ haben. Die ILO-Experten empfehlen, dass die deutsche Wirtschaft höhere Löhne zahlen und ihre Produktivität steigern solle.

Nach Schätzungen der ILO müssten weltweit „dringend“ 600 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Meine Güte, überall wird so geredet, als ob dies möglich wäre – außer auf der Basis, einen Vollzeitarbeitsplatz zu zerstören und ihn durch drei 400-Euro-Jobs zu ersetzen, von denen niemand leben kann, wie es in Deutschland gang und gäbe ist! Ganz toll, wenn dann DGB-Chef Michael Sommer den ILO-Bericht einen „erneuten Weckruf für die Staats- und Regierungschefs, endlich mehr Anstrengungen für Wachstum und Beschäftigung zu unternehmen“ nennt, „konjunkturstützende“ Maßnahmen fordert und sich gegen eine „falsche Sparpolitik“ ausspricht. Es lässt sich nicht unbegrenzt immer weiter ausbauen, weshalb neu und gerechter verteilt werden muss!

 

2. Letzte Woche durchsuchten mehr als 450 Zollfahnder in fünf Bundesländern sechs Warenzentren sowie Wohn- und Geschäftsräume der beiden Unternehmen Netto und Kaufland. Die Ermittler werfen den Unternehmen vor, mit Lagerarbeitern und Staplerfahrern unwirksame Werkverträge geschlossen zu haben, wodurch diese rund 30 Prozent unter Tarif bezahlt und Beiträge zur Sozialversicherung hinterzogen worden seien. Nach der konzertierten Aktion wollen Kaufland und Netto nun kooperativ mit Ermittlern zusammenarbeiten und sie umfänglich unterstützen. Erst den Gierschlund nicht voll genug bekommen, sogar nahezu rechtlose Leiharbeiter um ein Drittel ihres Lohnes prellen – und nun reuig und „brav“ umschwenken, damit die Strafe so gering wie möglich ausfällt?

 

3. Das Bundessozialgericht in Kassel stärkte den Sozialdatenschutz für Transferleistungsbezieher, indem es urteilte, dass ein Jobcenter nicht ohne weiteres Informationen über Hartz-IV-Bezieher weitergeben dürfe. Das Gericht stellte klar, dass dem Sozialdatenschutz unterliege, wer arbeitslos sei und staatliche Hilfsleistungen beziehe. Deswegen dürfe dieser Sachverhalt ohne Erlaubnis der betroffenen Bezieher von Arbeitslosengeld II auch nicht einfach gegenüber Vermietern ausgeplaudert werden (Aktenzeichen B 14 AS 65/11 R). Im vorliegenden Fall hatte eine Familie aus dem Raum Frankfurt geklagt, die nach einem Umzug beim zuständigen Jobcenter ein Darlehen für die Mietkaution beantragte, was die Behörde jedoch unter Verweis auf die Kaution für das bisher bewohnte Haus ablehnte.

Um deren Höhe und Auszahlungstermin zu erfahren, wandte sich das Jobcenter dabei kurzerhand völlig indiskret direkt an den ehemaligen Vermieter, wodurch der Hartz-IV-Bezug der früheren Mieter ausdrücklich zur Sprache kam. Dies wiederholte sich, als die Familie Schränke für ihre Kinder haben wollte. Die Kläger sahen darin einen Verstoß gegen ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, zumal ihre Hilfsbedürftigkeit anschließend im ganzen Dorf bekannt geworden und die Familie „Hohn und Spott“ ausgesetzt gewesen sei. Anders als die Vorinstanzen stimmte ihnen das Bundessozialgericht zu, weil das Jobcenter unbefugt Sozialgeheimnisse offenbart habe. Es freut mich immer wieder, die viel zu seltenen Urteile zu lesen, in denen Hartz-IV-Bezieher noch die gleichen Grundrechte zugestanden werden wie den Menschen, die sich glücklich schätzen können, einen der nicht für alle vorhandenen Jobs ergattert zu haben!

 

4. Weil Menschen mit wenig Einkommen zu wenig bis gar nichts in die private Altersvorsorge investieren, fordert der „Sozialverband VdK“ Korrekturen am Ren­ten­sys­tem. Mit dem bisherigen Konzept der Zuschussrente könne das Problem der Altersarmut nicht bekämpft werden. Die Hürden sind zu hoch, wenn einen Zuschuss nur erhalten soll, wer 40 Jahre gesetzlich versichert war, 30 Jahre Beiträge gezahlt und fünf Jahre privat vorgesorgt hat. Ausschlaggebend für eine spätere auskömmliche Rente seien eine möglichst kontinuierliche Erwerbsbiografie und natürlich eine angemessene Entlohnung. Deswegen muss auch hier wieder anständiger Mindestlohn gefordert werden, der auch im Alter „armutsfest“ ist. Wie sollten Geringverdiener und Dumpinglöhner denn von dem Zuwenig zum Leben auch noch etwas für die private Rentenversicherung abknapsen können? Das „Riestern“ war ja wohl nur ein Schuss in den Ofen! Der ehemalige „Sozialstaat“ darf sich nicht immer weiter aus seiner sozialen Verantwortung ziehen!

 

5. Nach einem Zeitungsbericht müssen in Deutschland immer weniger Kinder von Hartz IV leben. In den fünf Jahren von September 2006 bis September 2011 sei die Zahl der Unterfünfzehnjährigen, die die staatliche Grundsicherung erhielten, von 1,9 Millionen um etwa 257.000 auf knapp 1,64 Millionen gesunken, was einen Rückgang von 13,5 Prozent ausmache. BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt jubiliert, „weniger Kinder in Hartz IV“ bedeuteten, dass es den Jobcentern gelungen sei, ihre Eltern in Beschäftigung zu integrieren. Weiterhin schwelgt er darin, dass die Chance, eine Arbeit zu finden, heute deutlich besser als vor drei oder vier Jahren. Leider vergisst er hinzuzufügen, dass von diesem „Erfolg“ auch Langzeitarbeitslose und gering Qualifizierte von der wunderbaren Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes „profitieren“ können – mit dem entscheidenden Nachteil, dass sie davon leider gar nicht existieren, geschweige denn leben können und daher auf Kosten der Steuerzahler auf das beschämend niedrige Niveau von Hartz IV „aufstocken“ müssen. Leben sieht anders aus!

Märchenstunde oder nur Zahlenfuchserei? Dass die vor Jahren Unterfünfzehnjährigen einfach älter wurden und deswegen jetzt nicht mehr mitgerechnet werden dürfen, ist wohl kaum dem sagenumwobenen „Aufschwung“ und dem sensationellen Arbeiten von lovely Zensursula von der Leyen oder unserer herzerfrischenden Bundeskanzlerin zu verdanken! Wenn die Bundesagentur wahre Meisterleistungen mit dem Faktenvertuschen und Statistikfrisieren durch Nichtmitrechnen erwachsener Erwerbloser vollbringt, dann würde es mich wahrlich auch nicht wundern, wenn der unterfünfzehnjährige Nachwuchs der nicht mitgezählten Hartz-IV-Bezieher ebenfalls auf wundersame Weise nicht mehr in der Statistik auftaucht. Außerdem sind nicht nur die Kinder von Eltern, die Hartz IV beziehen, arm, sondern auch diejenigen, die aufgrund der Einkommens- und Lebensverhältnisse ihrer Eltern als „arm“ gelten müssen, weil sie gerade eben über Hartz IV verdienen oder sich lieber den „Kinderzuschlag“ abholen, um dem Nachwuchs die unwürdige Verfolgungsbetreuung durch die Flop-, Mob- oder No-Job-Center zu ersparen.

Ich bin davon überzeugt, dass immer weniger junge Menschen aus Zukunftsangst dazu bereit sind, Eltern zu werden, also das „Armutsrisiko Kind“ auf sich zu nehmen, statt wie früher das „Wunder Mensch“ gern mitzuerleben, sich an eigenen Kindern zu freuen, sie neben sich aufwachsen sehen zu wollen und ihnen ganz viel mit auf den Lebensweg geben zu wollen. Diana Golze, Leiterin des Arbeitskreises „Arbeit, Gesundheit und Soziales“ der Fraktion „Die Linke“, sagt, dass sich angesichts der „völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Zahlen“ hier die Frage stellt, ob die Bundesagentur hier versucht, vom Versagen der missglückten Instrumente zur Bekämpfung der Kinderarmut wie dem „Kinderzuschlag“, dem „Bildungs- und Teilhabepaket“ und den eingefrorenen Kinderregelsätze bei Hartz IV abzulenken. Entgegen den aufwallenden Jubelwellen ist gegenwärtig noch immer jedes fünfte Kind von Armut bedroht, besonders die Kinder von Alleinerziehenden sowie Familien mit mehr als zwei Kindern. In Bremen ist jedes dritte Kind auf Sozialleistungen angewiesen. Statt hier das Blaue von Himmel herrunter zu fantasieren und sich unberechtigt zu beweihräuchern, sollte die Bundesregierung lieber echte Konzepte vorlegen, wie die Kinderarmut tatsächlich beseitigt werden könnte!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Livebilder vom Bahnhofsabriss: Gericht gibt grünes Licht
für Schlossgarten-Räumung in Stuttgart („Cam S21“)

 

Senat spart Bremen kaputt statt Finanzgerechtigkeit einzufordern

Hans-Dieter Binder1. Die Fraktion „Die Linke“ in der Bremischen Bürgerschaft hat ins Schwarze getroffen: „Im Jahr 2011 müssen rund 19.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte im Land Bremen ihr mageres Einkommen mit Hartz-IV-Leis­tun­gen aufstocken. Folgekosten für die Stadt: 35 Millionen Euro. Dabei nimmt nach einer Stu­die des DGB gerade mal die Hälfte der im Niedriglohnsektor Beschäftigten ihren Anspruch auf ergänzende staatliche Leistungen wahr. Bei den anderen ist davon auszugehen, dass sie entweder nicht über ihre Rechte informiert sind oder den Weg zum Jobcenter scheuen.“ Diese 35 Millionen Euro könnte die Freie Hansestadt Bremen durch einen Mindestlohn sparen. Allerdings führen 8,50 Euro nur zu einer Verringerung der Leistungen für Aufstockerinnen. Auch zehn Euro sind nur der erste Schritt!

Die Rede von Claudia Bernhard beginnt wie folgt: „Die Antwort des Senats auf unsere Anfrage macht einige Dinge klar. Erstens: Wer einen Bruttolohn von 1.300 Euro oder darunter hat, egal ob Vollzeit oder Teilzeit, hat sehr wahrscheinlich einen Anspruch auf aufstockendes ALG II, auch als Alleinstehender. Ganz konkret: Wer 1.110 Euro brutto verdient und für Miete und Heizung 350 Euro ausgibt, der hat Anspruch auf 140 Euro vom Jobcenter. Eine Alleinerziehende, die 1.300 Euro brutto verdient und 450 Euro für Miete und Heizung ausgibt, hat einen Anspruch auf knapp 270 Euro von Jobcenter. Wenn das Kind älter als sechs Jahre ist, sind es immerhin noch knapp 220 Euro. Das gilt für Bremen wie für Bremerhaven.

Das wissen viele nicht. In einem Bundesland, das derart von Niedriglöhnen und sozialer Spaltung betroffen ist, ist das eine ganz wichtige Information, die alle haben müssen. Viele rechnen nämlich so: Ich habe als Erwerbsloser 714 Euro vom Jobcenter bekommen. Jetzt gehe ich für 1.100 Euro arbeiten und bekomme 844 Euro raus. Da kriege ich doch nichts mehr, weil mein Netto ja über dem liegt, was ich als Arbeitsloser hatte. Das ist aber falsch. Denn das Gesetz sagt: Auf die 714 Euro kommt jetzt ein Freibetrag drauf, in dem Fall 270 Euro. Deshalb ist der Bedarf jetzt 984 Euro, und die Differenz gibt es vom Jobcenter.“

Die Anfrage wurde vom Senat beantwortet. Zu den Aufstocker(inne)n hat auch die „Arbeitnehmerkammer Bremen“ seit mehreren Jahren geforscht und stellt fest: „Die Zahl der Aufstocker im Land Bremen ist stetig gestiegen. Inzwischen stockt mehr als jeder vierte Leistungsbezieher auf. Unter den Frauen sind es sogar 28 Prozent.“

Der Senat sagt zur Berücksichtigung der Freibeträge bei Erwerbseinkommen (Frage 5), dass diese Freibeträge immer berücksichtigt werden und „nicht vergessen werden“ können. Wie schön! In der Vergangenheit gab es da Differenzen bei der Ermittlung und überhaupt. Gut, dass dies jetzt beseitigt ist! Hoffentlich müssen nicht mehr die vielen Ausweichroutinen gewählt werden. Nachzahlungen „zu Fuß“ zu ermitteln und anzuweisen, entsprach nicht den technischen Möglichkeiten. Hoffentlich ist das Vergangenheit! Allerdings ist diese Frage nicht gestellt worden.

Dass trotzdem Fehler möglich sind, ergibt sich aus der Antwort zur Frage 6: „Wenn Antragsteller(inne)n auf aufstockendes ALG II abzusetzende Freibeträge ganz oder teilweise verwehrt wurden, in welchem Umfang haben diese Anspruch auf nachträgliche rückwirkende Erstattung? In welcher Weise muss dies von den Betroffenen beantragt werden?“ Antwort: „Auf die Antwort zu Frage 5 wird verwiesen. Fehlerhafte Berechnungen im Einzelfall können durch Rücksprache und gegebenenfalls durch Beschreiten des Rechtswegs auch rückwirkend korrigiert werden.“ Schade! Diese Antwort lässt weiterhin Fehler vermuten.

Die Antwort zur Frage 8: „Bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Maßnahmen der Jobcenter kann davon ausgegangen werden, dass sie im Leistungsbezug bleiben und sich nur die Höhe der Leistung ändert und ein Beratungsbedarf zu ergänzendem Bezug insofern nicht besteht. Nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Alleinstehenden mit vergleichsweise niedrigen Kosten der Unterkunft, könnte bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsmaßnahmen in Vollzeit eine Ablösung aus dem Leistungsbezug eintreten.“ Dies hat mich verwundert: Wurde nicht bei „Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante“, zum Beispiel Bürgerarbeit bei 1.100 Euro brutto, für die Zahlung von aufstockendem ALG II ein Extra-Antrag gefordert? Egal, nehmt den Senat beim Wort und beantragt die Nachzahlung des aufstockenden ALG II einfach formlos unter Bezug auf diese Antwort des Senats! Wie dies geht? Wir gehen mit!

Der Senat hat auch gesagt: „Wir sind bei ALG II nicht zuständig, weil dies eine Bundesleistung ist“ (zum Beispiel Frage 17). Der Senat ist aber weisungsberechtigt und dienstaufsichtsverpflichtet gegenüber dem (No-)Job-Center! In Bremen ist der Senator für Arbeit mit diesen Aufgaben betreut. Der Senat sollte dringend handeln, statt die Verantwortung zu verweigern! Es ist logisch, dass Arbeitssenator Martin Günthner diese Antwort des Senats in der Arbeitsdeputation weiter diskutieren und zum Thema einer parlamentarischen Anhörung machen möchte. Dabei kann er sicher auch auf die Erfahrungen der Innenrevision des (No-)Job-Centers zurückgreifen. Der Senat hat diese Erfahrungsquelle scheinbar nicht genutzt, aber auch die Innenrevision findet keine Spuren der oftmals mündlichen Antragsablehnung beziehungsweise ist nur Ohrenzeuge!

Fazit: Diese Antwort des Senats ist eine gute Arbeitsgrundlage für die weitere Diskussion und Öffentlichkeitsarbeit. Sie ermöglicht auch einen Antrag auf Überprüfung und Nachzahlung des aufstockenden ALG II ohne Fristbegrenzung für Menschen, die vor der Arbeitsaufnahme ALG II erhalten haben. Wie dies geht? Wir gehen mit! Wer eine Ablehnung erhält oder erhalten hat, komme bitte zur Bremer Montagsdemo! Die Deputationssitzung für Arbeit ist am Mittwoch, dem 8. Februar 2012, um 15:15 Uhr. Bitte vorher nachlesen, denn die letzte Deputationssitzung wurde erst verlegt und ist dann ersatzlos ausgefallen. Die kommende Sitzung hat daher viele Tagesordnungspunkte rund um das (No-)Job-Center. Den Ort habe ich bis nächsten Montag in Erfahrung gebracht.

 

2. Zu den armen Kinder und den warmen Worten von der Arbeitsagentur hat Elisabeth bereits treffend angemerkt, dass in Bremen jedes dritte Kind auf Sozialleistungen angewiesen ist. Die Armutsgefährdung ist noch höher! Dieser Umgang mit Halbwahrheiten wird nicht nur durch Herrn Alt gewissenlos vollzogen. Hierzu noch weitere Anmerkungen: Die Bundesagentur für Arbeit hat wider besseres Wissen eine Statistik bedingungslos genutzt. Herr Alt hat nicht die Zahl der Kinder in Familien und Bedarfsgemeinschaften mit Kinderzuschlag erwähnt. Dieser ist im Allgemeinen mit Verzicht auf Geld verbunden! Herr Alt ist nicht auf die Kinder mit Wohngeldanträgen eingegangen. Wohngeld ist eine vorrangige Leistung; insbesondere Alleinerziehende wurden verpflichtet, für ihre Kinder Wohngeld zu beantragen, wenn dadurch der ALG-II-Anspruch gedeckt wurde. Die Kinder mit Wohngeldleistungen leben aber weiterhin in Hartz-IV-Haushalten mit niedrigen Regelsätzen!

2006 gab es den Kinderzuschlag nur als Vorläufer, und die Abspaltung der Kinder aus der Bedarfsgemeinschaft zum Wohngeldbezug wurde erst erfunden. Herr Alt hätte alle Faktoren berücksichtigen können: Bereits die Veränderung von 2005 zu 2006 ist diesen Ausweichmanövern geschuldet! Manche Stellungnahme hat die Aussage auf den Haushalt erweitert: „Immer weniger Kinder leben in Hartz-IV-Haushalten“. Das ist keine übereinstimmende Aussage, denn die Zahl der Kinder in Hartz-IV-Haushalten ist, wie vorstehend erläutert, wesentlich höher! Hinzu kommt: Auf den Leistungsanspruch der Kinder wird das Kindergeld angerechnet, vielleicht auch ein Unterhaltsbetrag. Eine eventuelle „Überversorgung“ der Kinder wird bei der Mutter angerechnet, beim Kindergeldanspruch. Kinder mit dieser „Überversorgung“ stehen ebenfalls nicht in der Hartz-IV-Statistik.

Hinzu kommen die anderen Rechenkunststücke dieser Statistik. Diese Abweichungen von der Wirklichkeit haben seit 2006 zugenommen. Dies alles weiß Herr Alt! Unverantwortlich ist daher eine solche Meinungsmache. Und es geht weiter mit den üblichen falschen Statistiken: „Noch nie wurden so viel offene Stellen angeboten“! Dazu schreibt der „Focus“: „Die Bundesagentur für Arbeit zählte so viele offene Stellen wie noch nie. Großen Anteil daran hat jedoch eine umstrittene Praxis.“

„Noch nie waren so viele Menschen in sozialversicherungspflichtiger Tätig­keit“, auch das ist alles relativ. Die „Tageszeitung“ titelte dazu: „Die Lüge von der Arbeit“, weil trotzdem das Arbeitsvolumen geschrumpft ist! Diese zielgerichteten Statistiken werden immer öfter zurechtgerückt. Zum Glück glauben nur noch circa 30 Prozent der Menschen an diese „Wahrheiten“. Aber auch das sind noch zu viele! Ärgerlich ist zudem, dass diese Statistiken für keine politische Entscheidung mehr tragfähig sind. Trotzdem finden sich immer wieder Behauptungen, die mit diesen Halbwahrheiten untermauert werden! Zum Glück gibt es aber auch seriöse Untersuchungen, zum Beispiel der „Arbeitnehmerkammer Bremen“.

 

3. Der Spruch „Wer arbeiten will, findet auch Arbeit“ erhält immer neue Nahrung, ist aber total wirklichkeitsfremd. Mit der Realität der Älteren setzt sich das Theater auseinander. Das Stück „Alt, arm, arbeitslos“ liegt treffend hart an der Wirklichkeit und ist sehr humorvoll! Mit dem Kulturticket, der „Grünen Karte“, können Erwerbslose Theaterkarten zum Sonderpreis von drei Euro erwerben und den Vorverkauf nutzen oder auch an der Theaterkasse ohne Vorbestellung die Karten kaufen. Es lohnt sich! Das Kulturticket wird von Arbeitsamt, (No-)Job-Center und Sozialamt ausgegeben. Es besteht ein Rechtsanspruch auf Aushändigung dieser Berechtigungskarte. Es gibt auch weitere Rabattmöglichkeiten.

 

4. Die privaten Krankenversicherer haben hohe Außenstände. Viele Versicherte zahlen keinen Beitrag. Die Bundesregierung möchte als neuen Tarif einen „Nichtzahlertarif“ zulassen, der 100 Euro Monatsbeitrag kostet und nur die Notversorgung beinhaltet. Dies könnte eine Sackgasse werden, wenn es dadurch den (No-)Job-Centern möglich wird, für Erwerbslose den Beitrag zur Kran­ken­ver­si­cherung einzusparen. Aktuell ist es so, dass die (No-)Job-Center den höheren Beitrag zur privaten Krankenversicherung zahlen müssen. Das wurde mit Unterstützung der Gerichte erreicht. Ein „Nichtzahlertarif“ würde dies unterlaufen, daher sollte der Gesetzgeber diese Gestaltungsfreiheit wirksam vermeiden.

 

5. Bremisches in Kürze. Erstens: Die Hansestadt debattiert. Es gab in einem Monat mehr Wohnungseinbrüche als in München in sechs Monaten. Bremen lässt jetzt 100 Fälle untersuchen und kauft für 600.000 Euro ein neues EDV-Programm, mit dem Zusammenhänge besser erkannt werden sollen. Logisch? Die Polizeireform wird aber beibehalten: Die Ausdünnung der Polizei schreitet fort! In diesem Jahr sollen nur 40 Nachwuchspolizisten übernommen werden. Mehr können wir uns „nicht leisten“. Zweitens: Die Personalausstattung der wiedereröffneten Intensivstation ist schwebend. Der Tod der Frühchen soll durch fehlendes Personal mitverschuldet sein. „Mehr Personal können wir uns nicht leisten“, war die Stellungnahme des Klinikchefs dazu. Drittens: Die Schüler mussten feststellen, dass Leistungskurse gestrichen wurden und die durchgeführten überbelegt waren. „Mehr Lehrer können wir uns nicht leisten“, heißt es.

Diese Liste lässt sich verlängern! Bremen ist ein Haushaltsnotlagenland, weil die Rahmenbedingungen geändert wurden. Verfassungsrichter Michael Huber hat darauf hingewiesen, dass Bremen ohne diese Änderung Geberland wäre, wenn dieses Gesetz wieder geändert würde. Ist es für den Senat einfacher, Bremen kaputtzusparen, statt Finanzgerechtigkeit einzufordern? Die Verhandlungen wurden beendet, weil die Verhandlungspartner einfach aufgestanden sind. Und Bremen kuscht! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 

 

Atomkraft wird wieder beworben

Helmut Minkus Es ist diese Woche ziemlich kalt hier auf dem Bremer Marktplatz. Viele freuen sich wohl auf eine warme Wohnung. Da könnte man zum Beispiel ein kleines Atomkraftwerk wieder gut gebrauchen! Das kann schön viel Wärme erzeugen und wäre daher gut geeignet zum Heizen von Wohnungen. Das wurde jedoch niemals getan. Mit dieser Wärme heizt man lieber Flüsse und die Luft und verschwendet so zwei Drittel der Heizenergie, die aufwendig mit so viel Gefahr und Atommüll erzeugt wird. In Deutschland hat man es mit viel Protest errungen, diese Dinger bis 2020 abzuschalten. 75 Prozent der Bundesbürger sind mehr oder weniger aktiv daran beteiligt und können es schaffen.

Der Widerstand muss bleiben, denn es wird von verschiedenen Seiten bereits versucht, wieder Werbung für neue Atomkraftwerke zu machen. Es gibt zum Beispiel bei der Europäischen Union einen Kommissar, der gerne ein „unsichtbares“ europäisches Energieproblem lösen möchte. Deshalb hat er vorgeschlagen, in den nächsten 20 Jahren in Europa 40 neue Atomkraftwerke bauen zu lassen. Dieser Mann kommt aus Deutschland. Er war bis Februar 2011 CDU-Minister­präsident von Baden-Württemberg. Er heißt Günther Oettinger und ist bekannt für seine Englischkenntnisse und kontroversen Aktivitäten. Momentan gehört er zur Minderheit der Atomkraftliebhaber.

In einem Geheimdokument namens „Energie Road Map 2050“ hat er wohl gelesen, was er tun müsse. Darin werden die „Klimafreundlichkeit“ der „kohlendioxidfreien Energieproduktion“ und die niedrigen Baukosten von Atomkraftwerken gewürdigt. Das ist absurd, doch Herr Oettinger nimmt es wohl sehr ernst und versucht damit, Karriere in der EU zu machen. Wird er von der Atomindustrie auf geheime Weise gesponsert? Sollen wir 20 Jahre lang auf die Aufklärung warten? Wir alle können unsere persönlichen Beiträge leisten, um Atomkraftwerke sinnlos zu machen. Beobachten Sie Ihren privaten Energieverbrauch! Es ist leichter, ihn effizienter zu machen, als ein Atomkraftwerk je sein wird.

Helmut Minkus (parteilos)

 

Eine Gesellschaftsordnung, die Kinderarmut nur schönrechnet, gehört abgeschafft

Wolfgang Lange Heute wurde in Stuttgart mit dem Abriss des Südflügels des Hauptbahnhofs begonnen. Wir sind uns einig in der Solidarität mit dem Widerstand gegen das Projekt „S21“: Gegen den Willen von Millionen und nur für die Profitinteressen von Bauwirtschaft, Banken und Spekulanten wird hier ein intakter Bahnhof zerstört, das denkmalgeschützte Gebäude abgerissen und ein Jahrhunderte alter Park zerstört. Es werden Milliarden dafür verbuddelt, dass später nicht der Personen- und Güterverkehr besser rollt, sondern der „Rubel“! Wir, die Montagsdemo, haben bereits vor Monaten beschlossen: Jeder Montag ist Widerstandstag, und dazu gehört der „Schwabenstreich“. Den machen wir auch heute zum Abschluss.

Nicht nur in Stuttgart wird gekämpft: In Bochum trat an diesem Montag die Belegschaft von Thyssen-Krupp Nirosta in den Streik. Bereits letzte Woche gab es Streiks bei den Konzernbetrieben in Krefeld und Dillenburg. Am Freitag zogen bei der seit Langem größten Demo im Ruhrgebiet über 4.000 Menschen durch Bochum. Delegationen kamen unter anderem von Opel, Johnson Control und den Thyssen-Krupp-Werken in Duisburg und Dortmund. Es geht um die Arbeitsplätze: Thyssen-Krupp will seine Edelstahlsparte verkaufen, mit 35 000 Beschäftigten undzehn Milliarden Euro Umsatz! Verkauft werden soll an den wohlbekannten und verhassten finnischen Outokumpu-Konzern. Der übernahm 2003 bereits die Grobblechsparte und entließ die Kollegen entgegen vorheriger Zusagen.

„Es ist Zeit, mal wieder auf die Autobahn zu gehen“, meinte nicht nur ein Kollege. In der Stahlindustrie sind von 288.000 Arbeitsplätzen im Jahr 1980 nur noch 90.000 übrig. Den Betroffenen gilt unsere Solidarität! „Ein entschlossener, selbständiger Kampf aller Stahlarbeiter um jeden Arbeitsplatz wird breite Sympathie und Solidarität anderer Belegschaften und der Bevölkerung finden. Er wäre ein Signal an die Arbeiter anderer europäischer Länder, die sich wie in Griechenland, Spanien, Italien, Frankreich oder Rumänien gegen die Abwälzung der Krisenlasten mit Streiks und Demonstrationen zur Wehr setzen“, heißt es in einer Solidaritätserklärung der Landesleitung Nordrhein-Westfalen der MLPD.

Derweil betrügt uns die Regierung mal wieder bei Kinderarmut. Die Arbeits­agentur brüstet sich, die Zahl der von Hartz IV betroffenen Kinder sei von 1,9 Millionen im Jahr 2006 um 257.000 auf gegenwärtig knapp 1,64 Millionen gesunken. Was sie dabei nicht erwähnt: Die Gesamtzahl aller Kinder unter 15 Jahren sank im selben Zeitraum um das Dreifache, nämlich um 750.000! Der Anteil von Kindern in Armut ist damit wesentlich gestiegen. Die zweite Lüge betrifft die Zahl der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher: Sie habe um 16 Prozent auf 4,52 Millionen abgenommen, ein „Ergebnis der Reformen am Arbeitsmarkt“, wie Ursula von der Leyen frohlockt. Was sie wiederum verschweigt, ist der rasante Anstieg der Zahl erwerbstätiger Hartz-IV-Bezieher in diesem Zeitraum. Die meisten Jobs sind nämlich keine Vollzeitstellen – und wenn, dann zu Niedriglohn.

Laut DGB stieg die Zahl der arbeitenden Armen seit 2006 um 45 Prozent an! Es gibt also keinerlei Grund, den Hartz-Gesetzen auch nur irgendetwas Positives anzudichten. Sie sind und bleiben staatlich verordnete Armut, ein Angriff auf das allgemeine Lohnniveau. Die Hartz-Gesetze müssen weg! Zehn Euro Mindestlohn, die Gleichstellung von Leiharbeitern mit der Stammbelegschaft und 500 Euro Regelsatz beim Arbeitslosengeld II, das sind unsere Sofortforderungen! Eine Gesellschaftsordnung, die es nötig hat, die Kinderarmut schönzurechnen, und die den Kindern und Jugendlichen keine Zukunft bietet, gehört abgeschafft!

Wolfgang Lange (MLPD)
 
„Feudalistischer Respekt“: Obwohl gegen den Bundespräsidenten strafrechtlich ein Anfangsverdacht wegen Vorteilsnahme vorliegt, will die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen aufnehmen („Spiegel-Online“)
 
„Keine Geschäftsbeziehung“: Wulffs Hauskreditgeber war jahrelang Mandant und Vermieter von Wulffs Anwaltskanzlei („Tagesschau“)
 
„Unsäglich kriminell“: Wulff verschwieg VW-Aufsichtsrat Insider-Informationen
über geplante Übernahme durch Porsche („Handelsblatt“)
 
Erst nach Presseanfragen in die Besuchskinderecke gestellt: „Das betreffende Audi-Bobbycar befand sich am 6. Januar 2012 in Großburgwedel“ („Stern“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz