87. Bremer Montagsdemo
am 29. 05. 2006  I◄◄  ►►I

 

Arbeit macht arm!

Ursula GatzkeHast du als Arbeiter für dein Alter vorgesorgt, musst du jetzt büßen! Hast du als Politiker vorgesorgt, dann liegt dir ein Königreich zu Füßen!

Geringfügig Beschäftigte, die wir Minijobber nennen, werden später fast alle arm zur Staatskasse rennen! Über neunzig Prozent der Minijobber in Privathaushalten sind Frauen. Wie sollen sich diese Armen mit Arbeit und Minilohn eine Rente aufbauen?

Arbeit ohne versicherungspflichtiges Einkommen heißt, im Alter ohne Absicherung anzukommen! Die Arbeitgeber werden immer hübsch geschont, aber Geringverdiener werden schlecht entlohnt!

Oft werden arbeitende Menschen behandelt wie Müll, doch ohne uns Schwachen ständen die Räder still. Arme Leute können sich noch so tüchtig mühen und plagen, es reicht immer nur für den Einkauf, den sie nach Hause tragen! Drum lasst uns das Gedicht vom Häschen in der Grube aufsagen!

Menschen in den Käfig rein, die immer lauter zu uns schrein: Abzocken, das muss sein! Menschen in den Käfig rein, die nicht gerecht mehr wollen sein! Abzocken, muss das sein? Menschen in den Käfig rein, die sich Millionen scheffeln ein! Abzocken, muss das sein?

Menschen in den Käfig rein, die Leute knebeln so gemein! Abzocken, muss das sein? Leute, lasst sie nicht mehr raus, bis es besser wird im Haus! Abzocken muss nicht sein! Fällt auch euch ein Verlein ein, könnt auch ihr es draußen schrein! Abzocken darf nicht sein!

Ursula Gatzke (parteilos)
 
CSU-Söder liefert Neudefinition von Zwangsarbeit: „Wer legale, zumutbare Arbeit ablehnt, dem muss bis auf Null gekürzt werden können“ („Spiegel-Online“)
 
Rentenstatistik beweist: Wer im Alter weniger Geld bekommt,
stirbt bis zu fünf Jahre früher („Spiegel-Online“)

 

Wer nur „den Laden zusammenhalten“ will, ist nicht wert, Chef zu sein

Hermann SiemeringSo läuft es in unserem ach so demokratischen System, nachzulesen in der Presse vom 26. Mai 2006: „Viele Jugendliche noch ohne Lehrstelle“. Fast 400.000 sind betroffen, jedoch äußern sich „Merkel und Müntefering gegen eine Ausbildungsabgabe der Konzerne und Betriebe, die nicht ausbilden“. Am nächsten Tag verspricht die Presse „mehr Lehrstellen, wenn die Auszubildenden weniger Geld bekommen“, so zum Beispiel Siemens-Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer, Berater von Bundeskanzlerin Merkel.

Nun ist schon im vierten Jahr die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgegangen, aber am 28. Mai meldet die Presse nur wenig zu diesem Thema. Am heutigen Montag jedoch heißt es, die Forderung der großen Bosse sei angekommen, auch beim Bundeswirtschaftminister Glos, CSU, der nun überall damit zitiert wird, dass er für die Kürzung der Lehrlingsgehälter ist. Für den 30. Mai 2010 erwarte ich folgende Pressemeldung: „Bei nur wenigen Gegenstimmen hat der Bundestag beschlossen, aufgrund der hohen Kosten, die durch Ausbildung verursacht werden, das hierfür an die Betriebsbesitzer zu zahlende Geld mit sofortiger Wirkung auf monatlich 1.500, in Härtefällen nur 1.000 Euro zu erhöhen“!

Noch-immer-DGB-Chef Sommer meinte dazu, man müsse „sich den schwierigen Gegebenheiten beugen, um den Standort Deutschland zu retten“. Er hat nun bewirkt, dass auch im DGB die Große Koalition regiert: Er sägte Engelen-Käfer, SPD, die Stuhlbeine weg und holte Sehrbrock, CDU, an seine Seite. So sorgt auch der Sommer mit dafür, dass der DGB allein in den letzten vier Jahren 1,1 Millionen Mitglieder verloren hat! Er bekam bei der Wahl nicht wie vor vier Jahren 94 Prozent der Stimmen, sondern nur 78,4. Das sind aus meiner Sicht noch 70 zu viel!

Einer, der wie er als Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes nach seiner Wahl meinte, er sei „entschlossen, den Laden zusammenzuhalten“, ist es nicht wert, diese Funktion auszuüben! Wer als Vorsitzender den DGB so bezeichnet, zeigt, wie moralisch tief er gesunken ist! Das sagt einer, der demnächst 60 Jahre in der Gewerkschaft ist und dafür schon manches hat einstecken müssen. Ich meine: Wer die Auswüchse des Kapitals bekämpfen will, muss auch solchen Leuten im DGB in den Hintern treten! Sie haben dort nichts zu suchen!

Hermann Siemering, Rentner, parteilos

 

Flimmernd vor Glück

Elisabeth GrafEigentlich wider besseren Wissens habe ich mir gestern Abend „Christiane Sabinsen“ angetan. Schon der Titel war eine absolute Unverfrorenheit, eine pure Provokation: „Arm durch Arbeit, reich durch Hartz IV?“ Hier soll suggeriert werden, dass bloßes Vegetierenkönnenmüssen mit Hartz IV allen Ernstes Arbeitslose reich machen könnte! An Hartz IV können sich ausschließlich Wohl­fahrtsorganisationen und andere Arbeitgeber bereichern, die sich nicht schämen, Ein-Euro-Jobber einzustellen, auszubeuten, dafür von der Bundesagentur mindestens 500 Euro zu bekommen und auch noch die geleistete Arbeit nicht einmal selbst bezahlen zu müssen!

Vertreter der Unchristlichen Union forderten eine grundlegende Überarbeitung von Hartz IV und fatalerweise eine Reduzierung der jetzt schon viel zu niedrigen Regelsätze. Ein Vertreter der Asozialdemokraten befand immerhin, dass die Regelsätze sich an der untersten Grenze befänden, aber Hartz IV müsse nicht generalüberholt werden. Ich erkenne glasklar einen kleinkarierten Profilierungsmachtkampf innerhalb der Großen Koalition, der auf dem Rücken der Arbeitslosen und auch auf dem der Steuerzahler ausgefochten wird!

Zweifelsohne ist Hartz IV eine Milliarden verschlingende Kompromissgeburt, die komplett abgeschafft gehört! In Ermangelung eines Eingeständnisses, dass wir nicht mehr ausreichend Arbeit für alle haben, werden mit Hartz IV schon lange nur noch die Arbeitslosen und nicht mehr die Arbeitslosigkeit bekämpft. Nicht allein deswegen ist Hartz IV auf ganzer Linie gescheitert. Das ursprünglich anvisierte Ziel, Einsparungen bei der „Betreuung“ von Langzeitarbeitslosen zu erwirtschaften, ist gründlich den Bach runtergegangen! Eigentlich hätte dies vorhersehbar sein können, wenn für die Verfolgungsbetreuung der ungeliebten Klientel gleich drei Behörden zuständig sein müssen. In der Diskussion um die vermeintliche Kostenexplosion bei Hartz IV wird mit gezinkten Karten gespielt!

Außerordentliche Kosten verursacht bekanntlich der wahnsinnig aufgeblähte, völlig überdimensionierte Betreuungswasserkopf; hingegen werden die massiven Einsparungen auf Kosten der Langzeitarbeitslosen, die bei der Herunterstufung von Arbeitslosenhilfe auf Hartz IV finanziell empfindliche Einbußen wegstecken müssen, einfach unter den Teppich gekehrt. Die ganze Wahrheit auf den Tisch zu legen, könnte als kontraproduktiv empfunden werden. Schließlich wird gerade mal wieder zur allgemeinen Hatz gegen die Arbeitslosen kräftig das Halali ins Horn geblasen! Hier werden Legenden geschaffen, um abermals die Axt an die Grundsicherung für Langzeitarbeitslose legen zu können.

Nun aber wieder zurück zur Sendung: Herr Clement zauberte alte Kamellen aus dem Hut, indem er die stärkere Bekämpfung der unbewiesenen 20- bis 25-prozentigen Missbrauchsquote beim ALG II forderte. Wie eine Fata Morgana sieht er eine Million freier sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze vor sich. Es soll sein Geheimnis bleiben, wo die sich befinden könnten, gerade angesichts der 15.000 Vollzeitstellen, die monatlich abgebaut werden! Statt sich, wie ein „Stern“-Redakteur, an dem Bild der angeblichen „Sozialhilfedynastie in dritter Generation“ zu reiben, sollte nutzbringend hinter die Kulissen der Steuerhinterziehungen, der Korruption im Baubereich, dem Betrug im Gesundheitswesen und ähnlichem geschaut werden. Hier hat klammheimlich die eigentliche Kostenexplosion stattgefunden, und hier könnten Einsparungen ungeahnten Ausmaßes erreicht werden!

Gestern Abend konnte es natürlich nicht versäumt werden, über die Misere beim Spargelstechen zu lamentieren, wenn deutsche Arbeitslose trotz Vorbereitungskursen nach mehreren Tagen erschöpft aufgäben. Verpflanzte man deutsche Berufstätige auch mal eben von ihrem Schreibtisch weg zur körperlichen Schwerstarbeit aufs Spargelfeld, dann würden sie ebenso nach kurzer Zeit aufgeben müssen. In Polen sind noch mehr Menschen an Feldarbeit gewöhnt als bei uns, beackern sie doch teilweise eigene Gemüsegärten. Volkswirtschaftlich gesehen dürfte es sinnvoller sein, ältere oder mit Beeinträchtigungen versehrte Menschen nicht zu dieser Arbeit zu zwingen, als ihnen die Folgekosten nach einem Bandscheibenvorfall zu bezahlen. Grundsätzlich richte ich mich jedoch gegen jede Art von Zwangsarbeit, ebenso wie gegen Zwangsumzüge. Das gab es vor 70 Jahren alles schon einmal!

Als meist schweigender Hoffnungsfunke am Sternenhimmel war auch eine Vertreterin der WASG eingeladen worden, die sich gegen die „Armut per Gesetz“ wandte. Sie forderte eine Debatte im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und nicht gegen uns. Statt Ausbau des Niedriglohnsektors forderte sie dessen Auflösung. Leider handelt es sich bei ihr nur um ihre persönliche Meinung. Wir wissen ja alle, welch entgegengesetzte Politik von der rot-roten Landesregierung in Berlin betrieben wird! Schuld war nur der Bossa Nova? Schuld ist nur der Arbeitslose, was kann ich dafür!

Elisabeth Graf (parteilos)
 
„Stern“ flunkert von zwölf Euro Stundenlohn dank Hartz IV: Es wird weitergehetzt, obwohl das Bundesarbeitsministerium keinerlei objektive Erkenntnis über den oft behaupteten Missbrauch besitzt („Tageszeitung“)
 
Bundesregierung ohne Konzept: Statt eine menschenwürdige und armutsfeste Grundsicherung einzuführen, werden die Opfer verfehlter Beschäftigungspolitik zu Tätern umgedeutet und mit verschärften Sanktionen und Unterstellungen bestraft (WASG-Mailing-Kampagne ALG II)

 

Früher traten Wohlfahrtsverbände noch für Arme und Schwache ein

Bettina FenzelSeit frühester Kindheit musste ich erleben, was Armut bedeutet; zudem wurde ich von den Behörden für „dumm“ erklärt und in eine Sonderschule gesteckt. Da ich dort nichts lernte, schwänzte ich die Schule fast zwei Jahre lang. Im Kommunistischen Bund Westdeutschland lernte ich Lesen und Schreiben und die gesellschaftlichen Zusammenhänge von Armut und Reichtum erkennen. Als Kind wurde ich im evangelischen Kindergarten der Diakonie gezwungen, als geborene Linkshänderin die rechte Hand zu benutzen, und noch heute habe ich unter den Folgen der erzwungenen Rechtshändigkeit zu leiden. In dem kirchlichen Projekt „Armut-Reichtum-Gerechtigkeit“ in Mannheim arbeitete ich von 1991 bis 1996 aktiv auf ehrenamtlicher Basis mit. Wir informierten die Gemeinden über die Armut vor unserer Haustür, über die globalen Zusammenhänge und die verschiedenen Gesichter von Armut. In der „Sozialpolitischen Offensive“, organisiert von den Wohlfahrtsverbänden, wirkte ich ab 1. Mai 1992 mit, als diese sich noch dafür aussprachen, dass Arbeitslosen nicht das Kindergeld auf das Einkommen angerechnet wird. Sie lehnten Jobs für zwei Mark, die Vorläufer der heutigen Ein-Euro-Jobs, ab und traten für tariflich gesicherte, armutsfeste Arbeitsplätze ein.

Noch am 29. März 2006 war in der „Taz“ überregional zu lesen, die Nationale Armutskonferenz, in der die Wohlfahrtsverbände organisiert sind, fordere, den Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger von 345 auf 415 Euro anzuheben. Im Rundbrief der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen vom 18. Mai 2006 heißt es unter dem Titel „Wasser auf die Mühlen der Reformer“, Wilhelm Schmidt und Rainer Brückers, Bundesvorsitzender und Bundesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, sowie Joachim Gohde, Präsident der Diakonie, und Clemens Graf von Waldburg-Zeil, Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, erklärten gemeinsam mit hochrangigen Vertretern der Städte und Landkreise, dass „eine Senkung passiver Leistungen notwendig ist, um ein dauerhaft tragfähiges und finanzierbares Leistungssystem zu erhalten“. Sie schlagen vor, „das Leistungsrecht so zu schärfen, dass Anreize für Arbeit im Mittelpunkt stehen und die Leistungen auf die tatsächlich Bedürftigen konzentriert werden“. Die Anspruchsgrundlagen und -voraussetzungen im SGB II seien einer „kritischen Überprüfung“ zu unterwerfen.

Das bedeutet für uns Erwerbslose, Behinderte, psychisch Kranke, dass wir völlig rechtlos sind und in die Ein-Euro-Sklaverei getrieben werden. Die Wohlfahrtskonzerne verdienen sich dumm und dusselig! Ganz sicher gehört es nicht zu einem selbstbestimmten Leben, sich versklaven zu lassen! Hier werden die Interessen der Arbeitgeberverbände vertreten. Das widerspricht der Lehre von der christlichen Nächstenliebe, wonach Jesus den Wein und das Brot mit den Armen teilte. Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände nehmen den armen Menschen den Wein und das gute Leben weg, um für sich selbst in egoistischer Weise in solchen Genuss zu kommen. Wir wehren uns gegen die Aushöhlung der demokratischen und sozialen Grundrechte! Es wäre Aufgabe aller Wohlfahrtsverbände zu fordern, dass die Reichen massiv besteuert werden, damit sozial abgesicherte, tariflich bezahlte neue Stellen in sozialen, ökologischen und kulturellen Bereichen entstehen. Es müssen alle Nein sagen zu den menschenverachtenden Forderungen der Wohlfahrtsverbände und Arbeitgeber! Es sind alle aufgefordert, am 3. Juni zur zentralen Demonstration nach Berlin mitzukommen!

Bettina Fenzel (parteilos)
 
Aber nicht aus dem Stadtbild: Ein-Euro-Jobber verschwinden
aus der Statistik („Sozialplenum“)

 

An den Ein-Euro-Jobbern
verdienen sich die Kommunen
dumm und dusselig

Haben die Politiker ein Interesse daran, die Arbeitslosigkeit zu steigern? Für eine wachsende Zahl von ALG-II-Empfängern erhöhen sich die Ausgaben aus dem Staatshaushalt, während Steuern, die ansonsten in die Staatskasse wandern würden, ausbleiben. Wenn man bedenkt, dass die Stellen, die vorher noch von einer „regulären“ Arbeitskraft besetzt waren, jetzt mit Ein-Euro-Kräften besetzt sind, wie es beispielsweise im öffentlichen Dienst der Fall ist, dann werden einige Gelder gespart!

Sind doch die Kosten für einen regulären Arbeitsplatz, die ein Unternehmer für seine Arbeitnehmer(innen) inklusive 20 Prozent Beitrag zu den Sozialversicherungen tragen muss, deutlich höher, als das, was aus der Staatskasse für eine Ein-Euro-Kraft ausgegeben wird. Das bedeutet, bei einem geringen Gehalt von 1.500 Euro brutto (circa 1.100 Euro netto) bei Single-Arbeitnehmer(inne)n betragen die Lohnkosten 1.800 Euro für den Unternehmer.

Eine alleinstehende Person, als Ein-Euro-Kraft beschäftigt, kostet die Staatskasse hingegen 1.378 Euro. Das errechnet sich wie folgt: ALG-II-Regelsatz Alleinstehende(r): 345 Euro. Wohnkosten inklusive maximal 50 Euro Heizkosten: 315 Euro, Sozialversicherungsbeiträge: 218 Euro, Trägerpauschale für den Ein-Euro-Job: 500 Euro. Gesamtbetrag: 1.378 Euro. Somit liegt die Ein-Euro-Kraft im „Preis/Leistungsverhältnis“ deutlich vorn und belastet die Staatskasse in diesem Beispiel um 422 Euro weniger!

Zu bedenken ist, dass Angestellte im öffentlichen Dienst teilweise über 1.500 Euro brutto bekommen. Ein Austausch dieser Kräfte durch Ein-Euro-Kräfte entlastet die Staatskasse entsprechend mehr. Ein-Euro-Jobber, die bei privaten Trägern „beschäftigt“ sind, kosten den Staatshaushalt im ersten Moment zwar nur Geld. Doch wie sieht es beim zweiten Hinschauen aus? Ein Beispiel: Eine Parkanlage im Eigentum der Stadt soll regelmäßig gepflegt werden.

Einen Gartenbaubetrieb damit zu beauftragen, kostet die Staatskasse bei einem Preis von 25 Euro pro Stunde und Arbeitskraft und einem Aufwand von vier Arbeitskräften, die 16 Stunden im Monat die Anlage pflegen, 1 .600 Euro monatlich. Eine Einrichtung, die Ein-Euro-Kräfte beschäftigt, damit zu beauftragen, liegt im Preis deutlich darunter, kostet doch so einem Träger die Ein-Euro-Kraft nicht einen Cent im Monat! Im Gegenteil, er erhält 500 Euro monatlich für ihn, wovon circa 150 Euro an die Ein-Euro-Kraft gehen, und behält 350 Euro monatlich selbst!

Dass dieser Träger von Ein-Euro-Kräften der Stadt einen unvergleichlich günstigeren Preis für die gleichen Dienstleistungen anbieten kann, versteht sich von selbst. Setzt man dieses Rechenbeispiel fort, bekommt man ein Bild davon, wieviel in der Staatskasse bei der Beauftragung dieses Trägers eingespart wird. Gehen wir davon aus, dass bei diesem Auftrag vier Ein-Euro-Kräfte (alleinstehende Personen, die mit jeweils 1.378 Euro aus der Staatskasse bezahlt werden) zum Einsatz kommen.

Eine Person arbeitet bei einer 40-Stunden-Woche circa 160 Stunden im Monat. Wenn man nun die monatlichen Kosten für die Ein-Euro-Kraft durch 160 Stunden teilt, weiß man, was den Staatshaushalt eine geleistete Stunde dieser Ein-Euro-Kraft kostet, nämlich 8,61 Euro. Ist der Auftrag so umfangreich, dass bei der Beauftragung der Gartenbaufirma vier Kräfte zum Einsatz kommen würden, die 16 Stunden im Monat die Parkanlage pflegen, so werden auch bei der Beauftragung des Ein-Euro-Trägers vier Kräfte benötigt, die 16 Stunden im Monat die Anlage pflegen.

Wieviel die Staatskasse diese Dienstleistung monatlich kostet, errechnet sich wie folgt: je Kraft 8,61 Euro pro Stunde mal 16 Stunden mal vier Ein-Euro-Kräfte ergibt 551,04 Euro. Das ist eine Differenz von 1048,96 Euro zu dem Betrag, den die Stadt oder die Staatskasse bei der Beauftragung des Gartenbaubetriebes aufbringen müsste. Da der Träger 350 Euro monatlich pro Ein-Euro-Kraft aus der Staatskasse erhält, ist er in gewisser Hinsicht für seine Dienstleistungen, die er der Stadt mit den Ein-Euro-Kräften bietet, bezahlt.

Auch hier sorgt ein Rechenbeispiel für Transparenz: 350 Euro durch 160 Stunden dividiert ergibt 2,19 Euro. Diesen Betrag erhält der Träger für eine einstündige gebotene Dienstleistung, die er von einer Ein-Euro-Kraft ausführen lässt. Da es sich bei dem Träger um eine „gemeinnützige“, das heißt nicht gewinnorientierte Einrichtung handelt, ist davon auszugehen, dass mit diesen 2,19 Euro pro Stunde alle Unkosten, sprich Verwaltungskosten, An- und Abfahrtskosten oder Verschleiß der Arbeitsgeräte wie Rasenmäher beglichen sind und er keine weiteren Gelder von der Stadt für seine Dienstleistung erhält.

Das bedeutet, die Stadt zahlt bei Erfüllung der genannten Dienstleistung statt 1.600 Euro an den Gartenbaubetrieb nur noch 551,04 Euro an den Träger. Das ist ungefähr ein Drittel vom regulären Marktpreis. Mit dieser Politik beziehungsweise Vetternwirtschaft werden die Unternehmen ins Abseits gedrängt, während die Stadt günstig ihre Aufträge erledigen lässt. Da zunehmend Ein-Euro-Kräfte anstelle regulärer Arbeitskräfte diese sogenannten gemeinnützigen Arbeiten wie Pflege von Parkanlagen und Schulhöfen oder Sanierungen von Gebäuden ausführen, können sich Dienstleistungsbetriebe, die Arbeiten ausführen, welche ebensogut unter dem Deckmantel der „gemeinnützigen Arbeit“ von Ein-Euro-Kräften erledigt werden können, ihre Aufträge durch die Stadt irgendwann abschminken.

Arbeiten, die unter dieser Bezeichnung von Ein-Euro-Kräften ausgeführt werden, wurden vor nicht allzu langer Zeit von Firmen der freien Marktwirtschaft erledigt. Die Stadt hat private Aufträge, beispielsweise städtische Friedhöfe und Parkanlagen pflegen oder städtische Gebäude restaurieren und sanieren, an gewinnorientierte Firmen vergeben. Es sieht so aus, als würden die Politiker das Ruder dahin lenken, sich hauseigene Arbeiter zu verschaffen, die 1.378 Euro im Monat kosten. Von denen bekommen sie dann alle Arbeiten erledigt, und sie müssen nicht mehr die teuren Preise gewinnorientierter Unternehmen der freien Marktwirtschaft bezahlen.

Dies geschieht auf Kosten der mittleren und größeren Firmen und der momentan noch vorhandenen Arbeitsplätze und relativen Freiheit der noch arbeitenden Bürger. Die Politiker wären schön blöd, wenn sie solche Arbeiten nicht gänzlich auf den Sektor der „gemeinnützigen“, durch Träger von Ein-Euro-Kräften zu erledigenden Arbeit verlegen würden! Mit dieser Politik wird systematisch der Arbeitsmarkt lahmgelegt, während sich das Angebot für die Stadt an supergünstigen Dienstleistungen, sprich „gemeinnützigen“ Arbeiter(inne)n, ausweitet.

Jeder Mensch, der seinen Arbeitsplatz verliert und nach einem Jahr der Erwerbslosigkeit zur Ein-Euro-Kraft gezwungen wird, ist ein immenser Gewinn für die Staatskasse. Das vorangegangene Rechenbeispiel zeigt, dass die Stadt ungefähr ein Drittel für die gleiche erhaltene Dienstleistung bezahlen muss, wenn sie statt von einem privaten Gartenbaubetrieb durch einen Träger von Ein-Euro-Kräften ausgeführt wird. Durch jede neu hinzukommende Ein-Euro-Kraft, die für „gemeinnützige Arbeiten“ eingesetzt wird, spart die Stadt Gelder ein. Sie profitiert von jedem Erwerbslosen, der erwerbslos bleibt und nach einem Jahr zur Ein-Euro-Kraft wird. Gar nicht dumm!

Jeder Ein-Euro-Job drückt auf einen Arbeitsplatz. Wo Ein-Euro-Kräfte im Einsatz sind, werden keine Arbeiter, sprich Firmen des ersten Arbeitsmarktes, benötigt. Die Folgen sind eine schlechtere Auftragslage für die Firmen und Entlassungen. Die entlassenen Menschen werden nach einem Jahr der Erwerbslosigkeit als Ein-Euro-Kraft beschäftigt. Daraus folgt eine höhere Zahl von Ein-Euro-Kräften, deren Beschäftigung die Konjunktur der Firmen des ersten Arbeitsmarktes weiter verschlechtert. Daraus ergeben sich noch mehr Auftragseinbußen für diese Firmen und noch mehr Entlassungen. Es zeigt sich ein Kreislauf, bei dem die Arbeitslosigkeit fortwährend zunimmt.

Die Politiker sagten, dass es durch die Ein-Euro-Jobs keinen weiteren Stellenabbau geben werde. Das ist eine ihrer vielen Lügen. Die Realität hat den Bürger eines Besseren belehrt: In den öffentlichen Einrichtungen ist es seit längerer Zeit Praxis, dass Angestellte entlassen werden, um ihre Tätigkeiten von einer Ein-Euro-Kraft erledigen zu lassen. Durch den Ein-Euro-Job gibt es weiteren Stellenabbau. Im öffentlichen Dienst ist es längst üblich, Ein-Euro-Kräfte zu beschäftigten.

Die Auftragseinbußen am ersten Arbeitsmarkt durch die Beschäftigung von Ein-Euro-Kräften betrifft die großen Konzerne nicht, da Arbeiten wie beispielsweise Autos und Unterhaltungselektronik fertigen nicht von „gemeinnützigen“ Firmen und somit Ein-Euro-Kräften ersetzt werden können. Zunehmend gehen die kleinen Unternehmen kaputt, und die großen werden immer reicher. Mit dieser Politik zerstören die Politiker systematisch den ohnehin schon um seine Existenz ringenden Mittelstand.

Ein Beispiel: Die Caritas hat eine Tochterfirma, CarMen gGmbH, die Ein-Euro-Kräfte beschäftigt. Die Stadt Koblenz vergibt laut Polit-Magazin „Panorama“ vom 2. Februar 2005 seit Einführung der Ein-Euro-Jobs auf interne Anweisung des Oberbürgermeisters Schulte-Wissermann alle Aufträge unter 10.000 Euro an diese Firma. Koblenzer Unternehmen, die sie bisher erhalten haben, müssen seither mit Auftragseinbußen leben. Bei einem Gartenbaubetrieb, der Grünflächen von Schulen pflegte, und einem Bauunternehmen, das Sanierungsaufträge durch die Stadt bekam, wurden Aufträge wieder zurückgenommen. Diese Arbeiten wurden stattdessen von sogenannten gemeinnützigen Firmen mit Ein-Euro-Kräften erledigt. Bereits einen Monat nach Einführung der Ein-Euro-Jobs musste ein betroffener Gebäudereinigungsdienst aufgrund ausbleibender Aufträge durch die Stadt Koblenz Leute entlassen!

Die Ein-Euro-Jobs schadet den Firmen der freien Marktwirtschaft und treiben immer mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit, während mit einer steigenden Zahl von zwangsweise beschäftigten Erwerbslosen weiter die systematische Zerstörung von klein- und mittelständischen Unternehmen vorangetrieben wird. Die Politik, die dahinter steckt, heißt: Löhne runter, steigende Gewinne für die Konzerne und mehr Geld im ganz persönlichen Geldbeutel der Herren Politiker, Geldgeschenke als kleines „Dankeschön“ für ihre konzerngerechten Entscheidungen! Bürger, die ihren Arbeitsplatz behalten wollen, fordern dagegen die sofortige Abschaffung der Ein-Euro-Jobs. Nur ein sich regenerierender Mittelstand schafft Arbeitsplätze!

Flugblatt von Stefan Elz (parteilos)
Nicht vogelfrei: Friedliche Demonstrationen müssen, selbst wenn sie nicht erlaubt sind, vom Staat gegen Übergriffe geschützt werden („Spiegel-Online“)
 
Bremer Behinderten soll Fahrgeld gestrichen werden: Wir treffen
uns vor der beschlussfassenden Sitzung der Sozialdeputation
am Dienstag dieser Woche um 10:30 Uhr, um unsere Solidarität
mit den Betroffenen zu bekunden (Siemens-Hochhaus)

 

Schluss mit diesen Stasi-Methoden!

Deutschland wird immer mehr zum Schnüfflerstaat: Die BND-Affäre wirft nur ein Schlaglicht auf die Praxis bundesdeutscher Behörden, die sich vom Stasi-System der DDR nicht mehr viel unterscheidet. Beim „Optimierungsgesetz“ zu Hartz IV wird die Schnüfflermethode der Firma „Horch und Guck“ zum Normalfall!

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und 14 Datenschutzbeauftragte der Länder rügen in einer gemeinsamen Presseerklärung die ALG-II-Verschärfungen, mit denen alle Arbeitslosengeld-II-Empfänger unter Generalverdacht gestellt werden: die Beweislastumkehr für eheähnliche Gemeinschaften, den automatisierten Datenabgleich, die Schnüffelpraxis mit illegalen Hausbesuchen. Letzteres ist ein Verstoß gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung!

Wolfgang LangeDer Präsident des Paritätischen Wohlfahrtsverbands fordert eine Erhöhung des ALG II um 20 Prozent auf 415 Euro, wobei auch dies immer noch zu wenig ist, um die Forderung der europäischen Sozialcharta nach Sicherung eines angemessenen Lebensstandards für jeden zu erfüllen. Hierfür wären 60 Prozent des Durchschnittseinkommens erforderlich: 1.662 Euro pro Monat!

Die Dividende für die 100 reichsten Familien in Deutschland betrug 2005, ohne die übrigen Einkommen, 1,72 Milliarden Euro. Doch der Ausbildungspakt ist vollständig gescheitert: 371.000 Jugendliche sind noch unvermittelt. Es gibt 3,4 Prozent Lehrstellen weniger als vor einem Jahr. Gleichzeitig sollen die Alten bis 67 arbeiten und sich danach wohl gleich in die Kiste betten!

Der fünfte Altenbericht wurde im August 2005 der Schröder-Regierung übergeben und seitdem unterschlagen. Darin heißt es: „Die in jüngster Zeit beschlossenen Maßnahmen führen dazu, dass durch Ungleichentwicklung der Einkommensverteilung die Gefahr der Altersarmut zunimmt und die Einkommensbelastung für Altersvorsorge für lange Zeit durch die Reformmaßnahmen steigen wird.“

Am 30. Juni 2005 waren 3,8 Millionen Menschen im öffentlichen Dienst beschäftigt, zweieinhalb Prozent weniger als im Vorjahr. 97.500 Stellen wurden vernichtet. Das zeigt, wie wichtig der fünfzehnwöchige Streik im öffentlichen Dienst war! Am 3. Juni sagen wir auf der Demo in Berlin: Schluss mit den „Reformen“ gegen uns! Es reicht nicht mehr, nicht mehr wählen zu gehen: Wir müssen aktiv den Kampf für die eigenen Interessen, für die Zukunft der Kinder, aufnehmen!

Wolfgang Lange (MLPD)

 

Schluss mit „Reformen“ gegen uns!

Das große Redebuch
Band I (2004/2005):
Schröders Hartz-Attacke und 
seine vorgezogene AbwahlSehr maikühl war es auch heute, als wir uns zur 87. Montagsdemo um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz zusammenfanden. Der erste Teil der Kundgebung mit dem Offenen Mikrofon fand wie immer am Roland statt. Mit dem Läuten des Doms um 17:55 zogen wir zu unserer kurzen Demo zum Hanseatenhof los, wo anschließend fast eine dreiviertel Stunde die Hauptrunde des Offenen Mikrofons mit sehr vielen Beiträgen stattfand. Hier unter den „Kauflustigen“ fanden wir viele Zuhörer und Interessierte, die stehenblieben, und wir waren sicher wieder um die 45 Anwesende. Mit dem hartzigen „Meckie Messer“ beschlossen wir die Kundgebung: „Ja, der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht! Dank Agenda hast du keine, denn dein Geld reicht dafür nicht!“

Unter dem Motto „Schluss mit den ‚Reformen‘ gegen uns“ wollen wir am 3. Juni gemeinsam zur Großdemo nach Berlin fahren, zu der die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen, das Erwerbslosen-Forum Deutschland, das Aktionsbündnis Sozialproteste, die Koordinierungsgruppe der bundesweiten Montagsdemonstrationsbewegung, die WASG Bonn, Attac und andere aufrufen. Wir haben einen Bus gechartert, der Fahrpreis beträgt für Arbeitslose zehn, für Vollverdiener 20 Euro. Abfahrt ist um sechs Uhr morgens am ZOB Breitenweg, unter der Hochstraße.

Am 10. Juni 2006 findet das zweite Frühlings­fest der Bremer Montagsdemo wieder in den Neustadtswallanlagen beim Hallenbad Süd statt, von circa 15 bis 22 Uhr. Für Essen und Trinken zu moderaten Preisen ist gesorgt.

Jobst Roselius für dieBundesweite Montagsdemo
 
Glückwunsch: Aktionsbündnis Sozialproteste macht eigene Zeitung („Artikel 1“)
Bis die Presse kommt: Wer die rechtswidrige Gaspreiserhöhung nicht bezahlt, dem dreht die SWB auch das Wasser ab („Tageszeitung“)
 
Verfassungswidrig: Mehrwertsteuererhöhung führt mit Verbrauch- und Einkommensteuern dazu, dass „kleinen“ Bürgern mehr als die Hälfte des Verdienstes genommen wird („Spiegel-Online“)
 
CDU-Kauder vom Spargel gestochen: Hartz-IV-Empfänger sollen „Gegenleistung“ erbringen, ohne einen Euro dafür zu bekommen („Spiegel-Online“)
 
Abschaffung der Menschenwürde durch Zustimmungszwang: Wer drei „Jobangebote“ ablehnt, bekommt kein Hartz IV mehr („Spiegel-Online“)
 
Merkels kleine Schritte zum Faschismus: Schon die Nationalsozialisten
forderten in ihrem Programm von 1920 die „Abschaffung des arbeits-
und mühelosen Einkommens“ („Documentarchiv“)
 
Donnerstag, 1. Juni 2006: Reichstag beschließt Restauration der
Sklavenhaltergesellschaft („Tageszeitung“, „Spiegel-Online“)
 
Zwangsarbeit ist verboten: Der Sozialstaat verpflichtet nicht den Schwächeren zur Arbeit, sondern den Eigentümer zur Steuerzahlung (Grundgesetz)
 
Arbeitslos, aber nicht wehrlos: Montagsdemo zeigt erste
Formen zivilen Ungehorsams („Protest 2006“)

 

Unterwegs mit Vampiren

Elisabeth Graf1. Morgens früh um sechs kam gestern nicht die kleine Hex’, sondern wartete am ZOB-Bahnhof der bunte Reisebus auf uns, der uns nach Berlin bringen würde. Leider tagte nicht „der Sonne Morgenstrahl“, der alle Kreatur wecken würde, doch „der Vögel froher Frühchoral“ sang und jubelte überall und ließ uns auf gutes Wetter hoffen. Die Hoffnung stirbt zuletzt! Wir waren teils noch müde, teils auch schon aufgekratzt, in freudiger Erwartung auf eine großartige, bunte Demonstration. Der Blick durch die Windschutzscheibe blieb allerdings trüb und milchig. Wir freuten uns an den Farbklecksen aus knalligem Mohn, erfrischend gelben Ginsterbüschen und den blaulila Lupinen am Wegesrand. An einer Raststätte stiegen noch weitere Mitstreiter(innen) hinzu.

Als wir nach gut fünfeinhalb Stunden in Berlin ankamen, begann ein Dauerregen, der nicht mehr aufhören wollte. Einige von uns konnten sich später auswringen, denn sie trugen Sandalen und hatten keinen Regenschutz eingepackt. Es dauerte seine Zeit, bis wir uns alle vor dem Roten Rathaus versammelt hatten. Immer noch regnete es Bindfäden. Die „Hartzer-Käse“-Kostüme samt den daran befestigten plakativen Aussageblättern waren schon durchweicht, als es endlich losgehen konnte. Viele Städte ließen sich durch Abgesandte ihrer Montagsdemos vertreten. Wir gaben ein buntgemischtes Bild ab; auch ein lustiges Straßentheater begleitete uns und brachte immer wieder witzige Einlagen.

Berlin hatte ein unglaublich kolossales Polizeiaufgebot aufgefahren, das sehr martialisch wirkte. Wir stellen offenbar eine enorme Bedrohung für die Regierenden dar! Wahrscheinlich projizieren sie ihre in Gesetzesvorlagen dargestellten Angriffsabsichten auf unsere Existenz auf uns und erwarten massive Gegenwehr. Ja, ich wundere mich selbst immer wieder über den kläglichen Widerstand in Deutschland! Mehrere tausend Menschen widersetzten sich immerhin dauerhaft der Nässe, die so langsam in alle Poren zu kriechen begann. Nach Schluss der Kundgebung bekamen wir am Rande mit, dass sich die Polizei vier Demonstranten herausgegriffen hatte. Ein Spektakel begann, als massenhaft Mannschaftswagen mit Lalülala angefahren kamen, aus denen dann die Uniformierten heraussprangen. Ich weiß nicht, ob mich das alles nur an einen Polizeistaat erinnert, oder ob ich mich schon in einem befinde.

 

2. Bisher dachte ich, der Gipfel an Ausbeutung sei bereits durch die unsäglichen Ein-Euro-Jobs erreicht. Weit gefehlt! Unionsfraktionschef Volker Kauder will nun durchsetzen, dass Arbeitslose grundsätzlich eine „Gegenleistung“ für ihre kargen „Bezüge“ vollbringen müssten! Sie sollen also täglich etwa drei bis vier Stunden „leichter Arbeit“, wie auf dem Feld oder hinter dem Tresen, auferlegt bekommen. Er sieht zudem keinerlei Notwendigkeit, dies auch noch mit nur einem popeligen Euro zu „vergüten“. Abgesehen davon ist Feldarbeit zwar eine Tätigkeit, die Ungelernte verrichten können, aber sie ist alles andere als leicht!

Jetzt also zusätzlich noch die Steigerung bis hin zum Null-Euro-Job: Damit werden automatisch bestehende Arbeitsplätze vernichtet und noch mehr Arbeitslose geschaffen, die dann als Ein- oder Null-Euro-Jobber dieselbe Arbeit wie früher für’n Appel und ’n Ei verrichten sollen. Eine wirklich tolle Idee, Herr Kauder! Früher wurde ZwangsarbeitReichsarbeitsdienst“ genannt. Als was sollen wir es heute bezeichnen?

Vergangenen Donnerstag peitschte die Große Koalition mit Affenzahn und nicht nachvollziehbarer Eilbedürftigkeit weitere Verschärfungssanktionen bei Hartz IV durch. Wer dreimal im Jahr eine „zumutbare Beschäftigung“ nicht annimmt, dem kann die Agentur sämtliche Bezüge einschließlich der Miete streichen! Sollen hier mit Vorsatz noch mehr vagabundierende, hungernde Obdachlose geschaffen werden, ein neues Lumpenproletariat, das wie in anderen Elendsvierteln auf der Welt in sich erst neu herausbildenden Gettos hausen muss?

Was soll mit den betroffenen Kindern geschehen? Sollen diese dann im teuren Heim untergebracht werden, oder müssen sie mit ihren Eltern zusammen in Wellblechhütten, am Rande von Müllhalden, völlig verslummen? Wozu solche Drohgebärden, wenn es diese Arbeitsplätze, deren Annahme verweigert werden könnte, doch gar nicht gibt? Die Agentur für Arbeit hat dessen ungeachtet bloß Ein-Euro-Jobs und wohl demnächst auch Null-Euro-Jobs in ihrem perfiden Sonderangebot! Dergleichen verschärfte Gesetze ergäben nur da einen Sinn, wo massenhaft freie Stellen nicht besetzt werden.

Wenn ich derartige Meldungen aufnehme, stelle ich mir immer vor, wie den Verfassern solcher sadistischen Ideen voller Hassprojektionen der glibberige Geifer am Kinn herunterläuft. Was muss es doch toll sein, sich über andere erheben zu können, es ihnen mal so richtig zu zeigen, um sich selbst ganz groß und mächtig bedeutsam zu fühlen! Komisch, mein Ziel ist es, im warmen Kontakt zu anderen Menschen Nähe und Verbundenheit zu erleben. Erst dann fühle ich mich wohl!

Wir Deutschen sind ein merkwürdiges Volk: Schon immer brauchten die Germanen einen Sündenbock, egal ob es sich dabei um Juden, Asylbewerber, „Zigeuner“ – also Sinti und Roma – handelte oder jetzt eben um Arbeitslose. Das kommt mir wie ein Déjà-vu-Erlebnis vor! Die Sündenbockfunktion dient dazu, absolut alles, aber wirklich jedwedes Negative einer ausgesuchten Personengruppe anzulasten, um dann selbst mit seinesgleichen in angeblich lupenreiner weißer Weste vorstellig zu werden.

Vorzugsweise in Krisenzeiten versucht die jeweilige Bundesregierung, das enttäuschte Wahlvolk von der eigenen Inkompetenz beziehungsweise dem Wahlbetrug abzulenken! Darum müssen wir Arbeitslosen ausnahmslos „faul“ sein, behaglich schnurrend in der sozialen Hängematte schaukeln und uns durch falsche Angaben am unermesslich dick ausgepolsterten Arbeitslosengeld II bereichern. Als Volksschädlingsvampire liegen wir der im Schweiße ihres Angesichtes hart arbeitenden Bevölkerung bleischwer auf der Tasche.

Aber auch diese infame Lüge wird nicht lange von der wachsenden Erleuchtung in der Götterdämmerung abhalten können, dass die Wähler mit der Großen Koalition vom Regen in die Traufe gekommen sind! Keinesfalls die Arbeitslosen verhalten sich himmelschreiend unsozial, sondern supersonnenklar die Damen und Herren aus der Regierungsriege! Von Gerechtigkeit ist weit und breit nicht der leiseste Hauch einer Spur zu bemerken. Denn nach wie vor wird mit vollen Händen von weit unten nach ganz oben geschaufelt!

Während die Mehrwertsteuer einen Höchststand an Belastung, gerade für Menschen mit kleinem Geldbeutel – also Geringverdiener, Rentner, Studenten, Familien mit Kindern und Arbeitslose – erklettern soll, werden die Steuern für Unternehmer weiter abgesenkt. Letztere zeigen sich dafür jedoch keineswegs erkenntlich, sondern streichen pausenlos weitere sozialversicherungspflichtige Stellen, wandern ins Niedriglohnausland ab und bieten immer weniger Ausbildungsplätze an.

Die Bundesregierung unternimmt auch nichts dagegen, dass gutgehende Unternehmen scharenweise ihre Angestellten auf die Straße setzen, weil dann die entsprechenden Börsenkurse rasant in die Höhe steigen. Völlig ungeniert wird permanent mit falschen Zahlen bei der scheinbaren Verteuerung des ALG II operiert, und selbstverständlich hat der so hoch verschuldete deutsche Etat jederzeit ein paar Milliärdchen übrig, um mal eben ein paar Hundert Soldaten in den Kongo zu schicken, damit militärisch angeblich die demokratische Wahl unterstützt werden kann. Sie haben schon mal besser gelogen!

Elisabeth Graf (parteilos)
 
Sozialprotest erstmals auch in den bürgerlichen Medien: 15.000 Menschen demonstrieren in Berlin gegen verschärftes Hartz IV („Rote Fahne News“,
„Tagesschau“, „Spiegel-Online“, „Heute“, „Süddeutsche Zeitung“)
 
Nervöse Spannung während Fußball-Weltmeisterschaft: Blockieren
unionsgeführte Länder am 7. Juli im Bundesrat die menschenverachtende „Fortentwicklung“ der Arbeitsmarktgesetze zugunsten
einer ebensolchen „Generalrevision“? („Spiegel-Online“, „Bild“-Zeitung, „Rote Fahne News“, „Tageszeitung“, „Spiegel-Online“)
 
„Alle fassen sich an den Kopf“: Bremer Arbeit GmbH schreibt Protestbrief an Bundestagsabgeordnete der Koalition („Tageszeitung“)
 
Gescheitert: Mutter aller Reformen („Tageszeitung“)
 
Merkela for Quicktime: Kommt langsam, geht aber
schnell wieder vorbei („Bundeskanzlerin“)
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