399. Bremer Montagsdemo
am 05. 11. 2012  I◄◄  ►►I

 

Ist als behindert einzustufen, wer keinen Arbeitsplatz abbekommt?

Elisabeth Graf 1. Seine Nebeneinkünfte sorgten für heftige Debatten, seit Peer Steinbrück seine Vortragshonorare offengelegt hat: Erst war „nur“ die Rede von einem Gesamthonorar von 1,25 Millionen Euro, das der designierte SPD-Kanzlerkandidat für seine zwischen 2009 und 2012 gehaltenen Vorträge bekommen haben soll. Nun kommen weitere Nebeneinkünfte ans Licht: Er soll außerdem zwei Buch­honorare in sechsstelliger Höhe bekommen und insgesamt rund zwei Millionen Euro verdient haben. Das Geld bekam er augenscheinlich, aber hat er es wirklich verdient? Was an seinen Reden, Vorträgen, Aussagen, Thesen ist denn als so außerordentlich zu bewerten, dass es nahezu Gold wert ist? Was sagt er so Brillantes, Geistreiches, womit er aus der Masse heraussticht? Das interessiert mich wirklich, würde ich gern mal wissen!

Jetzt ist auch noch zu lesen, dass Steinbrück ausgerechnet von den Stadtwerken der in massiven Finanznöten steckenden, aber SPD-regierten Stadt Bochum ein Rednerhonorar von 25.000 Euro ausgezahlt bekam. Verfügt ein designierter Kanzlerkandidat wirklich über so viel Freizeit, seine Rede selbst schreiben zu können? Ach, das ist hier eigentlich nebensächlich, denn schon wieder taucht die Frage auf, was genau da eigentlich so unglaublich hoch dotiert wird und ob er tatsächlich eine adäquate Gegenleistung erbracht hat. Auch wenn vor knapp einem Monat von Steinbrück zu hören war, er sei kein „Knecht des Kapitals“ und weise eine zu große Nähe zur Finanzindustrie scharf zurück, kommt schon die Frage auf, ob hier nicht irgendwelche Lobbyistenschiebereien im Gange sind. Steht das Kürzel BRD nun etwa für Bananen-Republik Deutschland?

 

2. In einem Interview der „Tageszeitung“ spricht Prof. Dr. jur. Helga Spindler über die Pläne des „Paritätischen Wohlfahrtsverbandes“ für Langzeiterwerbslose und „sinnvolle“ Arbeitsmarktkonzepte. Seit im letzten Jahr die Gelder für Ein-Euro-Jobs massiv gekürzt wurden, legten der „Paritätische“ und der FDP-Abgeordnete Pascal Kober ein Konzept vor, wonach sie auf dem zweiten Arbeitsmarkt mit bis zu 200.000 zusätzlichen Stellen „für“ Langzeiterwerbslose scheinbar wieder Boden für die Arbeitslosenindustrie zurückzugewinnen versuchen. Offenbar meinen die Verbände für ihre Mitglieder neue Finanzierungsmöglichkeiten erschließen zu müssen. Bisher gibt es nur vage Vorstellungen, die nicht so aussehen, als ob sie im Sinne der Langzeiterwerbslosen gestrickt worden wären.

Da soll es Finanzierungsmittel für einen „Lohn“ von 1.100 Euro für Lebensunterhalt, Wohnkosten, Kranken- und Pflegeversicherung des Arbeitslosen geben. Der Arbeitgeber müsse sich als eigentlicher Nutznießer lediglich mit 220 Euro daran ein kleines bisschen beteiligen. Es scheint noch nicht einmal klar zu sein, ob davon netto mehr als der Regelsatz übrig bleibt, obwohl der „Paritätische“ im Gegensatz zum FDP-Vertreter „eigentlich“ eine Bezahlung nach Tarif wolle. Hier könnte uneigentlich ein gigantischer Niedriglohnsektor geschaffen werden, zumal in nicht gemeinnützige Firmen in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden soll: Das bisherige Kriterium der Zusätzlichkeit und das Gebot, keine regulären Stellen zu ersetzen, würden einfach abgeschafft.

In diese Jobs sollen Erwerbslose gezwungen, äh: vermittelt werden, die sich „aufgrund von Handicaps beim Ein- oder Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schwertun“. Für diese Form der Ausbeutungsmöglichkeit soll wohl ein Menschenbild geschaffen werden, wonach nicht etwa zu wenig anständig bezahlte Arbeitsplätze vorhanden sind, sondern Menschen langzeiterwerbslos würden, weil sie unter einer Art sozialer Behinderung litten. Dazu zählt bestimmt auch ihr Alter, das aber keineswegs länger als Hindernis betrachtet werden muss, wenn damit in den zweiten Arbeitsmarkt gepresst und ein Zuschuss vom Staat abgegriffen werden kann! Echte Schwerbehinderte können sich bisher ihren Arbeitsplatz frei wählen und haben einen Anspruch auf leistungsgerechte Bezahlung.

Das soll als behindert klassifizierten Erwerbslosen offenbar abgesprochen werden, um sie als billige Arbeitskraft ausgenutzen zu können. Ich empfinde es als bodenlose Frechheit, wenn Menschen als behindert eingestuft werden, weil sie keinen Arbeitsplatz abbekommen! Es läuft hier doch wie bei dem Bewegungsspiel für Kinder, der „Reise nach Jerusalem“, nur dass hier nicht immer mit nur einem Stuhl weniger gespielt wird, als Mitspieler vorhanden sind, sondern dass bei weitem weniger reale und sozialversicherungspflichtige Arbeitsangebote existieren als Bewerber. Wer keinen Stuhl mehr erwischt, scheidet aus und muss bei den nächsten Runden zuschauen – und der Erwerbslose, der bei der Arbeitsvermittlung leer ausgeht, darf ungestraft zum rechtlosen Behinderten abgestempelt werden?

Es ist eine Unverschämtheit, von einer „Chance für Erwerbslose“ zu sprechen und sie dabei gegen ihren Willen, gegen jeden Nutzen in Form einer angemessenen Bezahlung für sie, auf einen nicht für, sondern gegen sie geschaffenen zweiten Arbeitsmarkt zu zwingen, der nur den Beschäftigungsträgern dient! Natürlich wird so auch die Arbeitslosenstatistik euphemistisch schön rosa gefärbt, weil dahin Gezwungene dort nicht mehr auftauchen, obwohl sie nicht wie andere Arbeitnehmer von ihrer Hände Arbeit leben, sondern nach wie vor nur vegetieren können – und das auch noch dauerhaft. Die Sozialrechtlerin Helga Spindler fordert, dass parallel zu allen Bereichen, die der zweite Arbeitsmarkt ständig bedient, systematisch eine reguläre Dauerbeschäftigung aufgebaut werden müsse.

Das wäre mit einem Quotensystem möglich, wenn etwa von den 80 Prozent des Garten- und Landschaftsbaus, die ein Beschäftigungsträger von einer Stadt übernommen habe, mit der Zeit eine Quote von 30 Prozent erreicht werden sollte. Meiner Meinung nach geht es ausschließlich darum, mit dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt plus der zu rechtlosen Behinderten abgestempelten Langzeiterwerbslosen systematisch und sehr effektiv ein ungeheures Lohndumping in die Wege zu leiten, das seinesgleichen sucht! Den gleichen menschenverachtenden Müll wollte uns Uwe Mühlmeyer bereits während der Podiumsdiskussion „Die Unmenschlichkeitskatastrophe“ und etwas später in einem Artikel der „Tageszeitung“ als „neues“ Erfolgsmodell für Langzeitarbeitslose in Bremen verkaufen.

 

3. Die Bundeskanzlerin mit dem roten Jackett gähnt auf dem Foto zu einem Bericht in der „Welt“: Ob sie etwa reformmüde ist? Dabei dürfe sich Deutschland nicht auf seinen Reformen ausruhen, um deren „Erfolge“ es doch von der halben Welt beneidet werde. Während die Arbeitslosenquote im Euro-Raum bei über elf Prozent liegt, in Spanien gar bei fast 26, wurde sie in Deutschland auf saloppe 6,9 Prozent herunter retuschiert. Kein Wunder, dass nun auch Milch und Honig fließen und diese frohe Botschaft die Regierung beglückt: Bis 2017 sollen die Einnahmen des Staates durch weitere Kürzungen im Sozialbereich um gut 100 Milliarden Euro steigen.

Die Gründe für diesen üppigen Goldregen sind leicht auszumachen, sie liegen in der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen, bei denen auch die Reformen im Gesundheitsbereich mit ihren Knapsereien entstanden. Gerhard Schröder hatte sie aus dem Lissabonner Vertrag abgekupfert. Mit ihrer Hilfe schubste er Deutschland vom Gipfel ausreichender Löhne in ein Billiglohnland für viele herunter, zauberte einen unermesslichen Niedriglohnsektor aus dem Hut, entrechtete die Erwerbslosen, befreite die Arbeitslosenstatistik von immer mehr Gruppen Erwerbsloser, indem er sie einfach nicht mehr mitzählte, und kappte auch die Renten. Merkwürdig sei nur, dass es die Sozialdemokraten noch immer nicht wagten, sich mit dem Abbau, äh: Umbau des Sozialsystems zu brüsten.

Vielleicht besinnt sich der eine oder andere darauf, dass die Sozialdemokraten ursprünglich mal die „kleinen Leute“ vertraten und für soziale Gerechtigkeit einstanden. Bei der Umverteilung von unten nach oben ist nichts Erwähnenswertes mehr übrig geblieben. Eine richtige Aussage habe ich in dem Artikel aber doch gefunden, auch wenn dort ihr Gegenteil gemeint wird: dass „an Hartz denken“ bei den meisten Genossen „vertuschen lernen“ heiße! Die Bundesrepublik stehe gar nicht übel da, auch wenn den wohligen Monaten bald miese Jahre folgen könnten. Noch weitere Reformen stünden an, um in den nächsten Jahrzehnten den Wohlstand zu halten, welchen die Gesellschaft der oberen Zehntausend heute genießt. Eigentlich sei eine „Rundumsanierung“ nötig, damit langfristig die öffentlichen Kassen durch weiteren Abbau des Sozialstaates entlastet und den betuchten Bürgern mehr Anteile ihres Bruttogehaltes verschafft, sprich: die Steuern gesenkt werden können.

Zwei Reformen wären in dieser Legislaturperiode allerdings noch möglich: der Abbau der Bürokratie und die Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes. Auf lästige Arbeitnehmerrechte könnte zur Profitmaximierung der Unternehmen verzichtet werden. Dringend sollten wir einer „nüchternen“ Einwanderungspolitik Tür und Tor öffnen, um junge, arbeitswillige Menschen in Europa, Asien und Südamerika gezielt anzuwerben, weil hiesige, vorhandene Arbeitskräfte allen Ernstes ganz dreist nach Tarif bezahlt werden wollen und auf alten, aber neoliberal überholten Arbeitnehmerrechten bestehen. Ein solches Gesetz wird in den nächsten Monaten genauso wenig kommen wie ein Sommereinbruch im November, und das ist auch gut so. Natürlich steht dieser Artikel keinesfalls so in der „Welt“, wie ich ihn hier interpretiert, übersetzt und nicht nur meiner subjektiven Wahrheit nähergebracht habe. Wer wissen will, wie der eigentliche Wortlaut ist, möge dem Link folgen.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend)
Widerstandspflastanie gegen 'Stuttgart 21'
Widerstandspflastanie gegen „Stuttgart 21“

 

Die „Stuttgart-21“-Befürworter sind perverse Baumschänder!

Gernot-Peter Schulz Nur sehr emotional sprechen kann ich über die anstehenden Baumfällmaßnahmen im Naturdenkmal Rosensteinpark. Dort, im größten englischen Landschaftspark Südwestdeutschlands, sollen große Teile des Baumbestands für das BetrugsprojektStutt­gart 21“ geopfert werden, obwohl schon lange der Kostendeckel von 4,56 Milliarden Euro überschritten ist. Dazu kommen noch die nicht genehmigten Planungen für den Flughafenbahnhof und die miserablen Brandschutzmaßnahmen im Kel­ler­bahn­hof.

Für die geschützte Tierwelt werden die Rodungsmaßnahmen große Schäden anrichten. Durch das Abpumpen werden der Grundwasserhaushalt und die Parkflora auch im angrenzenden Tierpark Wil­hel­ma gestört. Dort gefährden die Tunnelbaumaßnahmen zudem das Affenhaus. Der Rosensteinpark droht seinen Status als Naturdenkmal zu verlieren und nur noch als städtische Grünanlage geführt zu werden. Vollends in Rage bringt mich die Schändung der jungen Widerstandspflastanie, die erst am 27. Juli 2012 im Alter von vier Monaten gepflanzt wurde. Die „Stuttgart-21“-Befürworter sind perverse Baumschänder!

Gernot-Peter Schulz („Freie Bürger Deutschland“)
Wer den Rosensteinpark zerstört, ist nicht von dieser Welt!

 

Dem Staat zeigen, wie er die
Menschenwürde schützen kann?

Hans-Dieter WegeRalph Boes schreibt am vierten Tag seines Hun­gerstreiks gegen das Hartz-IV-Sanktionsunrecht: „In unserer Welt sind die ‚Hilfebedürftigen‘ nicht Kranke oder Schwache, sondern gesunde Freigestellte! Sie sind durch die allgemeinen Rationalisierungsmaßnahmen, durch die Maschinenarbeit protegierenden Steuergesetze und so weiter aus der Arbeit freigestellt. Sie werden aber durch die Hartz-IV-Maßnahmen genau in den Arbeitsmarkt, der sie entlassen hat, zurückgepresst. Da sollen sie dann Sklavendienste leisten. Der wahre Hilfsbedürftige heute ist der Staat. Man muss ihm zeigen, wie er die Menschenwürde wieder schützen und mit dem Problem der Rationalisierung positiv zurechtkommen kann.“

Nein, Ralph Boes, es geht keinesfalls nur um Maschinenarbeit, es geht um die Lohnarbeit insgesamt. Ein großer Teil der Produktionskosten sind Lohnkosten. Diese sind für die Reproduktion der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gedacht. Um die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten, versuchen alle Unternehmer, zuerst die Lohnkosten zu drücken, und zwar einschließlich der sogenannten Lohnnebenkosten, die aber ebenfalls ein Teil der Lohnkosten sind, auch wenn die Arbeitgeber sie als Arbeitgeberanteil bezeichnen. Denn wer verdient denn alle Kosten und Profite? Es sind die Arbeitnehmer(innen), egal ob in der Produktion oder in der Dienstleistung!

Klappt das mit der Absenkung der Lohnkosten nicht, folgt die Rationalisierung, aber eben nicht nur durch Maschinen, sondern auch durch Stellenabbau in Form von Freistellungen oder Entlassungen. Die verbliebenen Mitarbeiter werden oft zur kostenlosen Mehrarbeit genötigt. Reicht alles nicht mehr aus und unterschreiten die Dividenden einen bestimmten Prozentsatz, wird Konkurs angemeldet, und alle Arbeitnehmer(innen) werden entlassen – trotz vorhandener Maschinen, denn es gibt immer noch Schnellere und noch Bessere.

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner unsozialer Politik)
 

 
Koalitionsgipfel beschließt Wahlgeschenke: Praxisgebühr kippt vor der Niedersachsenwahl, Herdprämie kommt vor der Bayernwahl („Tageszeitung“)

 

Die Öl- und Kohleverbrennung muss gestoppt werden!

Wie es sein muss und was noch geht, meinen diese Finanzbürokraten in Berlin immer noch als richtig zu bestimmen – wobei das Klima schon jetzt einen Wendepunkt erreicht hat. Diese Schlaumeier meinen tatsächlich, mit ihrer neoliberalen FDP-Politik global alle aufzufordern, Kohlendioxid mit Harnstoff einzufangen. Leb jetzt und sack alles ein, das ist heute der Trend in Umweltfragen. Niemals heißt es: „Die Politik und Ideologie kann im Notfall alles retten“. Also ist bald Schluss mit dem „Erst komme ich, und jetzt herrscht Wohlstand“, gerade bei den größten Klimafressern auf der Welt.

Die Wahrheit mit dem Klima ist doch schon für alle in der Glotze sichtbar. Gestern kam wieder ein Vortrag eines Experten, der jeden Tag im Fernsehen ist, nämlich Doktor Gunther Tiersch. Der Mann ist wie ein Prophet, er glaubt tatsächlich, mit seinen Vorträgen diese geistesverwirrten Weltpolitiker zu überzeugen. Das ist gut gemeint, aber diese Finanzdiktatoren suchen immer nur ihre Zahlen des Gewinns und werden nie ihren Ölprofit aufgeben, denn der ist am größten und soll es nach deren Vorstellungen auch bleiben, bis der letzte Tropfen verbrannt ist. Ein Mitt Romney aus den USA würde ja auch auf keinen Fall Dallas aufgeben.

Mir wurde bei diesen Vortrag von Gunther Tiersch wieder ganz klar, dass die Welt am Abgrund steht und dass nur mit politischer Ideologie und einer Konzentration von politischen Pflichten das Ruder der Zukunft noch rumzureißen ist. Wir sehen zwar, dass es Ökostromtechnik gibt, aber diese hat global ohne die Politik keine Macht. Gerade in den armen Ländern wird Öl unverzichtbar fürs Überleben. Die Welt braucht einheitliches Denken und Tun, also den Sozialismus, mit dem einen Ziel, die Öl- und Kohleverbrennung in minimaler Zeit zu stoppen und zu verbieten. Es muss enteignet werden, was privatisiert nie zu erreichen ist. Wird das Klima in der politischen Wohnung vergiftet, ist der Mensch bald tot.

Zuschrift von Günni, dem „Mann mit dem großen Hut“
 
Piesepampel liebt seine Frau: Da hören sich die Nachrichten vom Fortbestand von Guantánamo doch gleich freundlicher an („Stern“)
 
Arbeiterkämpfe sollen kriminalisiert werden: Wer sind die Randalierer
auf dem Kölner Ford-Gelände? („Rote Fahne News“)
 
Bis Weihnachten findet die Bremer Montagsdemo zur
gewohnten Zeit auf dem Hanseatenhof statt.
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz