398. Bremer Montagsdemo
am 29. 10. 2012  I◄◄  ►►I

 

Verschiedene Bremer Aktionsgruppen planen eine mehrtägige Protestaktion gegen Hartz IV vor dem Bremer Jobcenter am Doventorsteinweg. Unter dem Motto „Weg mit Hartz IV – zehn Jahre sind zehn Jahre zu viel“ sollen am 29. und 30. Oktober, jeweils in der Zeit von 8 bis 13 Uhr, sowie am 1. November 2012 von 8 bis 18 Uhr eine ganze Reihe von Veranstaltungen stattfinden. Geplant sind unter anderem Mahnwachen und Protestkundgebungen, aber auch Beratungsgespräche zu den Themen Sozialabbau und Entsolidarisierung. Zu den Protesten aufgerufen haben unter anderem der „Bremer Initiativkreis Grundeinkommen“, der „Bremer Erwerbslosenverband“, das „Blockupy“-Bündnis Bremen, der „Soziale Lebensbund“ sowie die Bremer Montagsdemo. Die Veranstalter haben sich vorgenommen, das Jobcenter mehrere Tage lang zu belagern.
 

 

 

 

Weshalb mussten so viele Taxifahrer ihre Konzessionen verkaufen?

Hans-Dieter Wege„Wieso sollte ein Taxifahrer noch für 750 Euro im Monat arbeiten, wenn er ein Grundeinkommen von 1.000 Euro bekommen würde?“ Dies hört man von einer Passantin im „Radio-Bremen“-Video zur Protestaktion vor dem Jobcenter. Vielleicht sollte man sich besser mal die Frage stellen, weshalb so viele Taxifahrer ihre Konzessionen verkaufen mussten, statt selbstständig zu bleiben? Viele von ihnen fahren jetzt als Arbeitnehmer bei großen Dienstleistern in Zwölf-Stunden-Schichten und werden prozentual an den eingefahrenen Touren beteiligt.

Ganz grob kann man wohl davon ausgehen, dass ein Drittel der Einfahrsummen der Lohn des Taxifahrers ist, ein Drittel geht für die Aufrechterhaltung der Dienstleistungen drauf, und ein Drittel aller Touren dürfte der Profit des Unternehmers sein. Wenn jemand 20 Taxenkonzessionen hat, dürfte es sich hiervon bestimmt gut leben lassen. Davon sagt die kluge Frau bei „Buten un binnen“ wohl lieber nichts. Mit dem Grundeinkommen könnte jeder Taxifahrer sicherlich wieder sein eigener Unternehmer sein, selbst wenn er dann entsprechende Steuern zahlen müsste.

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner unsozialer Politik)

Die Frau war die einzige Passantin, alle anderen kamen aus dem Jobcenter oder gingen hinein. Von den meisten war – bis auf zwei – die Resonanz durchgehend positiv. Die Frau kam mit dem Fahrrad vorbei und rief uns zu: „Weg mit Hartz IV? Was wollt ihr denn?“ Jemand sagte ihr: „Grundeinkommen!“ Darauf die Frau: „Ohne arbeiten? Nee!“ Unsere Antworten wurden von „Radio Bremen“ weggelassen.

Anmerkung von Frank Kleinschmidt (parteilos, „so:leb – Sozialer Lebensbund“)
 

 

Bald soll im Knast „wohnen“,
wer keine Miete mehr zahlen kann

Elisabeth Graf 1. Jeder vierte Deutsche kann kein Geld sparen. Die Zahl derjenigen, die überhaupt nichts zur Seite legen können, stieg von 16 Prozent im Jahr 2010 über 17 Prozent im Jahr 2011 auf 25 Prozent im Jahr 2012 an. Im „Kurs-Magazin“ wird detailliert dargelegt, wie viel Prozent unregelmäßig sparen, ob mehr Männer oder Frauen keine Rücklagen bilden können und welche Unterschiede es auch im Sparverhalten zwischen Ost- und Westdeutschland gibt. In Hessen sind die Sparguthaben am höchsten, am niedrigsten in Mecklenburg-Vorpommern. Warum ist das wohl so? Schließlich arbeitet dank der Hartz-Gesetze bereits jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland für einen Niedriglohn oder muss vom Aufstocken, von Hartz IV oder einer viel zu mageren Rente vegetieren!

Während jeder Vierte überhaupt keine Rücklagen machen kann, noch nicht einmal zehn oder 15 Euro monatlich, steigen die Sparguthaben der Deutschen insgesamt weiter an und belegen so zum wiederholten Mal, wie sehr die Schere auseinanderdriftet! Jene, die mit äußerst bescheidenen finanziellen Mitteln ihr Dasein fristen müssen, dürfen sich fragen, wie sie eigentlich sparen sollen, wenn immer mehr Dinge schneller kaputt gehen, als sie irgendetwas ansparen könnten.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass etliche Posten des normalen Lebensbedarfs gar nicht genügend im Regelsatz der angeblichen Grundsicherung enthalten sind! Ständig muss der Versuch unternommen werden, das eine Loch mit dem Geld für ein anderes zu stopfen, bis dann erneut umdisponiert werden muss, weil sich die Dringlichkeit verschoben hat. Wenn am Ende des Regelsatzes noch ganz viel Monat übrig ist, fühlt es sich mehr als trostlos an, dass es nicht einmal gelegentlich möglich ist, sich auch nur einen kleinen Wunsch zu erfüllen. Zur Katastrophe wird die Situation, wenn nichts mehr angeschafft werden kann, was doch dringend gebraucht wird.

 

2. Das geplante Mietänderungsgesetz der schwarz-gelben Bundesregierung beschneidet nicht nur einseitig Mieterrechte, sondern ist sozial ungerecht, verfassungswidrig und widerspricht allen rechtsstaatlichen Grundsätzen! Geplant ist, dass der Vermieter, wenn ein Mieter mit der Zahlung der Miete im Verzug ist, nun ab dem Zeitpunkt der Klageeinreichung gerichtlich verlangen kann, dass zur Sicherheit Geld in Höhe der offenen Forderung hinterlegt wird. Wenn der Mieter dazu nicht in der Lage ist, weil er das Geld nicht hat, muss er bei Zahlungsunfähigkeit in Ordnungshaft, also ins Gefängnis. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, muss, wer den vollen Betrag nicht hinterlegen kann, damit rechnen, per einstweiliger Verfügung aus seiner Wohnung „geräumt“ zu werden.

Selbst wenn sich im Verlauf des Rechtsstreits die Räumungsklage des Vermieters als unbegründet erweist und abgewiesen wird, hat der Mieter die A-Karte, weil seine Wohnung für ihn verloren ist. Hier werden die Vermieter zum Missbrauch des asozialen Gesetzes regelrecht eingeladen! Die Ärmsten der Armen sollen hier die Zeche zahlen, indem sie als erste geräumt und als erste bei Zahlungsunfähigkeit in den Knast gehen dürfen. ALG-II-Bezieher sind hier in erster Linie betroffen, weil sie als finanziell schlechter gestellte Beklagte vom verfassungsmäßig garantierten Rechtsweg abgeschnitten sind.

Eine derartige Regelung wie die einstweilige Verfügung zur Räumung der Wohnung gab es in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik noch nicht. Hier findet ein Rechtsbruch, eine Völkerrechtsverletzung statt, weil Deutschland 1973 den „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ ratifiziert hat, in dessen Artikel 11 steht, dass niemand nur deswegen in Haft genommen werden darf, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen. Offenbar steht das Gruselkabinett mit dem Grundgesetz und dem Völkerrecht auf Kriegsfuß, um seine Klientel zu bedienen!

 

3. Mir kriecht es eiskalt den Rücken hoch, wenn ich lese, dass Finanzminister Schäuble die Neuverschuldung schneller als bisher geplant zurückfahren will. Bereits 2014 soll der Haushalt der Bundesrepublik ohne neue Kredite auskommen. Wenn dann Politiker aus Opposition und Koalition trotzdem zu weiterer Sparsamkeit mahnen, kann ich mir schon lebhaft vorstellen, wo sie das zu tun gedenken: natürlich bei den Sozialausgaben. Das wurde zwar nicht ausgesprochen, doch entspricht es der neoliberalen Handschrift bei der ungenierten Umverteilung von unten nach oben! Ich vergesse bestimmt nicht, dass die Hartz-Gesetze von der CDU, SPD, FDP und den Grünen zusammen getragen wurden.

 

4. Allein in Chemnitz müssen sich pro Jahr mehrere Hundert Hartz-IV-Bezieher dem „Psychologischen Dienst“ der Arbeitsagentur vorstellen. Im Fall eines qualifizierungswilligen Chemnitzers hatte das fatale Folgen. Der 32-Jährige hatte sich seit Langem um eine Qualifizierung im Elektrobereich bemüht und schien nun am Ziel zu sein, weil er die Bedingung seiner Eingliederungsvereinbarung erfüllte, dass eine Weiterbildung in diesem Berufsfeld angestrebt werden soll, wenn er zuvor mit Erfolg und guten Leistungen eine mehrmonatige sogenannte Eignungsfeststellung absolviert habe. Von zwei Bildungsträgern bekam er bestätigt, dass er eine „sehr gute“ beziehungsweise „ausgezeichnete“ Eignung für den von ihm angestrebten Beruf des Mechatronikers habe.

Doch als er anschließend dem Jobcenter das Angebot einer Umschulung vorlegte und einen Bildungsgutschein beantragte, stieß er plötzlich auf eine merkwürdige Zurückhaltung. Obwohl dies in keiner Weise der Wahrheit entsprach, behauptete seine Vermittlerin jetzt, es gebe eine Vorschrift, wonach vor Umschulungen jeder Bewerber vom „Psychologischen Dienst“ der Agentur für Arbeit noch einmal gesondert auf seine Eignung zu überprüfen sei. Als er dort wie vereinbart erschien, wurden nicht nur seine Ausdauer und seine Motivation überprüft, sondern auch allgemeine Intelligenz- und Leistungstests vorgenommen.

Obwohl er seine fachliche Eignung mit höchst passablen Ergebnissen gerade wochenlang unter Beweis gestellt hatte, attestierte der begutachtende Psychologe der Agentur ihm nun plötzlich „massive Probleme im mathematischen Bereich“ und obendrein eine „psychische Behinderung“. Der verarschte Proband stellte verbittert fest, dass es keinen Sinn ergibt, sich anzustrengen und sich irgendwelchen Hoffnungen auf Förderung hinzugeben, weil die Sozialbehörde immer einen Weg findet, sich querzustellen. Er vermutet, dass es ihr vor allem darum ging, sich vor der Finanzierung der Umschulung zu drücken. Die Jobcenter-Sprecherin räumt finanzielle Gründe ein, spricht aber von Überprüfung der Wirtschaftlichkeit und des wahrscheinlichen Erfolges, weil Weiterbildungsmaßnahmen schließlich aus Steuergeldern finanziert würden.

Geht es noch scheinheiliger? Immerhin findet sie es unfair, den Leuten erst Hoffnung zu machen und sie dann so fallen zu lassen. Eine Zwangs­psy­chiatri­sie­rung ist gemeinhin nur aus diktatorischen Systemen bekannt! Mit diesem perfiden Vorgehen erreicht die Bundesagentur, dass die Betroffenen aus der Arbeitslosenstatistik fallen und mithilfe der Gutachten in den Bezug sogenannter Hilfe zum Lebensunterhalt übergeleitet werden. Das erspart der Arbeitsagentur Kosten, weil für diese Finanzierung allein die Kommunen aufkommen müssen! Wer gegen das Gutachten vorgehen will, muss dies über das Sozialgericht tun. Es lohnt sich bestimmt.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 

 
Mini-Fukushima in New York: Amerikanische Kraftwerke
sind nicht hochwasserfest („Spiegel-Online“)
 

 

Altersarmut – ein Armutszeugnis
des Kapitalismus

Harald BraunIch gehöre zu den sogenannten „Frührentnern“, die aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie arbeitslos wurden, mit erheblichen Abstrichen von ihrer Rente leben müssen. Fast jeder zweite „Neurentner“ musste bereits 2010 vorzeitig Rente beantragen. Die Erwerbsminderungsrenten befinden sich im Sinkflug: Während sie im Jahr 2000 noch bei durchschnittlich 706 Euro lagen, bekommt heute ein(e) Frührentner(in) in Bremen nur noch 550 Euro im Monat.

Auch wer erst mit 67 in Rente gehen kann, auf den wartet oftmals eine Rente auf dem Niveau der sogenannten Grundsicherung oder noch darunter. Nach Berechnungen des Arbeitsministeriums trifft das für alle Beschäftigten zu, die weniger als 2.500 Euro brutto im Monat verdienen, also auf jede(n) dritte(n) Beschäftigte(n) – und selbst die müssen 35 Jahre lang dafür arbeiten!

„Die Rente ist sicher“ – diese Lebenslüge aus der Zeit von Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) zerplatzt an der kapitalistischen Wirklichkeit. Nicht zu ertragen ist die Heuchelei der „Großen Koalition“ aus CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen, die sich in angeblicher Sorge um das Problem der Altersarmut gegenseitig überbieten. Dabei sind sie es, die in den unterschiedlichen Regierungskoalitionen der letzten zehn Jahre dafür verantwortlich waren, denn mit den Hartz-Gesetzen wurden Niedriglöhne und Unterbeschäftigung gefördert, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vernichtet und die Renten systematisch gekürzt.

1996 machte die gesetzliche Rente nach 45 Jahren Einzahlung 70 Prozent des letzten Bruttogehalts aus. Heute liegt die Durchschnittsrente nur noch bei 47 Prozent, und sie wird bis zum Jahr 2030 auf 40 Prozent sinken. Heute schon müssen Tausende Rentner in Bremen arbeiten, weil die Rente nicht mehr zum Leben reicht. Bremen ist inzwischen zum Bundesland mit dem höchsten Anteil an Minijobbern geworden.

Viele Rentner(innen) verzichten auf eine Aufstockung ihrer Minirente, weil sie es entwürdigend empfinden, „Grundsicherung“ zu beantragen. Nach einer Erhebung der Uni Frankfurt hat mindestens die doppelte Anzahl einen entsprechenden Rechtsanspruch, den sie nicht wahrnehmen. Sie schämen sich, weil sie trotz lebenslanger Arbeit nur eine Rente haben, die nicht zum Leben reicht, oder weil sie fürchten, dass ihre Kinder zwangsweise zu Unterhaltszahlungen verpflichtet werden.

Der VDK stellt in seiner neuen Rentenstudie fest, dass Deutschland beim Rentenniveau im unteren Drittel von 34 vergleichbaren OECD- Staaten liegt und bei der Höhe des Rentenniveaus von Geringverdienern sogar das Schlusslicht bildet. Aber durch eine Politik der Umverteilung zugunsten der Reichen geht es nicht allen so: Sorglos alt werden können nämlich die Vorstände der 30 Dax- Konzerne. Für sie wurden in diesem Jahr mehr als 637 Millionen Euro für den Ruhestand zurückgelegt. Spitzenrentner ist Daimler-Boss Zetsche mit einem Pensionsanspruch von insgesamt 29,6 Millionen Euro.

Dabei könnten die Beiträge für alle Sozialversicherungen vollständig durch eine umsatzbezogene Sozialsteuer von circa sechs Prozent durch die Unternehmen finanziert werden! Das wäre aufgrund der Produktivitätssteigerung in der Industrie von 1991 (113.133 Euro pro Beschäftigtem und Jahr) bis 2010 (295.276 Euro) rechnerisch leicht möglich. Gegen die zunehmende Verarmung müssen deutlich höhere Löhne und Gehälter und eine Mindestrente in Höhe des Existenzminimums durchgesetzt werden. Die Rente mit 67 und die Hartz-Gesetze müssen zu Fall gebracht werden!

Harald Braun
 
Steinbrücks Offenlegung seiner Rednerhonorare ist löblich: Aber es sind
Schmiergelder der Finanzwirtschaft („Nachdenkseiten“)
 
Am 5. November 2012 findet die Bremer Montagsdemo wegen
des Freimarkts auf dem Hanseatenhof statt.
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz