519. Bremer Montagsdemo
am 11. 05. 2015  I◄◄  ►►I

 

Die Betroffenen sind nicht „zu
bildungsschwach“, um ihre aussichtslose Situation zu erkennen

Elisabeth Graf1. Nach der Ausbildungsgarantie sollten eigentlich alle jugendlichen Schulabgänger einen Aus­bil­dungs­platz bekommen. Uneigentlich erfüllt sich dieses Versprechen aber eben keineswegs für alle. Bis zum Beginn des Ausbildungsjahres 2014 erfasste die Arbeitsagentur für Bremen und Bremerhaven 5.585 Bewerber, von denen der Großteil auch einen der 5.421 gemeldeten Ausbildungsplätze bekam. Wenn dann „lediglich“ 265 Jugendliche als „unversorgte Bewerber“ gelten, weil sie weder einen Ausbildungsplatz bekommen noch eine sogenannte Weiterbildungsmaßnahme, dann hört sich das doch nach einer guten Quote an. Aber wie wir alle wissen, ist Papier geduldig, und wir können nur lesen, was draufsteht!

Mit anderen Worten: Es müssen auch alle Schüler als lehrstellensuchend in der Statistik der Bremer Arbeitsagentur auftauchen. Leider stellte sich nun heraus, dass die Zahl der Suchenden offenbar wesentlich höher ist, als die offizielle Statistik behauptet. Wie das sein kann? Wenn ein Jugendlicher Interesse an einer Ausbildung hat und sich an die Behörde wendet, liegt es im Ermessen des Sachbearbeiters, dessen Qualifikation und Eignung einzuschätzen. Der Sachbearbeiter kann den Jugendlichen für „ausbildungsreif“ halten und ihm sowohl den Bewerberstatus als auch Ausbildungsangebote vermitteln. Er kann dem Jugendlichen diese Eigenschaften aber auch absprechen, weil er beispielsweise schlechte Noten hat oder schlecht Deutsch spricht.

Dann werden dem Jugendlichen lediglich entsprechende Maßnahmen vorschlagen, um seine Defizite aufzuholen, und von Ausbildungsplätzen ist gar nicht mehr die Rede. Ob der Sachbearbeiter auch selbst „beurteilungsreif“ ist oder nach Sympathie oder Antipathie entscheidet, vermag ich nicht zu ermessen. Das Wichtigste überhaupt: In der Statistik taucht der „nicht ausbildungsreife Jugendliche“ erst gar nicht auf, obwohl er sich nach wie vor auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz befindet. Praktischerweise sei es nicht bekannt, wie viele Jugendliche bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz durch das Raster der Arbeitsagentur fallen oder sich gleich ausschließlich selbständig auf die Suche begeben.

Nach einer Untersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung taucht das Problem mit der Statistik bundesweit auf, weil die Wirtschaft offenbar ein Interesse daran habe, die Zahl der „ausbildungsfähigen“ Jugendlichen klein zu halten und somit den „politischen Druck“ aus der Statistik zu nehmen. Angeblich um zu verhindern, dass viele Jugendliche ihr Vertrauen in Institutionen wie die Agentur für Arbeit verlieren, habe die „Jugendberufsagentur“ in Bremen letzte Woche ihre Arbeit aufgenommen. Mir fällt mal wieder auf, dass das Euphemisieren von Statistiken ihrer „Klienten“ zur besonderen Stärke einer Arbeitsagentur zu gehören scheint.

Auf dass das Versprechen der Ausbildungsgarantie, herzallerliebst aufgehübscht in quietsch-rosaroten Zahlen, frühlingshaft erblühen möge! Da mag das offizielle Ziel der Jugendarbeitsagenturen, dass mehr junge Menschen schneller eine Ausbildung und einen Berufsabschluss bekommen mögen, noch so positiv erschallen – die gesamte Herangehensweise wirkt mehr als unerfreulich. „Ausbildungserfolge“ werden kaum mit ordnungspolitischer Lenkung von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt erreicht, sondern eher, wenn mehr Betriebe in die Pflicht genommen würden, die Stellen für eine Ausbildungsgarantie zur Verfügung zu stellen. Zugegeben, es könnte leichter sein, den Schulabgängern einen Stempel über ihren „individuellen Mangel“ aufzudrücken, eben selbst nicht ausbildungsfähig zu sein.

Weil im derzeitigen Umgang mit unterfünfundzwanzigjährigen Hartz-IV-Be­zie­hern bereits noch schneller und „hochprozentiger“ sanktioniert wird als ohnehin schon, erscheint es mehr als fraglich, dass diese Sonderbehandlung von behördlicher Seite aus aufgegeben werden könnte, selbst wenn – wie vom Senat nachträglich angekündigt – Sanktionsfreiheit angestrebt werde. Woanders ist wieder im uns bestens vertrauten Ton nachzulesen, „dass eine höhere Zahl von ‚Kontakten‘ seitens des Jobcenters zu mehr ‚Meldeversäumnissen‘ und damit auch zu mehr Sanktionen führe“. Auch das Bestreben der „Jugendarbeitsagenturen“, alle Schulabgänger(innen) zwischen 15 und 25 zu erfassen, wird datenrechtlich sehr kritisch gesehen, zumal das Schul- beziehungsweise Schuldatengesetz offenbar dafür geändert werden müsste.

Bisher scheint leider nur „Die Linke“ nach dem Motto „Alles wird immer neoliberaler – Jugend-Jobcenter sind keine Lösung!“ das Ausmaß dieser Jugend-Arbeitsagentur zu hinterfragen. Psychologin Britta Littke-Skiera kritisiert treffend, dass echte Beratung nur dann auf Augenhöhe stattfinden könne, wenn Jugendlichen die Möglichkeit gegeben würde, alle Faktoren gegeneinander abzuwägen und sich frei zu entscheiden. Bei der „Beratung“ der Jobcenter und Arbeitsagenturen sieht sie hingegen ein System, das durch Ausübung von Zwang und Druck unter Androhung von Sanktionen funktionierte. Gerade junge Menschen müssten bereits aufgrund eines sehr geringen „Fehlverhaltens“ Sanktionen fürchten, während sie zu fast jeder Tätigkeit oder Maßnahme gezwungen werden könnten, unter deren Folgen möglicherweise die ganze Familie leiden müsste, die mit „in Sippenhaft“ genommen würde.

Wie sollten sich Jugendliche wohl unter solchem oft existentiellen Druck, ihren Neigungen und Begabungen entsprechend, für eine Berufsausbildung entscheiden können? Da ist doch eher zu befürchten, dass sie sich aus Angst sehr schnell den Vorschlägen des zuständigen Sachbearbeiters beugen, zumal diese ohnehin nicht abgelehnt werden dürfen. Weiterhin lässt sich argwöhnen, dass diese „Jugendjobcenter“ hauptsächlich dazu dienen sollen, junge Menschen in perspektivlose Niedriglohnjobs zu vermitteln und Sanktionen rigide gegen sie durchzusetzen, damit sie frühzeitig begreifen, „wo der Hammer hängt„. Für Littke-Skiera wären hier eine echte Beratung auf Augenhöhe, die Abschaffung von Hartz IV und die Einführung einer armutsverhindernden, existenzsichernden, sanktionsfreien Grundsicherung hilfreich.

 

2 Bis Sonntag dachte ich noch, in Bremen stehe bereits vor dem Ende der Bür­ger­schafts­wahl so gut wie fest, wie sie ausgeht. Ebenso war ziemlich von Anfang an mit einer hohen Zahl von Nichtwählern zu rechnen. Das kleinste Bundesland weist die größte soziale, wohl eher finanzielle Spaltung auf, weil hier die meisten Millionäre in ihren Villen residieren und die meisten Armen von Hartz IV vegetieren. Die Reichen gehen wählen, die Armen oft nicht mehr: Diesen Trend bestimmte der Kölner Soziologe Armin Schäfer treffend als „Verlust politischer Gleich­heit“.

Ich glaube nicht, dass die Zahl der ungültigen Stimmen in den armen Ortsteilen etwas mit einer „intellektuellen Überforderung der Ungültigwähler“ durch das neue Wahlrecht zu tun hat, sondern mit einer Protesthaltung. Der „Anfang vom Ende der Demokratie“ ist meiner Meinung nach nicht den Nichtwählern oder den Ungültigwählern geschuldet, sondern hat etwas mit der neoliberalen Haltung etlicher Politiker gegenüber den „Überflüssigen“, den „Abgehängten“, den in unserer Gesellschaft „nicht mehr Verwertbaren“ zu tun. Ich fürchte, hier wird etwas ganz Entscheidendes nicht verstanden oder will nicht verstanden werden!

Warum in aller Welt sollten finanziell Arme und Abgehängte, gesellschaftlich Ausgeschlossene bitte schön auf die Idee kommen, ausgerechnet jene Politiker zu wählen, die sie abgehängt haben beziehungsweise weiter abhängen lassen und sich ganz bestimmt nicht für die Verbesserung ihrer Situation einsetzen? Soll hier die von Armut betroffene Bevölkerung für blöd verkauft werden? Ausgerechnet der sozialdemokratische Bundeskanzler Schröder setzte bewusst alles an den Aufbau eines gigantischen Dumpinglohnsektors und verabschiedete zusammen mit den Grünen und natürlich der CDU/CSU und der FDP die menschenverachtenden Hartz-Gesetze.

Ich weiß gar nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn sich dann in aller Bigotterie darüber gewundert und beklagt wird, dass Kinder aus einkommensschwachen Verhältnissen stark benachteiligt sind. Mehr als die Hälfte hat nicht genug Geld, um einmal im Monat ins Kino, Theater oder Konzert zu gehen. Natürlich reicht die staatliche Unterstützung für arme Familien hinten und vorne nicht aus. Sie orientiert sich zu wenig am Bedarf der Kinder. Schön, dass diese Erkenntnis nach über zehn Jahren nun auch angekommen ist! Danke, dass hier niemand weiter mit „sozial schwach“ abwertet, sondern von den tatsächlich vorhandenen „einkommensschwachen Familien“ gegenüber jenen „in gesicherten finanziellen Verhältnissen“ schreibt. Nein, die Betroffenen sind nicht „zu bildungsschwach“, um ihre aussichtslose Situation zu erkennen!

Bertolt Brecht formulierte treffend: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber“. Zur „Einleitung“ der Abschaffung der Demokratie gehört es in meinen Augen vielmehr, den gesellschaftlich ausgegrenzten Armen grundgesetzlich garantierte Rechte zu verwehren. Daher freue ich mich, dass „Die Linke“ solch einen Stimmenzuwachs zu verzeichnen hat, da sie die einzige im Bremer Senat vertretene Partei ist, die sich für Hartz-IV-Bezieher einsetzt. In Berlin würde ich „Die Linke“ dagegen nicht wählen. Vor der Wahl rechnete wohl niemand damit, dass Bürgermeister Jens Böhrnsen als Konsequenz für den Stimmenverlust sein Amt niederlegen würde. Wenn sich jetzt eine Große Koalition herauskristallisieren sollte, wird wohl noch weniger mit einer effektiven Bekämpfung der staatlich initiierten Armut zu rechnen sein. Verdammter Mist, dass FDP und auch noch AfD es geschafft haben, in die Bremische Bürgerschaft zu kommen!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke

 

Mein Wort zum Vatertag

Hans-Dieter WegeImmer mehr dieser parlamentarischen politischen „Volksvertreter(innen)“ schlagen in ihrer Stellvertreterpolitik vor, die Menschen sollten mehr mit­be­stim­men dürfen. Hiermit wird in meinen Augen bereits der nächste Betrug an der Mehrheit der Menschen eingeläutet, mit dem man wohl ausschließlich Stimmen der Wählerinnen und Wähler gewinnen will. Wieso eigentlich mehr Mitbestimmung?

Die Menschen müssen in ihrer Mehrheit selbst bestimmen dürfen, wie, wann, von wem und ob überhaupt etwas gemacht wird. 50 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt Bremen sind den letzten parlamentarischen Wahlen ferngeblieben, weil sie ihre Interessen durch die gewählten Stellvertreter nicht mehr vertreten sehen. Nun müssen – nach richtigen Schlussfolgerungen – nur noch die richtigen Forderungen gestellt werden.

Bestimmt sollten sich diese 50 Prozent in einer Alternative für ein gemeinsames Handeln zum Wohle der Mehrheit zusammenfinden. Anscheinend könnten sie hiermit selbst jede Wahl in Bremen mit absoluter Mehrheit gewinnen und notwendige gesellschaftliche Veränderungen einläuten. Ich wünsche mindestens diesen 50 Prozent einen schönen Feiertag! Sie haben bereits fast alles richtig gemacht mit dem Fernbleiben von diesen Wahlen. Freundliche Grüße!

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner unsozialer Politik)

 

Solidarität mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer

Liebe Kolleginnen und Kollegen der GDL, wir erklären uns uneingeschränkt solidarisch mit eurem Streik für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und gegen eine weitere Beschneidung des Streikrechts in Deutschland! Nach zehn Monaten Verhandlung und sieben Warnstreiks hat sich der Vorstand der Deutschen Bahn keinen Millimeter bewegt. Er trägt die volle Verantwortung für die Verschärfung des Streiks und seine Auswirkungen auf Millionen Bahnkunden.

Wir weisen entschieden die Hetze der Regierung, des Bahnvorstandes, von „Bild“ und anderen Medien gegen die GDL zurück. Besonders empörend sind die persönlichen Attacken gegen euren Vorsitzenden Claus Weselsky! Vor lauter Stimmungsmache erfahren die Bürger kaum noch, wofür ihr eintretet: Die GDL fordert fünf Prozent mehr Lohn, Abbau und Begrenzung der vielen Überstunden und Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 39 auf 38 Stunden. Damit könnten zahlreiche neue Arbeitsplätze für arbeitslose Menschen geschaffen werden.

Der Bahnvorstand weigert sich auch, alle GDL-Mitglieder des Zugpersonals in den bereits bestehenden Flächentarifvertrag einzubinden. Diese Forderung ist mehr als berechtigt! Der Bahnvorstand verschleppt die Verhandlungen ganz bewusst, bis das sogenannte Tarifeinheitsgesetz im Sommer in Kraft tritt. Mit diesem Gesetz will die Regierung das jetzt schon stark eingeschränkte Streikrecht in Deutschland weiter beschneiden und kämpferische Gewerkschaften handlungsunfähig machen. In eurem Streik geht es also um mehr als nur Tarifforderungen: Es geht um unser aller Rechte!

Wir haben heute Abend die 519. Montagsdemo in Bremen durchgeführt. Seit 2004 kämpfen wir gegen die Hartz-Gesetze und den gesamten Sozialabbau. Es hat sich längst bestätigt, dass sie die Massenarmut und den Druck auf die Beschäftigten massiv beschleunigt haben. Deshalb müssen die Hartz-Gesetze weg! An unserem Offenen Mikrofon haben wir über euren Streik und den Streik der Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas informiert und große Sympathien erfahren.

Ihr seid mit eurer konsequenten und kämpferischen Haltung ein Vorbild für uns und andere Protestbewegungen! Wir werden in der Öffentlichkeit weiter für die volle Berechtigung eures Streiks einstehen. Wir wünschen euch viel Kraft, Zuversicht und Rückgrat für die weiteren harten Auseinandersetzungen! Der Bahnvorstand und die Bundesregierung dürfen mit ihren Angriffen nicht durchkommen! Mit vielen solidarischen Grüßen.

Initiative Bremer Montagsdemo – siehe auch GDL
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz