642. Bremer Montagsdemo
am 27. 11. 2017  I◄◄  ►►I

 

Ich bin für eine Minderheits­regierung der CDU/CSU

Hans-Dieter Binder1. Frau Merkel hat in der Großen Koalition einfach gehandelt, auch gegen die bekannte Mehrheit der Bürger. Die Enthaltung zur Gentechnik, einfach so per Anruf, ist ein Beispiel. Bei einer Min­der­heits­re­gie­rung wäre das nicht passiert. Aktuell steht die Ablehnung von Gly­pho­sat an. Die weitere Anwendung muss unterbunden werden! Bei manchen Brunnen dauert das Durchsickern des Oberflächenwassers mehre Jahrzehnte. Die Nebenbeschäftigung der leitenden Mitarbeiter der Genehmigungsbehörde bei Bayer, ebenfalls in leitender Funktion, müsste längst beendet sein. Bei einer Minderheitsregierung wäre dies durchsetzbar!

Der Dieselaffäre liegt ein fortgesetzter Betrug zugrunde. Die angemessene Reaktion ist, entsprechend wie in den USA zu verfahren. Wir haben andere Gesetze – na und? Diese Ausrede ausgerechnet vom Gesetzgeber ist arm. Aber auch VW-Dieselfahrer sind Wähler. Die Feinstaubbelastung hat weitere Gründe. Welche Maßnahmen werden ergriffen? Filter für Kamine und Holzfeuerung sind bisher Fehlanzeige. Die Braunkohleverbrennung muss gestoppt werden, denn die Stromversorgung ist auch ohne Kohle gesichert!

Eine Minderheitsregierung würde diese bisher gezeigte Ignoranz nicht überleben. Der SPD wird es erst wieder besser gehen, wenn die Agenda 2010 mit dem Arbeitslosengeld II zumindest entschärft wird. Alle leistungsmindernden Regelungen müssen prompt verschwinden. Nachstehend nur eine Auswirkung der Agenda 2010. Die Minderzahlungen belasten die ALG-II-Abhängigen, hinzu kommen die anderen Leistungsbezieher. Dem Einzelhandel fehlen diese Millionen in der Ladenkasse.

 

2. Das Bundesverfassungsgericht hat zu den Unterkunftskosten entschieden. Sozialrechtler Harald Thomé hat in seinem Newsletter darüber informiert. Er spricht von einer „Nicht-Entscheidung“:

„Das Bundesverfassungsgericht hat letzte Woche in drei Fällen seine Beschlüsse zu den Kosten der Unterkunft veröffentlicht. In zwei Fällen war es eine Verfassungsbeschwerde einer Leistungsbezieherin, dazu der Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Mainz. Das Bundesverfassungsgericht hat darin festgestellt, wenn es an einer gesetzlichen KdU-Satzung fehle, sei ein mehrstufiges Verfahren zur Ermittlung der KdU-Bedarfe gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nötig.

Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert die Warnfunktion der Kostensenkungsaufforderung und die Kriterien des Bundessozialgerichts für ein ‚schlüssiges Konzept‘. Wenn es diese nicht gibt, sieht es die Festsetzung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach dem Wohngeldgesetz mit zehn Prozent Sicherheitszuschlag als zulässig an. Also wurde die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu ‚schlüssigen Konzepten‘ vom Bundesverfassungsgericht damit abgesegnet und für verfassungskonform erklärt.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch betont: Es müssen immer die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden (Randziffer 17). In seinem Beschluss vom 1. August 2017 (Aktenzeichen 1 BvR 1910/12) hat das Bundesverfassungsgericht noch dargestellt, dass ‚relevante Nachteile‘ zu prüfen seien, beispielsweise ‚auch möglichst in der gewählten Wohnung zu bleiben‘. Bei der Prüfung des Anordnungsgrundes müsse berücksichtigt werden, ‚welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für den Beschwerdeführer gehabt hätte‘.

In der aktuellen Entscheidung hat es nur noch von ‚Besonderheiten des Einzelfalls‘ gesprochen. Die im vorherigen Beschluss genannten Kriterien sind zur Konkretisierung anzuwenden und müssen nun im Detail weiter eingefordert und erstritten werden. Ganz übel war der Leitsatz nicht, jedwede Unterkunft müsse im Falle einer Bedürftigkeit staatlich finanziert und die Miete unbegrenzt erstattet werden. Diese Aussage hat das Bundesverfassungsgericht betoniert, und diese wird uns bis zu einer Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht immer entgegengehalten werden.

Inhaltlich ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für eine Vielzahl von Leistungsberechtigten ein Schlag ins Gesicht. So werden beispielsweise in Berlin Monat für Monat 4,7 Millionen Euro vom Jobcenter für die Kosten der Unterkunft nicht übernommen, über 56 Millionen Euro in einem Jahr. Das sind aber nur die Wohnkosten, die das Jobcenter nach einer Kostensenkungsaufforderung nicht übernimmt. Es fehlen die Wohnkosten der Haushalte, die von vornherein in zu teure Wohnungen ziehen. In Berlin ist davon auszugehen, dass dieser Teil doppelt so hoch ist.

Allein diese Zahl beweist, dass die Festlegung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu ‚schlüssigen Konzepten‘ überholt ist und modifiziert werden muss. Hier wäre deutlich mehr Einsicht in die konkreten Probleme der fast sieben Millionen SGB-II-Leistungsberechtigten zu wünschen gewesen und nicht nur rechtliche Einsicht in die finanzielle Belastungen der Kommunen. 43,53 Prozent aller Be­darfs­ge­mein­schaf­ten in Ber­lin leben in Wohnungen, deren Preis sich oberhalb der örtlichen Mietobergrenze befindet.

Mit den Bundesverfassungsgerichtsbeschlüssen hat die Auseinandersetzung um die Frage, wie die Angemessenheit von Aufwendungen der Unterkunft seitens des Gesetzgebers geregelt sein muss, ein vorläufiges Ende gefunden. Eine Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos, der Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Mainz wurde als unzulässig zurückgewiesen. Das heißt, dass bis auf Weiteres die Rechtsprechung der Tatsacheninstanzen jeweils über die Schlüssigkeit von Konzepten entscheiden beziehungsweise selbst schlüssig ermitteln muss.

Es geht also darum, konkrete ‚schlüssige Konzepte‘ kritisch zu beleuchten und methodische Fehler aufzudecken und die Anwendung des Einzelfallgrundsatzes einzufordern – auf der Straße, in den Parlamenten, bei Gericht. Die Konsequenzen werden gerade auch von anderer Seite deutlich: Die Zahl der Wohnungslosen hat sich verdoppelt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Akte für sich selbst geschlossen, was die Grundsatzfrage der ‚Angemessenheit‘ angeht.“

Aktuell sieht es in Bremen bei den Kosten der Unterkunft so aus: Die Veränderung des Wohngeldgesetzes zum 1. Januar 2016 war in Bremen Ursache für die Erhöhung der Mietrichtwerte ab 1. März 2017 (siehe 604. Bremer Montagsdemonstration). Allerdings sind gemäß Fachgutachten die Mietrichtwerte überwiegend unterhalb der Grenzen für das Wohngeld festgesetzt worden. Nur für Einzelpersonen wurde ein höherer Wert ermittelt.

Haushaltsgröße eine Person: 455 Euro Mietobergrenze, 434 Euro Wohngeld (plus fünf Prozent). Haushaltsgröße zwei Personen: 464 Euro Mietobergrenze, 526 Euro Wohngeld (minus zwölf Prozent). Haushaltsgröße drei Personen: 578 Euro Mietobergrenze, 626 Euro Wohngeld. Haushaltsgröße vier Personen: 633 Euro Mietobergrenze, 730 Euro Wohngeld. Haushaltsgröße fünf Personen: 738 Euro Mietobergrenze, 834 Euro Wohngeld.

Die Mietrichtwerte erhöhen sich eventuell um stadtteilbezogene Zuschläge. Sozialwohnungen werden vollständig erstattet. Weitere Besonderheiten stehen in Abschnitt 7c bis 7g der Verwaltungsanweisung. Die Wohngeldwerte ab 1. Januar 2016 finden sich noch auf der Website der Bremer Linksfraktion.

Leistungsberechtigten, die sich nicht wehren, bleibt immer weniger Geld zum Leben. Die damalige Differenz zwischen tatsächlicher Miete und der Erstattung des Jobcenters ist auf der Seite zur 588. Bremer Montagsdemonstration nachzulesen. Eine Gegenwehr ist möglich, aber bitte mit Darlegung der persönlichen Betroffenheit. Ein Überprüfungsantrag rückwirkend ab 1. Januar 2016 muss noch in diesem Jahr beim Jobcenter eingehen.

Die Kosten der Unterkunft ab 1. März 2017 wurden in der So­zi­al­de­pu­ta­tions­sit­zung vom 23. Februar 2017 behandelt. Die Ermittlung der Richtwerte wurde begleitend erläutert. Die Zahlen wurden vom Statistischen Landesamt erhoben und von „F & B“ zum Stichtag 1. März 2016 ausgewertet.

Die Übersicht der Richtwerte (Anlage 2) enthält keinen Hinweis auf die Sonderregelungen, etwa für Sozialwohnungen. In der Verwaltungsanweisung unter der Position 5.3 „Sozialer Wohnungsbau“: „Mieten für Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus sind grundsätzlich in tatsächlicher Höhe anzuerkennen. Dies schließt Mieten für Neubauten im geförderten Wohnungsneubau ausdrücklich mit ein.“ Unter 7c bis 7g stehen weitere Besonderheiten für die Anpassung der Mietrichtwerte. Nicht vergessen: Diese Mietrichtwerte sind keine Obergrenzen!

Die „Verwaltungsanweisung für Bedarfe für Unterkunft, Heizung und zur Sicherung der Wohnung“ fehlt im Archiv der Sitzung. Die „Verwaltungsanweisung Wohnen“ ist auch über das „Transparenzportal“ aufrufbar.

Die ergänzenden Hinweise zur „Verwaltungsanweisung Wohnen“ sind scheinbar seit Januar 2014 nicht aktualisiert worden. Zuschüsse für die Kosten der Unterkunft sind auch für Studenten und Auszubildende erreichbar, weil sie nicht als Leistungen nach dem SGB II gelten. Auch Flüchtlinge in Ausbildung können Ansprüche haben. Auf dieser Seite stehen auch alle anderen Verwaltungsanweisungen. Sie sind teilweise nicht aktuell. In diesem Fall gilt die Rosinenpickerei.

Eine bloße Anweisung an die Verwaltung hat aber keine Rechtskraft. Es ist die Auslegung des Rechts zur gleichen Anwendung durch die Verwaltung. Es sind aber Verwaltungsanweisungen mit Außenwirkung, daher besteht Veröffentlichungspflicht. Das Bundesverfassungsgericht hat das „schlüssige Konzept“ als alleinige Grundlage für die „angemessenen“ Mieten festgelegt. Soll das Sozialgericht entsprechende Ermittlungen anstellen oder einfordern, wenn kein schlüssiges Konzept gegeben ist?

Das „F & B“-Fachgutachten soll das „schlüssige Konzept“ für die Mietrichtwerte in Bremen sein. Man lese nun die Begründung für die Änderung des Wohngeldgesetzes und dazu dieses Fachgutachten. Alle vorherigen „schlüssigen Konzepte“ zu den Mietobergrenzen in Bremen haben sich als nicht gerichtsfest erwiesen. Bremen will die erhöhten Obergrenzen erst ab 1. März 2017 und nicht ab 1. Januar 2016 anwenden. Wer davon betroffen ist, sollte sich wehren! Bis Jahresende geht es noch zum 1. Januar 2016.

Für die Zeit ab 1. März 2017 steht diese Prüfung noch aus. Eine Schwachstelle in den Fachgutachten ist nach meiner Meinung die Nichtberücksichtigung der noch in Gemeinschaftsunterkünften lebenden Menschen. Belastet ist die Glaubwürdigkeit auch, weil „F & B“ die Richtwerte vor dem 1. März 2017 auf einer sichtbar falschen Grundlage ermittelt hat, für Fachleute möglicherweise eine Rechtsbeugung.

Aber das neue Gutachten soll richtig sein? Angemessen sind die Mietrichtwerte, die vom Jobcenter wie eine Obergrenze behandelt werden, nicht! Besonders zu beachten ist die Entscheidung des Landsozialgerichts Niedersachsen-Bremen (Aktenzeichen L15 AS 257/16 B ER): Demnach könnte sich die zur Berechnung herangezogene Mietwerterhebung als „schlüssiges Konzept“ zur Festlegung von Mietobergrenzen erweisen.

Ohne Eilverfahren sind die Ansprüche der Leistungsbeziehenden nicht zu sichern. Das Landsozialgericht ist nicht dagegen, Ansprüche zu sichern, nur müssen sie unter Einbeziehung dieser Entscheidung noch ausführlicher begründet werden. Falls es ein „schlüssige Konzept“ nicht gibt, sind die Werte des Wohngeldgesetzes plus zehn Prozent Sicherheitszuschlag anzuwenden.

Wer Hilfe braucht, gehe zu den Beratungsstellen oder komme einfach vorbei. Wir sehen uns immer wieder montags, aktuell wegen des Weihnachtsmarktes auf dem Hanseatenhof, ab 2018 wieder in Bremens „guter Stube“, auf dem Marktplatz. Dann haben hoffentlich alle, die eine Leistungskürzung hinnehmen mussten, einen Antrag auf Überprüfung gestellt! Ab 1. Januar 2016 ist noch alles rückholbar, bitte die Informationen zum Jahreswechsel 2015/2016 und 2016/2017 lesen, dazu die Erweiterungen auf Schadenersatz. Deponat ist nicht abzuzahlen! Auch der Jahreswechsel 2017/2018 lässt Ansprüche untergehen.

Weitere Informationen erhalten Sie durch Nutzung der Such­ma­schi­ne auf unserer Homepage, einfach mal ausprobieren! Die Beachtung der sozialen Auswirkungen wird immer zwingender. Wir arbeiten daran! Die Frage „Was kann ich machen?“ ist einfach zu beantworten: Wir haben auf dem Marktplatz noch viel Platz und ein Offenes Mikrofon. Wir sind gespannt auf Ihre Meinung und Erfahrung! Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“, „so:leb – Sozialer Lebensbund“)
 
CSU-Landwirtschaftsminister stimmt in Brüssel für Glyphosat-Zulassung:
Wie kann die SPD nach solch einem Vertrauensbruch noch 
Koalitionsgespräche führen? („Spiegel-Online“)

 

Die tödlichen Folgen
der Sparpolitik

1. Als 2015 festgestellt wurde, dass sich in England und Wales seit 2010 die Mortalitätsrate um mehr als fünf Prozent erhöht hatte, wurde händeringend nach einer Erklärung gesucht. Die Steigerung war einfach zu groß, um zufällig sein zu können. Des Rätsels Lösung fanden die Forscher in der Kürzungspolitik der konservativen Regierung: Unglaubliche 120.000 Todesfälle soll es in Großbritannien deswegen bereits gegeben haben!

Dabei kann offenbar als bekannt vorausgesetzt werden, dass Kürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich schwerwiegende Folgen haben. Wie schwer jedoch, darüber staunten selbst die Experten. Statistische Analysen zeigten schnell, dass Grippeepidemien oder Infektionen als Ursache nicht in Frage kamen, sich stattdessen jedoch ein auffallender statistischer Zusammenhang zwischen der Zunahme der Sterberate und den Einsparungen im Sozial- und Gesundheitsbereich zeigte. Die Autoren dieser Studie sprechen sogar von „ökonomischem Mord“. Eine andere Bezeichnung dafür fällt mir auch nicht ein.

Elisabeth GrafAls 2010 die Konservativen und die Liberaldemokraten in England eine Koalition bildeten, warnten sie vor einem drohenden Untergang, wenn England sein Defizit nicht bis 2015 abbauen würde, und nahmen sich zum Ziel, Ausgaben zu senken und Sozialleistungen zu kürzen. Es folgten massive Kürzungen, und eine Sparwelle nach der anderen drückte die Lebensqualität herunter. Das Wohngeld wurde gekürzt und gleichzeitig der öffentliche Wohnungsbau drastisch hinuntergefahren. Es gab enorme Kürzungen bei der Arbeitslosenunterstützung und der Unterstützung von Menschen mit Behinderung.

Mittlerweile hätte auch dem letzten Zweifler klar werden müssen, dass diese Austeritätspolitik weder das Wachstum steigert noch die Defizite senkt. Mit den Einbußen durch die Zerstörung des Sozialstaates sank lediglich der Lebensstandard der Menschen. England häufte unter der Rechtsregierung mehr Schulden an als je unter einer Labour-Regierung zuvor. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass Austerität zwar eine schlechte Wirtschaftspolitik ist, aber „gute“ Klassenpolitik.

Diese Untersuchung belegt, was mit Verstand und Menschenliebe schon immer gewusst wurde: Weniger Pflege, schlechteres Essen und mehr Stress kosten das Leben. Die Lebenserwartung für 65-Jährige sank um 21 Tage, die von 75-Jährigen um ganze 40 Tage. Hier ist die Rede von 45.000 zusätzlichen Todesfällen in den ersten vier Jahren der konservativen Kürzungspolitik. Bis heute sind es etwa 120.000 Todesfälle, und bis 2020 droht die Zahl auf 200.000 hochzuschnellen. Das sind im Durchschnitt 100 Tote pro Tag, die es ohne Kürzung der Ausgaben nicht geben würde!

Diese Analyse sollte spätestens jetzt Warnung genug vor der asozialen, menschenverachtenden Austeritätspolitik der Konservativen und „Sozial“-Liberalen sein. Hinter den nackten Zahlen verbergen sich echte Menschen wie du und ich, mit Gefühlen, Lebensläufen und Existenzangst. Meist betrifft es solche, die Sozialleistungen erhalten. Den Betroffenen fehlt das Geld, um normal zu essen oder Pflege in Anspruch zu nehmen.

Schlechte Jobs mit hohem Arbeitsdruck und Stress steigern die Wahrscheinlichkeit von Herzinfarkten. Außerdem schwächte die Sparpolitik der Konservativen das öffentliche Gesundheitssystem und etablierte eine Zwei-Klassen-Medizin. Allein der Abbau von Krankenpflegern könnte für zehn Prozent der zusätzlichen Todesfälle verantwortlich sein. Mit zunehmender Arbeitslosigkeit steigt auch die Sterberate bei Krebskranken.

Inzwischen soll die Regierung vordergründig von ihrem Sparkurs abgekehrt sein und sowohl Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor als auch eine Aufstockung der Sozialausgaben um 1,3 Milliarden Pfund angekündigt haben. Allerdings ist das kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, weil 25 Milliarden Pfund nötig wären, um die Todesraten wieder auf das Niveau vor 2010 zurückzubringen. Es wird in Wirklichkeit auch weiterhin ein „sozialverträgliches Frühableben“ im Sinne derer gefördert, die ihr ohnehin gut gefülltes Portemonnaie gerne bald gegen ein noch viel größeres umtauschen wollen, bevor auch dieses wieder aus allen Nähten platzt.

Wie Staaten mit Krisen umgehen, entscheidet über die Lebenserwartung. Dass es auch anders gehen könnte, zeigt überdeutlich der Vergleich zwischen Island und Griechenland, die wirtschaftlich beide ähnlich schlecht aufgestellt waren. Während Islands rot-rot-grüne Regierung auf die Krise mit mehr sozialer Gerechtigkeit reagierte, eine Reichensteuer einführte, die Progression bei der Einkommensteuer verstärkte, Kapitalverkehrskontrollen durchführte und dabei weder Sozial- noch Gesundheitsleistungen kürzte, veränderten sich Gesundheitszustand und Lebenserwartung nicht. Dagegen führten die massiven Kürzungen in Griechenland natürlich zu humanitären Krisen. Die Zahl der Selbstmorde nahm um 45 Prozent, die der Säuglingssterblichkeit um 43 Prozent zu. Die Lebenserwartung sank um volle zwei Jahre.

 

2. In Deutschland wurde durch die Hartz-Gesetze nicht bloß der Sozialstaatsgedanke torpediert, sondern vielmehr auch die Idee der Leistungsgerechtigkeit konterkariert. Hartz IV steht für das Ende der „Sozialen Marktwirtschaft“. Für Professor Christoph Butterwegge ist nicht sozial, was Arbeit schafft. Vielmehr zeige sich hier eine Sklavenhalterideologie, nach der selbst der mieseste Job sozialer sei als Arbeitslosigkeit.

Auch wenn die vermeintliche Halbierung der Arbeitslosigkeit seit dem 1. Januar 2005 als großer Erfolg gefeiert wird, hat das Arbeitsvolumen seit der Jahrtausendwende keineswegs zugenommen, sondern wurde lediglich anders verteilt. Heute gibt es mehr prekäre Beschäftigung, mehr Leiharbeit, brauchen Mama oder Papa oft zwei oder drei Jobs, um über die Runden zu kommen. Worin soll der Fortschritt bestehen, wenn zwar mehr Menschen beschäftigt sind, dabei jedoch die Qualität der Arbeit fast aller stark gelitten hat, Leistungs- und Konkurrenzdruck zugenommen haben?

Rot-Grün hat in Deutschland einen ausufernden Niedriglohnsektor geschaffen und war beschämenderweise auch noch stolz darauf. Die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen hat durch Hartz IV derart zugenommen, dass die südeuropäischen EU-Länder von der Bundesrepublik geradezu niederkonkurriert wurden. Die betroffenen Südeuropäer können ihre Importe nicht mehr bezahlen und müssen Kredite aufnehmen. So gerät der Euro unter Druck. Das schlägt auf uns selbst zurück.

Selbst wenn die Arbeitslosigkeit durch Hartz IV gesunken ist, wurde sie im Grunde nur durch Senkung der Lohnstückkosten in andere Länder exportiert. Natürlich sieht Butterwegge aber auch ganz direkte negative Folgen für Deutschland, zum Beispiel die sogenannten Erwerbsaufstocker, also Angestellte, deren Gehalt so niedrig ist, dass es auf das Hartz-IV-Niveau aufgestockt werden muss. Für die inzwischen konstant 1,3 Millionen Aufstocker gab die Bundesregierung seit 2005 allein 75 Milliarden Euro aus. Mit solcherart Subventionen belohnt unser Staat also Unternehmen, die Lohndumping betreiben und Löhne zahlen, die nicht einmal existenzsichernd sind.

 

3. Das neue Jahr 2018 steht vor der Tür, und mit ihm steigt der Regelsatz für Hartz-IV-Berechtigte um ein paar Kröten. Jeder mit den realen Lebenshaltungskosten vertraute Mensch weiß selbstverständlich, dass mit diesen Mondsätzen kein Auskommen möglich sein kann: Popelige 416 Euro sollen für einen Alleinstehenden reichen, obwohl am Ende des Geldes immer noch ganz viel Monat übrig sein wird. Auch die Sozialverbände fordern mindestens 150 Euro zusätzlich im Monat. Weil sich der Regelsatz jedoch angeblich am Einkaufsverhalten der Durchschnittsbevölkerung orientierte, ist für das Bundesamt für Statistik und die Jobcenter alles in Ordnung.

Neben den Mietkosten, die bis zu einer unwirklich niedrigen „Höhe“ gezahlt werden, sollen für „Essen und Trinken“ circa 130 Euro reichen (31 Prozent des Regelsatzes), für „Spaß und Freizeit“ etwa 50 Euro, für „Internet, Telefon, Post“ 40 Euro, für „Kleidung“ 39 Euro, für „Strom und Haushalt“ 35 Euro, für „Sonstige Einkäufe“ 30 Euro, für „Bus und Bahn, Auto“ 26 Euro, für „Gesundheitspflege“ 18 Euro, für „Restaurants und Hotels“ achteinhalb Euro. Die Krönung sind sagenhafte anderthalb Euro für „Bildung und Lernen“.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz