1. Die unsägliche Herdprämie treibt immer neue Blüten. Im Frühling mag das angebracht sein, doch in diesem Falle wird es immer skandalöser, ja: schlägt dem Fass den Boden aus. Als ob es nicht schon reichen würde, dass die schwarz-gelbe Koalition im 21. Jahrhundert das Betreuungsgeld beschlossen hat, wonach Eltern ab dem kommenden Jahr eine Geldleistung dafür bekommen sollen, dass sie ihr Kind in den ersten drei Jahren daheim betreuen und nicht in die Kita oder Krippe schicken! Das Betreuungsgeld stärkt damit keineswegs die Wahlfreiheit junger Familien, sondern festigt überkommene Rollenbilder.
Ulrike Hauffe, die Bremer Landesfrauenbeauftragte, meint zu den aktuellen Plänen der Bundesregierung, dass sich junge Familien natürlich überlegen werden, ob sie sich den Stress des Wettbewerbs um einen der ohnehin unzureichenden Krippenplätze antun, oder ob nicht von vornherein ein Elternteil länger zuhause bleibt als möglicherweise geplant, was natürlich die meist schlechter verdienenden Frauen sind. Je größer die Lücken in der Erwerbsbiografie, desto weniger Chancen haben Frauen auf Wiedereinstieg, Fortbildung und berufliche Verbesserung. Am Ende steigt auch durch fehlende Rentenbeiträge ihr Armutsrisiko sowie jenes ihrer Familien.
Jetzt sollen Hartz-IV-Bezieher vom „Betreuungsgeld“ – dem verniedlichenden Ausdruck für die Herdprämie – ausgeschlossen werden. Formal auf dem Papier sollen sie es zwar erhalten, aber dann wird es ihnen wieder abgezogen, weil es über die angebliche Grundsicherung hinausgehe. So sieht Politik aus, wenn Erwerbslose geringschätzig für „spätrömisch dekadent“ gehalten werden, denn die Herdprämie soll es nur mit sozialer Auslese geben! Im Prinzip läuft es gerade so verquer wie beim Kindergeld und auch beim Elterngeld, dass es ausgerechnet jenen Eltern, die am wenigsten haben, wieder weggenommen oder gleich von vornherein nicht zugestanden wird. Die perfide Logik von Hartz IV passt entzückend zur Logik der CSU, wonach Familien der „bessere Ort für die Kindererziehung“ sein sollen, weil es dort „Nestwärme“ und ein „Wertegerüst“ gebe, das kein Kindergarten bieten könne.
Außer natürlich, die Eltern wären irgendwie asozial: verantwortungslos, ungebildet, alkoholabhängig. Solche Eigenschaften werden nur allzu gern in offener Diffamierung Langzeitarbeitslosen als „typisch“ zugeordnet. Daher kann den vermeintlich schlechteren Eltern auch kein Betreuungsgeld zugestanden werden. Der Hinweis, dass Arbeitslose vom Betreuungsgeld ausgenommen sind, ist wohl vor allem eine Beruhigungspille für die eigenen Leute auf der Regierungsbank, was aber nichts daran ändert, dass das Betreuungsgeld von Grund auf gequirlter Murks ist. Welchen Sinn soll es ergeben, Bürger für den Verzicht auf eine staatliche Leistung mit einer anderen zu belohnen? Warum sollen Eltern eine steuerfinanzierte „Herdprämie“ bekommen, wenn sie steuerlich geförderte Kindergärten nicht in Anspruch nehmen?
Wolfgang Lieb von den „Nachdenkseiten“ findet, wer die Ungerechtigkeit beklage, dass Arbeitslosengeld II-Bezieher vom Betreuungsgeld nicht profitieren sollen, müsse konsequenterweise die gesamte Hartz-IV-Logik in Frage stellen – was weder CDU/CSU und FDP noch SPD und Grüne täten. In seinen Augen ist das Betreuungsgeld nichts anderes als eine Transferleistung für Besserverdienende, darüber hinaus aber auch ein bildungspolitisches Debakel, weil es gerade Eltern mit niedrigem Einkommen davon abhalte, für ihre Kindern ein frühkindliches pädagogisches Angebot in Anspruch zu nehmen.
Dass sich jetzt aber SPD und Grüne über die Anrechnung des Betreuungsgeldes auf die Hartz-IV-Leistungen empört zeigen, kann von Schwarz-Gelb nicht zu Unrecht als „Heuchelei“ zurückgewiesen werden, weil schließlich Rot-Grün die unmenschlichen Hartz-Gesetze eingeführt hat, die nahezu alle familienpolitisch begründeten, zusätzlichen Transferleistungen dem Arbeitslosengeld II anrechnen. Zudem lenkt die Diskussion um die Herdprämie wunderbar davon ab, dass es wahrscheinlich sehr viele Kommunen bis 2013 nicht schaffen werden, all jene Krippenplätze zur Verfügung zu stellen, auf welche die Eltern der Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr einen einklagbaren Anspruch besitzen werden.
2. Das Berliner Sozialgericht hat entschieden, dass der Hartz-IV-Regelsatz zu niedrig ist: Alleinstehende müssten 36 Euro mehr bekommen, Familien rund hundert Euro, weil anders eine menschenwürdige Existenz nicht möglich sei. Nun muss sich das Bundesverfassungsgericht mit der Sache beschäftigen. Auslöser ist der Fall einer Familie aus Berlin, die erklärte, dass sie mit den derzeitigen Leistungen nicht auskomme. Trotz größter Sparsamkeit müsse sie regelmäßig Dispo-Kredit und Privatdarlehen in Anspruch nehmen. Dass diese Familie nach den gültigen Vorschriften keine höheren Leistungen beanspruchen könne, ist nach Auffassung des Gerichts verfassungswidrig (Aktenzeichen: S 55 AS 9238/12).
Das Sozialgericht rügt, dass für die „Regelsatzberechnung“ die Einkünfte und Ausgaben der untersten 15 Prozent der Alleinstehenden einer Referenzgruppe genommen wurde, die willkürlich gewählt wurde und zudem Menschen umfasse, deren Existenzminimum nicht gedeckt sei. Wenn aber sogar erkannt wird, dass das Existenzminimum auch Geld für zwischenmenschliche Kontakte umfassen muss, und als „kaum belegt“ kritisiert wird, dass die Leistungen ausreichten, um Geld für langlebige Gebrauchsgüter wie Waschmaschinen anzusparen, dann weiß ich nicht, wie das Gericht auf solch eine absurd niedrige Summe kommen kann, die angeblich im Regelsatz fehle! Schließlich forderte bereits 2003 Peter Hartz einen Regelsatz in Höhe von 511 Euro. Der wurde dann gewaltig gekürzt, sonst läge er heute in ganz anderen, viel höheren Sphären.
3. Hunderttausende Haushalte in Deutschland können ihren Strom nicht mehr bezahlen und sind deswegen vom Netz abgehängt. Weil die Energiepreise immer weiter steigen, wirft die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, der Bundesregierung vor, die „soziale Dimension der Energiewende nicht im Blick“ zu haben. Laut Umfrage der Verbraucherschützer bei den Energieversorgern wird pro Jahr bei rund 600.000 Haushalten aufgrund nicht gezahlter Rechnungen der Strom gesperrt, was zu hohen zusätzlichen Kosten für die ohnehin zu schmalen Geldbeutel führt. Schon wieder wird gelogen, dass ALG-II-Bezieher nicht so betroffen seien wie Geringverdiener und Rentner, weil bei denen zumindest die Heizkosten in der Regel von den Sozialbehörden übernommen würden! Wer heizt denn mit Strom?
Strom müssen die ALG-II-Bezieher aus ihrem kargen Regelsatz bezahlen, der keinesfalls als sogenannte Grundsicherung ausreicht! Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, gibt der Bundesregierung die Schuld an der zunehmenden Energiearmut, denn Schwarz-Gelb habe stromintensive Betriebe bei den Netzentgelten massiv entlastet. Dieser Einnahmeausfall treibe die Kosten für Verbraucher und Mittelstand in die Höhe, wodurch soziale Schieflagen bewusst organisiert würden. Ein Artikel der „Welt“ suggeriert, dass steigende Preise durch die „Energiewende“ die Lage verschlimmert hätten. Dabei ist Atomkraft die teuerste Möglichkeit, Strom zu bekommen!
4. Auf den Finanzmärkten geht ein Gespenst um: Was geschieht, wenn das Gros von Arbeitslosen und Armen die Politik der Mächtigen nicht mehr abnickt? Der Billionenkredit des Rettungsschirms mag die wirtschaftliche Lage beruhigt haben – aber auch die 50 Prozent arbeitslosen Jugendlichen in Spanien? Die Wahlen in Frankreich und Griechenland wie auch die Volksbefragung in Irland lösen Sorgen bei Investoren, Unternehmen und Konsumenten aus. Die Euro-Staaten verlangen ihren Bevölkerungen große Opfer ab, bauen hunderttausende Stellen im Staatsdienst ab, erhöhen die Steuern, streichen staatliche Gelder zusammen, kürzen die Renten, drücken das Lohnniveau, schwächen den Kündigungsschutz ab, entmachten die Gewerkschaften und schicken massenhaft Menschen in die Erwerbslosigkeit.
Weil die demokratischen „Spielregeln“ es verlangen, das Volk in regelmäßigen Abständen wählen zu lassen, hat die Politik in den vergangenen Monaten viel unternommen, um den Wählerwillen zu neutralisieren. In Griechenland wurde im November eine Volksbefragung zu den Sparmaßnahmen durch unverhohlene Drohung mit Ausschluss aus der EU verhindert. In Griechenland und in Italien zwang die Krise gewählte Regierungschefs zum Rücktritt. An deren Stelle rückten „Technokraten“, die nicht gewählt worden sind und daher nicht vom Wählerwillen abhängen. Immer öfter wird die Demokratie unter dem Druck der Märkte vielfach ausgehebelt. Die Politik in der Krise gleicht einem permanenten Staatsstreich. Wenn Wahlen dazu verkommen, sich für oder gegen die Option des Beitritts zum „Fiskalpakt“ zu entscheiden und von den Geldern des Euro-Rettungsschirms abhängig zu sein, dann kann ich so eine Wahl zwischen Pest und Cholera nur als Farce bezeichnen!
Wir sollen uns wohl daran gewöhnen, dass Regierungen sich nicht mehr die Bohne nach den Interessen des Volkes richten, sondern – angeblich zu seinem Wohlbefinden – nach jenen der Finanzmärkte. Der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann kritisiert, dass die Rede von der „Alternativlosigkeit“ ein Sprech- und Denkverbot sei: Es es bedeute das Ende der Demokratie, wenn nicht mehr über Alternativen gesprochen werden könne. Die Politik beuge sich den Märkten wie einer Naturgewalt. Dabei sind die Märkte selbstgemacht und lassen sich ebenso wieder ändern! Wenn weiter gespart wird, werden die Kommunen ausbluten. Wir haben immer mehr Ausgaben, weil wir immer weniger Einnahmen bekommen: Den Reichen werden permanent Steuern erlassen. Solche gesellschaftsfeindlichen, asozialen Gesetze lassen sich alle wieder in soziale Regeln verwandeln! Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber!
5. Die Arbeitsmarktlage in den meisten Staaten der Welt ist der „Internationalen Arbeitsorganisation“ (ILO) zufolge alarmierend: Sparpakete der Regierungen und Reformen des Arbeitsmarkts hätten nicht zur Schaffung neuer Stellen geführt. Besonders besorgniserregend sei die Entwicklung in Europa, wo in fast zwei Dritteln der Länder die Zahl der Arbeitslosen seit 2010 gestiegen sei und die Jugendarbeitslosigkeit galoppierend zunehme. Deutschland wird von der ILO gerügt, weil zwar die Beschäftigungsrate gestiegen sei, allerdings der „hohe Anteil von Beziehern von Niedriglöhnen und von atypischer Beschäftigung wie Minijobs oder Leiharbeit“ ein Problem darstellte. Zudem lägen die Investitionen gemessen am Bruttoinlandsprodukt immer noch unter ihrem Vorkrisenniveau.
6. Die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Erkrankungen ist drastisch gestiegen: Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage stieg von 33,6 Millionen im Jahr 2001 auf 53,5 Millionen 2010 an. Das schwarz-gelbe Gruselkabinett schafft es dennoch, hier keinen „akuten Handlungsbedarf“ zu sehen! Besonders gefährdet sind demnach Frauen: 2010 gingen rund 39.000 weibliche Beschäftigte aufgrund psychischer Erkrankungen in Erwerbsminderungsrente, was fast einer Verdoppelung im Vergleich zum Jahr 2000 entspricht. Als Gründe für die Häufung der Fälle werden steigende Anforderungen, erhöhte Eigenverantwortung, höhere Flexibilitätserwartungen und nichtkontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse genannt – allesamt unmittelbare Folgen dieser menschenfeindlichen neoliberalen Politik!
Die Renten steigen ab Juli 2012 um 2 Prozent, und die Sozialministerin will eine „Zuschussrente“ einführen. Von der Leyen verkündet: „Die kräftige Rentensteigerung, die mit Rücklagen gut gefüllte Rentenkasse und die Beitragssenkung sind zusammen Ausweis des stabilen, demografiefesten gesetzlichen Rentensystems“. Sollen wir in diesen Jubel einstimmen? Die aktuelle Rentenerhöhung war längst überfällig und fällt viel zu niedrig aus! Sie gleicht nicht einmal die Inflation aus, die für die tagtäglichen Massengüter bei über fünf Prozent liegt.
Seit 2004 sind die Renten real um neun Prozent gekürzt worden.1996 machte die gesetzliche Rente nach 45 Jahren Einzahlung 70 Prozent des letzten Bruttogehalts aus. Heute beträgt die Durchschnittsrente nur noch 47 Prozent, und sie wird bis zum Jahr 2030 auf 40 Prozent sinken. Über drei Millionen Rentner sind heute schon arm oder von Armut bedroht. Etwa 400.000 von ihnen sind auf die sogenannte Grundsicherung angewiesen. Jeder dritte der 27 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wird im Alter wegen zu geringen Lohns nur noch eine Grundsicherung erhalten. Davor will die Sozialministerin nach ihren jüngsten Ankündigen vor allem Frauen ab 2013 mit einer sogenannten Zuschussrente bewahren.
Das Versprechen einer künftigen Zuschussrente soll den Unmut der wachsenden Masse von Geringverdienern dämpfen, die einem Lebensabend in Armut entgegensehen müssen. Dabei sind von der Leyens künftige Wohltaten für ältere Menschen an Bedingungen geknüpft, die die wenigsten erfüllen dürften. Die zukünftigen Rentner bekommen nur dann ihre Altersbezüge aufgestockt, wenn sie vier Voraussetzungen erfüllen: Die Rente muss unter 850 Euro liegen, wobei die Rente des Partners angerechnet wird, wenn sie über 850 Euro beträgt. Sie müssen mindestens 45 Jahre lang Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung gewesen sein, 35 Jahre lang aktiv Beiträge dafür eingezahlt haben und seit fünf Jahren einen Riestervertrag besitzen.
„Diese Bedingungen für die Zuschussrente machen sie zu einer absoluten Mogelpackung“, erklärte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des „Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes“, und ergänzte: „Es ist eine politische Nebelkerze, die da gerade abgefackelt wird“. Die in von der Leyens Konzept vorgesehenen 45 Jahre Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung sind für die Masse der Beschäftigten realitätsfern. Und die Riester-Rente wird für immer mehr Menschen unerschwinglich, obwohl sie seit Einführung durch die damalige Schröder/Fischer-Regierung dazu gezwungen sind. Mit einer angeblichen „Alterssicherung“ hat das nichts zu tun, das füllt nur die Konten der Investmentbanken und Versicherungskonzerne.
Die wachsende Altersarmut haben die drei Regierungen in den letzten 15 Jahren zu verantworten. Mit den Hartz-Gesetzen wurde die massive Ausdehnung der Niedrigstlöhne durch die Kapitalisten ermöglicht, mit der Rente ab 67 haben SPD und CDU eine gravierende Rentensenkung durchgesetzt. Erst vor Kurzem wurden von Union und FDP die Rentenbeiträge für Dauerarbeitslose gestrichen. Dabei könnten die Beiträge für alle Sozialversicherungen über eine umsatzbezogene Sozialsteuer von circa sechs Prozent vollständig durch die Unternehmen finanziert werden! Das wäre aufgrund der Produktivitätssteigerung in der Industrie von 1991 (113.133 Euro pro Beschäftigtem und Jahr) bis 2010 (295.276 Euro) rechnerisch leicht möglich.
Gegen die zunehmende Verarmung müssen deutlich höhere Löhne und Gehälter und eine Mindestrente in Höhe des Existenzminimums durchgesetzt werden. Die Rente mit 67 und die Hartz-Gesetze müssen zu Fall gebracht werden. Sorglos alt werden können dagegen die Vorstände der 30 Dax-Konzerne. Für diese Leute wurden in diesem Jahr mehr als 637 Millionen Euro für den Ruhestand zurückgelegt. Spitzenrentner ist Daimler-Boss Dieter Zetsche mit einem Pensionsanspruch von insgesamt 29,6 Millionen Euro.