2.7.2009

Bagis setzt auf Appelle an Mitarbeiter
Politik betrachtet Entwicklung in der Hartz-IV-Behörde mit Sorge / Neueinstellungen und Qualifizierungen

Von Bernd Schneider

Bremen. Der Bremer Hartz-IV-Verwaltung Bagis laufen die Mitarbeiter davon - aber ein Patentrezept, den als dramatisch eingestuften Verlust an Wissen und Arbeitskraft zu stoppen, gibt es offenbar nicht. "Es ist verständlich, dass die Mitarbeiter zunehmend aus der Bagis flüchten", sagt Silvia Schön (Grüne). "Sie sehen in der Behörde keine berufliche Zukunft."

Voller Sorge vor weiterer Zuspitzung fordert Helga Ziegert (SPD): "Vorrang vor allen anderen Aufgaben muss die Auszahlung der Geldleistungen haben." Die Arbeitsvermittlung müssen bei zunehmende Personalnot in der Behörde hintanstehen.

"Es gibt inzwischen auch schon Fluchttendenzen bei den Antragstellern", sagt Martin Lühr, Berater bei der Aktionsgemeinschaft arbeitsloser Bürger in Bremen (agab). "Manche verzichten schon auf Zahlungen, wenn es nur um kleinere Beträge geht", etwa im zweistelligen Bereich. "Aber das ist doch eines Sozialstaates unwürdig."

Nachdem sich die Arbeit der Bagis bis zum Sommer 2008 deutlich gebessert hatte, sei inzwischen wieder das Niveau der Anfangsjahre erreicht, urteilt Lühr. "Da gibt es für denselben Zeitraum mehrfach unterschiedliche Bescheide." Riesige Berge Papier, "50, 60, 70 Seiten", könnten sich ansammeln. Am Ende gehe jeder Überblick verloren. "Es gibt Leute, die haben bei der Bagis so oft vorgesprochen, dass sie nicht mehr vorgelassen werden - obwohl ihr Problem immer noch besteht."

Hauptgrund ist offenbar der Wissensabfluss durch die hohe Fluktuation. Intern hat die Bagis-Spitze schon Alarm geschlagen: 13 Prozent des festen Personals seien binnen zwölf Monaten abgewandert, Tendenz: deutlich steigend (wir berichteten). Ersatz sei trotz intensiver Bemühungen kaum zu finden. Jeder "Neue" ist erst nach längerer Einarbeitung voll einsatzbereit. Dazu kämen 24 Prozent befristete Mitarbeiter.

Die hohe Fluktuation gilt als Folge der Unsicherheit über die Zukunft der Bagis. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Konstruktion der Verwaltung für rechtswidrig erklärt; nun muss sie bis Ende 2010 mit ihrer Zerschlagung rechnen. Eine Einigung zur Rettung war auf Bundesebene schon in Sicht, scheiterte aber am Widerstand der CDU-Bundestagsfraktion.

An der Personalsituation der Bagis beweise sich nun, dass das "in hohem Maße unverantwortlich war", sagt Silvia Schön, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Helga Ziegert sieht das ähnlich: "Ich habe immer gewarnt, dass dies passieren wird, wenn die Hartz-IV-Verwaltung keine Zukunftsperspektive hat."

Im Widerspruchsverfahren und vor Gericht macht die Bagis dabei derzeit offenbar keine gute Figur. "Häufig", so der Sozialrichter André Schlüter, müsse im Eilverfahren gegen die Bagis ein Beschluss gefasst werden, ohne dass die Behörde die Akten vorgelegt habe. "Das ist nicht der Regelfall, aber entsprechende Vermerke finden sich in vielen Gerichtsbeschlüssen."

Selbst im Hauptsacheverfahren mit deutlich mehr Zeit mahne das Sozialgericht gelegentlich mehrfach die Aktenlieferung an - bis zu dreimal ohne Erfolg. Immer wieder müssten daher "Erörterungstermine" mit dem zuständigen Mitarbeiter festgesetzt werden. Das sei ein "Notbehelf, um die Behörde unter Druck zu setzen". Auch das bilde keine Ausnahme, sondern betreffe "eine nennenswerte Zahl" von Fällen. Meist würden die Akten zu diesem Termin dann allerdings geliefert.

Dramatisch ist aus Sicht aller Beteiligten die Dauer der Widerspruchsverfahren. Von 35 Hartz-IV-Verwaltungen im Bezirk Niedersachsen/Bremen liegt die Bagis mit durchschnittlich fast fünf Monaten auf Platz 33. Intern läuft inzwischen die Suche nach den Ursachen. "Ich habe den Eindruck, die Widerspruchsstelle hat innerhalb der Bagis eine zu schwache Position", fasst Schlüter seine Erfahrungen aus den Gerichtsprozessen zusammen. Nach dem Gesetz müsse die Widerspruchsstelle alle Verfahren einer eigenständigen Prüfung unterziehen können. In der Bagis, so Schlüters Eindruck, sei diese Unabhängigkeit aber nicht gegeben. Der ursprüngliche Sachbearbeiter habe "eine zu starke Stellung". Folge unter anderem: Verfahren landen nach langem Hin und Her vor Gericht, obwohl die Widerspruchsstelle den Fall längst hätte klären können.

"Die Trägerversammlung der Bagis ist in der Pflicht, einen Vorschlag zur Lösung der Probleme auf den Tisch zu legen", kommentierte gestern der CDU-Arbeitsmarktpolitiker Harry Nestler. Die Grünen-Abgeordnete Silvia Schön fordert: "Im Zweifel muss man auch darüber nachdenken, Beschäftigte aus anderen Bereichen zur Bagis abzuordnen." Ohne Zustimmung des Personalrats ist das allerdings nicht zu machen. Und der zeige sich "nicht gerade kooperativ", beklagt Helga Ziegert. So setzten die Träger der Bagis derzeit auf "die weiche Methode" in Form von Appellen an die Beschäftigten, den Job bei der Bagis nicht hinzuwerfen. Wie berichtet, wird auch die Widerspruchsstelle verstärkt und Fachkräfte werden intern weiterqualifiziert.

Bagis-Sprecherin Katrin Kaufmann sagte gestern: "Die Probleme sind bekannt." Es würden "intensive Gespräche" geführt, um sie zu lösen. Eine ausführliche Erklärung wolle die Behörde heute vorlegen.

© Bremer Tageszeitungen AG



DRUCKEN   |   FENSTER SCHLIESSEN