225. Bremer Montagsdemo
am 30. 03. 2009  I◄◄  ►►I

 

Der Staat sollte sich als
ehrlicher Banker betätigen

Udo RiedelIch stamme aus Westpreußen. Wir waren eine Flüchtlingsfamilie und haben damals alles verloren, nur eines nicht: unsere strenge und gerechte Erziehung. Die war auch der Grundstein zu unterscheiden, was Recht und Unrecht ist. Nun aber kommen mir immer Zweifel, denn ich verstehe gar nicht mehr, was dies für eine verrückte Welt geworden ist! Wieso muss man immer noch Zeilen lesen wie im heutigen „Weser-Kurier“: „In 16 Bremer Ortsteilen verfestigt sich die Armut“? Wie lange sollen denn noch solche Untersuchungen durchgeführt werden, wie lange noch soll nur darüber geredet werden? Wir wissen doch seit Jahren von der wachsenden Armut. Die hat sich noch vergrößert, denn die Politik hat anscheinend nicht begriffen, woran es liegt!

Als ich erzogen wurde, habe ich gelernt: Wenn Not am Mann ist, muss schnell und ohne Umstände geholfen werden. Der Stärkere hilft dem Schwächeren. Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. So steht es auch im Grundgesetz. Habe ich all das umsonst gelernt? Seit Langem stelle ich fest, dass man sich immer mehr mit Reden und Diskussionen aufhält, statt wirklich zu handeln. Das bedeutet für mich und viele andere: Wir haben in der heutigen Politik Menschen, die nicht dazu in der Lage sind, auch mal Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen. Wenn ihr Politiker jetzt nicht handelt, wird der Bürger euch bei der nächsten Wahl hoffentlich zur Verantwortung ziehen und euch nicht wieder wählen! Verantwortung müsst ihr Politiker so oder so übernehmen, sonst brauchen wir euch nicht. Warum nicht gleich eine selbstgewählte Verantwortung übernehmen, statt sich von anderen zur Verantwortung ziehen zu lassen?

Aber wäre ich selbst ein verantwortungsvoller Bürger, wenn ich mit meinen Lösungsvorschlägen hinter dem Berg halten würde? Die Armut wächst immer weiter, die Unternehmen beantragen Milliardenhilfen, die Banken verhalten sich sehr zögerlich bei der Kreditvergabe, würgen die Wirtschaft durch zu hohe Zinsen ab und denken immer noch, es müsste so weitergehen. Sie schaden weiterhin der Allgemeinheit mit ihrem unfairen Verhalten. Wie wäre es denn, wenn der Staat sich jetzt endlich mal wieder wirklich seiner Stärke bewusst würde und sich selbst als ehrlicher Banker beteiligt, statt die Steuergelder den Verursacher der Armut hinterherzuschmeißen?

Wenn jemand kommt und Geld von Staat haben möchte, soll er es haben, aber bitteschön nach den Marktgesetzen, das heißt: Der Staat nimmt dafür die üblichen Zinsen und ist somit ein fairer Mitbewerber bei der Kreditvergabe. Es wird dann nicht allzu lange dauern, bis sich die Banken diese Konkurrenz vom Leibe halten wollen. Sonst trifft eben das Marktgesetz zu, und der Schwächere wird pleitegehen. Mit den Einnahmen könnte der Staat die Schulden, die er hat, viel schneller tilgen. Die Übertreibungen bei den Managergehältern hätten sich auch erledigt. Darum Schluss mit dem Gerede, Handeln ist jetzt angesagt! Der Wähler wird es euch danken.

Udo Riedel (parteilos)
 
Abwrack-Tüdelei: Niemand weiß, auf wie viele Autos sich die Hundert­tausenden von Online-Anträgen beziehen („Spiegel-Online“)

 

Die ständige Plattform des außerparlamentarischen Widerstands

Jobst Roselius1. Wir stehen immer noch erst am Anfang der tiefsten Weltwirtschaftskrise seit über 200 Jahren mit unabsehbaren Folgen. Keiner weiß, wie es weitergeht. Die Prognose-Institute geben nur immer tiefere Werte des Einbruchs an. Schon war von über fünf Prozent für 2009 die Rede. Nach ersten Schätzungen sind über 40 Billionen Euro bereits vernichtet worden. Natürlich gibt es auch Krisengewinner: 185 Millionen Dollar werden an die Chefs des US-Versicherungskonzerns AIG gezahlt. Dazu gehören auch die Top-Pensionen, die Zumwinkel und Ricke sich vertraglich ausgehandelt haben und abkassieren wollen.

Nach neuesten Schätzungen der Schweizer Bankiervereinigung beträgt das bei Schweizer Banken angelegte ausländische Privatvermögen 2,15 Billionen Schweizer Franken. Davon dürfte ein großer Teil der Steuer hinterzogen worden sein. Bisher wurde von einer Billion Franken ausgegangen. Die Schweizer Banken sorgen sich nun, dass wegen des aufzugebenden Bankgeheimnisses Gelder abgezogen werden könnten.

Der Staatsfonds vom Scheichtum Abu Dhabi will mit gutem Beispiel vorangehen und neun Prozent der Daimler-Aktien kaufen und dabei zwei Milliarden Euro anlegen. Um ebenso viel sollen die Personalkosten im laufenden Jahr gesenkt werden. So hoffen die Herren, aus der Krise rauszukommen, und träumen schon vom Elektroauto, obwohl der Produktionseinbruch bei PKW 50 und bei LKW 65 Prozent beträgt.

Die „Wirtschaftsretter“ von der US-Notenbank wollen eine Billion Dollar in den Finanzmarkt pumpen. Dafür sollen „faule“ Kredite und Staatsanleihen gekauft werden. Die Ausweitung der Geldmengen, hinter denen nichts steht, wird eine ungeheure Inflation anheizen. Das ist dann der Geist von George W. Bush.

Hiesige Unternehmen benutzen die Weltwirtschaftskrise als Anlass, die Zahl der Ausbildungsstellen drastisch zu senken. Der Monopolverband DIHK schätzt, dass „im Ergebnis die Zahl der neu angebotenen Ausbildungsplätze bei Industrie und Handel zwischen fünf und zehn Prozent sinken“. Das ist nichts anderes als eine Kriegserklärung des Kapitalismus an die Jugend. Was ihr früher mit dem Blutopfer der Kriege aufgedrückt wurde, sollen heute die Irrwege der Zukunftslosigkeit bewirken. Es gibt auch schon das Unwort von den „überflüssigen“ Menschen.

Was da auf die Herrschenden zukommen kann, sieht der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, zugleich Vorsitzender der Euro-Währungsgruppe, genau: „Ich fürchte, dass es nach der Finanz- und Wirtschaftskrise in Kürze eine soziale Krise geben wird, weil das Vertrauen in das politische System deutlich zurückgeht. Daraus könnte ein explosives Gemisch mit dramatischen Folgen für Europa entstehen.“ Jetzt weiß jeder, wofür Schäuble die Bundeswehr im Inneren einsetzen will. Aber, Herr Innenminister, glauben Sie nicht, dass sich die Menschen im Lande das gefallen lassen werden!

In Bremen will Arcelor-Mittal 900 Leute entlassen oder „ausgliedern“, der Gesamthafenbetriebsverein sogar 1.400, muss aber wahrscheinlich trotzdem Insolvenz anmelden. Der Güterumschlag bricht um 40 Prozent ein, in jedem Hafen und auf jeder Reede der Welt liegen unbeschäftigte Schiffe. Da hoffen Hamburg und Schleswig-Holstein mit ihrer HSH-Nordbank eine neues Finanzmodell zu haben, bei dem die Steuerzahler 90 Prozent der „faulen“ Kredite übernehmen sollen.

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben 2008 fast eine Milliarde Euro gekostet. 536 Millionen kostete allein der Einsatz in Afghanistan. Seit 1992 wurden mehr als elf Milliarden Euro für Auslandseinsätze ausgegeben. Auch in den USA halten nach einer neuen Gallup-Umfrage von 42 Prozent der Bürger die amerikanische Invasion in Afghanistan für einen „Fehler“. Noch im Februar waren nur 30 Prozent. In Afghanistan schätzen laut einer Studie von Hilfsorganisationen 63 Prozent der Menschen die Sicherheitslage in ihrer Umgebung deutlich schlechter ein als vor fünf Jahren.

 

2. Es wird Frühling, die Uhren wurden umgestellt, und die ersten „Staubfussel“ werden entfernt. Ja, diesen Montag wurde die Rücktrittswelle und Rausschmeißaktion gestartet: General Motors hat seinen obersten Boss gefeuert, auf Verlangen von Obama. Der „Bahnchef“ Mehdorn hat seinen Rücktritt angeboten, obwohl er sich keiner Schuld an der ganzen Bespitzelungsaktionen bewusst ist. Auch der schleswig-holsteinsche Wirtschaftsminister tritt zurück: Er fühlt sich von Carstensen und van Beust „hintergangen“ in Sachen HSH-Nordbank.

Nur einer zögert noch: CDU-Oberbürgermeister Schramma in Köln. Natürlich sieht auch er keine Verantwortung für den Stadtarchiveinsturz, nur hat er die Voraussetzungen für seine Pension noch nicht voll. Darum will er bis Oktober am Amt kleben und hat jetzt nur auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Welchem jetzt oder früher erwerbslos gewordenen Arbeiter wäre solch eine Denkweise zugebilligt worden? Ich selbst habe, als bei meiner Firma Schluss war, nicht einen Pfennig erhalten, und spüre dieses Minus auch heute in der Rente. Auf die sogenannte politische Elite werden die Hartz-Gesetze nicht angewendet! So werden beim Saubermachen noch weitere Affären aufgedeckt und noch weitere Figuren abgeräumt werden müssen.

 

3. „Wir zahlen nicht für eure Krise“ lautete das Motto dreier Demonstrationen in Europa im Vorfeld des G20-Gipfels in London im April. In der britischen Hauptstadt waren es 35.000, in Berlin und Frankfurt 55.000 Teilnehmer. Das ist zwar viel, aber noch vergleichsweise wenig, wenn man sechs bis acht Jahre zurückschaut, als 300.000 oder 500.000 auf die Straße gingen.

Natürlich fehlen in Deutschland die Gewerkschaften. Deren Obere mit SPD-Parteibuch missbrauchen ihre Funktionen, wenn sie die Gewerkschaften nicht überparteilich führen und die Kollegen nicht für den Kampf um die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, für die Rücknahme der Erhöhung des Renteneintrittsalters und den Erhalt und die Erweiterung der demokratischen Rechte stark machen. „Die Linke“ orientiert nur wieder auf Illusionen in die Reformierbarkeit des Systems: Sie möchte den „Raubtierkapitalismus“ zähmen. Dass das möglich ist, glauben aber die allerwenigsten.

Was die Menschen zu alledem sagen, lautet immer öfter: Der Kapitalismus muss weg! Das ist ein Grund mehr für die Fortdauer der Montagsdemos auch über Wahltage hinaus. Die Montagsdemos sind sozusagen eine oder die ständige Plattform des außerparlamentarischen Widerstandes geworden. Natürlich ist der ständige Kampf, das Gefasstseinmüssen auf alles, anstrengend. Nicht alle haben immerzu die Kraft dafür, aber zusammen haben wir diese Kraft. Immer mehr Menschen werden die Notwendigkeit und die Fähigkeit der Montagsdemos begreifen und mit uns kämpfen. Da hilft den Oberen kein Totschweigen oder Verächtlichmachen. Habt Mut und packt mit an!

Die nächste mächtige Bürgerkriegsübung wird schon begonnen: 60 Jahre Nato sollen in Straßburg gefeiert werden. Da wird die Grenze wieder scharf kontrolliert und den badischen Jägern vorübergehend das Jagen untersagt. Obama und seine europäischen Freunde bereiten derweil die Ausweitung der Nato für die ganze Welt vor, um wie vor 60 Jahren jeden revolutionären Widerstand zu brechen und jedes Volk mit Terror zugunsten der Imperialisten und Reichen zu überziehen. Alle deutschen Truppen müssen raus aus Afghanistan und anderswo! Für die Auflösung der Nato und aller anderen imperialistischen Militärbündnisse!

Die „Kooperation für den Frieden“ ruft zur großen Demo gegen das Nato-Geburtstagsspektakel am 4. April 2009 in Straßburg auf, wo auch wegen der drohenden Demonstrationsverbote und der zu erwartenden Behinderungen und Schikanen das Demonstrationsrecht grundsätzlich auf dem Spiel steht. Im Bus am 3. April um 19 Uhr sind noch Plätze zu haben. Wer Interesse hat, möge sich bei no-natohb(at)web.de melden oder im „Infoladen“, Asta oder „Buchladen Ostertor“ ein Ticket kaufen. Sie kosten 25 Euro regulär, 20 Euro ermäßigt, 32 Solidaritätspreis.

Jobst Roselius
 
Es sollte keine Demo in Straßburg geben: Polizei provozierte eine Woche lang, um Protestierende einzuschüchtern („Junge Welt“)

 

Irgendwie müssen wir doch
noch kriminalisiert werden!

Elisabeth Graf1. Immer wieder muss es beschämend und anklagend angeprangert werden, dass wir im eigentlich reichen Deutschland offenbar zu längst überwunden geglaubten Formen der sozialen Betreuung wie Suppenküchen, Obdachlosenhilfe oder Spendenaktionen zurückkehren „müssen“. Die sich immer weiter ausbreitende Ar­mut kann nur noch als handfestes Indiz für eine gescheiterte Politik betrachtet werden! Das weckt bei manchen Erinnerungen an die Nachkriegszeit. Der Hauptgeschäftsführer des „Paritätischen Wohlfahrtsverbandes“, Ulrich Schneider, bezeichnete auf der Fachtagung der „Volkssolidarität“ zu Fragen der Armen- und Obdachlosenhilfe den Sozialabbau unter dem Stichwort Hartz IV sowie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich als politisches Scheitern: „Die Chancen, aus Armut wieder herauszukommen, haben abgenommen, Millionen Kinder wachsen ohne Perspektive auf – das sollte uns Angst machen.“

Schneider verwies unter anderem darauf, dass gegenwärtig in der Bundesrepublik jedes vierte Kind in Armut aufwächst oder davon bedroht ist. Immer mehr Menschen sind von Armut und dauerhafter Perspektivlosigkeit betroffen! Dabei ist diese Situation durch das vermaledeite Hartz IV politisch ganz bewusst herbeigeführt worden, um die Profitgier der Unternehmer zu bedienen, die Löhne kräftig zu drücken und um die Bevölkerung zur Gefügigkeit aus Angst vor Arbeitsplatzverlust zu zwingen. Gleichzeitig erdreistet sich die Politik, die sozial Benachteiligten als selbst verantwortlich für ihre Situation abzustempeln, wobei sie von den gleichgeschalteten Massenmedien fatale Unterstützung erhalten. Für Kinder ist eine solche Situation am allerschlimmsten. Ein Kind soll sich doch auf den nächsten Tag freuen, seiner Zukunft erwartungsfreudig entgegen sehen können! Dem vollkommen entgegengesetzt müssen Millionen von Kinder in Deutschland in finanziell benachteiligten Familien aufwachsen.

So toll es für die Kinder ist, wenn sie an Freizeitangeboten und gemeinsamen Frühstücken teilnehmen können: Meiner Meinung nach ist jede konkrete Hilfe immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil der politische Ansatz, das System von Grund auf falsch sind, die Menschen einen anständigen Lohn und Sozialleistungen brauchen, die ein lebenswertes Dasein ermöglichen. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, formulierte Theodor W. Adorno einst so treffend! Ich unterstütze die „Volkssolidarität“ bei ihrer Forderung nach einer Politik, die Armut gar nicht erst entstehen lässt. Nur mittels sozialer Gerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit lässt sich darüber entscheiden, wie Armut vermieden werden kann! Daher muss endlich Schluss sein mit der Verteilung des Volkseinkommens von unten nach oben!

 

2. Der „Weser-Kurier“ schrieb letzte Woche über den Start der Aktion „Große für Kleine“. Gerda Kovacs vom Verein „Solidarische Hilfe“ hat es sich zum Ziel gemacht, den Kindern von Hartz-IV-Beziehern so oft wie möglich Ausflüge und Aktivitäten anzubieten, weil sie sich einfach nicht abfinden will, dass Kinder aus armen Familien in ihrer Freizeit viele Dinge einfach nicht machen können. Zur Premiere gibt es etwas Besonderes: Die erste Fahrt soll am 8. April 2009 ins „Universum“ führen. Dafür werden Geldspenden gesammelt, Ausflüge organisiert und Ermäßigung für Eintrittspreise ausgehandelt.

Völlig zu Recht wird bemängelt, wie knapp die Regelsätze bemessen sind: Bis zum 14. Lebensjahr soll jedes Kind in einem Hartz-IV-Haushalt mit mageren 211 Euro im Monat auskommen können, wobei ihm täglich nur 2,67 Euro für Essen und Getränke zur Verfügung stehen, also 89 Cent pro Mahlzeit! Obwohl eine Schülermonatskarte im wirklichen Leben 32,80 Euro kostet, sind nur lächerliche 12,66 Euro für die Mobilität „berechnet“ worden. Ich freue mich immer, wenn sich Menschen für Kinder einsetzen, doch sollen Kinder und andere Bedürftige nicht auf die Großherzigkeit und das Engagement Einzelner angewiesen sein, sondern per Rechtsanspruch ein angemessenes Einkommen erhalten! In diesem reichen Land ist schließlich Geld genug für alle da!

 

3. In Berlin vervierfachte sich in den vergangenen Jahren die Zahl der Menschen, deren Rente nicht zum Leben reicht. Solche Zahlen sind dazu angetan, die Angst zu schüren. Dabei galt doch die Angst vor Armut im Alter als ein Thema, das sich in Deutschland erledigt hätte. Den 20 Millionen Rentnern von heute geht es schließlich vergleichsweise gut, besser als den Generationen zuvor. Doch ist das Risiko, in Armut zu geraten, heutzutage für eine Familie mit Kindern deutlich höher als für die Älteren. Dass die Furcht vor der Altersarmut nun auch die Mittelschicht bewegt, ist allerdings alles andere als abwegig geworden. Wie bereits bei Hartz IV packt es auch die promovierten Akademiker beim Gemüt, weil heute der tiefe Fall in den Abgrund der Armut absolut jeden treffen und niemand mehr davor gefeit sein kann!

Während die von Konrad Adenauer 1957 eingeführte umlagefinanzierte gesetzliche Rente zunächst für relativ viel Gleichheit innerhalb der älteren Generation sorgte, werden in Zukunft die Differenzen wieder größer. Die Schere geht stetig und radikaler auseinander, seit Vermögen und Erbschaften immer ungerechter verteilt werden. Die steigende Zahl von Geringverdienern, die knapp drei Millionen kleinen Selbstständigen und last not least die Langzeitarbeitslosen werden im Alter zu der Rentnergeneration gehören, die in die Röhre gucken darf, weil sie absolut keinen Cent dafür übrig haben, sich privat um ihre Altersversorgung zu kümmern. Leider sieht es gar nicht danach aus, dass sich die Politiker um sie kümmern wollten. Allen Ernstes wird bestenfalls das Märchen von der schützenden Riesterrente erzählt. Laut OECD sind in kaum einem Industrieland Geringverdiener so schlecht abgesichert wie in Deutschland. Wer lange gearbeitet hat, darf im Alter nicht am Tropf staatlicher Almosen hängen! Das Gleiche muss für die immer größer werdende Gruppe derer gelten, die immer länger von Erwerbsarbeit ausgeschlossen wird!

 

4. Gerhard Trabert, Professor für Sozialmedizin, berichtet, dass nach Krankenkassenstudien psychischer Erkrankungen oder Auffälligkeiten bei Erwachsenen stark zugenommen haben. Auch junge Menschen leiden immer häufiger unter Depressionen oder Angststörungen. 14 Prozent der Kinder sind manifest psychisch krank, 22 Prozent von ihnen zeigen psychische Auffälligkeiten. 31,3 Prozent leben in finanziell benachteiligten Verhältnissen und 16,4 Prozent in der oberen Sozialschicht. Also sind die armen Kinder in diesen asozialen Zeiten doppelt so häufig davon betroffen. Wenn heute immer viele Menschen unter Angst vor sozialem Abstieg leiden, gar in eine Abwärtsspirale zu geraten, dann nagt das ganz massiv an der Gesamtpersönlichkeit. Das Wohlbefinden leidet, und das Selbstwertgefühl nimmt fast zwangsweise Schaden, je mehr wir uns über Arbeit definieren! Es ist mehr als überfällig, die Wertigkeit eines Menschen nicht an seiner beruflichen Position festzumachen.

Der Hartz-IV-Regelsatz ist unzweifelhaft viel zu niedrig, weil er die Menschen von klein auf von jeglicher gesellschaftlicher Teilhabe komplett ausschließt. Es lässt sich nicht erklären, warum für Banken völlig problemlos Milliarden von Geldern sofort flüssig gemacht werden können, deren Vorhandensein für die Millionen Not leidender Menschen bisher immer energisch bestritten wurden! Auch der Umgang der Hartz-IV-Behörden mit den Betroffenen lässt häufig jegliche Wertschätzung vermissen. Angst, Verhöhnung, Entwertung und Beschuldigung sind doch ein optimaler Nährboden für das Entstehen von mindestens psychischen Auffälligkeiten und psychosomatischen Krankheiten. Im neuesten Armutsbericht der Bundesregierung fehlt eine Zahl zur Sterblichkeit. Die Kollegen vom Robert-Koch-Institut in Berlin haben nachgewiesen, dass Männer aus dem ärmsten Fünftel der Gesellschaft im Schnitt elf Jahre früher sterben als Männer aus dem wohlhabendsten Fünftel; bei Frauen beträgt der Unterschied acht Jahre. Armut führt also ganz klar zu einer erhöhten Sterblichkeit. Diese Zahl wurde nicht in den Bericht aufgenommen.

 

5. Nach einer angeblich wissenschaftlichen Studie kommen Bonner Forscher zusammen mit ihren Kollegen von der Universität Maastricht im „Economic Journal“ zu dem Ergebnis, „Rachsüchtige“ würden häufiger arbeitslos. Außerdem hätten sie weniger Freunde und wären mit ihrem Leben unzufriedener. Wer sich bei Beleidigungen oder Unfairness schnell in Rache flüchte und ein „negativ-reziproker“ Mensch sei, müsse im Schnitt auch häufiger Misserfolge hinnehmen. Wer sich hingegen umgekehrt in wechselseitig positiver Weise für einen Gefallen revanchiere und eine solche Charaktereinstellung habe, leiste im Schnitt am Arbeitsplatz auch mehr Überstunden, wenn ihm das versilbert wird. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass Letztere natürlich in der Regel eh mehr Geld verdienen würden. Na bitte, jetzt wissen wir also endlich, dass wir tatsächlich doch selbst an unserer Erwerbslosigkeit Schuld sind! Schon im Alten Testament steht geschrieben: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

 

6. Ein arbeitsunfähiger Familienvater bettelt vor einem Supermarkt und wird dabei von einem Sachbearbeiter des Sozialamtes mehrmals angetroffen. Dieser hat tatsächlich nichts Besseres zu tun als einen genauen Blick in die Blechdose auf die paar Münzen zu werfen, sich den kleinen Betrag genau zu merken und ihn „hochzurechnen“. Im Anschluss daran kündigte der Mitarbeiter des Fachbereichs Sozialdienst in einem Schreiben an, einen Betrag von 120 Euro als Einkommen durch mehrfaches Betteln von der Sozialhilfe abzuziehen. Der Mann widersprach und versicherte wohl glaubhaft, dass im Monat nur 40 bis 50 Euro in seiner Blechdose landen. Daraufhin zog die Stadt nur noch 45 Euro vom Regelsatz ab. Der Bescheid gilt als rechtskräftig. Manfred Grönig vom „Paritätischen Wohlfahrtsverband Göttingen“ reagierte erschüttert: „So weit unten waren wir noch nie“, sagt er „NDR 1 Niedersachsen“. Das Schreiben des Sozialamts sei demütigend und unterstelle, dass der Mann durch Betteln ein regelmäßiges Einkommen habe. Erbetteltes Geld als Einkommen zu werten, ist unterhalb der Menschenwürde. Warum wohl erbetteln Menschen sich Almosen? Weil sie nicht genügend Geld zum Leben haben! Dies natürlich auch „trotz“ des unanständig zu niedrigen Regelsatzes von Hartz IV.

 

7. Leiharbeit dient schon lange nicht mehr dazu, personelle Engpässe zu überwinden. In vielen Betrieben wird sie systematisch eingesetzt, um die Rendite zu stabilisieren und natürlich die Stammbelegschaft damit unter Druck zu setzen! Leiharbeit wird strategisch total ausgenutzt, um das unternehmerische Risiko maximal zu minimieren. Leiharbeiter werden nicht nur für Hilfstätigkeiten eingesetzt, sondern verrichten die gleiche Arbeit wie Angehörige der Stammbelegschaft. Ausgeliehene und fest angestellte Beschäftigte stehen so in einem direkten Konkurrenzverhältnis. Die Marktrisiken sollen ausschließlich auf den Rücken der Arbeitnehmer abgewälzt werden! So stellt Leiharbeit ein Sicherheitsnetz gegen das Kapazitätsrisiko dar.

Außerdem hebelt der Leiharbeitereinsatz de facto den gesetzlichen Kündigungsschutz aus, womit Entlassungskosten wie Sozialpläne und Abfindungen vermieden werden können. Die Stammbelegschaft bekommt durch die Leiharbeiter als Menschen zweiter Klase täglich vor Augen geführt, dass es sie genauso treffen kann, sollten sie nicht jede dargereichte Kröte fressen und sich kaputtmalochen. Wahrscheinlich wird da nur noch gnadenlos durchökonomisiert, und alte Werte wie Erfahrung, Geduld, Wissen, Bedächtigkeit kommen nicht mit der kurzsichtigen und -lebigen Schnelligkeit bei der Ausbeutung durch Profitmaximierung mit. Jeder ist jederzeit austauschbar, zählt nicht mit seinen individuellen Qualitäten. Leiharbeitnehmer, die stets mit einem Bein in der Erwerbslosigkeit stehen, fungieren quasi als Ventil, durch das der Konkurrenzdruck des Arbeitsmarktes in die Unternehmen geleitet wird.

 

8. Die bisher genannten Punkte beschreiben nur einen Bruchteil der Auswirkungen, die der Neoliberalismus, die Subventionierung der Reichen und die Umverteilung von unten nach oben bei der Bevölkerung hinterlassen haben. Darum stand ich auch letzten Samstag um 5:30 Uhr auf, um mit dem Bus von „Attac“ nach Berlin zu fahren. Das Motto der Demo dort lautete: „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ Schön: Im Bus saß ich neben einer Frau, die ich vor über 22 Jahren bei einem Vorbereitungskurs für die Geburt unserer ersten Kinder kennenlernte. In Berlin angekommen, durften die Busse nicht stehenbleiben, sondern mussten sich die Fahrer in der überfüllten Stadt einen Parkplatz suchen.

Gegen 11:30 Uhr kamen wir vor dem Roten Rathaus an, und der Platz füllte sich zusehends mehr mit einer bunten Menschenmenge, die ihre Kinder und Hunde mitbrachte. Die jungen Männer mit längeren Haaren aus unserer Gruppe mussten Taschenkontrolle und Körperabtastung von Polizisten über sich ergehen lassen. Am Neptunbrunnen trafen sich kleinere Initiativen und Forumnutzer(innen) des „Erwerbslosenforums“. Einigen Nutzern, die bisher nur virtuell kannte, stand ich nun persönlich gegenüber. Über Lautsprecher wurden wir darüber informiert, dass wir keine Schuhe mit Stahlkappen anhaben oder Thermoskannen mit heißem Kaffee mitführen dürften, weil die als Waffe eingesetzt werden könnten. Wie erleichtert fühlte ich mich da, weil ich meinen heißen Tee mit gutem Gewissen und unbeschadet weiter mit mir herumtragen und trinken konnte!

Zwei hielten ein Transparent aus Sackleinen mit den Forderungen nach Regelsatzhöhe, Wochenarbeitszeit und Mindestlohn in der bekannten Formulierung: „500 – 30 – 10 netto – Hartz IV muss weg!“ Wir lauschten den Redebeiträgen, die allesamt forderten, dass die Verursacher der Krise gefälligst selbst dafür aufkommen müssten. Es wurden Forderungen nach einer Wiedereinführung der Vermögensteuer und nach einer Millionärssteuer erhoben, damit es endlich wieder Geld für Bildung, Umwelt und Gesundheit gibt. Ein weiterer Abbau des ehemaligen Sozialstaates muss verhindert, Hartz IV abgeschafft und eine wirkliche Grundsicherung und ein Mindesteinkommen, das diesen Namen auch verdient, eingeführt werden!

Von Anfang an kreiste ein Hubschrauber über uns. Weil die Busse nur sehr langsam eintrudelten, begann die Demo etwas später. Befremdlich und typisch deutsch fand ich die Aufforderung, uns bitte in Blöcken zu formieren. Mit seinen etwa 30.000 Teilnehmer(inne)n war der Demozug doch sehr lang und schob sich anfangs schleppend durch die Straßen. Wir freuten uns an der bunten Vielfalt, den originellen Transparenten, großen Stabpuppen, die Vertreter der vielen Völker der Erde darstellten und sich für einen fairen Welthandel einsetzten. Zwischendurch sahen wir immer mal wieder Polizisten am Rande stehen. An einer Bahnhaltestelle standen sechs Polizisten mit Helm auf dem Kopf und angeleinten Schäferhunden, die bellten und knurrten. Sie trugen Maulkörbe aus Metall. Die Polizisten zogen teilweise ihre Kinn- oder Mundhalterung des Helms über den Lippen, wodurch sich Hund und Herrchen irgendwie ähnlich sahen.

Eine ältere Frau mit schlohweißem Haar aus unserer Gruppe fragte scheinbar naiv, warum die Polizisten denn gerade hier stehen würden. Ihr wurde geantwortet, dass sie die dort lose herumliegenden Steine bewachen würden. Als ob wir damit irgendjemanden bewerfen würden. Oder wurde möglicherweise mal wieder von sich selbst auf andere geschlossen? Ob wohl die vielen auf dem Boden liegenden Zweige von Demonstranten von den Bäumen heruntergeblasen wurden, um sie gegen Andersdenkende schleudern zu können? Im Gegensatz zu diesen Unterstellungen uns gegenüber verlief die Demo gewaltfrei und fantasievoll. Es keimte Hoffnung in mir auf, dass sich endlich auch in Deutschland etwas verändern möge und es mehr Menschen auf die Straßen treibt, die sich nicht mehr alles gefallen lassen. Insgesamt fand ich die Stimmung toll und verbindend, anregend. Fantasie war gefragt und zeigte, was den meisten Politikern eindeutig fehlt, bei ihrer Fixierung aufs Geld! Mir gefielen auch die Sprüche, die großen Stabpuppen und Transparente.

Als Katja Kipping während der Abschlusskundgebung sprach, forderte sie die Polizisten dazu auf, die Provokationen zu unterlassen und zurückzuweichen. Offenbar waren einige Leute rausgegriffen worden, wie mir gesagt wurde. Ich selbst konnte nichts erkennen. Später hörten wir, dass zwischen 15.000 und 30.00 Menschen in Berlin auf die Straße gegangen seien. Die Polizei halbiert die Zahlen ja gerne. In allen gleichgeschalteten Nachrichten wurde kaum auf die Ziele der Demo eingegangen, sondern der Fokus immer nur auf die angeblich Hunderte von gewaltbereiten Demonstranten gelegt, die sich mit der Polizei eine Schlacht geliefert haben sollen. Irgendwie müssen wir doch noch kriminalisiert werden, um eine Rechtfertigung dafür zu haben, sich nicht mit unseren Forderungen auseinanderzusetzen!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Endlich weg: Rumpelstilzchen zerfetzt sich selbst („Spiegel-Online“)
 
GM/Opel: Auch bald weg („Spiegel-Online“)
 
Plus 34.000: Erstmals seit 1928 erhöht sich die
Arbeitslosigkeit in einem März („Stern“)
 
Fünf Millionen Arbeitslose bis 2010: OECD erwartet
deutsche Jobkatastrophe („Financial Times“)

 

Unter Vorwänden bespitzeln Staat und Monopole die Arbeiter

Wolfgang LangeIn Göttingen wurde ein Sozialhilfeempfänger beim Betteln erwischt, sein Erlös von 7,40 Euro auf den Monat hochgerechnet – und die Sozialhilfe um 120 Euro gekürzt! So wird mit den Armen verfahren: Man gönnt ihnen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln.

Ganz anders bei den Spekulanten-Managern: Die Vorstände der Dresdner Bank erhalten 58 Millionen Bonuszahlung, nur einer von ihnen „verzichtete“. Das sind dieselben Herrschaften, die der Dresdner Bank einen Verlust von 2,5 Milliarden Euro eingefahren haben. Ihre neue „Mutter“ Commerzbank erhielt vom Steuerzahler bereits 18 Milliarden Euro Bares. Und da sollen wir an die neuen Tugenden glauben, die von Horst Köhler so schön in seiner Berliner Rede besungen wurden: „Nicht nur an das Materielle denken“, „wir alle waren zu gierig“?

Endlich ist nun Bahnchef Mehdorn zurückgetreten. Es konnte nicht länger vertuscht werden, dass nicht nur jahrelang die E-Mails aller Beschäftigten bespitzelt, sondern auch zwei Streikinfos der GDL abgefangen und gelöscht wurden. Offiziell ging es hierbei um „Korruptionsbekämpfung“, in Wirklichkeit jedoch gegen Arbeiterkämpfe! Es wird immer mehr überwachungt, ob bei Lidl, Penny, Plus oder bei Telekom und Siemens: Minikameras und Abhörgeräte sind überall. Innenminister Schäuble will sowieso eine flächendeckende Überwachung des ganzen Landes. Mit der Bahn hat er bereits die extreme Ausdehnung der Videoüberwachung auf Bahnhöfen vereinbart.

Bei Schäuble ist der Vorwand die Terroristenbekämpfung, bei Mehdorn war es ein angeblicher Korruptionsverdacht, doch immer geht es darum, die Arbeiter und Angestellten zu bespitzeln, zu entrechten, zu bedrohen. So gerät die Lebenslüge vom „freiheitlich-demokratischen Rechtstaat“ gerät immer mehr zur Farce. Er ist in Wirklichkeit eine Diktatur der Monopole. Die Bespitzelungen sind Ausdruck der Angst der Herrschenden vor dem Kampf der Arbeiter- und Volksmassen. Und das macht mich wieder froh.

Wolfgang Lange ist Bremer Kandidat der MLPD (Offene Liste)
für die Bundestagswahl 2009

 
Am Freitag, dem 17. April 2009, trifft sich um 19 Uhr die „Wählerinitiative Wolfgang Lange“ im „Jugendfreizeitheim Buntentor“, Geschwornenweg 11a.
 
Trotz Hausbesuch: „Niemand konnte aus eigener Anschauung wissen, ob wirklich ununterbrochen, fehlerlos gehungert worden war“ (Franz Kafka)
 
Parteienverbitterung wächst: Unterschicht fühlt sich von den Behörden gegängelt, überwacht und schikaniert („Spiegel-Online“)
 
Blogger siegt: Die Öffentlichkeit hat ein Recht, über die geheimen Inhalte
von Cross-Border-Verträgen informiert zu werden („OTS“)
 
Zu Ostern – am 13. April 2009 – findet keine Montagsdemo statt.

 

Der Jobber

Vor der Bremer Bagis
Vor dem großen Tor
Steht ein Arbeitsloser
Steht lange schon davor

Und viele Menschen bleiben stehn
Und fragen sich, was wird geschehn
Wann geht er durch das Tor
Was hat man mit ihm vor

Ist er dann da drinnen
Im Beratungsraum
Wird nur Zeit verrinnen
Denn Chancen gibt es kaum

Und mit dem Stigma von Hartz IV
Bekommt er kaum noch Arbeit hier
Es sei denn, ex und hopp
Im 08/15-Job

 

Henk „Skurrilio“ Dijkstra – Melodie: „Lili Marleen

 

www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz