572. Bremer Montagsdemo
am 13. 06. 2016  I◄◄  ►►I

 

Hartz IV bringt 80-Cent-Jobs, 30-m2-
Wohnungen, Mangelernährung

Elisabeth Graf1. Wenn ich den Namen Andrea Nahles höre oder lese, dann erwarte ich nichts Positives. Nun plant sie allen Ernstes 80-Cent-Jobs für etwa 100.000 Flüchtlinge. Die ohnehin schon viel zu geringe „Mehraufwandsentschädigung“ soll noch weiter reduziert werden. Derzeit bekommen die mehr als 80.000 Ein-Euro-Jobber in Deutschland mindestens 1,05 Euro pro Arbeitsstunde, wobei dieses Geld nicht als Arbeitslohn gilt. Solche nur in absoluten Ausnahmefällen zu einem echten Arbeitsplatz verhelfenden Ein-Euro-Jobs bringen gewöhnlich nichts weiter außer Ausbeutung und Vernichtung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze.

Bisher erhielten Asylbewerber mit einer auf maximal sechs Monate befristeten Arbeitsgelegenheit ebenfalls 1,05 Euro pro Stunde, für die gearbeitet wird, obwohl die verhöhnende „Entlohnung“ nicht als Arbeitslohn zu bezeichnen ist. Die Regierung liefert eine ziemlich merkwürdige Begründung für dieses „Zwei-Klassen-System“ auf dem zweiten oder dritten Arbeitsmarkt: Weil die meisten Asylbewerber in ihren Gemeinschaftsunterkünften eingesetzt würden, etwa bei der Essensausgabe, entstünden ihnen nur geringe Mehrausgaben, die eine Absenkung des pauschal ausgezahlten Betrags auf 80 Cent je Stunde rechtfertigten.

War es nicht eigentlich von Anfang an das Ziel, noch mehr billige und willige Arbeitskräfte für die Wirtschaft ins Land zu holen? Ist Frau Merkel nicht deshalb so großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen gewesen? Würde Humanität sonst in ein mittlerweile beinahe ausschließlich profitorientiertes neoliberales Wirtschaftssystem passen?

 

2. Bauministerin Barbara Hendricks will die Vorschriften drastisch reduzieren, damit mehr Wohnungen in kürzerer Zeit zu günstigeren Preisen entstehen können. Single-Boom und Flüchtlingskrise sollen nun dafür herhalten, dass der Wohnraum knapp werde. Dabei ist dieses Problem hausgemacht. Es hat überhaupt nichts mit den vermeintlichen „Sündenböcken“ zu tun, dass die Politiker(innen) es seit Jahrzehnten versäumt haben, sich um die Erhaltung und Neuschaffung von günstigem Wohnraum zu kümmern.

Verträge für B-Schein-Wohnungen liefen aus, wurden weder verlängert, noch ausgebaut. Statt sich vernünftig um die Lösung dieses massiven Problems zu kümmern, will Hendricks die Vorschriften für Neubauten drastisch lockern: Autostellplätze sollen wegfallen, und wir müssten uns an 30-Quadratmeter-Wohnungen gewöhnen. Die Bauministerin behauptet, junge Berufstätige bräuchten meist nicht mehr Wohnfläche, weil sie hauptsächlich zum Schlafen in ihren Wohnungen seien.

Wenn Hendricks bereits junge Berufstätige in solche Wohnklos mit wahrscheinlich fensterlosen Kochnischen, ebensolchen Dusch-WCs und Klappbett einsperren und das dann zynisch als „wohnen“ hochstilisieren möchte, dann frage ich mich natürlich, was wohl erst Langzeiterwerbslosen und armen Rentnern zugemutet werden soll. Soll denen vielleicht eine Wohnungssituation wie Zehntausenden sogenannter Käfigmenschen in Hongkong zugemutet werden, deren Zuhause kaum größer ist als ein Hundezwinger, ungeschützt vor Willkür und Ungeziefer?

Wir sollen nicht vergessen, dass es Gerichtsurteile gibt, die einer Einzelperson, die auf Transferleistungen angewiesen ist, 50 Quadratmeter zugesteht. Auf wie vielen Quadratmetern Frau Hendricks selbst wohnt, das ist dem Artikel nicht zu entnehmen. Sie ist Jahrgang 1952, damit schon weit über 30 Jahre alt und könnte sich „deswegen“ großzügig den drei- bis vierfachen Platz gönnen, um in ihrem Zuhause auch leben zu können.

 

3. Beim Thema Mangelernährung denken die meisten Menschen wohl an Entwicklungsländer in Afrika oder Asien. Doch auch in Deutschland ist das Problem verbreitet: 1,5 Millionen erwachsene Deutsche sind mangelernährt. Schon vor Jahren warnten Gesundheitsexperten in Deutschland, bei Senioren sei Mangelernährung immer häufiger festzustellen. Davon betroffen seien vor allem alte und chronisch Kranke, die gern zu Hause bleiben wollten, sich aber nicht mehr so gut versorgen könnten. Bei Krankenhausaufenthalten falle auf, dass jeder vierte Patient mangelernährt sei.

Deswegen wird ein Screening nach dem Vorbild anderer Länder, wie etwa in Großbritannien, gefordert, wo Patienten auf ernährungsbedingte Krankheiten untersucht werden. Im Vereinigten Königreich warnen Mediziner schon seit langem vor Mangelernährung aufgrund der wachsenden Armut im Land. Erkrankungen, Einsamkeit, steigende Hilfsbedürftigkeit oder Altersarmut seien Gründe für verminderten Appetit, durch den sich das Risiko schwerer Komplikationen erhöht. Patienten mit Mangelernährung hätten ein deutlich höheres Risiko zu sterben oder schwere Komplikationen zu entwickeln.

Leider gibt ein „Heilpraxisnet“-Artikel nur die Hälfte des Problems wieder, denn die Armut in unserem reichen Deutschland beginnt nicht erst im Alter, sondern für immer mehr Menschen von klein auf. Die Meinung, in Deutschland müsse niemand hungern, gerät gewaltig ins Wackeln, weil bei uns viele Menschen an verstecktem Hunger leiden. Besonders Kinder, die in von Hartz IV darben müssen, sind betroffen, weil ihnen oft wichtige Nährstoffe fehlten. Ursächlich dafür ist aber kein Mangel an Lebensmitteln, sondern einseitige Ernährung aus Unwissenheit und – was nicht so einfach beeinflussbar ist – aus finanzieller Not sowie wegen zunehmender Industrialisierung.

Leider muss schon aufgrund des niedrigen Hartz-IV-Regelsatzes der Anspruch an Lebensmittel auf Billigprodukte minderer Qualität heruntergeschraubt werden. Dennoch geht es nicht nur darum, irgendwie satt zu werden, sondern auch darum, gesund zu bleiben. Mangelernährung kann durch fehlende Vitamine und Nährstoffe zu Wachstumsstörungen und anderen Krankheiten führen. Dies hat nicht nur Folgen für den Betroffenen selbst, sondern für die ganze Gesellschaft. Die Folgen der Mangelernährung mindern die Produktivität und steigern den Bedarf an Sozialleistungen. Ich empfinde es als Skandal, dass in Deutschland inzwischen rund jedes siebte Kind von Hartz-IV-Leistungen abhängig ist.

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Am Donnerstag, dem 16. Juni 2016, veranstaltet das „Bremer Netzwerk gegen Hartz IV“ um 14 Uhr auf dem Marktplatz eine szenische Kundgebung gegen die geplanten massiven Gesetzesverschärfungen. Hintergrund ist die Verantwortung der Bremer Landesregierung, die mit ihrem Sitz im Bundesrat Einfluss auf den Gesetzesentwurf nehmen könnte.
 
Unter dem Titel „Die Regierung rückt nach rechts – wir nicht!“ lädt die MLPD herzlich ein zu einer Veranstaltung zur Vorbereitung ihres X. Parteitags. Sie findet statt am Samstag, dem 18. Juni 2016, im Kulturzentrum Schlachthof, Magazinboden, Findorffstraße 51. Einlass ist um 18 Uhr.
 
Was man in der Türkei ungestraft sagen darf: Präsident Erdogan leidet
an vorzeitigem Hochschulabschluss („Spiegel-Online“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz