110. Bremer Montagsdemo
am 13. 11. 2006  I◄◄  ►►I

 

Für 80 Euro
einmal die Augen blitzen

Ursula GatzkeAchtung, die Kasse zahlt nicht! Individuelle Gesundheitsleistungen, „IGeL“ genannt, können die Patienten sehr viel Geld kosten und wenig oder gar keinen Nutzen bringen! Patienten sollten sehr vorsichtig sein, weil die Krankenkassen die Kosten für eine Untersuchung nur übernehmen, wenn auch etwas gefunden wird!

Die Verbraucherzentralen Bremen und Niedersachsen warnten schon 2002, dass die von den Kassen nicht übernommenen ärztlichen Leistungen offenbar häufig nur dazu dienten, dem behandelnden Arzt eine „zusätzliche Einnahmequelle“ zu verschaffen! Es dränge sich der Verdacht auf, dass es Ärzten oft mehr darum geht, sich ein Extraeinkommen zu verschaffen, als Krankheiten zu behandeln!

Bei „IGeL“ handelt es sich den Angaben zufolge um Maßnahmen, die zwar medizinisch nicht notwendig sind, aber von den Ärzten als sinnvoll oder vertretbar angepriesen werden. Ich vermute, dass sich das Zusatzgeschäft mit der Knochendichtemessung für 50 Euro sehr lohnt! Der Strom sei so teuer, bekam ich zu hören, der Apparat müsse den ganzen Tag eingeschaltet sein!

Ein gigantisches Nebengeschäft dürften auch die „biomorphometrischen Augenuntersuchungen mit dem Heidelberger Retinatomographen“ sein. Die gibt es ebenfalls nur auf Privatrechnung: 80 Euro für einmal die Augen blitzen! Das habe ich vor längerer Zeit machen lassen, aber nicht bezahlt. Bei der zweiten diesbezüglichen Empfehlung habe ich Rat im Krankenhaus gesucht und gefunden: Solch eine Untersuchung ist bei mir noch gar nicht nötig! 80 Euro gespart!

Wenn man alle Senioren vor, auf oder in die Geräte schickt, kommt eine gewaltige Summe an Nebeneinkünften herein. Eine grauenhafte Praxis in der Praxis, wenn man mit der Angst und Unwissenheit der Patienten spielt! Wenn viele Ärzte den Patienten so schamlos das Geld aus den Taschen locken können, ist auch hier einiges faul! Es stinkt gewaltig nach Abzocke!

Wie groß ist wohl der Eisberg, dessen Spitze wir da sehen? Wer bringt ihn zum Schmelzen? Eine echte Reform muss her, denn auch hier klafft die Schere weit auseinander: Viele Ärzte werden immer reicher, aber viele Patienten immer ärmer! Der Kreis der armen und kranken Menschen, die sich keinen Arzt mehr leisten können, wird dabei immer größer!

Ursula Gatzke (parteilos)
 
„Fiasko“: Gesundheitsfonds ist weder sachgerecht
noch effektiv, sondern überflüssig („Focus“)

 

Liebe Ulla Schmidt!

Ich habe letztens auf „Radio Bremen“ in den Nachrichten gehört, dass die Kosten für Medikamente und Behandlungen schon wieder steigen sollen, gerade auch für Rentner oder ALG-II-Empfänger. Nächstes Jahr kommt die Mehrwertsteuererhöhung, und die Geschäfte, etwa Bäckereien, erhöhen bereits jetzt ihre Preise deswegen. Diesen Grund verriet mir die Verkäuferin, ich hatte es zunächst der schlechten Weizenernte zugeschrieben.

Zu meiner Lage: Ich bekomme durch bestimmte Erkrankungen Erwerbsunfähigkeitsrente, die ich „aufbessere“, um soziale Kontakte, Arbeitsstrukturen und mehr Geld zu haben. Wegen meiner Erkrankungen muss ich ruhig wohnen, deshalb habe ich mir in einer entsprechenden Gegend eine circa 360 Euro teure Wohnung genommen. Das ist viel Geld für mich – und für das Sozialamt, wo ich letztens aus Krankheitsgründen eine Beihilfe beantragt habe.

Gegen den Ablehnungsbescheid läuft ein Widerspruch: Ich konnte nicht arbeiten, weil ich krank war, und bei der Arbeit bekomme ich keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, auch kein Urlaubsgeld. Ich bin bei „sozialen Trägern“ wie DRK und AWO beschäftigt und helfe „alten Leuten“ im Haushalt. Solche Arbeit laugt aus, weil diese Menschen viel Beistand brauchen. Einer Frau pflege ich den Garten gegen geringen Lohn, weil ich eigentlich Gärtnerin bin. 850 Euro habe ich im Monat für die Miete und zum Leben. Und jetzt die Frage: Wo bleibe ich?

Wegen meiner Erkrankungen, Rückenschmerzen und Nervenleiden kaufe ich mir Vitaminpräparate, Erkältungsmedikamente, Magentropfen, Kapseln gegen Erschöpfung und Konzentrationsschwäche; hinzu kommen Massagebehandlungen und Krankengymnastik. Ich kann es mir kaum erlauben auszufallen, weil ich dann kein Geld zur Verfügung habe, doch indem ich weiterarbeite, werde ich erschöpfter und krankheitsanfälliger. Ich bin froh, dass ich ein halbes Jahr Befreiung von den Gebühren für Praxisbesuch, Medikamente und Behandlungen bewilligt bekommen habe!

Bald müssen wir die Rechnung für jede weitere Behandlung, zum Beispiel bestimmte Röntgenuntersuchungen, Homöopathie oder Aidstest, aus eigener Tasche begleichen. Ich habe das Geld nicht und werde wahrscheinlich Osteoporose bekommen, wenn ich diese Behandlungen nicht bezahle. Ich werde mir das irgendwie abknapsen müssen, bei den Lebensmitteln, der Kleidung, der Fahrradreparatur. So sieht es wirklich aus bei mir und bei uns! Bitte denken Sie sich mal da hinein, spüren Sie es nach: In diesem sozialen, christlichen Land werde ich zu Weihnachten Brot essen und Tee trinken, um diese Behandlung zu bezahlen, ich werde keinen Tannenbaum haben und keine Geschenke geben.

Ab nächstem Jahr ist die Gebührenbefreiung zu Ende, und die Mehrwertsteuererhöhung kommt! Wollen Sie meine Gesundheit ruinieren, Frau Schmidt? Und das nennt sich Gesundheitsreform! Nicht nur mir geht es so, sondern vielen Menschen, ich spreche nicht nur für mich. Wir werden auf der Montagsdemo darüber reden und auch andere Betroffene erzählen lassen, was ihnen widerfährt in diesem Staat, denn es geht den sozial Schwachen nicht gut und manchen noch viel schlechter als mir.

Immer zahlreicher werden die Hartz-IV-Betroffenen, Sozialhilfeempfänger, Obdachlosen, die Randgruppen. Wir können nicht mehr, doch wir werden uns zusammentun und uns gegen diese sozialen Ungerechtigkeiten durch Briefe, Aktionen und Demos wehren, denn Sie, Frau Schmidt, verdienen viel mehr Geld und können locker die Arzneimittelzuzahlungen, Behandlungsgebühren und Krankenkassenbeiträge bezahlen! Wahrscheinlich werden Sie nicht mal krank: Das liegt eben an Ihren „guten Arbeitsstrukturen“. Wie sieht eigentlich Ihr Gehaltszettel aus?

Bitte prüfen Sie, ob Sie nicht die Gesundheit vieler Tausend Menschen auf dem Gewissen haben! Ohne uns funktioniert der Staat nicht mehr, wir sind Mitglieder dieser Gesellschaft, wir haben Sie sogar gewählt, und dann tun Sie uns das an! Auch meine Krankenkasse will sich gegen Ihren Gesetzentwurf stark machen. Ich hoffe, Sie kommen zur Besinnung!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, doch ich lasse meinen Brief an Sie auch auf die Homepage der Bremer Montagsdemo stellen, damit ihn nicht nur Ihre Sekretärin liest! Wir werden leider wie der letzte Dreck behandelt, weil wir uns wehren. Unsere Politiker im Parlamentsgebäude nehmen schon den Hinterausgang, wenn sie uns erblicken! Machen Sie das auch so?

Susan Kramer (parteilos)
 
Krankenkassen sparen beim Pflegedienst: Mitarbeiter von
Diakoniestationen müssen neben ihrem normalen Gehalt
ALG II in Anspruch nehmen („Lausitzer Rundschau“)

 

Bürgerkinder erkennen einander
leider nur allzu leicht

Am vergangenen Samstag schrieb der „Weser-Kurier“, dass der bedauernswerte kleine Kevin bis zu seinem Tode unter Qualen gelitten hat und „mit hoher Wahrscheinlichkeit an den Folgen physischer Gewalt gestorben“ ist. Normale Brüche tun schon schauderhaft weh. Da möchte ich es mir gar nicht ausmalen, wie unaushaltbar sich eine of­fene Oberschenkelfraktur anfühlen muss. Wegen der Wunde wird die Infektionsgefahr groß gewesen sein, ebenso wie die Möglichkeit einer Blutvergiftung, die ja unbehandelt leicht tödlich enden kann. Vielleicht ist er so gestorben. Vielleicht auch nicht. Doch selbst die notwendige Aufklärung darum wird das kleine Menschlein nicht wieder lebendig werden lassen!

Elisabeth GrafNiemand will, dass sich ein ähnlicher Fall jemals wiederholen kann! Klar, dass Bremen da Abhilfe zu schaffen versucht. Der Senatsbeschluss, die bisher freiwilligen Vorsorge-Untersuchungen für Kinder verpflichtend zu machen, um Jungen und Mädchen aus sogenannten Risikofamilien öfter zu Gesicht zu bekommen, lässt sich kaum ohne Sanktionen durchsetzen, wenn überhaupt. Aber die Auszahlung des Kindergeldes von verbindlichen Kinderarztbesuchen abhängig zu machen und es bei Nichtwahrnehmung zu kürzen, kann nur kontraproduktiv nach hinten losgehen!

Eltern, die ihre Kinder physisch misshandeln, wollen sich dabei weiterhin nicht auf die Finger gucken lassen und werden ihre Kinder mit den zugefügten Striemen bestimmt keinem Arzt vorführen. Wenn diesen Eltern noch mehr von ihrem vermutlich zu knappen Geld gestrichen wird, dann werden sie unter ihrer Armut und Ausgeschlossenheit aus der Gesellschaft noch mehr leiden, und die Spannungen in den wahrscheinlich viel zu beengten Wohnverhältnissen werden sich mehr denn je steigern. Wenn sie weiterhin gelernt haben sollten, solche Spannungen nur mit Gewalt untereinander oder auch mit Austeilung an die Kinder zu „lösen“, dann kann sich dieses Verhalten nur verstärken! Das wird wohl kaum im Sinne der Kinder sein!

Diese Idee schmeckt nach vorschneller Billig-„Lösung“ ohne Nachdenken, weil „das Soziale“ jetzt im Moment nun mal kein Geld kosten darf! Ob es in 15 Jahren das Zehnfache kosten wird, ist dem Portemonnaie von heute völlig schnurz, und nur das allein zählt! Auch den Kindern aus finanziell „besser“ gestellten Elternhäusern, die eher psychisch als physisch misshandelt werden, wird so nicht geholfen werden. Wenn die gut betuchte Mama den Hamster ihrer Tochter im Klo herunterspült, wird diese Traumatisierung dem Mädchen nicht anzusehen sein, aber dennoch stattgefunden haben!

Von dem teureren Frühwarnsystem, in das neben Kinderärzten auch Hebammen und Familienhelferinnen eingebunden sind, wie es aus skandinavischen Ländern bekannt ist, könnte ich mir eher eine Prophylaxe vorstellen, die anteilnehmend und erklärend vorgeht und nicht erst im Nachhinein bestrafend! Aber mich fragt ja keiner! Doch der Fantasie der Politiker sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt! Gerade nach dem skandalösen PISA-Ergebnis für Deutschland müssen Lösungen gesucht werden, um diesen Missstand zu beheben! Es ist kaum zu glauben, aber Bremen hat da einen ganz fantastischen und himmelschreiend superneuen Ansatz gefunden: Einheitliche Schulkleidung muss her!

Laut „Weser-Kurier“ vom 9. November 2006 „hat jetzt das Bildungsressort ein Konzept zu ihrer Einführung vorgelegt. Rund 80 Euro dürften Eltern danach für eine Grundausstattung berappen. Der Staat will die Kosten nicht übernehmen, auch nicht für Kinder aus armen Familien.“ Ob sich eine Schule dazu entscheidet, ist von der Zweidrittelmehrheit im Beschluss der Schulkonferenz abhängig! Der Behörde zufolge lasse sich damit ein „positives Gemeinschaftsgefühl“ auch nach außen tragen. Durch das gemeinschaftliche Tragen einheitlicher Oberbekleidung könne der „Prestigewettlauf auf dem Schulhof mit teurer Markenkleidung“ weggedrängt werden, und auch das „Abziehen“ gehe zurück.

Es ist wirklich ungemein toll, dass durch das Tragen von einheitlicher Oberköperbekleidung soziale Unterschiede dadurch nicht bloß weniger sichtbar werden, sondern auf diese Art endlich die Möglichkeit bekommen, ganz und gar zu verschwinden! So einfach lässt sich die gesellschaftliche Ungleichheit abschaffen! Es wird dadurch erstaunlicherweise sogar alles verdeckt: Die teure Armbanduhr rutscht unter den verlängerten Ärmel, ebenso wie die teure Markenjeans und die entsprechenden Turnschuhe oder das Handy, was sich in deren Schatten kaum noch erkennen lässt. Ja, soziale Unterschiede werden auf diese Art und Weise weniger sichtbar!

Vier T-Shirts, zwei Polohemden, zwei Pullover, ein Kapuzensweater und eine Winterjacke: Das ist nach Ansicht der Behörde die Grundausstattung. Wenn man bedenkt, dass für ein Kind bis zu 13 Jahren 206 Euro für Hartz-IV-Empfänger zur Verfügung stehen, dann ist klar, dass die Eltern diese 80 Euro nicht übrig haben werden. In Stadtteilen wie Oberneuland oder Schwachhausen können die Kosten für finanziell ausgeschlossene Kinder vielleicht noch von der Klassenkasse beglichen werden. Was aber sollen Schulen in Stadtteilen unternehmen, wo inzwischen jedes zweite bis dritte Kind von Hartz IV betroffen ist?

Hier kann eigentlich nur die Vernunft, die Realität entscheiden und zum Himmel schreien, was sich Politiker mal wieder nur für einen Schwachsinn ausdenken, um die scheinbare Chancengleichheit zu wahren! Dabei sollte es sich doch längst herumgesprochen haben, dass selbst bei gleichem Universitätsabschluss und Auslandspraktikum immer nur die höheren Töchter und Söhne den Job bekommen, weil sie über den erforderlichen Habitus, den erwarteten, antrainierten Verhaltensmodus verfügen. Bürgerkinder erkennen und enttarnen einander leider nur allzu leicht.

Elisabeth Graf (parteilos)
 
Neue Klamotten und ein Teddybär: Kevin soll nicht
umsonst gestorben sein („Weser-Kurier“, „Taz“)

 

Bleib erschütterbar und widersteh!

Gudrun Binder1. Ich war letzte Woche bei der „Nacht der Jugend“ im Bremer Rathaus. Der Bürgermeister hatte drei Säle zur Verfügung gestellt, und im kleinsten fand die interessanteste Veranstaltung des Abends statt. Im Kaminsaal war eine Bühne aufgebaut, die den Raum zu einem Drittel einnahm. Im Rest des Raumes waren im Kreis Stühle für die Teilnehmer aufgestellt. Die Diskussion führten sechs Schülerinnen und Schüler des Schulzentrums Rübekamp, die neue Sozialsenatorin Rosenkötter, der neue Staatsrat Schuster, Frau Baloschky von der Prüfungs- und Genehmigungsstelle der Ein-Euro-Jobs, ein SPD-Sprecher aus dem Sozialressort, ein Bremer Unternehmer, ein Vertreter der Arbeitnehmerkammer, der Lehrer, der das Projekt begleitet hatte und ein Fachbereichslehrer der Schule, Herr Crueger von den Grünen, kein Vertreter der Handelskammer sowie der Moderator.

Die Schüler hatten in ihrem aufwändigen Projekt untersucht, wie viel Prozent der Schulabgänger des Jahrgangs 2002/2003 bis heute einen Ausbildungsplatz bekommen haben. Auslöser dieser Untersuchung war eine Abgängerin mit gutem Realabschluss, die 70 Bewerbungen abgeschickt hatte, von denen sie eine Hälfte mit ablehnendem Bescheid zurückbekam, auf die andere aber keine Reaktion erhielt. Auch die Bewerbungsunterlagen wurden nicht zurückgesandt. Sie zweifelte an sich, was sie falsch mache, und stellte ihre schulischen Leistungen in Frage, denn von der Handelskammer war die Zahl von nur fünf Prozent aktueller Jugendarbeitslosigkeit verbreitet worden. Das umfangreiche Forschungsprojekt der Schülerinnen und Schüler ergab allerdings, dass nach drei Jahren tatsächlich nur 56 Prozent der Schulabgänger des Jahrgangs 2002/2003 einen Ausbildungsplatz haben und nicht 96 Prozent, wie von der Handelskammer schöngerechnet und verbreitet.

Bei der Podiumsdiskussion im kleinen Kaminzimmer machten die anwesenden Politiker, Frau Baloschky und der Bremer Unternehmer überhaupt keine gute Figur. Warum ist Frau Rosenkötter wohl in Begleitung von Herrn Schuster erschienen? Dessen Auftritt erfolgte, als er seiner Chefin bestätigen konnte, dass sie seit fünf Tagen das Amt der Senatorin ausübt. Frau Baloschky hatte dann die tolle Idee der „Garantie“ eines Ausbildungsplatzes für jeden Schulabgänger und jede Schulabgängerin. Diese Garantie solle aber die Wirtschaft als Ausbilder übernehmen. Bei dem anwesenden Unternehmer kam das nicht so gut an, eine Ausbildungsabgabe auch nicht, eher eine Belohnung, wenn ein Auszubildender eingestellt wird: Die Firmen könnten sonst noch mehr „demotiviert“ werden.

Es reicht nun wirklich, wenn es die erfolglos suchenden Schülerinnen und Schüler sind! Frau Baloschky würde für alle Schulabgänger eine „passende“ Arbeits-, aber leider keine Ausbildungsstelle zur Verfügung stellen können und in Zusammenarbeit mit ihrer Chefin allen jungen Leuten sofort einen Ein-Euro-Job anbieten. Damit hat Frau Rosenkötter Erfahrung, sie kommt aus dem Vorstand des Deutschen Roten Kreuzes, das gerade die Menschlichkeit der seit 130 Jahren bestehenden Bremische Schwesternschaft feiert. „Menschliche“ Ein-Euro-Jobs also – anscheinend ist der Begriff sehr dehnbar!

Herr Böhrnsen war freundlich lächelnd anwesend, Herr Perschau auch. Der Wahlkampf hat begonnen! Der Grünen-Sprecher ließ durchblicken, seine Partei habe die vorgelegten Zahlen angezweifelt, aber es ständen keine anderen Werte zur Verfügung. Anscheinend hatten sie selbst keinen zum Nachrechnen? Als der Sozialressort-Mitarbeiter der SPD sagte, man wolle doch wohl nicht unterstellen, dass absichtlich mit falschen Zahlen gearbeitet wird, ertönte ein zweifaches kräftiges „Doch!“ als Antwort von Dieter und mir, was einen Augenblick lang für Irritation beziehungsweise Belustigung im Raum sorgte.

Der Mitarbeiter sagte, dass die von den Schülern errechneten Zahlen jetzt „geprüft“ werden und man „zu gegebener Zeit bei Bedarf“ damit arbeiten wird. Eine Änderung und Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation wurde wegen der alarmierenden Zahlen nicht in Aussicht gestellt. Die Grünen werden eine Broschüre vom Forschungsprojekt drucken lassen, dann kann jeder die Daten nachlesen. Sie haben das schon im vorigen Jahr mit der Ausarbeitung über Kinderarmut in Bremen von Schülern des Schulzentrums Walliser Straße gemacht. Was hat die Politik im Jahr danach in Sachen Kinderarmut in Bremen unternommen? Das traurige „Ergebnis“ ist der Tod eines armen Kindes!

Mein Vorschlag nach der Blamage der Politiker in Mathematik ist, bei der nächsten PISA-Studie mitzumachen, um danach die Defizite durch gezielte Fördermaßnahmen auszugleichen. Herr Lemke sollte sich gleich mit anschließen, denn seine hochgerechneten Zahlenwerke im schulischen Bereich sind ebenso merkwürdig zustande gekommen. Wenn im nächsten Jahr das neue Forschungsprojekt Bremer Schüler vorgestellt wird, könnte es sich durchaus um auseinandergenommene Statistiken seines Ressorts handeln. Den fleißigen und skeptischen Schülerinnen und Schülern kann man also wirklich sagen: Bleibt erschütterbar und nehmt euch zu Herzen, wie die Politiker auch Schulabgängern nicht helfen, sondern sie belügen! Widersteht den Sprechblasen und Sprüchen von hilflosen Politikern und bleibt misstrauisch und wachsam!

 

2. Nun ist auch klar, warum Herr Schuster zum Staatsrat ernannt wurde. Er ist seit 1999 Geschäftsführer des Instituts für angewandte Sozial- und Politikwissenschaft GmbH. Leider wird dieses Institut wegen Nutzlosigkeit zum Jahresende aufgelöst, und da musste der Mann vor Hartz IV bewahrt werden! Herr Schuster ist auch entgegen aller politischen Regelungen in dieses Amt gehoben worden. Liest man seinen Karriereverlauf, ist glasklar zu erkennen, dass er für die Arbeit im Sozialressort außerordentlich qualifiziert ist. Er war bislang wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni, freiberuflicher Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Bremen und bis vor ein paar Tagen eben Geschäftsführer des Instituts für angewandte Sozial- und Politikwissenschaft GmbH. Ich habe eine tolle Definition für GmbH gelesen: „Gesellschaft mit bösen Hintergedanken“.

Frau Rosenkötter hat eine Ausbildung als Bankkauffrau und langjährige berufliche Erfahrung beim Deutschen Roten Kreuz, zuletzt als Geschäftsführerin des Landesverbandes. Sie hat viele ehrenamtliche Tätigkeiten im sportlichen Bereich ausgeführt. Vom Karriereverlauf her ist sie genauso gut oder schlecht für diese Aufgabe geeignet wie Herr Schuster. Im Stellengesuch für „Sachbearbeiter/innen“ im Amt für Soziale Dienste werden Qualifikationen und Kenntnisse aufgeführt, die sich die Senatorin und ihr Staatsrat vermutlich erst einmal von kompetenten Mitarbeitern erklären lassen müssen.

Welche Beerdigung erhält Kevin unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne genaue, endgültige Feststellung der Todesursache? Wird ein anonymes Armenbegräbnis vorgenommen? Welche Familie möchte solch eine klammheimliche Bestattung? In der Dokumentation von Staatsrat Mäurer wird nicht ein einziges Mal eine Familie mütterlicherseits erwähnt. Der Mann, der Kevin in den Kühlschrank gepackt hat, ist nicht sein leiblicher Vater. Diese Familie kann also nicht gemeint sein. Kevin ist es bestimmt nicht recht, dass ausgerechnet der Mann anwesend ist, dem er seinen Tod indirekt zu verdanken hat: Herr Böhrnsen nimmt an einer Bestattung teil, die es ohne sein Desinteresse nicht gegeben hätte.

Nach der stolzen Zahl von weit über 70.000 Unterschriften für das Volks­begehren bleibt den Politikern gar nichts anderes übrig, als gemeinsam und schnell für die Durchführung des geforderten Wahlsystems zu stimmen. Wir sind das vorletzte Bundesland in Deutschland, das nicht direkt wählen darf, und Bremen will doch nicht schon wieder in einer „politischen Disziplin“ Schlusslicht sein! Herr Weber müsste sich keine Gedanken mehr über Wahlmüdigkeit machen und bräuchte keine Wahlurnen in Spielkasinos, Sonnenbänke, Tankstellen, Supermärkte oder ins Weserstadion tragen lassen.

Ich möchte 2007 nach der neuen Wahlordnung mit fünf Stimmen personenbezogen wählen. Diese Wahlmöglichkeit ist in Bremen dringend erforderlich! Politiker, zeigt Mut und lasst euch aufgrund guter Arbeit direkt wählen! Ich bin sicher, wir haben auch gute Politiker in unserer Freien Hansestadt, die eine Chance brauchen, dies beweisen zu können. Wenn Herr Perschau ängstlich auf der alten Wahlordnung besteht, sollte er sich vorher aus der Politik zurückziehen wie Schulterklopfer Henning Scherf, der schon weiß, warum er, zum Glück für Bremen, nicht wieder antritt. Der Wahlkampf hat begonnen!

Gudrun Binder (WASG)
 
Präventives Anlabern: Leipziger Fahrgastbegleitern winkt
drei Jahre lang eine Festanstellung („Focus“)

 

Bremer Waffen, Bremer Geld
morden mit in aller Welt

Wieland von HodenbergMit Pauken, Hörnern und Trompeten aus Händels „Wassermusik“ empfingen Bürgermeister Böhrnsen und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen die Chefs der Lürssen-Werft im Rathaus. Anlas war die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse im Auftrag Köhlers an Peter und Friedrich Lürßen. Die Zeremonie passt in eine Zeit, da Deutschland wieder zu einer europäischen Groß- und Kriegsmacht aufgestiegen ist. Die beiden Herren leiten schließlich eines der bedeutendsten Rüstungsunternehmen der Republik, was natürlich beim Empfang schamhaft verschwiegen wurde.

Nicht verschwiegen wurde ihr Engagement „fürs Gemeinwohl“, so Böhrnsen, als da sind: die Handelskammer, der Schiffbauverband, besagte Kammerphilharmonie und die erst jüngst vom Kaffeemagnaten Jacobs kalt übernommene „International University of Bremen“. Eine solche Preisverleihung an Repräsentanten der Kriegsgüterindustrie durch einen frischgebackenen „Mayor for Peace“ wäre vor zwanzig Jahren zumindest in Bremen noch völlig undenkbar gewesen.

Vor vier Jahren, während des anglo-amerikanischen Überfalls auf den Irak, eskortierten laut einem Zeitungsbericht Fregatten der Bundesmarine, wahrscheinlich auch von Lürssen, US-Kriegsschiffe beim Raketenbeschuss irakischer Städte. Tausende Unschuldiger fielen diesem Staatsterrorismus zum Opfer. Die Lürßens spielen heute die kunstsinnigen Mäzene, während ihre Schiffe woanders mörderische Schützenhilfe leisten. Wahrhaft eine „schöne“ Tradition!

Die Werft baut Schnellboote, Korvetten, Fregatten sowie Minensuchboote vom Feinsten nicht nur für die deutschen Seestreitkräfte: In den letzten vier Jahrzehnten hat Lürssen über 264 Kriegsschiffe ins Ausland geliefert, darunter auch nach Israel, an die arabischen Golfstaaten Kuwait und Bahrain sowie nach Nigeria, Thailand und Singapur. Die Türkei bezog erst jüngst sechs Minenjagdboote im Wert von 500 Millionen Euro. Siebzig Prozent ihrer schwimmenden Tötungsmaschinen gehen ohnehin in den Export und, wie an der kurzen Aufzählung sichtbar, an Freund und Feind gleichermaßen. Profitgier kennt eben keine Schamgrenzen, auch wenn sie sich hinter scheinbar menschenfreundlichem Mäzenatentum versteckt.

Die Werft besteht seit 130 Jahren und gilt als die „Wiege der deutschen Schnellboote“. Schon für die kaiserliche Marine baute Lürssen Kriegsschiffe, und für Hitlers faschistische Wehrmacht wurden zwischen 1939 und 1945 weit über 200 Schnellboote gebaut. Zur Zeit fertigt Lürssen für die Bundesmarine drei Fregatten des Typs F124, wovon jede einzelne einschließlich Bordhubschrauber und elektronisch gesteuerter Torpedos 650 Millionen Euro kostet. Als kürzlich mit viel Prominenz und Tamtam eine nagelneue Korvette auf den Namen „Magdeburg“ getauft wurde, protestierte unter anderem das Bremer Friedensforum mit einer Mahnwache. Was Lürssen zur Zeit vom Stapel lässt, ist also wahrlich kein Segen für die Menschheit. An diesem Beispiel zeigt sich exemplarisch: Bremer Waffen, Bremer Geld morden mit in aller Welt!

Wieland von Hodenberg („Solidarische Hilfe“)
 
Kapitulation: Arbeitsagentur überträgt Hauptaufgabe
an Privatfirmen („Spiegel-Online“)

 

Kinderzuschlag
steht für Behördenflop

Hans-Dieter Binder1. Heute kam gegen 9:45 Uhr ein kurzer Bericht auf „Radio Bremen“ über Kostensenkungsaufforderungen, Wohnungssuche und die Entscheidungswege der Bagis, aufgenommen in den Räumen der Solidarischen Hilfe, aber leider nicht vorher mit ihr abgesprochen, sonst wären die inhaltlichen Fehler nicht über den Sender gegangen! In der Stimme der Betroffenen klang Hoffnungslosigkeit mit. Leider blieb die Aussage des Berichts so stehen. „Inzwischen wurde der Frau sicherlich durch die Solidarische Hilfe geholfen“, so der Redakteur.

Ich habe ihn gebeten, diese Hoffnungslosigkeit nicht so stehen zu lassen, denn es gibt Gegenwehr! Der „Soziale Lebensbund“ hat die Anwendung der rech­ten Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG erstritten. Die senatorische Behörde wollte sich die Auswirkung noch überlegen. Betont wurde die Gültigkeit der Verwaltungsanweisung. Über die Mietobergrenzen werde nachgedacht.

Inzwischen hat das Bundessozialgericht auch diese rechte Spalte nicht mehr als Höchstgrenze akzeptiert, es hat andere Ansichten. Zusammenfassend bedeutet dies: Alles, was die Bagis geschrieben hat, ist angreifbar, denn geschrieben wurde vor der Entscheidung des Bundessozialgerichts, vor dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen (Az. S3 V 1997/06 vom 7. September 2006; PDF, 542 kB)! Die Bagis hat letzteren bei neuen Bescheiden bereits zumindest teilweise berücksichtigt: Zugestanden wurden Mieten unterhalb der rechten Spalte der Tabelle, aber oberhalb der mittleren Spalte!

Die Verwaltungsanweisung zur Mietobergrenze für die Bagis wurde erlassen von der senatorischen Dienststelle, dem Senator für Jugend und so weiter, mit Ingelore Rosenkötter als neuer Spitze. Sie wird bald auch den Kopf hinhalten: Ihre Meinung machen wir öffentlich! Mehrkosten sind mit dem „Wohnenbleiben“ nicht verbunden, die geplanten Einsparungen werden sich allerdings nicht verwirklichen lassen! Der Bundeszuschuss, der diese kompensiert, ist sicherlich nicht ohne Grund höher ausgefallen. Er war strittig und damit wohl nicht im Haushaltsansatz.

Hilflos ist keiner der Bagis ausgeliefert! Die Klage des Vereins „Sozialer Lebensbund“ steht allen frei. Wer Sorge um seine Wohnung hat, kann sich beteiligen. Je mehr es sind, desto besser! Der Gerichtstermin ist wahrscheinlich noch in diesem Monat. Bei dieser Beteiligung geht es nicht um die Übernahme von Kosten, weil für den Betroffenen keine entstehen, sondern darum, die Vielschichtigkeit des Problems aufzuzeigen, die Auswirkungen zu verdeutlichen und den Richter zu überzeugen – auch davon, dass das GEWOS-Gutachten von der senatorischen Dienststelle falsch ausgelegt wird!

Auch außerhalb dieses Verfahrens gibt es kurzfristige Abhilfe, sprecht uns an! Wir haben gemeinsam mit vielen anderen und in den unterschiedlichsten Aktionen erfolgreich dafür gekämpft, dass in Bremen noch immer nicht wirksam zur „Kostensenkung“ aufgefordert werden kann. Nicht jede Aktion wurde öffentlich! Wir unterstützen jeden, der sich wehrt oder wehren will, auch außerhalb der „normalen“ Ratschläge!

Diese Urteile des Bundesverfassungsgerichts werden viel ändern, leider auch zum Negativen, aber die Kostensenkungsaufforderungen der Bagis sind damit nicht in Einklang zu bringen! Daher gilt: Politisch ist diese Entscheidung zu fällen, politisch wird diese Entscheidung quittiert!

 

2. Kurz zu einem weiteren Urteil: Bei den Umgangskosten hat das Bundesverfassungsgericht am 7. November 2006 entschieden, dass Kinder für die Besuchstage zur Bedarfsgemeinschaft gehören. Dies ist zu prüfen. Falls es so ist, entsteht ein anteiliger Leistungsanspruch. Wenn höhere Fahrtkosten anfallen, kann eine Übernahme durch den Träger der Sozialhilfe gemäss § 73 SGB XII in Betracht kommen. Alles zusammen wurde zurück an das Sozialgericht Duisburg verwiesen, mit entsprechenden Auflagen und Anfragen! Damit ist eine weitere Komplizierung des ALG II eingeleitet worden. Zum Glück müssen die Ämter seit dem 1. August 2006 entsprechende Anträge weiterleiten.

 

3. Bei der Gesundheitsreform denkt jetzt jeder an heute und die kommende Zeit. Die AOK fragte damals in der Zeitschrift „Praxis“, Ausgabe Dezember 2003: „Reformen mit Zukunft?“. Im Oktober 2003 hieß es noch: „Zukunft Gesundheit“. Ein Faltblatt der AOK von Ende 2003 zeigte die Änderungen durch die Gesundheitsreform zum 1. Januar 2004 und in den Folgejahren auf. Die Überschrift im Innenteil lautete: „Laufend was Neues im Gesundheitswesen“.

Ein Ziel der Gesundheitsreform 2004 war die Senkung der Beiträge und wurde gründlich verfehlt! Durchgesetzt wurde, dass die Beiträge nicht mehr hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen werden. Die erheblichen Zuzahlungen und Verschlechterungen gehen nicht widerspruchslos über die Bühne. Auch dies hat nicht zu wesentlicher Beitragssenkung geführt! Die Reform der Gesundheitsreform 2004 wurde bereits ab 2005 vollzogen: Verschlechterungen werden zurückgezogen, so beim Zahnersatz.

Es geht weiter unter der Überschrift: „Gesundheitsreform 2006“. So lange hält eine Reform! Aber geht es weiter, zurück oder im Kreis? Alle Beteiligten, die Informationen haben, sind entsetzt! Diese Gesundheitsreform 2006 wird eine sehr teure Verwaltungsaktion mit Folgewirkungen! Nur die Ministerin für Gesundheit verteidigt dies als Reform, andere sagen Millionengrab! Warum diese Unvernunft? Alle bisherigen Erfahrungen werden zugunsten der Vereinheitlichung durch europäische Vorgaben in den Wind geschlagen.

 

4. Am 24. Dezember 2003 wurden die wesentlichen Teile von Hartz IV verabschiedet, im Dezember 2004 Begleitänderungen dazu. Die Öffentlichkeit wurde Anfang 2005 informiert. So haben uns die Änderungen durch diese Reform total überrumpelt. „Es wurde im Dezember beschlossen, und ab Januar sollen wir es umsetzen“, hörten wir. Die Jahreszahl wurde immer wieder verschwiegen!

Am 15. Dezember 2004 erschien eine Anzeige im „Weser-Kurier“ mit der Überschrift „Hartz IV: Besser als Sozialhilfe“. Die Begründung dazu lautete: „Für rund eine Million Sozialhilfeempfänger, darunter viele Alleinerziehende, verbessert sich die Aussicht auf Arbeit. Erstmals stehen ihnen alle Förderleistungen am Arbeitsmarkt zur Verfügung. Außerdem: Sie sind sozialversichert und können künftig mehr Erspartes behalten als bisher. Für alle Langzeitarbeitslosen verbessern sich Schritt für Schritt die Chancen auf einen Arbeitsplatz.“

Tatsächlich wurden für alle Mütter, die in ihren Beruf zurückwollten, alle besonderen Begleitförderungen ersatzlos gestrichen! Bei der gesetzlichen Krankenversicherung wurde bereits eine Kostensenkung von den Sozialämtern vorgenommen. Die Rentenversicherung erfolgt jetzt auf Basis von 400, ab 1. Januar 2007 nur noch 205 Euro brutto. Und wo ist die Möglichkeit, etwas zu ersparen? Die Ziele der Reform wurden nicht nur um Längen verfehlt: Scheinbar wurde das Ziel der Halbierung der Arbeitslosigkeit nur erfunden, um die radikalen Kürzungen erträglicher zu machen! Hartz IV, eine teure Mogelpackung!

Am 20. Dezember erschien eine Anzeige im „Weser-Kurier“ mit der Überschrift: „Hartz IV: Familien gewinnen“. Die Begründung dazu: „Künftig wird die Kinderbetreuung gefördert, wenn dadurch die Aufnahme einer Arbeit ermöglicht wird. Und: Reicht das Einkommen der Eltern nicht für ihre Kinder, gibt es einen Kinderzuschlag; ergänzende Sozialhilfe muss nicht mehr beantragt werden. Für alle Langzeitarbeitslosen verbessern sich die Schritt für Schritt die Chancen auf einen Arbeitsplatz.“

Die Förderung der Kinderbetreuung ist wirklich eng an die Arbeitsaufnahme gekoppelt: ohne Arbeitsvertrag kein Betreuungsplatz, ohne Betreuungsplatz kein Arbeitsvertrag. Großzügig wurden die Kindergarten- und Hortplätze mangels Nachfrage abgebaut. Die Eltern haben ihre Kinder aus Geldmangel abgemeldet, für einige Politiker ein total unerklärlicher Nachfragerückgang! Den Kinderzuschlag gibt es, aber davor steht der Antrag, davor stehen die Durchführungs- und die Ausschlussbestimmungen und nicht zuletzt der Bearbeitungsstau in der Kindergeldkasse. Weder Personal noch Sachmittel wurden bereitgestellt!

Das alles ist kein Versehen. Weder Peter Hartz noch Gerhard Schröder haben das Reformziel nachvollziehbar begründet, nicht einmal im Ansatz wurde dies versucht. Ebenso wurde vergessen, die Zielverfehlung zu begründen. „Wir haben wohl daneben gegriffen!“ Klar, aber voll in die Taschen der Betroffenen!

Dann gab es noch die 162-seitige Broschüre „Hartz IV – Menschen in Arbeit bringen“. Auf Seite 36 steht unter der Überschrift „Was ändert sich für bisherige Bezieher von Arbeitslosenhilfe und für bisherige arbeitsfähige Sozialhilfe-Bezieher“ in der ersten Zeile: „Aufwand im Umgang mit Ämtern: Ein Ansprechpartner für alle Fragen“. Selbst dies wurde nicht geschafft! Es war wohl auch gar nicht Ziel, weil zum Beispiel der Kinderzuschlag bei der Kindergeldkasse beantragt werden musste.

Zu dieser Mogelpackung, gefüllt von den verantwortlichen Politikern und ihren Handlangern wie Peter Hartz und seiner Runde, die auf Vorgabe der Europäischen Union und ihrer Lissabonner Verträge getagt hat, gehört auch die Drohung von Frau Merkel, dass „die deutschen Bürger keinen immerwährenden Rechtsanspruch auf eine demokratische Verfassung haben“! Frau Merkel, stehen Sie für eine Diktatur zur Verfügung? Wir nicht! Wir werden Sie am 9. Februar 2007 dazu befragen!

Mexikos soziale Bewegung hat den Slogan: „Fragend schreiten wir voran!“ Wir gehen zur Wahl! Wir wollen eine andere Regierung! Wir schaffen eine Zukunft mit ehrlichen Politikern! Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich will die Zukunft positiv gestalten!

Hans-Dieter Binder (WASG)
 
Fahr lässig: Polizei erstickt aufbrausenden Unfallverursacher („Spiegel-Online“)
 
Verschwendung: Der Fiskus prüft jährlich nur 15 Prozent der Groß­verdiener und unterzieht nur zwei Prozent aller Unternehmen einer
Umsatzsteuer-Sonderprüfung („Frankfurter Allgemeine Zeitung“)
 
44 Straftaten: Bei Verurteilung wegen Untreue drohen Peter Hartz
bis zu fünf Jahren Haft („Süddeutsche Zeitung“)

 

Die Steuern sprudeln
dank der Entlassungen

Wolfgang LangeDie Regierung jammert ständig über die „angespannte Haushaltslage“. Nehmen wir diese mal unter die Lupe! Erwartet werden 19,4 Milliarden Euro zusätzliche Steuereinnahmen im laufenden Jahr: Es fällt eben auch etwas an Körperschaftsteuer ab, bei den extrem sprudelnden Gewinnen aufgrund massenhafter Vernichtung von Arbeitsplätzen!

Das beste Beispiel liefert mal wieder Siemens: Um 38 Prozent klettert dieses Jahr der Gewinn nach Steuern, auf 3,11 Milliarden Euro. Gleichzeitig wurden 40.000 Arbeitsplätze gestrichen! Da erscheinen die 450 Millionen an „Abwrackprämie“ für Benq geradezu als Peanuts! Nach Verkündung der Insolvenz und der damit verbundenen Entlassung von 3.000 Benq-Kollegen hatte der Vorstand die dreißigprozentige Gehalterhöhung für seine Mitglieder verschämt „ausgesetzt“ – nicht etwa darauf verzichtet!

Sehr lang hielt die Scham nicht: Letzte Woche wurde verkündet, dass ab nächstem Jahr die dreißig Prozent fließen! Siemens-Chef Kleinfeld wurde jetzt überführt, dass er bewusst gelogen hatte, als er den Kollegen in Kamp-Lintfort eine Standortgarantie gegeben hatte, nach dem Motto: „Was interessiert mich mein blödes Geschwätz von gestern?“

Manager, die nicht den Kurs der extremen Verschärfung der Ausbeutung und massenhaften Vernichtung von Arbeitsplätzen fahren, werden in die Wüste geschickt: letzte Woche VW-Chef Pischetsrieder, gestern Telekom-Chef Ricke. In beiden Fällen ist die Vernichtung von Zehntausenden weiterer Arbeitsplätze geplant!

Was macht die Regierung mit den zusätzlichen Milliarden? Unbeirrt wird an der Mehrwertsteuererhöhung festgehalten, sind weitere Kürzungen im Kinder- und Jugendbereich geplant, werden die Unternehmersteuern dieses Jahr um 9,3 Milliarden Euro gesenkt! Unbeirrt wird gelogen, die Arbeitslosigkeit liege nur noch knapp über vier Millionen. Der Trick sind massenhafte Minijobs und Scheinselbständigkeit: In Wirklichkeit gibt es 6,8 Millionen Arbeitslose, und weitere 6,6 Millionen Menschen sind unterbeschäftigt!

Dass die Hartz-Gesetze nun wieder stärker in der Diskussion stehen, ist auch ein Erfolg der Montagsdemos! 800 Kollegen der Schweizer Post haben am Wochenende in Bern beschlossen, ab 27. November nach deutschem Vorbild Montagsdemos gegen den geplanten Arbeitsplatz- und Lohnabbau durchzuführen. Die Große Koalition schwört sich schon gegenseitig zum Durchhalten bis 2009 ein. Da sollten wir ihr einen dicken Strich durch die Rechnung machen!

Wolfgang Lange (MLPD)
 
V-Leute aus der Führungsebene zurückziehen: Ein neues NPD-Verbotsverfahren ist jederzeit möglich („Spiegel-Online“)
 
Neulich im Kiez: Polizei überredet Mehmet, „nach
Hause“ zu gehen („Spiegel-Online“)
 
Rechts-Staat: Polizei beendet Gewerkschaftsveranstaltung
durch Einsatz von Neonazis („Spiegel-Online“)
 
Neulich in einem deutschen Knast: Wärter lassen jungen Häftling
von Mitgefangenen zu Tode foltern („Spiegel-Online“)
 
Hunde, Knüppel, Reizgas: Die Gewalt ging von der Polizei aus („TAZ“)

 

Der Wind strafft unsere Trans­parente gegen Lüge und Heuchelei

Erst schien es, dass keiner käme. Der Lautsprecherwagen stand fast mutterseelenallein auf dem Marktplatz. Wenig später war es aber doch wieder das gewohnte Bild. Der recht scharfe Wind zauste am Transparent und brauste ins Mikrofon, doch die Redner konnten dank der stetigen Spendenbereitschaft der Teilnehmer ein aus eigenen Mitteln gerade neu erworbenes Funkmikrofon benutzen, eine geschützte Stelle im Windschatten aufsuchen, und die Beschallung blieb uneingeschränkt. So waren wir auf unserer 110. Montagsdemo am 13. November 2006 in Bremen, die um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz begann und auf dem Hanseatenhof endete, doch wieder mehr als 30 Menschen.

Das große Redebuch
Band I (2004/2005):
Schröders Hartz-Attacke und 
seine vorgezogene AbwahlHeute wurde der kleine zweijährige Kevin beerdigt, fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Bürgermeister Böhrnsen und seine Frau nahmen daran teil, was unter den Teilnehmern der Montagsdemo als Gipfel der Heuchelei verstanden wurde. Positiv nahmen wir das Ergebnis des Volksbegehrens für mehr Demokratie auf, das eine Veränderung des Wahlrechts im Interesse der Wähler zulassen soll. Die großen bürgerlichen Parteien CDU und SPD lehnen solche Vorschläge natürlich ab, weil ihnen um ihre „Vetternfilz“-befrachtete Pöstchenschieberei bange ist, die die Wähler durchkreuzen könnten.

In dieser Woche gibt es dafür wieder beste Beispiele: Der Leiter eines Politikwissenschaftsinstituts, SPD-Mitglied, steigt zum Staatsrat im Sozialressort auf, gerade noch rechtzeitig, da sein Institut zum 31. Dezember wegen der Sparpolitik schließen muss. Die Busenfreundin der Kulturstaatsrätin Motschmann steigt mal eben an allen Kontrollen und Beschlüssen vorbei von einer „einfachen Tätigkeit, wo Papiere geordnet werden müssen“ in den höheren Dienst auf. Gemeinsame Urlaube und Freizeit machen es möglich!

Das große Redebuch
Band II (2005/2006)Ex-Senator Eckhoff, der sich auf Parlamentskosten nach oben katapultiert, ausgedehnte „Fortbildungen“ in den USA mitmacht und seinen Abgeordnetenstuhl freilässt, verzichtet großzügig auf eine Wiederkandidatur, genießt aber noch sein Abgeordnetengeld bis zur „süßen Neige“. Und wie eine Krähe, die der anderen kein Auge aushackt, guckt der Parlamentspräsident betreten zur Seite. Unsere Forderung lautet, dass Eckhoff mindestens 60 Prozent seiner abkassierten Bezüge zurückgeben soll! Wir kommen darauf zurück!

Eine Mitstreiterin liest ihren Brief an Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vor, erfüllt von persönlicher Betroffenheit und Sorge. Dieser Brief hat unsere volle Unterstützung, und wir rufen auf, mit eigenen Briefen dieser Initiative Kraft zu geben!

Es gibt auch einen Bericht von der Sitzung der Sozialdeputation, einem Ausschuss unter Vorsitz der neuen Sozialsenatorin Rosenkötter. Die Behörde beharrt in der Frage der Zwangsumzüge auf ihrer Position und wird wohl erst nach der Hauptverhandlung zur Ordnung gerufen werden können. Wir bleiben optimistisch, dass es keine Umzüge geben wird, aber ohne sich zu wehren und Widerspruch einzulegen wird es nicht gehen. Betroffene, kommt alle her!

Von der „Nacht der Jugend“ kann berichtet werden, dass Schüler die verlogenen Statistikfälscher in Rathaus und Handelskammer enttarnt haben, die einfach die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz für sich um satte 50 Prozent schöngerechnet hatten. Überall nur Lüge und Betrug! Werden wir immer offener, neue Mitstreiter zu finden, die alles, aber auch alles aufdecken, von der Kumpanei mit der NPD bis zur persönlichen Vorteilsnahme dieser so „ehrenwerten“ Damen und Herren!

Die Montagsdemo Hamburg lädt für Samstag, den 18. November 2006, zum Erfahrungsaustausch ein. Wir treffen uns um 10 Uhr in der Bremer Bahnhofsvorhalle und fahren mit dem Wochenendticket hin, für sechs Euro pro Person. Rückfahrt ist um 21 Uhr.

Jobst Roselius für dieBundesweite Montagsdemo
 
Lebenslüge soziale Gerechtigkeit: CDU-Rechtsaußen Rüttgers („Kinder
statt Inder“) will Arbeitslosengeld I von den „Drückebergern“ zu den Frühzuverrentenden umverteilen („Frankfurter Allgemeine Zeitung“)
 
Skrupellos: Menschen, die beim Hausbesuch nicht anzutreffen sind, werden zur Behörde bestellt, wo sie der Ermittlungsdienst nötigt, sofort mit ihm in ihre Wohnungen zu fahren („Erwerbslosenforum“)
 
Vom Facharbeiter zum Prekarianer: Die Jüngeren erhalten fast nur noch
durch jahrelange lohnfreie Ausnutzungs-Beschäftigungen
Zugang zum Arbeitsmarkt („Spiegel-Online“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz