360. Bremer Montagsdemo
am 23. 01. 2012  I◄◄  ►►I

 

Deutschland hat das größte
Armutsrisiko in der EU

Harald BraunNirgendwo in der Europäischen Union rutschen Arbeitslose so schnell in die Armut wie in Deutschland. Das belegt die neueste Untersuchung der statistischen Behörde „Eurostat“. In Deutschland sind über 70 Prozent der Arbeitslosen armutsgefährdet – in der EU dagegen „nur“ 45 Prozent. Das bedeutet, dass sieben von zehn Arbeitslosen weniger als 940 Euro monatlich zur Verfügung haben, wenn sie alleinstehend sind. Die Erhöhung der Regelsätze für ALG-II-Bezieher um zehn auf 374 Euro zum Jahresanfang 2012 ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen behauptet, dass zehn Euro ausreichen, weil sie den Erhöhungen der Lebenshaltungskosten entsprächen. Wann hat diese Frau zum letzten Mal eingekauft? Sie schickt ihre Bediensteten und hat Geld im Überfluss!

Zehn Euro mehr im Monat – das macht nicht mal die Hälfte der offiziellen In­fla­tions­rate aus, welche zudem die reale Preissteigerung verfälscht. Im offiziellen Warenkorb befinden sich Luxusgüter, die sich eh kein normaler Mensch kaufen kann. Die Preise für Massengüter und Lebensmittel erhöhten sich, wie die Statistiker ausrechneten, um 18,9 Prozent! Demnach deckte die Erhöhung des Regelsatzes seit 2005 die tatsächliche Erhöhung der Lebenshaltungskosten für Hartz-IV-Bezieher, Aufstocker und Geringverdiener nur zu 29 Prozent ab. Auf der Montagsdemo in Hamburg wurde deshalb zu Jahresbeginn schon der Vorschlag gemacht, Frau von der Leyen einen „Bildungsgutschein Rechnen“ zu spenden.

Woher kommt eigentlich die galoppierende Preissteigerung? Die gigantischen „Rettungsschirme“ für Konzerne und Banken weiten die Geldmenge in der EU enorm aus und heizen dadurch die Inflation an. Die wachsende Spekulation mit Lebensmitteln und Ackerland treibt die Preissteigerung in die Höhe. Dazu kommen die Monopolpreise, zum Beispiel bei Strom und Benzin, die die Gewinne kräftig sprudeln lassen, aber unseren Geldbeutel leeren. Auch ein realer Ausgleich der Lebenshaltungskosten für ALG-II-Bezieher würde nichts daran ändern, dass die Regelsätze einschließlich Mietkosten zwischen 630 und 800 Euro und damit unter der Armutsgrenze von 940 Euro liegen. Deshalb ändert sich auch nichts an der Aktualität der Forderung „Hartz IV muss weg!“ Dafür treten die Montagsdemonstranten in ganz Deutschland ohne Abstriche ein – verbunden mit der Forderung nach Erhöhung des Arbeitslosengeldes und dessen unbegrenzter Fortzahlung für die Dauer der Arbeitslosigkeit.

Harald Braun
 

 

Eine Bananenrepublik, deren Institutionen sich ungeniert über Jahre sittenwidrig verhalten können

1. Obwohl das Berliner Sozialgericht bereits im September 2010 unanfechtbar entschieden hatte, dass für Berlin eine Vergütung unter 1.035 Euro brutto bei einer Vollzeitbeschäftigung sittenwidrig sei, werden nach wie vor Vermittlungen in „Ar­beits­ge­le­gen­hei­ten in der Entgeltvariante“ vorgenommen, die bei einer 38,5-Stun­den-Wo­che mit 900 Euro brutto vergütet werden. Ungeachtet solcher Vorgaben wurden nach Auskunft des (No-)Job-Cen­ters Ber­lin-Mit­te allein dort 2.600 Personen in diese sogenannten AGHE-Jobs vermittelt. Werner Schulten, Vorstandsmitglied der „Linken“ und Sprecher der „Bundesarbeitsgemeinschaft Hartz IV“ der Partei, beklagt, es sei ein Skandal, wie die Bundesagentur mit rechtskräftigen Urteilen der Sozialgerichte umgehe. Noch skandalöser sei für ihn jedoch die Tatsache, dass eine Behörde der Bundesrepublik Deutschland kein Problem damit habe, sich sittenwidrig zu verhalten – und die Vermittlung in solche Arbeit unter Androhung von Sanktionen sei dies allemal.

Elisabeth GrafSchulten fragt weiter, in welcher Bananenrepublik wir eigentlich lebten, wenn staatliche Institutionen auf Gerichtsurteile pfeifen und sich ungeniert über Jahre sittenwidrig verhalten könnten. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Betroffenen durch die Androhung von Sanktionen und Lohnkürzungen in ihrer nackten Existenz gefährdet und so gezwungen werden, sittenwidrige Verträge zu unterschreiben. Es scheint sich wie bei den Ein-Euro-Jobs zu verhalten, dass ehrliche Unternehmer gegen die mit rein von der Öffentlichkeit finanzierten Lohnsklaven natürlich nicht ankommen können. Mir gefällt besonders Schultens Schlussfolgerung, dass ein Land, in dem Sittenwidrigkeit zum Alltag staatlichen Handelns wird, bereits alle Grenzen humanistischer Gesellschaftsformen überschritten habe.

 

2. Leider ändert ewiges Wiederkäuen nichts daran, dass nur zwei Prozent der Studenten aus Familien kommen, in denen die Eltern einen niedrigeren Bildungs­abschluss erreichten. Mich stört es sehr, dass diese Familien immer gleich als „bildungsfern“ abqualifiziert werden, wenn die Eltern nicht studiert, sondern nur die Hauptschule und ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert haben. In anderen europäischen Ländern haben Kinder aus nicht akademischen Familien bessere Chancen. In Portugal oder der Türkei kommen etwa 45 Prozent der Studenten aus nicht privilegierten Elternhäusern. Auch in Ländern wie Spanien, der Tschechischen Republik oder Finnland variiert der Anteil der Studenten mit niedrigerem Bildungshintergrund an den Universitäten immerhin noch zwischen zehn und 25 Prozent. Deutschland hat nur die arrogante sprachliche Abwertung der finanziell schwächeren Familien zu bieten und vor allem keine Chancengleichheit! Das ist ganz schön billig und herzlich wenig.

 

3. Seit 2004 findet jede Woche in Köln auf dem Roncalliplatz zwischen 18 und 19 Uhr die Montagsdemo mit Offenem Mikrofon gegen die Hartz-Gesetze, Sozialabbau und Missstände aller Art statt. Am 9. Januar 2012 zog nun ein Hauptkommissar den Verbindungsstecker des Verstärkers vom Mikrofon ab. Weil die Anmelderin das Gerät nach seinen Aufforderungen nicht selbst abschaltete, wird sie nun eine Anzeige erhalten. Am 16. Januar 2012 wurde den Montagsdemonstranten erneut von drei Polizeibeamten der Betrieb des Offenen Mikrofons untersagt. Leider ist nicht klar, weshalb nach über sieben Jahren Montagsdemo das bewährte Offene Mikrofon ausgeschaltet, die Montagsdemo Köln also mundtot gemacht werden soll. Darf in Köln ab jetzt nur öffentlich reden, wer den Mainstream-Medien unhinterfragt, unreflektiert nachplappert?

 

4. Letzte Woche wurde in drei Studien der Missstand dargelegt, dass Minijobs in die Armutsfalle führen und die Stundenlöhne dort im Durchschnitt um die Hälfte geringer als die Gehälter von Vollzeitbeschäftigten sind. Viel zu viele Unternehmer kalkulieren offenbar sehr sozialschmarotzend das Arbeitslosengeld II in einen „Kombilohn“ zulasten des Fiskus ein, wenn sie selbst nur solch unverschämt geringe Löhne zahlen! Geringfügig Beschäftigte machten 58 Prozent aller 1,2 Millionen Niedriglöhner mit Gehältern unter fünf Euro pro Stunde aus. Minijobs sind Billigjobs auf Kosten der Betroffenen und der Gesellschaft! Eigentlich sollten sich Geringverdiener ihr Einkommen mit einem Nebenjob aufbessern können, ohne dabei Sozialabgaben oder Steuern abzuführen. Die Unternehmer müssen für 400-Euro-Arbeitsplätze nur rund 30 Prozent Pauschal- statt 40 Prozent Sozialabgaben für reguläre Beschäftigung entrichten. Mit der angeblich integrativen Wirkung der Minijobs auf dem Arbeitsmarkt sei es spätestens mit den Hartz- Reformen vorbei gewesen: Seither ersetzten 400-Euro-Jobs reguläre Arbeitsplätze. Im Frühjahr 2011 hatten von den 7,3 Millionen Minijobbern 4,8 Millionen keine andere Arbeit, die sie mithilfe des Minijobs ergänzen könnten. Sie rutschen damit in die Niedriglohnfalle, aus der es so schnell kein Entrinnen gibt.

 

5. Ist das nicht toll? Hartz-IV-Bezieher können sich seit Januar mit „freiwilliger“ Arbeit als „Bufdi“ bis zu 175 Euro „dazuverdienen“! Der Bundesfreiwilligendienst bietet etwa über die Wohlfahrtsverbände Plätze vor allem in Seniorenheimen, Krankenhäusern und Kitas an. Von den im Bundeshaushalt vorgesehenen 35.000 Plätzen sind über 28.000 Verträge bereits unterschrieben. Die große Nachfrage ist durch die Doppeljahrgänge von Abiturienten bedingt, die vor dem Studium noch einen Freiwilligendienst dazwischen schieben wollen. Von den Älteren ist jeder zweite im Rentenalter. So ist die Nische für Hartz-IV-Bezieher(innen) also klein, zumal sich jede Einsatzstelle die Betreffenden selbst aussuchen kann.

Ich würde es kaum als Glück, sondern als eine ungeheuerliche Ausbeutung bezeichnen, wenn eine arbeitslose 58-jährige Sozialarbeiterin sich als „Bufdi“ in einem Altersheim 175 Euro zusätzlich zum viel zu niedrigen ALG II „dazuverdienen“ darf, statt dass ihr, verdammt noch mal, gefälligst am selben Ort eine sozialversicherungspflichtige, normal bezahlte Arbeit gegeben wird! Abgesehen davon, dass die Träger für die „Bufdis“ etwa 480 Euro selbst aufbringen müssen, scheint es mir für die „Bufdis“ keinen Unterschied zu den Ein-Euro-Jobbern zu geben. Eine berufliche Zukunft wird ihnen hier wahrlich nicht vermittelt! Hier werden nur wieder Menschen ausgebeutet, die diese Tätigkeit unbedingt ausüben wollen, weil sie damit ihre überhaupt nicht ausreichende Grundsicherung wenigstens ein kleines bisschen aufstocken können!

 

6. Es hat sich ausgeschleckert: Die Drogeriemarktkette Schlecker ist pleite, beantragte Insolvenz. Der Geschäftsbetrieb des schwäbischen Familienunternehmens mit seinen 35.000 Arbeitsplätzen in Deutschland soll aber unverändert weiterlaufen. Viele Filialen würden nicht genügend Gewinn abwerfen, heißt es. In den letzten Jahren habe ich über Schlecker eigentlich nie etwas Positives gelesen. Ich erinnere mich daran, dass kleine Filialen geschlossen und Mitarbeiter(innen) entlassen wurden. Diese erhielten dann das „Angebot“, über eine outgesourcte Leiharbeitsfirma für noch viel weniger Gehalt in einer größeren Filiale weiterbeschäftigt zu werden.

2011 startete eine große Restrukturierung. Der bis dahin eher rüde Umgang mit den Mitarbeiter(inne)n sollte verbessert werden, die Geschäfte sollten wegkommen vom Rumpel-Image und heller, geräumiger und freundlicher werden. Die Schlecker-Filialen in meiner Umgebung sind alle viel zu unübersichtlich und zu voll gestellt. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi forderte, dass sich Eigentümer Anton Schlecker, der als einer reichsten Deutschen gilt, nun selbst finanziell für die Firma und den Erhalt von Arbeitsplätzen engagieren müsse. Warten wir es ab! Auf das Wie kommt es schließlich auch noch an.

 

7. Vor mir liegt der Fragebogen einer sehr deutsch aussehenden Bremerin mit ebenso typisch deutschen Namen vom (No-)Job-Center zur „Erhebung Migra­tionshintergrund“, der zur statistischen Erfassung jedem Leistungsberechtigten zwecks Auskunft zugestellt wird. Bis Anfang Februar soll dieser Fragebogen vollständig ausgefüllt zurückgesendet werden. Vor den sieben Fragen zum Migrationshintergrund steht auf einem Blatt, dass die Beantwortung der Fragen selbstverständlich freiwillig sei und es keinerlei Folgen nach sich ziehe, wenn keine Angaben gemacht würden. Die Angaben würden nicht für Zwecke der Arbeitsvermittlung, der Leistungsgewährung oder für andere Verwaltungszwecke verwendet. Die Versicherung, dass alle Angaben geheim gehalten würden, überzeugt mich sehr, weil auf dem Fragebogen der vollständige Name, das Geburtsdatum und die Kundennummer vermerkt sind.

Anstatt in die hauseigenen Akten, den Bewilligungsbescheid oder die Angaben zum Personalausweis des ALG-II-Beziehers zu gucken, wo diese Fragen beantwortet sind, soll nun beantwortet werden, ob jemand die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, auf dem heutigen Gebiet der Bundesrepublik geboren wurde, 1950 oder später auf das heutige Gebiet zugewandert ist, ob der Vater oder die Mutter außerhalb des heutigen Gebiets der Bundesrepublik geboren wurde, ob die deutsche Staatsangehörigkeit als Aussiedler oder Spätaussiedler oder als Ehegatte, Kind oder Enkelkind eines Spätaussiedlers erworben wurde. Auf weiteren drei Seiten wird über Rechtsgrundlage, Geheimhaltung und Datenschutz und die Verordnung zur Erhebung der Merkmale des Migrationshintergrundes dahingehend informiert, dass diese Daten ausschließlich zur statischen Erhebung gesammelt würden. Auch davon bin ich restlos überzeugt!

Ich frage mich, wozu diese Daten tatsächlich erhoben werden sollen, denn uns allen ist doch hinlänglich bekannt, auf welche Weise die Bundesagentur für Arbeit sich ihre Statistik der Erwerbslosen Monat für Monat zurechtlegt, aufhübscht, kurz: fakt und all diejenigen einfach nicht mehr mitzählt, die beim Frohlocken über den vermeintlichen Rückgang der Arbeitslosen stören würden. Eigentlich hat der Migrationshintergrund eines Leistungsberechtigten rein gar nichts mit dem ALG II zu tun! Was soll so eine Erhebung? Sind wir in Deutschland wieder so weit? Soll mit dieser Erhebung bewiesen werden, dass Deutschland bei „Pisa“ viel besser abschneiden würde, wenn die störenden Kinder mit Migrationshintergrund einfach aus der Statistik geworfen werden könnten? Sollen Sarrazins oder Heinsohns Thesen hier irgendwie für wahr befunden und bewiesen werden, ebenso wie der „Rückgang“ der Arbeitslosenzahlen? Die Zahlen mögen wohl zurückgeschoben werden, aber die Erwerbslosen sind halt immer noch da.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Am Mittwoch, dem 25. Januar 2012, treffen sich um 10 Uhr Studierende und Friedensbewegte in der Glashalle der Universität (Haltestelle der Linie 6, Universität Zentralbereich), um von dort mit Transparenten und Pace-Fahnen zur Sitzung des Akademischen Senats zu gehen. Auf der Tagesordnung steht die Frage der Zivilklausel. „Wir treten dafür ein, dass sie ohne Wenn und Aber erhalten bleibt, gegen alle Aufweichungsversuche. Wir wollen keine Verquickung der Uni mit Interessen der Rüstungsindustrie und schon gar nicht Forschung, die der Rüstung dient“, schreibt das „Bremer Friedensforum“ und ruft dazu auf, die Studierenden zahlreich zu unterstützen.
 
CDU und FDP haben Ernst der Lage noch nicht erkannt: Märchen von der
Alleinverantwortlichkeit des Wulff-Sprechers ist eine Lüge („Stern“)
 
Mit Glatzenschmatz vom Generalfeldschnulli: Wulffs Landesregierung organisierte Privatpartys und behauptete das Gegenteil („Die Welt“)
 
Wulff darf Lügner genannt werden: Wurden die Ermittlungen
gegen ihn vorschnell eingestellt? („Die Welt“)
 
Razzia beim Lügen-Wulff: Landeskriminalbeamte durchsuchen Sprecher-Dienstzimmer im Bundespräsidialamt („Bild“-Zeitung)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz