616. Bremer Montagsdemo
am 22. 05. 2017  I◄◄  ►►I

 

„Die Bundesregierung betreibt Schönfärberei“

Harald BraunSo beurteilt der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwege den neuen „Armuts- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung. Die Regierung behauptet, dieser Bericht gebe die soziale Lage der Menschen in Deutschland zutreffend wieder. Tatsächlich jedoch verharmlost der Bericht die wachsende Armut großer Teile der Bevölkerung und verschleiert den Zusammenhang zur gleichzeitigen sprunghaften Zunahme des Reichtums in den Händen weniger. Viele Passagen wurden vor der Herausgabe wieder gestrichen. „Armutsbericht zensiert und geschönt“, titelte treffend die „Zeit“.

Der Bericht soll die Behauptung von Bundeskanzlerin Angela Merkel stützen, dass es den Menschen in Deutschland „noch nie so gut ging wie heute“. Sie begründet das in erster Linie mit der gesunkenen offiziellen Arbeitslosenzahl und einem Beschäftigungshöchststand von 43,8 Millionen. Die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse sagt aber nichts aus über die Entlohnung. Die Zahl der Vollerwerbsarbeitsplätze sank seit 2000 von 25,3 auf 23 Millionen, während jene der Teilzeit- und Minijobs von 10,6 auf über 15 Millionen angestiegen ist. So hat sich zum Beispiel die Leiharbeit an den Bremer Schulen in den letzten sechs Jahren verzehnfacht: von 114 auf 1.198 Beschäftigte. Mit den Hartz-Gesetzen entstand in Deutschland der größte Billiglohnsektor in Europa. Fast ein Viertel der Beschäftigten ist heute im Niedriglohnsektor tätig. Das bedeutet ein Leben in oder am Rande der Armut.

Insbesondere beschönigt der Bericht die zunehmende Kinderarmut. Während real die Zahl der von Hartz IV betroffenen Kinder auf über zwei Millionen gestiegen ist, wird in dem Bericht so getan, als ob sie durch das sogenannte Bildungspaket gleiche Chancen hätten. Dabei ist das eine einzige Mogelpackung: Der erbärmlich niedrige Satz für Bildungsangebote reicht nicht einmal dafür, ein Musikinstrument zu lernen. Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) hatte noch im Februar erklärt: „Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt nicht weiter zu“. Schließlich wirft die Wirklichkeit ein schlechtes Licht auf die dafür maßgeblich mitverantwortliche Regierungspartei SPD. Nachdem SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sein Herz wieder für vage Versprechungen von „mehr sozialer Gerechtigkeit“ entdeckt hat, gibt auch Nahles zu: „Die unteren 40 Prozent der Beschäftigten haben 2015 real weniger verdient als Mitte der 90er Jahre“.

Bei der Entwicklung des Reichtums verwischt der Bericht gezielt die Spuren. Demnach gilt schon als reich, wer doppelt so viel verdient wie der Durchschnittsverdiener, also 3.500 Euro im Monat. Mit solchen Definitionen lässt sich natürlich leicht belegen, dass in Deutschland der Reichtum grassiert. Ausgeblendet wird, dass die steigende Ausbeutung der großen Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter und Angestellten die Quelle des gigantischen Reichtums einer kleinen Minderheit von Kapitalbesitzern und Großspekulanten ist. Der Reichtum kommt im Bericht fast gar nicht vor. Über Hartz-IV-Empfänger weiß man alles – sogar wie viele Zahnbürsten in ihrem Bad stehen. Die Vermögensstatistiken der Superreichen sind so lückenhaft, dass Billionen Euro im Nirwana verschwinden. Dennoch kann der Bericht nicht leugnen, dass die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung fast 51,9 Prozent des Nettogesamtvermögens besitzen, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung gerade mal auf ein Prozent kommt.

Damit werden wir uns nie abfinden! Deshalb fordert die Montagsdemo unter anderem: Weg mit den Hartz-Armutsgesetzen! Erhöhung des Arbeitslosengeldes I und unbegrenzte Bezahlung für die Dauer der Arbeitslosigkeit! Erhöhung von Sozialhilfe und Grundsicherung über die Armutsgrenze (derzeit 1.100 Euro netto)! Wir nehmen unsere Interessen selbst in die Hand und setzen uns für fortschrittliche Alternativen ein. Wir diskutieren dabei auch über eine andere Gesellschaft, in der der gesellschaftliche Reichtum den arbeitenden Menschen umfassend zugute kommt. Dann wird es keine Ausbeutung, keine Arbeitslosigkeit und keine Armut mehr geben. Macht mit – damit sich wirklich etwas ändert!

Harald Braun
 
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