1.7.2009

Bagis-Behörde: Personal ergreift die Flucht
Lange Wartezeiten für die Kunden / Oft schaffen die Mitarbeiter es nicht mal mehr, Akten ans Gericht zu liefern

Von Bernd Schneider

Bremen. Wer bei der Bremer Hartz-IV-Verwaltung Bagis sein Recht einfordert, muss fast fünf Monate warten, bis über seinen Widerspruch entschieden wird - Platz 33 von 35 im Norden. Und inzwischen warten die Sozialgerichte in Eilverfahren nicht nur vergeblich auf die Akten aus der Behörde, sie schreiben das auch regelmäßig in ihre Entscheidungen hinein. Unterdessen klagt die Bagis-Spitze gegenüber ihren Trägern, dass ihr das Personal wegläuft und neues kaum zu gewinnen sei.

"Aktuelle Personalsituation" - das ist der Titel eines Kurzberichts für die Bundesagentur für Arbeit und das Bremer Sozialressort. Beide zusammen sind die Träger der Bagis, beide zusammen stellen das Personal der Bagis. Aus den Unterlagen geht ziemlich deutlich hervor: Die Mitarbeiter fliehen aus der Behörde, neue sind nur schwer zu gewinnen - schon gar nicht in dem Tempo, das notwendig wäre, um die Abgänge auszugleichen. Ausschreibungen bleiben erfolglos, Kandidaten springen im letzten Moment noch ab.

So ist gut vier Jahre nach Gründung der Hartz-IV-Sozialverwaltung "keine zufriedenstellende Stabilität des Personalkörpers erreicht worden", heißt es ernüchtert in dem Papier. Die "hohe Fluktuation von Personal (hält) weiter an und bewirkt eine stete personelle Unterdeckung, da die Nachrekrutierung geeigneten Personals in kurzen Intervallen immer schwieriger wird".

Wo das Personal schwindet, bleibt die Arbeit liegen: Wer bei der Bagis Widerspruch gegen einen Bescheid einlegt, wartet im Schnitt 4,8 Monate, bis die Behörde darüber befunden hat. 32 von 35 Hartz-IV-Verwaltungen im Bereich Bremen/NIedersachsen schaffen das schneller - Spitzenreiter ist Wilhelmshaven mit drei Wochen. Unerledigt waren zuletzt fast 2500 Widersprüche und mehr als 1600 Klagen.

Doch auch die Gerichte warten immer wieder vergeblich auf den Mann oder die Frau von der Bagis. Beschlüsse in Eilverfahren tragen inzwischen fast regelmäßig den Vermerk: Akten aus der Bagis liegen nicht vor. Und Unterlagen, die die Hartz-IV-Empfänger leicht vorweisen können, lassen sich in den Akten der Bagis einfach nicht finden.

Zum Beispiel heißt es in einem Beschluss: Das Gericht habe "die Akten angefordert. Die Antragsgegnerin (Bagis, d. Red.) hat die Akten gleichwohl nicht übersandt und hierfür auch keine Erklärung abgegeben." Dabei hatte die Bagis laut Gericht drei Wochen Zeit. In einem anderen Gerichtsbeschluss steht: "Das Gericht hat um die Vorlage der Leistungsdaten gebeten. Vorgelegt wurden ... Band II und III. Bewilligungsbescheide enthält die Akte nicht." Beides darf man getrost als Watschen für die Behörde lesen.

Obwohl inzwischen weitere Juristen bei der Bagis angestellt werden, hat die Verwaltung angesichts der Rückstände kapituliert. Inzwischen ist eine externe Anwaltskanzlei beauftragt, laufende Klagen abzuarbeiten.

Ein großes Problem ist der nach wie vor hohe Anteil an befristet Beschäftigten. Jeder Vierte in diesem menschlich meist anspruchsvollen und sozialrechtlich schwierigen Job ist nur für neun bis 24 Monate bei der Bagis beschäftigt.

Unterm Strich fehlen der Bagis dauerhaft 20 Stellen, jeden Monat verlassen zehn eingearbeitete Kräfte die Verwaltung. 13 Prozent der Beschäftigten verliert die Bagis innerhalb eines Jahres, rund 91 Menschen allein innerhalb der vergangenen 12 Monate.

Besonders in den kundennahen Bereichen der Arbeits-Integration streichen die Mitarbeiter nun die Segel: Die Teamleiterin Integration, 15 Arbeitsvermittler, drei Fallmanager und vier Sachbearbeiter sind ausgeschieden, dazu sieben Fachassistenten. Trotz aufwendiger Personalanwerbung spitze sich die Situation mit hohen Fehlständen in diesem zentralen Bereich "erheblich zu", so die Einschätzung der Bagis-Führungsebene. Und das Tempo beschleunigt sich noch: Wenn die Tendenz des Jahres 2009 anhält, werden es in diesem Jahr 120 Abgänge sein - und niemand weiß im Moment so recht, wie er sie ausgleichen soll.

Die weitaus meisten "Abwanderer" (80 Prozent) gehen zurück in die Bundesagentur für Arbeit oder in die Sozialbehörde, wo sie ihre beruflichen Wurzeln haben. Einer der Gründe: Dort ist die Zukunft verlässlicher. Denn nach wie vor steht die gesamte Hartz-IV-Verwaltung im Bundesgebiet vor dem Aus. Das Bundesverfassungsgericht hatte die "Mischverwaltung" von Kommune und Bundesagentur für verfassungswidrig erklärt. Bis Ende 2010 muss die Verwaltung auf neue Füße gestellt werden - oder sie wird wieder in ihre Einzelteile zerschlagen. Der Antrag auf Arbeitslosengeld II wird dann bei der Bundesagentur für Arbeit gestellt, der Antrag auf Übernahme der Miete bei der Kommune. Nicht gerade rosige Aussichten für Hartz-IV-Empfänger.

"Die Unsicherheit über die Zukunft" der Hartz-IV-Verwaltung", heißt es denn auch in dem Papier der Bagis-Spitze, "sorgt zunehmend für Unruhe in der Belegschaft, da die persönlichen beruflichen Perspektiven unklar sind." Wie es weiter geht, werde aber vor der Bundestagswahl im September nicht mehr entschieden.

© Bremer Tageszeitungen AG



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