1. Der „Weser-Kurier“ schrieb vergangenen Donnerstag, die Weltgesundheitsorganisation warne davor, dass die Lebenserwartung der Europäer als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise sinken könne. Wenn „wirtschaftliche oder soziale Krisen zu einer Kürzung der Gesundheitsausgaben führten“, seien „die stetigen Fortschritte bei der Lebenserwartung in Europa“ gefährdet. So wird ein 2010 geborenes Kind durchschnittlich 76 Jahre alt werden, ein 1980 geborener Europäer hingegen nur etwa 71 Jahre. Diese Entwicklung wird auf den Rückgang bestimmter Erkrankungen sowie eine Verbesserung der Lebensumstände zurückgeführt. Die Lebenserwartung schwankt in den einzelnen Ländern deutlich, zwischen 68,7 Jahren in Kasachstan und 82,2 Jahren in Spanien.
Auch die Gesundheitsausgaben unterscheiden sich: Sie betragen in Frankreich 11,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Turkmenistan lediglich 2,5 Prozent. Eigentlich steht nur in der Überschrift des Artikels etwas dazu, dass die Finanzkrise die Lebenserwartung verkürzen könne. Uneigentlich müsste da stehen, wie die neoliberalen Politiker mit der Wirtschaftskrise umgehen: Wie seit den Hartz- Gesetzen immer mehr Eigenzuzahlungen von den Patienten geleistet werden müssten, wer sich das finanziell nicht ermöglichen könne, dann eben Pech habe und früher sterben „dürfe“. Im Durchschnitt müssen Kassenversicherte 380 Euro jährlich aus eigener Tasche zahlen. Die privaten Zuzahlungen seien demnach in den letzten fünf Jahren deutlich angestiegen.
2. Natürlich dürfen wir auch nicht außer Acht lassen, dass die Chefs der gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr teils deutlich mehr verdienten als noch 2011, der Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK zum Beispiel rund 15.000 Euro mehr erhielt und der Leiter der Pronova BKK gut 10.000 Euro. Um sich die Größenordnung einmal vorstellen zu können: Der Vorsitzende der DAK Gesundheit verzeichnete ein Gehalt in Höhe von 242.540 Euro, der Chef der Pronova BKK wurde mit 244.218 Euro vergütet. Es geht hier nicht um eine „Neiddebatte“, sondern um eine schlichte Verständnisfrage, denn wer diese Zahlen liest, rätselt doch, für welche Gegenleistung solche unglaublichen Gehälter gezahlt werden, wohingegen die Kassen angeblich zu leer seien, um die 90 Prozent Kassenpatienten optimal zu behandeln, weshalb es kein Geld für Brillen und fast keines für Zahnersatz gibt.
Meiner Meinung nach leisten Ärzte, Krankenpfleger, Lehrer und Erzieherinnen durch anspruchsvolle Arbeit mit und am Menschen, aber auch Straßenbauer, Ingeniere und die Männer der Müllabfuhr wirklich etwas für diese Gesellschaft. – Nun will die SPD eine eigene Gesetzesinitiative zur Begrenzung überhöhter Managergehälter einbringen, um die steuerliche Absetzbarkeit von Vergütungen, Boni und Abfindungen einzuschränken: Der Teil, der 500.000 Euro im Jahr übersteige, solle nur noch zur Hälfte steuerlich absetzbar sein.
Es soll auch eine Anregung des Deutschen Gewerkschaftsbundes bezüglich der Gehaltsobergrenzen überprüft werden, wonach eine bestimmte Relation zu den Durchschnittsgehältern im Betrieb nicht überschritten werden dürfe. Immer noch wird so getan, als ob mit einer äußerst maßvollen Deckelung der Managergehälter deren exzessives Ansteigen in unermessliche Höhe mit den im krassen Gegensatz dazu seit Jahren schrumpfenden Gehältern der unteren Schichten irgendwie in Einklang zu bringen sei. Nein, das ist mitnichten so in Ordnung!
3. Die Enquete-Kommission des Bundestags „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ plädiert für die Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters auf 69 Jahre bis zum Jahr 2060. Ein Renteneintrittsalter von 70 Jahren trauen sie sich hingegen wohl noch nicht kackfrech und dreist zu fordern. Diese Art der Rentenkürzung verdeutlicht, dass wir alle bis zum Umfallen arbeiten sollen.
Die „Besserverdienenden“ werden ein paar Jahre früher mit kleinen Abzügen in Rente gehen, wohingegen die anderen auch mit 69 Jahren nicht wissen, wie sie mit dann bestimmt noch weniger als 40 Prozent ihres Dumpinglohnes über die Runden kommen sollen. Wie „gut“, wenn die Lebenserwartung sinkt und kaum einer erleben wird, dass er in Wirklichkeit gar keine Rente mehr bekommt, weil in Deutschland immer mehr die asozialen amerikanischen Verhältnisse einziehen.
Die Enquete-Kommission möchte außerdem mehr Väter „an den Wickeltisch“ locken, weil durch die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen „eine Verhaltensänderung von Männern“ unverzichtbar sei. Sehr löblich, doch wie sollen Männer vermehrt zu Hause bleiben, wenn doch auf ihr noch immer etwa 23 Prozent höheres Gehalt gar nicht verzichtet werden kann?
4. Der Wirtschaftsweise Lars Feld warnt vor einer Zunahme der Arbeitslosenzahlen durch Mindestlöhne, weil die Politik so mit der Gefahr spielte, den „Erfolg“ ihrer eigenen Reformen zunichte zu machen: „Uns geht es viel zu gut, deshalb fangen wir wieder an, Unsinn zu machen“. Wer redet hier eigentlich Unsinn? Welche Erfolge für wen – das ist doch vielmehr die entscheidende Frage! „Uns geht es zu gut“? Wer ist „wir“? Sicherlich sind es kaum die finanziell herumkrebsenden Erwerbslosen, Minijobber, Aufstocker, Dumpinglohn-Beziehenden! Es ist leicht, mit zweierlei Maß zu messen, Wasser zu predigen und selbst Wein zu schlürfen. Die Folgen solches – nennen wir es höflichkeitshalber: Geredes – kriegen nie die Verursacher selbst zu spüren.
5. Obwohl die Callcenter-Branche mit mieser Bezahlung, starker Fluktuation und loser Tarifbindung eines der schlechtesten Images in der deutschen Arbeitswelt hat, wächst sie dank großzügiger Subventionen der Bundesregierung Jahr für Jahr weiter. Inzwischen arbeiten rund eine halbe Million Menschen in dem Sektor. Laut Regierungsangaben fließt der größte Anteil der staatlichen Gelder an Callcenter-Beschäftigte, deren Lohn nicht zum Leben reicht. Selbst Vollzeitbeschäftigte erhielten durchschnittlich 461 Euro pro Monat.
Mehr als 68 Prozent bezogen 2010 (neuere Daten liegen nicht vor) ein Entgelt unterhalb der offiziellen Niedriglohnschwelle von 10,36 Euro brutto in der Stunde. Die Callcenter kosten den Staat jährlich 36 Millionen Euro und Tausende Mitarbeiter die Gesundheit! Wenn die meisten Leute gar nicht dort arbeiten und noch weniger durch Anrufe von dort belästigt werden wollen, dann frage ich mich wirklich, wieso die Callcenter überhaupt so viel Unterstützung bekommen.
6. Nach einer neuen Studie des Bundesfamilienministeriums zeigt sich, dass Frauen kaum den Wechsel aus einem Minijob in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schaffen. Dieser Übertritt gelinge umso unwahrscheinlicher, wenn Frauen mehrere Minijobs haben, oder auch je länger der Minijob währt. Nur 14 Prozent der Frauen, die früher einen Minijob als Hauptbeschäftigung ausübten, hätten heute eine Vollzeitstelle, 26 Prozent eine Teilzeitstelle mit mindestens 20 Stunden pro Woche. Mehr als die Hälfte sei nicht mehr am Arbeitsmarkt tätig.
Damit tritt klar zutage, dass Minijobs keinesfalls als „Brücke in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung“ wirken, sondern vielmehr ein „Programm zur Erzeugung lebenslanger ökonomischer Ohnmacht und Abhängigkeit von Frauen“ darstellen! Obwohl Minijobber arbeitsrechtlich allen anderen Beschäftigten gleichgestellt sind, werden sie von einer Vielzahl von Arbeitgebern als billige Arbeitskräfte zweiter Klasse behandelt. Zwei Drittel der Minijobber haben der Studie zufolge noch nie den ihnen gesetzlich zustehenden bezahlten Urlaub genommen. 41 Prozent wird bezahlter Urlaub generell verwehrt, 39 Prozent erhalten keine Fortzahlung im Krankheitsfall.
Es wäre schön, könnte man Arbeit erwerben wie eine Tüte Brötchen beim Bäcker. Sie wird aber nicht millionenfach gekauft von den Arbeitnehmer(inne)n, sondern diese müssen ihre Arbeitskraft verkaufen. Deshalb wäre es wichtig und richtig, dass Mitglieder einer linken Partei diesbezüglich eine deutliche Sprache sprechen. Von der Lohnarbeit muss die Rede sein: Sie ist es, mit der eine große Mehrheit der Bevölkerung ihre derzeitige und zukünftige Reproduktion absichern soll. Ein solidarisches Grundeinkommen mit der dazu gehörigen Verkürzung und Umverteilung der Lohnarbeit ist mittlerweile ein notwendiger und richtiger Schritt. Warum?
Wenn man aus den Angaben des Bundesamtes für Statistik alle geleisteten Stunden der Selbständigen und Staatsbediensteten sowie alle Lohnarbeitsstunden der circa 20 Millionen Vollzeitbeschäftigten herausrechnet, dann wird man feststellen, dass für 34 Millionen mögliche Erwerbsfähige nach Abzug der Vollzeitarbeit nur noch durchschnittlich 25,25 Stunden im Monat an bezahlter Lohnarbeit von den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden!
Heute müssen sich also 34 Millionen mögliche Erwerbsfähige nach den sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten das letzte Fünftel der von den Unternehmen bezahlten Lohnarbeit untereinander teilen. Das wären für jede(n) Lohnarbeiter(in) ungefähr 25,25 Stunden im Monat. Sollten diese Erwerbstätigen ihre Reproduktionskosten mit Lohnarbeit erarbeiten, wäre unter diesen Bedingungen ein Mindestlohn von ungefähr 70 Euro in der Stunde notwendig! Die Umverteilung der Lohnarbeit muss also ein Muss werden – doch selbst die Partei, die sich „Die Linke“ nennt, stellt diese Forderung nicht offensiv in der Öffentlichkeit auf, sondern buhlt lieber um den Mittelstand, der um seine Privilegien fürchtet.
Ein Grundeinkommen wäre allerdings kaum solidarisch, müssten sich ausschließlich Reiche und große Unternehmen an der Finanzierung beteiligen. Ein gleiches Grundeinkommen von der Geburt bis zur Bahre darf immer nur aus dem gesamtgesellschaftlichen Ergebnis aller Güter und Dienstleistungen eines Jahres von allen arbeitsfähigen Menschen finanziert werden – selbstverständlich prozentual nach der Leistungsfähigkeit! Aber Freibeträge sollte es in einer solidarischen Gesellschaft nicht geben. Nur so lassen sich Bedingungen schaffen für ein solidarisches und menschenwürdiges Miteinander aller Bürgerinnen und Bürger! Sämtliche Scheindebatten zur „Vollbeschäftigung allein durch Lohnarbeit“ sollte man als Partei beenden und ablehnen. Für ein schönes Leben für alle!
Das ist echt der Hammer! Wie oft haben die Regierenden schon erzählt, dass sie die Krise der EU „voll im Griff“ hätten. Auf Zypern wurden am Wochenende die Sparkonten der Bürger gesperrt und jedem Sparer mindestens 6,75 Prozent gestohlen. Die Finanzminister der EU haben diese Zwangsabgabe auf Sparbücher diktiert. Es wird so getan, als ob damit die Besitzer großer Vermögen belastet werden sollten, um Zypern zu „retten“. Aber Aktien und Investmentfonds sind von den Zwangsmaßnahmen ausgespart. Welcher Superreiche legt sein Geld auf einem Sparbuch mit Minizinsen an? Alle Guthaben der Reichen und Superreichen waren schon längst abgezogen. Diese Kreise sind immer sehr gut vernetzt und werden selbstverständlich benachrichtigt, bevor solche Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden.
Diese Enteignung trifft die kleinen Sparer. Dieser Diebstahl zeigt, dass die Krisenlasten immer rigoroser auf die Bevölkerung abgewälzt werden! „So etwas kann uns hier in Deutschland nicht passieren“, hoffen manche. Nicht heute, aber vielleicht morgen, denn vom Grundsatz her ist es natürlich immer möglich. Es war die Merkel- Regierung, die diese Enteignung vorangetrieben hat. Finanzminister Schäuble soll sogar eine Zwangsabgabe von 40 Prozent gefordert haben. O-Ton Schäuble: „Bankeinlagen sind eine sensible Sache, da muss man schnell handeln, daher macht man es am Wochenende“.
Insgesamt 5,8 Milliarden Euro sollen auf diese Weise für die „Rettung“ des zyprischen Bankensystems und des Staatshaushalts aufgebracht werden. Viele Länder in der EU stehen vor dem drohenden Staatsbankrott, weil den angeblich notleidenden Banken und Konzernen Billionen Euro aus Steuergeldern in den Rachen geschoben wurden. Die Zeche soll die Masse der Bevölkerung doppelt und dreifach bezahlen. Griechenland, Spanien und jetzt Zypern – das ist nur ein Vorgeschmack darauf, was auch in Deutschland noch auf uns zukommt! Die EU hat in ihren Beschlüssen vom Wochenende bereits drastische Kürzungen der Fördermittel für Bremen und Niedersachsen beschlossen: Der Europäische Sozialfonds soll halbiert werden, mit dem bisher Projekte gegen Jugendarbeitslosigkeit oder zur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen finanziert wurden.
Die führenden EU-Länder versuchen, die Krisenlasten vor allem auf die Menschen in Südeuropa abzuwälzen, um Massenkämpfe in ihren Ländern zu vermeiden. Dabei sind sie jederzeit bereit, demokratische Rechte und die staatliche Souveränität mit Füßen zu treten. Die Enteignung der Sparkonten in Zypern wurde bereits vollzogen, obwohl noch nicht einmal das zyprische Parlament dem Diktat der EU zustimmen konnte. Die führenden EU-Länder stellten sie vor die Alternative, entweder der Einlagenenteignung zuzustimmen oder aus dem Euro auszusteigen. Das offenbart immer deutlicher, dass wir es mit einer Schein-Demokratie zu tun haben, die in Wirklichkeit eine Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals ist.
Wer sein Auto an die Wand fährt, muss es selbst bezahlen. Auch in Bezug auf die Weltwirtschafts- und Finanzkrise muss das Verursacherprinzip durchgesetzt werden: Das internationale Finanzkapital soll die Zeche selbst bezahlen! Schon in den letzten Jahren und Monaten hat es gegen die verschiedenen Krisenprogramme auf Zypern massenhafte Proteste und Generalstreiks gegeben. Auch gegenwärtig werden weitere Aktionen vorbereitet. Es ist wichtig, auf einen länderübergreifenden, gemeinsamen Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten in Europa hinzuarbeiten. Die Montagsdemos haben sich schon immer dafür stark gemacht und werden es auch in Zukunft tun.
1. Warum hat sich Bremen letztes Jahr für das Berliner Modell entschieden? Weil das hiesige Jobcenter 2012 seine Zielvorgaben (voraussichtlich) nicht erreicht hat. Verfehlt wurden die Ziele „Verringerung der Hilfebedürftigkeit“ sowie „Verbesserung der Integration in Arbeit“ und folglich auch die Vorgabe zur Reduzierung der Erwerbslosen mit Leistungsanspruch. Bremen liegt unter dem Bundesdurchschnitt. Eigentlich logisch! Es fehlt der Hansestadt nicht an Arbeitsvermittlern, sondern an Arbeitsplätzen.
Bremen ist Hochburg der Leiharbeit. Hierzu und zu den Zielvorgaben der Jobcenter gab es in der ARD einen sehr treffenden Beitrag: In Leiharbeit wird vermittelt, weil dies zur Erreichung der Zielvereinbarung am einfachsten ist. Die Vermittlung zählt – auch wenn der Leiharbeiter binnen Kurzem wieder erwerbslos ist. Eine Arbeitsaufnahme muss nur sieben Tage dauern, um als erfolgreich zu gelten! – Unter diesen Rahmenbedingungen sollte der Mensch annehmen, das Jobcenter werde einen Arbeitssuchenden, der eine Arbeitsstelle gefunden hat, unterstützen. Oder?
2. Hein hat einen Arbeitsvertrag in der Tasche. Er kann am nächsten Ersten anfangen. Voller Stolz geht er zu seinem Fallmanager und legt ihm den Arbeitsvertrag vor. Der Fallmanager kopiert sich den Vertrag und stellt fest: „Dann bekommst du kein Geld mehr von uns.“ Hein ist entsetzt: Der Arbeitsvertrag besagt, dass der Lohn nachträglich ausgezahlt wird. Hein macht klar: „Ich kann nicht in Vorleistung treten. Ich habe kein Geld!“ Hein kann seine Miete, Strom und Telefon, die Fahrkarte zur Arbeit nicht zahlen. Er kann sich nicht ernähren.
Der Fallmanager kann die Leistungen in unveränderter Höhe weiterzahlen, unter dem Vorbehalt der Rückforderung. So sieht es das SGB II vor. Der Fallmanager handelt daher willkürlich und begeht einen Rechtsbruch! Das Zuflussprinzip wurde durch eine Gerichtsentscheidung erweitert: Jeder Zahlungseingang ist auf die Leistungsansprüche des Monats anzurechnen. Auch wenn diese Zahlung erst am 30. des Monats eingeht. Diese Entscheidung sollte der Vereinfachung dienen.
Hein muss bei einem Zahlungseingang im laufenden Monat die Leistungen des Jobcenters zurückzahlen. Dies ist ebenfalls ein Problem, weil der Arbeitslohn somit für zwei Monate reichen muss. Der Fallmanager kann Hein eine Ratenzahlung gewähren. Damit wäre Hein „aus dem Schneider“ – ebenso, wenn der Arbeitslohn am ersten Tag des Folgemonats eingeht. Zusammen mit der darlehnsweisen Weiterzahlung wäre dies die Absicherung für die Arbeitsaufnahme. Es ist irgendwie paradox: Der Mensch hat Arbeit gefunden, will arbeiten, aber das Jobcenter macht dies unmöglich! Was macht Hein nun?
Der Fallmanager bleibt dabei: „Wir stellen die Zahlung ein!“ Hein macht einen Plan und arbeitet diesen ab. Bei seinen Fallmanager reicht er einen Antrag auf notwendige Anschaffungen für die Beschäftigungsaufnahme ein, außerdem einen Widerspruch gegen die angekündigte Zahlungseinstellung. Hein kann auch beides gegen Stempel am Empfangstresen abgeben oder einfach in den Briefkasten werfen – je nachdem, wie weit der Monatswechsel noch entfernt ist. Danach geht Hein zum Sozialgericht. Ausweis und Kontoauszug sowie den aktuellen Leistungsbescheid und den Widerspruch nimmt er mit.
Hein beschreibt bei der Rechtsantragsstelle seinen Geldmangel und beantragt einstweiligen Rechtschutz. Das Sozialgericht muss wissen, wie eilig es ist, und wird sofort tätig. Hein muss seinen Vermieter, die Telefongesellschaft und den Energieversorger informieren. Eventuell räumt seine Bank ihm eine befristete Überziehungsmöglichkeit ein. Die Förderung der Arbeitsaufnahme ist durch die Weiterzahlung der Leistung als Darlehn und die Rückzahlung in Raten machbar und vom SGB II so vorgesehen! Der Rechtsverstoß des Fallmanager bleibt für diesen ohne Folgen: Das Sozialgericht ordnet die Zahlung an, nicht die Bestrafung des Verursachers.
Einem Fallmanager muss eigentlich die gelungene Arbeitsaufnahme ein Anliegen sein! Solch ein Fallmager kann beim Gespräch abklären, welche Widrigkeiten noch zu beheben sind, und gemeinsam kann der Bedarf festgestellt werden. Es besteht die Möglichkeit, anlässlich der Arbeitsaufnahme zusätzliches Geld zu bezahlen, circa 300 Euro. Damit kann Hein sich regenfeste Kleidung für den Weg zur Arbeit kaufen und eventuelle weitere notwendige Anschaffungen tätigen. Doch das Abenteuer geht weiter: Hein hat Arbeit, und das Jobcenter schmeißt mit Knüppeln!
Hein hat vom Jobcenter ein Darlehn für die Bezahlung der Mietkaution oder für andere dringende Ausgaben erhalten. Die Darlehnsverträge haben die Klausel, dass mit Beendigung des Leistungsanspruchs der Restbetrag sofort fällig ist. Dies kann der Fallmanager ändern. Das bedeutet schon wieder einen Antrag, diesmal auf Rückzahlung des Restbetrages in monatlichen Raten, beginnend beispielsweise zwei Monate in der Zukunft.
Ohne Änderung gibt das Jobcenter die Darlehnsforderung an das Hauptzollamt zum Einzug oder zur „Beitreibung“ ab. Es kommt eine Aufforderung, innerhalb von 14 Tagen zu zahlen, sonst werde „vollstreckt“: So oder ähnlich schaurig klingt der Text. Hein kann jetzt Widerspruch beim Jobcenter einlegen, zur Begründung auf den Antrag auf Teilzahlung verweisen und eine Kopie an das Hauptzollamt schicken. Notfalls braucht er wieder die eilige Unterstützung des Sozialgerichts.
Der Fallmanager hat auch noch Möglichkeiten darüber hinaus: Im Lexikon des Jobcenters ist das Einstiegsgeld aufgeführt. Damit kann er notwendige Unterstützung leisten. Außerdem kann er auf die Rückzahlung der restlichen Darlehnsbeträge verzichten. Der Verzicht (die „Niederschlagung“ der Forderung) ist geboten, wenn Hein die Schulden so belasten, dass er seine Motivation zur Arbeit verliert. Diese Möglichkeit steht nicht im Lexikon. – Warum merkt der Arbeitssuchende so wenig von diesen positiven Möglichkeiten? Der Fallmanager handelt weisungsgebunden!
Der „Drehtüreffekt“ der Leiharbeit ergibt sich auch aus einer Studie des IAB für den Arbeitsmarkt in Bremen. Auf Seite 3 ist nachzulesen, dass 166.000 Einstellungen zahlreiche „Integrationschancen“ für die Erwerbslosen darstellten. Die geringe Verweildauer in den Leiharbeitsfirmen wird nicht negativ bewertet: Den Einstellungen stehen 170.500 Personalabgänge gegenüber! Die Zahlen stammen von 2002 bis 2007. Die Drehtüren haben sich inzwischen sicher beschleunigt!
Die sofortige Zahlungseinstellung bei Arbeitsaufnahme wird nicht von allen Fallmanagern vollzogen, ist aber kein Anfängerfehler: Gerade langjährige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen praktizieren sie. Gegenwehr ist möglich und nötig! Diese durch das Jobcenter verursachten Vermittlungshemmnisse haben schon manches Arbeitsverhältnis zerstört und damit auch die Chance zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit zerschlagen.
3. Ein Darlehn für die Mietkaution ist sei der Änderung des SGB II sofort zu tilgen. Dies hat das Sozialgericht Berlin nicht akzeptiert. Wie Harald Thomé informiert, sei für Kautionstilgung in der Regelleistung kein Spielraum. Das Gericht habe die Kautionsgewährung auf Zuschussbass angeordnet, dem Jobcenter allerdings die Möglichkeit eingeräumt, sich vom Hilfeempfänger eine Abtretungserklärung geben zu lassen, damit die Kaution nach Rückzahlung direkt dem Jobcenter zufließt. Diese Entscheidung ist richtungweisend.
In der Beratungspraxis sollte darauf Bezug genommen werden unter dem Motto: Keine Tilgung von Kautionsforderungen im laufenden Leistungsbezug! Mit dieser Begründung kann gegen einen die Kautionsdarlehensaufrechnung bestimmenden Bescheid Widerspruch oder Überprüfungsantrag eingelegt werden. Wenn eine Aufrechnung durch Vertrag oder Erklärung des Betroffenen durchgeführt wird, kann diese jederzeit mit Bezugnahme auf § 46 SGB I, Absatz 1, Teilsatz 2 zurückgenommen werden. Es sollte auf Basis dieses Urteils bundesweit gegen Kautionstilgungen aus der Regelleistung vorgegangen werden.
Ebenfalls von Harald Thomé stammt die nachfolgende Information: Berlin hat per kommunaler Satzung Mietobergrenzen festgesetzt, die das dortige Sozialgericht in einer aktuellen Entscheidung als unzulässig angesehen hat. Einem klagenden Hartz-IV-Empfänger wurden deutlich höhere Unterkunftskosten zuerkannt. Anzuerkennen sind die Werte nach § 12 Wohngeldgesetz mit zehnprozentigem Sicherheitszuschlag, für eine Person demnach 393,80 Euro zuzüglich Heizkosten von 45 Euro, also 438,80 Euro „warm“. Damit hat das Sozialgericht eine „neue Runde“ eröffnet. Berliner sollten darauf aufbauend handeln: Widersprüche einlegen und Überprüfungsanträge stellen.
Bei den vorstehenden Kosten der Unterkunft ist etwas unklar: Steht diese Heizkostenpauschale auch in der kommunalen Satzung zu den Unterkunftskosten? Eine Heizkostenpauschale ist genauso zu hinterfragen wie eine Mietobergrenze. Bremen bewilligt Heizungskosten nach dem „Heizspiegel Bremen 2010“ in Anlage 5 der „Verwaltungsanweisung Wohnen“ Eventuelle Kürzungen der tatsächlichen Heizkosten sind angreifbar. Es gibt dafür viele gute Gründe: Bei den in der bremischen Verwaltungsanweisung genannten Mietobergrenzen fehlt nicht nur der Zuschlag von zehn Prozent, obwohl die Gerichte diesen Zuschlag teilweise bewilligt haben, sondern schon die Grundbeträge sind falsch.
Auch über den Zehn-Prozent-Zuschlag sowie eine weitere Überschreitung denken die Richter am Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nach. Die „Solidarische Hilfe“ nennt auf einer Infoseite noch die etwas niedrigeren Mietobergrenzen gemäß § 10 Wohngeldgesetz ohne den Zuschlag von zehn Prozent „plus X“. Ein Eigenanteil bei der Miete ist angreifbar und mit Erfolg änderbar. Hier gilt es, genauso aktiv zu werden wie bei der Mietkaution angeregt. Bremen hat in dieser Verwaltungsanweisung zugestanden, dass in den Vorjahren falsche Mietobergrenzen bewilligt wurden. Auch diese Jahre sind „aufzurollen“, siehe vorherige Bremer Montagsdemos!
4. Der Bund hat circa 12.000 Wohnungen für 471 Millionen Euro verkauft, obwohl die verkauften Immobilien Gewinne für den Bund erwirtschafteten: „Das den Angaben zufolge führende Immobilienunternehmen in Ostdeutschland hat seit 2002 durchgängig Gewinne in zweistelliger Millionenhöhe erwirtschaftet. Das Finanzministerium hatte trotz der Ausschüttungen argumentiert, es bestehe kein ‚wichtiges Bundesinteresse‘ im Sinne der Haushaltsordnung. Der Bund sei verpflichtet, sich von diesen Beteiligungen zu trennen.“ Liest mensch im Bundesministerium nicht die ortsüblichen Zeitungen?
Bei der Information des Bundestags hat der Staatssekretär für Finanzen dies als „gutes Geschäft“ bezeichnet und darauf hingewiesen, dass die Mieter durch die Sozialcharta „umfassend geschützt“ seien. Diese Urkunde wurde vom Vorsitzendes des „Mieterbundes“ geprüft, der feststellte, sie sei „das Papier nicht wert“. Der Staatsrat war nicht gesprächsbereit. Es gibt unbestritten viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum, und trotzdem wird munter an „Heuschrecken“ verkauft! Einige Mieter haben bereits Mieterhöhungsforderungen im Briefkasten. Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!