588. Bremer Montagsdemo
am 10. 10. 2016  I◄◄  ►►I

 

Bremen spart jeden Monat 400.000 Euro an den Leistungsberechtigten

Hans-Dieter BinderBremen spart jeden Monat rund 400.000 Euro an den leistungsberechtigten Erwerbslosen und Empfänger(inne)n von Grundsicherung oder Sozialhilfe sowie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Ein Versehen? Nein – Bremen wartet auf das (viel zu spät) bestellte Gutachten. Bremen hat die Zahlen von 2010 hochgerechnet und damit die Mietrichtwerte ab 1. Januar 2014 begründet. Inzwischen ist viel Wasser die Weser runter geflossen, und die Zahlen sind überholt. Schon allein dadurch hat Bremen formal keine rechtsgültigen Mietobergrenzen. Auch in der Praxis zeigt sich: Im wirklichen Leben ist für diese Beträge keine Wohnung zu ergattern. Soweit der Überblick.

Die Ermittlung des Lochs in den Haushaltskassen der leistungsberechtigten Menschen erfolgt aufgrund der Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Details zur Handhabung sind auf der Seite zur 501. Bremer Montagsdemonstration nachzulesen. Diese Statistik wird nicht für jeden Kalendermonat erstellt. Die aktuelle Statistik für Bremen-Stadt ist für Juni 2016.

Nehmen wir Tabelle 1a auf Seite 5 zur „Wohn- und Wohnkostensituation nach Größe der Haushaltsgemeinschaft“. Im vierten Absatz von oben stehen die „Laufenden Kosten der Unterkunft (in Euro)“. Dessen erste Zeile lautet: „Laufende tatsächliche Kosten der Unterkunft insgesamt: 19.276.703“. In der 14. Zeile heißt es: „Laufende anerkannte Kosten der Unterkunft insgesamt: 18.902.469“. Dies ergibt eine aktuelle Unterdeckung von 374.234 Euro allein für die Erwerbslosen und ist eine geringe Verbesserung gegenüber dem April 2016.

Hier die Zahlen für April 2016: „Laufende tatsächliche Kosten der Unterkunft insgesamt: 19.181.979. Laufende anerkannte Kosten der Unterkunft insgesamt: 18.775.420.“ Damit betrug die Unterdeckung 406.559 Euro allein für die Erwerbslosen. Diese Veränderung zeigt: Es wird nachgebessert.

Auf der Seite zur 558. Bremer Montagsdemonstration ist nachzulesen, warum die Hansestadt dieses Thema so kassenorientiert behandelt. Bis zum 31. Dezember 2015 hat Bremen Geld gespart, weil hier die Werte der Wohngeldtabelle niedriger waren als die angemessenen Mieten. Zum 1. Januar 2016 wurden die Werte gemäß § 12 Wohngeldgesetz der Mietpreisentwicklung angepasst. Bremen hat Mietstufe IV. Die angemessene Miete für eine Person beträgt somit aktuell 434 Euro plus Heizung!

434 Euro sind auch die Grundlage für die Berechnung von Wohngeld. Auf der Seite des Senators für Bau und Umwelt stehen noch die alten Werte als Höchstbeträge. Zwischenzeitlich habe ich auch die Mietrichtwerte für die Kosten der Unterkunft als Obergrenze für die Wohngeldberechnung gelesen. Dies ist falsch und wurde anscheinend geändert. Bitte nicht irritieren lassen! Es gelten die Werte des § 12 Wohngeldgesetz, Mietstufe IV für Bremen!

Es muss niemand auf das Gutachten oder die Erhöhung der Mietrichtwerte warten. Wer einen Eigenanteil zu Miete, Nebenkosten oder Heizung zahlt, kann sich sofort wehren. Wie dies geht? Wir gehen mit – einfach vorbeikommen! Es gilt, einen schriftlichen Antrag auf Erstattung der tatsächlichen Miete und Nebenkosten zu stellen und gegen Stempel abgeben. Auf dem Antrag – eventuell mit Terminsetzung – ist zu vermerken: „Um Weiterungen zu vermeiden, erbitte ich Ihre kurzfristige Entscheidung.“

Falls das Jobcenter einen Ablehnungsbescheid erstellt, ist mit dieser Grundlage der Widerspruch einzureichen, schriftlich und nachweisbar. Bei einem Widerspruchsbescheid ist die Klagefrist einzuhalten. Aber es geht schneller: Wer mehr als zehn Euro selbst zahlt, hat einen Grund für einen Eilantrag. Diese Unterstützung des Sozialgerichts kann bereits nach der Antragstellung beantragt werden. Der Antrag kann bei der Rechtsantragsstelle des Gerichts persönlich gestellt werden; hierfür den aktuellen Bescheid, Mietvertrag und Personalausweis mitnehmen.

Die Begründung: „Bremen hat kein schlüssiges Konzept für die Festsetzung der Mietrichtwerte. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2010 und wurden hochgerechnet. Sie sind überholt und nicht mehr verwendbar. Ich beantrage die Anwendung der Mietobergrenzen gemäß § 12 Wohngeldgesetz gemäß der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.“ Dies möglichst ergänzen durch eigene Erfahrungen bei der Wohnungssuche.

Das Eilverfahren kann ohne Rückfrage und ohne mündlichen Termin entschieden werden. Wer eine Miete oberhalb der Wohngeldtabelle zahlt oder andere Besonderheiten hat, sollte einfach vorbeikommen – wir gehen mit! Unterstützung gibt es auch bei jeder Beratungsstelle für Erwerbslose, bei den Mietervereinen und bei einem Rechtsanwalt, der auf Basis der Prozesskostenhilfe tätig wird. Dies muss vorher vereinbart werden, am besten bei der Terminvereinbarung.

Wer bisher zu wenig Miete erstattet bekommen hat, kann auch noch Differenzen aus der Vergangenheit einzufordern. Dies geht bis zum 1. Januar 2015 zurück. Diese Ansprüche werden im Eilverfahren nicht entschieden, es gilt nur für Forderungen ab Antragsdatum. Im eventuell folgenden Hauptsacheverfahren wird auch über diese Ansprüche entschieden. Der Antrag auf rückwirkende Erstattung der tatsächlichen Miete kann per Überprüfungsantrag gestellt werden, mit obiger Begründung. Eine Ablehnung lässt sich mit Widerspruch und letztlich Klage belegen, um die Ansprüche einzufordern. Die Erläuterungen für die Zeit vor dem 1. Januar 2016 stehen in der Begründung zum Wohngeldgesetz.

Leider hat die Senatorin für Soziales bisher eine Anhebung der Mietrichtwerte an die Wirklichkeit abgelehnt. Dies sollen die Gerichte entscheiden. Aktuell wurden zwei umfassend vorbereitete Termine mit Sachverständigen beim Sozialgericht kurzfristig unnötig. Es ging um die anerkannte Miete. Das Jobcenter hat rund 24 Stunden vor dem Gerichtstermin die Kläger klaglos gestellt, also die tatsächlich gezahlten Mieten voll erstattet. Somit muss jede Bedarfsgemeinschaft (früher: Familie) selbst tätig werden. Aber es lohnt sich!

Die Sozialrichter müssen es ausbaden. Im Oktober 2014 wurden rund 3.500 Bedarfsgemeinschaften gemäß SGB II nicht die volle Miete oder Heizkosten erstattet. Diese Zahl hat sich sicherlich wesentlich erhöht. Verursacher sind nicht die Kläger, sondern die Politiker, die die Jobcenter entsprechend anweisen. Die Kläger sind die Gebeutelten. Wer von dem Regelsatz leben muss, ist bereits am Verzweifeln. Wer mit weniger als dem Regelsatz auskommen muss, wird die Nebenwirkungen von „Küchenmeister Schmalhans“ noch lange spüren.

Weitere Informationen erhalten Sie durch Nutzung der Suchmaschine auf unserer Homepage, einfach mal ausprobieren! Die Beachtung der sozialen Auswirkungen wird immer zwingender. Wir arbeiten daran! Die Frage „Was kann ich machen?“ ist einfach zu beantworten: Wir haben auf dem Marktplatz noch viel Platz und ein Offenes Mikrofon. Wir sind gespannt auf Ihre Meinung und Erfahrung! Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“, „so:leb – Sozialer Lebensbund“)

 

„Amnesty“: „Die wenigsten Flüchtlinge kommen nach Europa“

Es wird immer wieder der Eindruck erweckt, als ob Deutschland die meisten Flüchtlinge aufnehme. Das ist ein Lügenmärchen zur rassistischen Stimmungsmache. Mehr als die Hälfte der weltweit 65 Millionen Flüchtlinge findet nach UN-An­ga­ben Zuflucht in zehn Ländern – armen Ländern, die gerade einmal für 2,5 Prozent des Weltsozialprodukts verantwortlich sind. Die meisten der reichsten Länder der Erde nähmen dagegen die wenigsten Flüchtlinge auf und würden die geringsten Anstrengungen zur Linderung des Massenelends unternehmen, kritisierte der Generalsekretär von „Amnesty International“, Salil Shetty, in einer kürzlich veröffentlichten Erklärung.

Harald BraunJordanien hat mit 2,7 Millionen Menschen die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Allein im Libanon mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern leben 1,5 Millionen geflüchtete Syrer – und damit mehr als in der gesamten EU mit ihren 500 Millionen Einwohnern. Statt sich vor der Verantwortung zu drücken, sollten die reicheren Länder größere Lasten schultern, fordert „Amnesty“. Mit allen Mitteln versuchen vor allem die USA und die EU, sich gegen Flüchtlinge abzuschotten – und damit gegen die Folgen der von ihnen selbst maßgeblich zu verantwortenden Fluchtursachen.

In dieser Woche startet die neue „EU-Agentur für Grenzschutz und Küstenwache“ mithilfe deutscher Polizisten. Die „Agentur“ wird rund 1.000 feste Mitarbeiter sowie eine Reserve von 1.500 Grenzbeamten aus verschiedenen EU-Ländern haben. Die „Balkanroute“ ist bereits seit Monaten dicht. Nun sollen mit Bulgarien und Albanien die letzten Lücken geschlossen werden.

Diese menschenverachtende Politik treibt immer mehr Menschen zur noch gefährlicheren Flucht über das Mittelmeer – und damit oft direkt in den Tod: In den ersten neun Monaten dieses Jahres sind schon mehr als 3.500 Menschen bei dem Versuch umgekommen, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Eine einzige Anklage gegen die menschenfeindliche Abschottungspolitik der EU!

Auf der Afghanistan-Konferenz, die vor Kurzem stattgefunden hat, behauptete Innenminister Thomas de Maizière – während zeitgleich die Taliban in Kundus einmarschieren – es gebe in Afghanistan viele friedliche Regionen, wo die Menschen sicher leben könnten. Selbst die Vereinten Nationen charakterisieren Afghanistan als immer gefährlicher für die Bevölkerung: Arbeitslosigkeit, Krieg und Terror prägen den Alltag, der von den imperialistischen Besatzern, nicht zuletzt Deutschland, mit zu verantworten ist.

Ein NDR-Korrespondent berichtet: „In 31 von 34 Provinzen kommt es zu Kämpfen, vor denen Menschen fliehen müssen. Die Zahl der zivilen Opfer steigt und steigt. Ein Notfallkrankenhaus für Kriegsverwundete, das ich vergangene Woche in Kabul besucht habe, platzt aus allen Nähten. Den Flüchtlingen vor den Toren der Stadt hilft dagegen niemand. Sie leben im Staub, im Dreck, ohne Würde, unter ihnen viele Kinder.“

Das hält EU und Bundesregierung nicht von ihren Plänen ab, 80.000 afghanische Flüchtlinge in ihr Heimatland abschieben zu wollen. Im Gegenzug werden allein aus Deutschland weitere 1,7 Milliarden Euro vor allem in militärische Aufgaben und in die völlig korrupte afghanische Marionetten-Regierung gepumpt – Geld, das für eine menschenwürdige Versorgung der Flüchtlinge in Deutschland angeblich nicht da ist.

Gegen die reaktionäre Flüchtlingspolitik der Herrschenden wachsen Ab­leh­nung und Pro­test bis hinein in die Kirchen und in staatliche Institutionen. So traten am 1. Oktober 2016 Asylhelferinnen und -helfer in Landsberg gegen die ultrareaktionäre bayrische Asylpolitik in den Streik. Ihr Motto: „Die Kriminalisierung aller Asylbewerberinnen und Asylbewerber muss ein Ende finden!“

Im bayerischen Winhöring solidarisierten sich Bauarbeiter durch Arbeitsniederlegung auf 30 Baustellen mit einem afghanischen Kollegen, dem das Landratsamt Altötting die Arbeitserlaubnis entziehen will und der abgeschoben werden soll. Der Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Herrschenden war auch ein Schwerpunkt beim Wahlkongress des „Internationalistischen Bündnisses“ am 2. Oktober 2016 in Berlin.

Harald Braun
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz