456. Bremer Montagsdemo
am 20. 01. 2014  I◄◄  ►►I

 

Auch gute Bildung ist keine Garantie mehr auf einen guten Arbeitsplatz

Elisabeth Graf1. Eine alarmierende Studie über Kin­derarmut jagt die nächste, und immer wieder werden Hilferufe laut. So ist jetzt in dem – in meinen Augen stellenweise ziemlich herabwürdigenden – WAZ-Artikel „Wenn arme Kinder nicht mal mehr träumen“ zu lesen, dass allein in Dortmund 22.000 Mädchen und Jungen lebten, deren Eltern Hartz IV bezögen. Die Kinder würden erleben, dass Mutter oder Vater jeden Anorak beim Jobcenter beantragen müssten und bei der „Tafel“ für Lebensmittel anstünden und dass sie „manchmal nicht mal die einfachsten Dinge des Alltags“ schafften. Schon wieder eine kleine Dosis Hetze gefällig? Seit wann können beim Jobcenter Schuhe oder Anoraks beantragt werden, wo doch alles angeblich schon in den viel zu niedrig „berechneten“ Regelsätzen enthalten sein soll?

Mich verwundert es nicht, wenn durch Armut ausgegrenzte Kinder auf die Frage, welche Berufe es gebe, mit „Verkäuferin bei Kik, Verkäuferin bei Tedi, Verkäuferin bei Netto“ antworten. Gut, dass wenigstens wieder klar ist, wer daran Schuld trägt, wenn Kinder im Winter nur mit einem dünnen Kleidchen und Sandalen bekleidet seien, oder mit Schuhen, die drei Nummern zu groß sind! Martina Furlan, Vorsitzende des „Dortmunder Kinderschutzbundes“, kann über das Motto der Landesregierung „Kein Kind zurücklassen“ nur den Kopf schütteln. Sie wisse nicht, was das heißen solle, und kritisiere, dass die Kinderarmut im Koalitionsvertrag nicht mal erwähnt werde.

 

2. Auch Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen will mehr gegen die soziale Spaltung im kleinsten Bundesland tun. Auf dem Neujahrsempfang des Senats im Rathaus sagte er, er wolle die Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt der Senatsarbeit rücken. Niemand dürfe sich mit Armut und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft abfinden. Als vorrangiges Ziel bezeichnete er, dass weniger Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen, weil der Weg aus der Armut nur über Bildung gelinge. Akute Armut könne mit Transferleistungen bekämpft werden, langfristige Armut nur mit Bildung und Arbeit.

Böhrnsen sprach sich noch einmal ausdrücklich für die Einführung eines Mindestlohns aus. Die Handelskammer Bremen stellte sich entschieden hinter den Vorschlag von Böhrnsen und befürwortete ein „Bündnis aus Wirtschaft und Politik gegen Armut“ in der Stadt. Im November 2013 gab es eine sogenannte Armutskonferenz in Bremen, an der etwa 200 Vertreter von Gewerkschaften, Sozialverbänden und Kirchen den Senat zum Handeln aufgeforderten. Jetzt will Böhrnsen die Organisatoren einladen, um über mögliche gemeinsame Schritte zu reden.

 

3. Desgleichen drängt Thomas Röwekamp, Vorsitzender der CDU-Bür­ger­schafts­frak­tion, darauf, dass die Armut von Menschen in Bremen und Bremerhaven eines der dringendsten Probleme sei, deren sich die Politik annehmen müsse. Er forderte Bürgermeister Böhrnsen schriftlich zu einer Regierungserklärung zum Thema Armutsbekämpfung auf, da die Maßnahmen des Senates die soziale Spaltung in unserem Land nicht verringert hätten. Dabei erinnerte er an den Antrag der CDU-Fraktion vom Mai 2013, eine Enquete-Kommission zur Armutsbekämpfung einzusetzen, um mit Vertretern aus Politik, Sozialverbänden und Experten zu diskutieren.

Hat Herr Röwekamp bei der Kontroverse über die Übernahme der Un­ter­kunfts­kos­ten für Sozialleistungsberechtigte in der Bürgerschaft möglicherweise seinen eigenen Zwischenruf „Unter Brücken sollen sie schlafen“ vergessen? Entschuldigung, hierbei handelte es sich selbstverständlich nur um ein bedauernswertes klitzekleines Missverständnis! Wenn ich die vollmundigen Stellungnahmen und Forderungen unserer Politiker nach „Pakten“ und „Enquete-Kommission“ gegen die zunehmende Bedürftigkeit und Verarmung lese und höre, dann frage ich mich immer, ob die galoppierende Armut nun tatsächlich wie eine unvorhersehbare Naturkatastrophe über uns hereingebrochen ist.

Oder leiden die Damen und Herren der vier Parteien, die die menschenverachtenden Hartz-Gesetze verabschiedet haben, möglicherweise unter Gedächtnisschwund? Katja Kipping brachte es schön auf den Punkt: „Hartz IV ist und bleibt Armut per Gesetz und muss deshalb abgeschafft werden! Hartz IV hat den Niedriglohnsektor befördert, das Existenzminimum verfassungswidrig kleingerechnet und eine drastische Sanktionspraxis eingeführt.“ Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Regierungsparteien sich wirklich selbst bekämpfen wollen!

 

4. Laut einer neuen Studie des „Instituts für Arbeit und Qualifikation“ arbeiten Hunderttausende Akademiker in Deutschland trotz einer guten Ausbildung zu Niedriglohn. 8,6 Prozent der abhängig Beschäftigten mit Hochschulabschluss erhielten demnach solch einen Lohn, was im Jahr 2012 9,30 Euro brutto in der Stunde entsprach. Unter den Frauen mit Hochschulabschluss ist das Risiko, zu Niedriglöhnen zu arbeiten, mit 11,4 Prozent fast doppelt so hoch wie unter Männern mit „nur“ 6,1 Prozent. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der arbeitslosen Akademiker 2013 im Jahresdurchschnitt gegenüber dem Vorjahr um 21.400 auf 191.100 Menschen. Als Grund für die 13-prozentige Erhöhung nennt die Bundesagentur für Arbeit die deutlich gestiegene Absolventenzahl.

Allerdings sei das Risiko, arbeitslos zu werden, für Akademiker weiterhin „sehr gering“. Ich vermisse in dem Bericht eine Aussage zur späteren Rentensituation, denn wer eine höhere Bildung hat, tritt in der Regel erst später in die Rente ein. Dadurch bekommen Akademiker auch ohne Erwerbslosigkeit kaum die 45 Beitragsjahre zusammen, um vom neuen Rentenkonstrukt der Großen Koalition profitieren zu können. Weil die Ausbildungszeiten zusätzlich kaum noch bis gar nicht mehr angerechnet werden, die Zeit der kostenlosen Mitarbeit der „Generation Praktikum“ fast automatisch dazu gerechnet werden muss, wird auch das Renteneinkommen der Akademiker stark sinken. Gute Bildung ist keine Garantie mehr auf einen – gar auch noch gut dotierten – Arbeitsplatz!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Jedes „Bündnis gegen Armut“ benötigt ein Konzept: Davon ist der
Bremische Senat jedoch weit entfernt (Manfred Steglich)

 

Hoffentlich bleibt die zehnte Armutskonferenz in Bremen
nicht folgenlos

Hans-Dieter Binder Bremens Bürgermeister hat eingeladen, zu Gesprächen. Es geht um Armut. Es ist bestimmt die zehnte Armutskonferenz in Bremen. Neun davon waren ohne den Bürgermeister. Hoffentlich bleibt die zehnte Armutskonferenz in Bremen nicht folgenlos. Elisabeth hat erneut klargemacht: Armut ist keine Naturkatastrophe, keine überraschende Erscheinung. Armut wird und wurde versteckt. Armut wird selten eingestanden. Armut und Aussichtslosigkeit werden auch vom Jobcenter erzeugt oder verstärkt.

Na, jetzt wird alles besser! Herr Böhrnsen spricht ein Machtwort, und jede(r) Bremer Bürger(in) erhält in den Ämtern alles, was SGB II, Sozialhilfe- oder Asylbewerberleistungsgesetz als Unterstützung ermöglichen und er oder sie benötigt. Damit wäre schon viel Aussichtslosigkeit und Leid erledigt und etwas Armut beseitigt. Wenn diese Gespräche auch noch auf Augenhöhe geführt werden – einfach toll!

Herr Böhrnsen hat auch das „Bündnis für Wohnen“ unter seine Fittiche genommen. Gerade hat er das Neubaugebiet um die Horner Mühle eingeweiht. Über 300 Wohneinheiten, aber keine Sozialwohnung! Im „Bündnis für Wohnen“ war dies anders erwogen und angekündigt worden. Herr Böhrnsen, warum klappt dies nicht?

Die Senatorin für Soziales hat per 1. Januar 2014 die „Verwaltungsanweisung Wohnen“ ins Netz gestellt. Dieser wurde vorher von der Regierungsmehrheit zugestimmt. Die Anweisung an die Verwaltung umfasst 14 Seiten, Gesetzeskraft hat sie nicht! Zusätzlich wurde eine „Arbeitshilfe“ für die Umsetzung der Anweisung an die Verwaltung erlassen – ohne Mitwirkung etwa der Deputation für Soziales. Nach der Überschrift ist dies die Anweisung an die Verwaltung für ALG II, Schwerbehinderte und Asylbewerber (jedoch nicht für Gemeinschaftsunterkünfte). Im Inhalt wurden aber die Besonderheiten wenig gewürdigt. Sozialwohnungen sind für diese Richtwerte nicht anzumieten. Daher steht über Sozialwohnungen eine gesonderte Regelung in der Anweisung, aber ohne Beträge zu nennen!

Die Mietobergrenzen werden jetzt „Richtwerte“ genannt. Diese bleiben hinter den Entscheidungen des Landessozialgerichts Bremen-Niedersachsen zurück. Ein Grund wird in den Verwaltungsanweisungen nicht genannt. Die Senatorin hat in der Sitzung der Deputation für Soziales am 19. Dezember 2013 die Entwicklung dargestellt. Die Findung der Miet-„Richtwerte“ erfolgte mithilfe von „Analyse & Konzepte“, sie stehen auf Seite 9.

Die Ausführungen von „Analyse & Konzepte“ beginnen mit der Anlage 2 (ab Seite 10) und sind nicht gerichtsfest: Das Verfahren vor den Sozialgericht Bremen (Aktenzeichen S21 AS 1/09 ER) und andere wurden nicht berücksichtigt. Somit ist auch diese Anweisung für die Verwaltung nicht gerichtsfest! So wird keine Zufriedenheit im Umgang miteinander geschaffen: Vorsätzlich werden erneut die Bürger übervorteilt – nicht aus Versehen, sondern mit voller Absicht!

Diesen Vorwurf hat der entsprechende Abteilungsleiter zurückgewiesen. Sinngemäß sagte er: „Wir können uns höhere Ausgaben für die Kosten der Unterkunft nicht leisten“! Doch Wohnungen sind für diese Mieten nicht zu ergattern. Die geforderte Vorlage des Mietvertrags vor der Unterschrift beim Jobcenter erschwert die Anmietung zusätzlich! Wie unlogisch und menschenverachtend diese Verweigerung der Zustimmung zu dem Mietvertrag ist, ergibt sich aus dem Verfahren mit dem Aktenzeichen S26 AS 186/09 ER.

Die dort genannten Mietobergrenzen sind überholt. Es geht um die Verweigerung der Zustimmung. Die derzeitige Wohnung war verschimmelt, das Bad unbenutzbar Ein entsprechendes Gutachten des Gesundheitsamtes wurde vorgelegt. Die Klägerin suchte bereits seit Monaten händeringend eine neue Wohnung. Das Jugendamt drohte mit der Wegnahme der Tochter. Das Jobcenter verweigerte trotzdem die Zustimmung zu der neuen Wohnung: Sie war um zehn Euro „zu teuer“ – weil die Mietobergrenzen per Verwaltungsanweisung falsch vorgegeben wurden.

Wie vorstehend ausgeführt, kann Bremen mit einfachen Mitteln viel Leid, Hoffnungslosigkeit und Armut beseitigen – und ganz nebenbei wird der Bremischen Verfassung entsprochen, deren Artikel 14 lautet: „Jeder Bewohner der Freien Hansestadt Bremen hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung. Es ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden, die Verwirklichung dieses Anspruches zu fördern.“ Und noch eins an den Bürgermeister: Im Zweifelsfall das Grundgesetz, die Bremische Verfassung und das Bürgerliche Gesetzbuch heranziehen. Die Sozialgesetzbücher enthalten viele Schlechterstellungen für Menschen mit wenig Geld! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)

 

Das EU-Parlament ist ein
Kartell der Klimakiller

Harald BraunDie Kohlendioxid-Speicherung unter der Erde und das Erdgasfracking sollen zum Kern der neuen Klimapolitik der EU werden. Damit werden gefährliche Zeitbomben für künftige Generationen auf den Weg gebracht und die klimaschädliche fossile Verbrennung ausgebaut. Sehen wir uns das genauer an.

Die Kohlendioxid-Abscheidung und -Spei­che­rung ist eine Technik, mit der das Klimagas Kohlendioxid aus Abgasen abgespalten werden kann. Damit soll angeblich die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzt werden. Aber warum soll Kohlendioxid überhaupt produziert werden? Seine Verpressung unter die Erde bietet keinerlei Sicherheit und gefährdet das Grundwasser. Deshalb weigern sich die Energiekonzerne, jegliche Haftung für das Verfahren zu übernehmen, und verlangen, dass die öffentliche Hand dies mit Steuergeldern garantiert. Die neuen Kohlekraftwerke mit Kohlendioxid-Abspaltung werden doppelt so teurer und verbrauchen für die Abspaltung rund ein Viertel der Energie selbst. Ein neues, sprudelndes Milliardengeschäft für die Konzerne soll auf den Weg gebracht werden. Natürlich sollen dabei die Risiken, die genauso wie bei der Atomkraft unkalkulierbar hoch sind, wieder vom Volk getragen werden, während der Profit in den Händen weniger landet.

Die zweite gefährliche Zeitbombe im Interesse der Energiemonopole will die EU durch Fracking schaffen. Sie sieht im Schiefergas „erhebliches Potential für Europa“. Die EU-Kommission hat letzte Woche erklärt, dass sie darauf verzichten will, das umstrittene Fracking gesetzlich zu regeln. Stattdessen plant sie nur unverbindliche Mindeststandards für den Umwelt- und Gesundheitsschutz bei der Förderung von Schiefergas. So soll zum Beispiel die Bevölkerung großzügigerweise darüber informiert werden, welche giftigen Chemikalien durch Fracking unter die Erde gepresst werden – damit wir schon mal wissen, welches Gift das Grundwasser verseucht. Das ist ja toll!

Es sollen auch nur Gasprojekte auf ihre Umweltverträglichkeit überprüft werden, die täglich mehr als 500.000 Kubikmeter fördern. Die meisten Schiefergasprojekte wären davon gar nicht betroffen. In den USA gibt es tausendfache Beispiele für die große Schädlichkeit dieser Energiegewinnung. Wer dies live sehen will, dem kann ich den Film „Gasland“ sehr empfehlen. Zu Recht gibt es in den USA eine wachsende Widerstandsbewegung gegen Fracking. Auch in Niedersachen – wo es bereits 324 Probebohrungen für Fracking gegeben hat – sind Bürgerinitiativen entstanden, die eine industrielle Nutzung verhindern wollen. Ich schlage vor, dass wir Kontakt nach Völkersen aufnehmen und sie einladen, hier auf der Montagsdemonstration über ihren Protest zu berichten. Das muss auch zur Sache der Bremer Bevölkerung werden, zumal ein Viertel unseres Trinkwassers aus dieser Region kommt.

Zum Schluss will ich noch etwas zu den Klimazielen der EU sagen. Bisher galt die völlig unzureichende Formel „20-20-20“: Bis 2020 soll der Ökostromanteil bei 20 Prozent liegen, der Ausstoß von Treibhausgasen um 20 Prozent sinken und die Energieeffizienz um 20 Prozent steigen. Jetzt wurde bekannt, dass die EU in Zukunft gar keine verbindlichen Ziele mehr aufstellen will. Dass sich nun ausgerechnet Bundeswirtschaftsminister Gabriel (SPD) ins Zeug legt und verbindliche Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien fordert, ist an Heuchelei nicht zu überbieten: Die neue Bundesregierung hat diesen Montag das Ausbremsen der erneuerbaren Energien verkündet und der Kohlelobby einen Freifahrtschein ausgestellt. Inzwischen sind Braunkohlekraftwerke mit 162 Milliarden Kilowattstunden und einem Anteil von 25,8 Prozent Hauptproduzent des Stroms in Deutschland, der Steinkohlestromanteil stieg 2013 auf 19,7 Prozent. Fast die Hälfte entstammt also fossilen Klimakillern.

Die Pläne von EU und Bundesregierung werden den Übergang zu einer globalen Umweltkatastrophe beschleunigen. Um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu retten, müssen wir diese Pläne durchkreuzen – durch einen breiten, internationalen Widerstand der Völker. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen! Statt in rückwärtsgewandte, umweltschädliche Technik zu investieren, könnten einfach die natürlichen Energiequellen genutzt werden. Sie sind auch in 1.000 Jahren noch im Überfluss vorhanden und rufen keinerlei schädliche Nebenwirkungen hervor. Aber diese Einsicht von den Herrschenden zu erwarten, wäre eine große Illusion, denn das Einzige, was sie vorantreibt, ist ihre Profitmaximierung und die Ausweitung ihrer Macht über den ganzen Globus. Aber damit sind sie eine kleine Minderheit und haben langfristig keine Zukunft.

Harald Braun
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz