236. Bremer Montagsdemo
am 29. 06. 2009  I◄◄  ►►I

 

Schlechte Kritik?

Udo Riedel Wisst ihr, was mich so stört? Die Tatsache, dass niemand richtig auf uns hört! Wir klagen seit Jahren über der Menschen Leid, doch hier ist kaum jemand zum Zuhören bereit.

Niemand will unsere Klagen hören, und scheinbar will sich auch niemand so richtig daran stören. Da reden wir von Kinderarmut, Dumpinglöhnen und von schlechter Politik, doch alles, was wir hier ernten, lautet nur: Schlechte Kritik!

Wie die meisten werden wir in eine Schublade gesteckt und verdammt anstatt wahrgenommen. Sie zeigen mit dem Finger auf uns und sagen: Die sind schuld, sie sind zu faul und ganz verkommen! Die sind auch schuld, wenn alles zusammenbricht. Wisst ihr, eigentlich tun mir die anderen leid: Sie sehen die Wahrheit nicht!

Uns, die wir hier stehen und klagen, sollte man nicht verdammen, sondern fragen: Wir sind es, die aufklären und enthüllen, wir hier wollen die Welt mit Wahrheit füllen!

Wir sind nicht schuld, dass die Menschen in Armut leben sollen: Es sind ganz andere, die das wollen. Die sollten hier auch am Pranger stehen und die Welt mal aus unserer Sicht besehen!

Dann käme mit der Einsicht auch die Wende, und all unser Kummer hätte ein Ende. Diesen Wunsch darf man nie vergessen in dieser ach so harten Zeit, drum kann ich nur immer wieder sagen: Die anderen tun mir leid!

Niemals werden sie je sicher sein, dass wir ihnen nicht auf die Schliche kommen und enthüllen ihre bösen Taten. Drum kann man ihnen nur eines raten: Auch ihr müsst irgendwann einmal vor dem Schöpfer stehen, und ab in die Hölle wird’s mit euch gehen!

Dabei hättet ihr es selbst in der Hand, hörtet ihr mal auf euer Herz und gebrauchtet den Verstand! Aber leider vergeht bis dahin wohl noch ach so viel Zeit, und ich kann nur immer wieder sagen: Die anderen sind es, die tun mir leid.

Udo Riedel (parteilos)
Aktenverschleppung, Personalkahlschlag, Widerspruchsstau: Bremer Arge
steht kurz vor dem Hitzekollaps („Weser-Kurier“)

 

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen rügt erneut die Bagis

Elisabeth Graf1. Die Bagis wurde erneut gerügt: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschied, die Bagis müsse Schulden für die Stromrechnung bei drohender Sperrung der Energie- oder Wasserversorgung auch bei Haushalten ohne Kinder als Darlehen übernehmen. Im konkreten Fall klagte eine Frau aus Bremen-Nord, die eine Nachforderung in Höhe von 614,74 Euro an die Stadtwerke Bremen zahlen sollte. Nachdem die SWB eine Ratenzahlung ablehnte, verweigerte die Bagis der Frau ein Darlehen in Höhe der Schulden.

Die Bremerin zog vor das Sozialgericht und bekam Ende März Recht (Aktenzeichen S23 AS 547/09 ER): Eine Wohnung ohne Strom, so die Argumentation des Gerichts, komme einer Notlage wie der Wohnungslosigkeit nahe. Daher sei Paragraph 22 des Sozialgesetzbuchs II so auszulegen, dass die Bagis eine Schuldenübernahme nur in atypischen Fällen ablehnen dürfe. Unglaublich und menschenverachtend, dass die Bagis dagegen Beschwerde einlegte! Glücklicherweise zog sie dabei den Kürzeren, weil bei einer Sperrung der Energie- oder Wasserversorgung die Wohnung faktisch unbewohnbar sei und die Bagis deswegen das Darlehen gewähren müsse. (Aktenzeichen L7 AS 546/09 B ER). Die Bagis ließ es sich in der Vergangenheit leider zur Gewohnheit werden, wegen einer Verwaltungsanweisung des Sozialressorts Alleinstehenden oder Paaren ohne Kinder bei Stromschulden generell kein Darlehen zu gewähren. Darin wurde zwar nicht explizit ein Ausschlusskriterium für Leistungsempfänger ohne Kinder formuliert, der Text jedoch so ausgelegt.

Es ist mehr als überfällig, dass die Sozialbehörde diese Verwaltungsanweisung ändert! Schließlich kommen immer mehr Menschen nach der Jahresabrechnung in eine existenzbedrohende Bredouille, weil die Regelsätze in ihrer „Höhe“ nun mal nicht der Realität entsprechen. Deswegen stellte die SWB im vergangenen Jahr 7.656 Haushalten in Bremen die Energieversorgung ab. Auf die eigentlichen Schulden wurde dann noch einmal für die Sperrung und spätere Entsperrung eine Gebühr von 85,76 Euro erhoben. Dazu erdreistet sich die SWB, ein vollkommen überzogenes Wegegeld von 40,56 Euro zu erheben. Insgesamt werden auf die Energieschulden also noch 212,08 Euro oben draufgeschlagen – Wucher ist gar kein Ausdruck dafür! Hinter dem sachlichen Wort Haushalt verbirgt sich jedes Mal das Schicksal von finanziell armen Mitmenschen, die dann bei Kerzenschein im Dunkeln frieren müssen und weder kochen noch duschen können. Solche Praxis muss unterbunden werden, weil sie jeder Form von Mitgefühl entbehrt!

 

2. Als ob Erwerbslose durch ihr karges Sündenbockdasein am Rande der Gesellschaft nicht schon genug abgestraft würden: Sie müssen sich auch noch mit Leistungskürzungen herumquälen, sie ertragen oder dagegen angehen. Am härtesten sind davon die jungen Erwerbslosen unter 25 Jahren betroffen, denen ohne viel Federlesen oft schon bei der ersten Pflichtverletzung das ALG II um 30 oder 60 Prozent oder gar komplett gestrichen wird. Einer Studie des „Instituts für Wirtschaftsforschung“ in Halle an der Saale zufolge sind Leistungskürzungen allerdings kein probates Mittel, um Bezieher von Transfermitteln zu bestrafen – Arbeitsanreize wie bessere Zuverdienstmöglichkeiten seien wirkungsvoller. Doch woher die Arbeitsplätze nehmen? Sie lassen sich ja nicht durch Druck herbeizwingen!

Die starke Nötigung gegenüber jungen Arbeitslosen stehe „in bemerkenswertem Kontrast“ zu der Tatsache, dass ihre Arbeitsbereitschaft nicht geringer sei als die der älteren Gruppen. Interessanterweise erfolgen die Leistungskürzungen häufiger in Regionen mit niedriger Erwerbslosigkeit und werden öfter von Arbeitsvermittlern ausgesprochen, die weniger Erwerbslose zu betreuen haben. Dienen die Kürzungen etwa dazu, den Arbeitsvermittlern die Langeweile zu vertreiben? Greifen sie kurzerhand, eben weil sie keine Arbeit zu vermitteln haben, zu den Mitteln der Verfolgungsbetreuung, um dabei ein erhebendes Machtgefühl erleben?

Auf Seiten der Erwerbslosen ist der häufigste Grund für Leistungskürzungen, dass sie ihren Meldepflichten nicht nachkommen. Jeder zweite der betroffenen ALG-II-Bezieher verpasste Termine beim Jobcenter, 17 Prozent erfüllten ihre Pflichten bei der Arbeitssuche nicht, schrieben zum Beispiel nicht genügend Bewerbungen. Jeder fünfte weigerte sich, eine angebotene Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme anzutreten. Ich finde dies auch nicht verwunderlich angesichts der oft sinnlosen Termine, die offenbar zermürben sollen, wegen der nicht vorhandenen Jobs und des Drucks, massenhaft völlig sinnlose Blindbewerbungen schreiben zu müssen und zu Maßnahmen genötigt zu werden, die einen nicht weiterbringen. Dafür sind die Strafen dann drakonisch. Sie schüren existenzielle Not und müssen als Angriff auf das eigene Leben aufgefasst werden.

Es trifft die Falschen, weil an dieser Stelle Manager und Politiker auf der Anklagebank sitzen sollten, die die hohe Erwerbslosigkeit durch Misswirtschaft und das kritiklose Befolgen des neoliberalen Mainstreams zu verantworten haben! In Wirklichkeit geht es auch gar nicht um Strafe, doch nur durch Sanktionen in Verbindung mit Leistungsverweigerung können die politischen Vorgaben zur Leistungsreduzierung erfüllt werden. Jugendliche wehren sich dabei in ihrer Lebensunerfahrenheit am wenigsten, sodass der menschenverachtende Sparerfolg bei ihnen am sichersten durchzusetzen ist.

 

3. Während bei Sozialausgaben, Gesundheitskosten und Bildung auf Teufel komm raus gespart wird, erhielt ausgerechnet das Bankensystem, das die globale Finanz- und Wirtschaftskrise verursachte, in einem einzigen Jahr neunfach größere Hilfe als die armen Länder in 50 Jahren: In diesem Zeitraum hatten die Geberländer für solche Zwecke rund zwei Billionen US-Dollar zur Verfügung gestellt, in den letzten zwölf Monaten jedoch fast 18 Billionen Dollar in den Kauf von Banken und Finanzinstituten investiert. Die Organisation rief die Regierungen entwickelter Länder auf, die Finanzhilfen für die ärmsten Länder trotz der Krise nicht zu kürzen.

Aber welche Regierung eines „entwickelten Landes“ kümmert es wirklich, dass jedes Jahr rund 30 Millionen Menschen auf der Welt an Unterernährung oder den Folgen von Krankheiten, Epidemien und Mangelerscheinungen sterben? Die globale Krise hat die Zahl der Hungernden um 100 Millionen erhöht, dabei reichen die weltweit produzierten Nahrungsmittel für über zwölf Milliarden Menschen auf der Erde vollkommen aus. Im eiskalten Neoliberalismus stehen die „notleidenden Banken“ auf der Werteskala des zu Fördernden in aller ökonomisierten Menschenverachtung selbstredend über den hungernden, verelendeten Menschen, die nicht mehr ausbeutbar sind.

 

4. Schön, dass nun wohl auch das Landessozialgericht erkannt hat, dass das sogenannte „Gewos“-Gutachten das Papier nicht wert ist, auf dem es geschrieben ist, weil Bremen in so „einigen“ Fällen zu wenig zahlte. Nun will Bremen die Kosten der Unterkunft für ALG-II-Bezieher neu regeln. Bis das neue Gutachten fertig ist, das hoffentlich nicht erneut bei „Gewos“ in Auftrag gegeben wird, muss es eine Übergangsregelung geben. Von dieser Regelung sollen 80 Betroffene profitieren und mehr Geld erhalten. Ob diese 80 Fälle eine frei gegriffene Zahl darstellen oder ob damit die Anzahl der Zugeständnisse gemeint ist, weil die Richter vorhersehbar anders urteilen werden, steht indes in den Sternen. Im Mai 2009 sprach das Landessozialgericht einer alleinerziehenden Mutter und ihrer zwölfjährigen Tochter mehr Geld zu, sodass die Bagis ihnen anstelle von 374 nun 467 Euro Mietkosten erstatten muss. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!

 

5. Entgegen dem vom gleichgeschalteten Mainstream hochgezüchteten Diffamierungsversuch, die Erwerbslosigkeit der ALG-II-Bezieher resultiere hauptsächlich aus deren persönlichen Problemen, zeigt sich deutlich, dass es viel mehr an mangelnden Arbeitsangeboten liegt. So verfügen 68 Prozent der Ein-Euro-Jobber über eine abgeschlossene Ausbildung und sind fit für den ersten Arbeitsmarkt, der die Vielzahl dieser Stellen aber nicht hergibt, zumal die Ein-Euro-Jobs reguläre Arbeitsverhältnisse systematisch kaputtmachen und durch nahezu rechtlose Sklaven ersetzen wollen! Weil die Ein-Euro-Jobs jedoch wenigstens mehr Geld bedeuten, werden sie in Regionen mit hoher Erwerbslosigkeit von den Betroffenen dennoch relativ positiv angesehen und oftmals als einzig realistische „Perspektive“ betrachtet, um die Erwerbslosigkeit zumindest vorübergehend zu unterbrechen. Da wird sich dann in eine vermeintliche Notwendigkeit gefügt, ohne dass damit das eigentliche Problem einer fehlenden beruflichen Perspektive gelöst wäre.

 

6. Vor den Wahlen werden ja immer viele Versprechungen gemacht, die nach dem Urnengang wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen und als Lügen enttarnt werden müssen. Daneben werden Ängste geschürt, indem die gegnerische Partei als böser Wolf dargestellt wird. Dieser muss sich für die ausgegrenzten Bezieher von ALG II, Sozialhilfe und Rente zwangsläufig aus pseudochristlichen, pseudosozialen, pseudofreien und pseudogrünen Demokraten zusammensetzen. Ob sich auch pseudolinke Demokraten hinzugesellen werden, muss sich erst noch herausstellen. Klar war und ist jedoch, dass in Zeiten leerer Kassen immer den Ärmsten ans Portemonnaie gegangen wird.

So ist es kaum verwunderlich, wenn die CDU/CSU massive Kürzungen durch eine – natürlich vollkommen unrealistische – Mietkostenpauschale für ALG-II-Bezieher und einen weiteren Ausbau des Arbeitszwangs um jeden Preis ebenso plant wie eine Mehrwertsteuererhöhung für Lebensnotwendiges von sieben auf 19 Prozent. Da werden die Lebensmittelpreise explodieren, was vorwiegend für Menschen mit niedrigem Einkommen besonders schmerzhaft ist, weil sie einen hohen Anteil ihrer Einkünfte für Naturalien ausgeben müssen. Viele soziale Initiativen und Gewerkschaften befürchteten schon vor und während der „Bankenrettung“ und angesichts zahlreicher Unternehmenssubventionen, dass vor allem diejenigen die „Zeche“ zahlen, die sowieso schon nichts haben.

Da gerade in Großstädten die Mieten sehr hoch sind und mit eine Anhebung der Mehrwertsteuer diese höchst wahrscheinlich noch weiter steigen, wären viele Betroffene von Wohnungsverlust massiv bedroht. Massenobdachlosigkeit oder Stadtflucht wären dann unaufhaltsam. Ein regelrechter Überlebenskampf wäre die drastische Folge, eine staatlich geförderte Massenarmut platzte aus allen Fugen! Offizielle Aussagen über diese Maßnahmen gibt es derzeit natürlich noch nicht.

Viele Wirtschaftsexperten sehen in den Aussagen der CDU/CSU kaum einen Wahrheitsgehalt, schließlich kann die künftige neue, alte Regierung dieses Haushaltsloch nicht bis zum Ende ihrer Tage mit sich herumschleppen! Selbstverständlich dementiert und beschwichtigt CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla und spricht davon, dass die Union die Menschen entlasten und nicht etwa belasten wolle. Alle Menschen können damit unmöglich gemeint sein! Bestimmt nicht die beständig steigende Anzahl der – durch die ökonomisierende Brille betrachtet – gesellschaftlich Überflüssigen, die nur noch Kosten verursachen, weil nicht genügend Arbeit für alle da ist oder weil sie alt oder krank sind oder kleine Kinder versorgen.

Dieses neoliberale System sorgt für steigende Armut, sodass inzwischen sieben Millionen Menschen in Deutschland ihre Wohnung nicht aus eigenen Mitteln finanzieren können. Dass der Staat mit 16 Milliarden Euro für rund elf Prozent aller Haushalte in Deutschland die Kosten der Unterkunft zahlen muss, ist selbstgemachtes Leid: Warum gibt es denn in Deutschland noch immer keinen Mindestlohn, von dem sich menschenwürdig leben lässt? Warum bekommen die Unternehmen immer mehr Steuergeschenke, statt mal in die Pflicht genommen zu werden?

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Mal kurz einen zwitschern: Noch in der größten Hitze lässt sich
das Wichtigste prägnant zusammenfassen („Financial Times“)
 
Herrschende Eigentumsverhältnisse missachtet: Inszeniert die „Piratenpartei“ den Aufstand der Besitzlosen gegen Reichtum und Macht? („Süddeutsche Zeitung“)
 
Wahlzulassung erreicht: Gelingt es der bürgerlichen Presse, die „Piratenpartei“ als „fortschrittliche Systemalternative“ hochzuschreiben? („Die Zeit“)
 
Montagsdemo: Außer Faschisten dürfen dort regelmäßig alle
kurz am Offenen Mikrofon ihre Meinung sagen („Twitter“)
 
Plattenverkäufe abgestürzt: Pleite-Baron „Futz“ Guttenberg
ruiniert Rocker-Image („Financial Times“)
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