342. Bremer Montagsdemo
am 29. 08. 2011  I◄◄  ►►I

 

Wir feiern den Erfolg und die Hartnäckigkeit gegen die unsoziale Politik, gegen die Atompolitik und gegen „Stuttgart 21“ bei einem gemeinsamen Fest des Widerstands am Samstag, dem 3. September 2011, von 15 bis 20 Uhr in den Neustadtswallanlagen am Südbad.

 

Jobcenter sind bei Ablehnung konkreter Anträge sehr erfindungsreich

Hans-Dieter Binder1. „Wir werden bei der Bildung nicht kürzen“, so der Senat und die Regierungsparteien weit vor der Wahl. Dann war der Tag der Deutschen Einheit in Bremen Geschichte. Nur die Hälfte der vier Millionen Euro für die Feierlichkeiten wurde über den Nachtragshaushalt finanziert, die andere Hälfte per Gießkannenprinzip bei den Ressorts gekürzt. Die Senatorin für Bildung musste so circa 500.000 Euro Kürzung gegenfinanzieren, Soziales circa 200.000 Euro. Dies bitte nicht thematisieren, sondern einfach einsparen und durch andere Probleme überlagern! Erst kurz vor den Ferien wurde nun eine Umverteilung von Lehrerstunden verkündet, obwohl klar ist: Dann sind alle Stundenpläne fertig. Feigheit lässt grüßen!

Die Argumente wechselten: Überversorgung sei auszugleichen, es gebe unerwartet viele Schulanfänger. Die Auswirkung der Schulreform kommt erst noch richtig in Fahrt. Der Senat hat keine Mittel dafür bereitgestellt, sondern der Bildung eine jährliche Kürzung von 1,9 Prozent verordnet! Insgesamt ein Armutszeugnis für die Leistungsfähigkeit dieser Verwaltung. Die jetzigen Fakten beeinträchtigen aktuell die Abiturklassen! Die Unis werden ihre Zugangsvoraussetzungen aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge nochmals verschärfen. Allein die Hochschule für Technik hat dieses Jahr 20.000 Absagen verschickt. Trotzdem spielt die Politik „Heile Welt“. Ich unterstütze den Aufruf „Mehr Geld für gute Schule!“

 

2. Nun zum „Bildungs- und Teihabepaket“. Scheinbar sollen mit den zusätzlichen Millionen nicht die bedürftigen Kinder, sondern der Haushalt der Freien Han­se­stadt gefördert werden. Dies wurde vom „Bremer Erwerbslosenver­band“ gut herausgearbeitet. Zu den Anlaufschwierigkeiten siehe 326. Bremer Mon­tags­de­mo. Der Anspruch besteht! Definiert wurde er im ersten Quartal 2011, aber noch immer nicht umgesetzt – weil das Geld eingespart werden soll? Der aktuelle Stand ist: Es gibt noch immer keine Briefe an die Eltern dieser Kinder und keine Antworten auf viele Fragen. Die Informationen sind teilweise widersprüchlich und lückenhaft, oder die Regelungen entsprechen entsprechen nicht den gesetzlichen Vorgaben. Das Jobcenter ist in der Ablehnung konkreter Anträge sehr erfindungsreich. Dabei werden immer neue Voraussetzungen erfunden und immer neue Bedenken angemerkt. Lasst euch nicht beirren! Stellt den Antrag. Eure Kinder können das Geld gut gebrauchen! Erst der Antrag sichert den Anspruch. Er muss aber vor der Geldausgabe gestellt werden.

Wie sieht es im Detail aus? Der neueste Stand ist unter „Soziales Bremen“ nachlesbar, mit den zuvor genannten Einschränkungen. Im Einleitungstext steht: „Dafür steht ihnen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ein monatliches Budget in Höhe von zehn Euro zur Verfügung, das zum Beispiel für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, für Unterricht in künstlerischen Fächern (zum Beispiel Musikunterricht) oder andere Aktivitäten in den Bereichen Sport, Kultur und Freizeit eingesetzt werden kann. Sofern Freizeiten für Kinder und Jugendliche angeboten werden, kann das monatliche Budget auch angespart und für eine Freizeit verwendet werden.“ Diese zehn Euro monatlich sind für alle Zwecke anzusparen. Wer den Antrag stellt und noch keine Verwendung für den monatlichen Betrag hat, sollte auf das Formular einfach „Ansparen“ schreiben. Diese Möglichkeit ist im Antrag nicht vorgegeben. Das Formular mit Erläuterungen gibt es zum Herunterladen, am Ende der Ausführungen.

Die Aufzählung der Verwendungsmöglichkeiten ist unvollständig. Wer andere Aktivitäten vorhat, beantrage diese. Einige Leistungen gab es schon vor dem „Bildungs- und Teilhabepaket“, zum Beispiel die mehrtägigen Klassenfahrten. Damit war seit Langem klar: Ohne Taschengeld geht es nicht. Trotzdem wurden die Rahmenbedingungen nicht geändert. Taschengeld wird nicht gezahlt. Damit bleibt zum Beispiel der Toilettenbesuch in der Autobahnraststätte ein Problem. Der Schwimmverein wird mit bis zu zehn Euro gezahlt, die Badekleidung nicht. Nach meiner Meinung müsste es möglich sein, für die Rahmenbedingungen einer Klassenfahrt die angesparten zehn Euro abzurufen! Es müsste auch möglich sein, die angesparten Beträge für die Sportkleidung et cetera abzurufen. Versuch macht klug! Letztlich werden die Richter entscheiden müssen.

Es gibt auch eine Liste mit Anbietern. Mit diesen Vereinen wurden vom Jobcenter Rahmenvereinbarungen getroffen. Diese Anbieterliste hat jedoch keine Bindungswirkung. Es ist einfach bequemer: Wenn dein Verein nicht darunter ist, musst du nicht wechseln. Die in der Veröffentlichung vom 23. Juni 2011 genannten einschränkenden Höchstbeträge entsprachen nicht den gesetzlichen Vorgaben und sind vom Tisch. Hier ist kein Höchstbetrag für Tagesausflüge oder Klassenfahrten mehr genannt. Ein gesetzlicher Höchstbetrag ist nur für die Teilhabe mit zehn Euro monatlich fixiert.

Für Schülerbeförderung und Nachhilfe ist hinsichtlich der Leistungserfüllung die Senatorin für Bildung zuständig, die Anträge sind aber wie vor beim Amt für Soziale Dienste beziehungsweise (No-)Job-Center zu stellen. Die Nachhilfe ist als „ergänzende angemessene Lernförderung“ anzukreuzen. Bisher musste die Nachhilfe erstattet werden, wenn die Versetzung gefährdet war und der Fachlehrer die Nachhilfe empfohlen hat. Zusätzlich musste er prüfen, ob es ein passendes Förderangebot der Schulbehörde gab. Die bisherige Regelung wurde durch Gerichtsentscheidungen aber wesentlich weiter gefasst, als die Argen zugestehen wollten. Insofern werden die Richter kaum die aktuellen Nachhilfegründe einschränken. Von der Senatorin für Bildung wird zur Nachhilfe nichts veröffentlicht. Die bisherigen Veröffentlichungen waren einschränkend und sind wieder verschwunden. Wer Nachhilfe benötigt, sollte aber nicht auf die Veröffentlichung einer entsprechenden Verwaltungsanweisung warten.

Wenn der Fachlehrer die Nachhilfe befürwortet und die Schule kein entsprechendes Angebot hat, dann den Antrag beim (No-)Job-Center stellen, die Bestätigung des Lehrers beifügen und ebenfalls Angaben darüber machen, wer die Nachhilfestunden geben soll; dies aber vorher ebenfalls mit dem Fachlehrer besprechen. Die Nachhilfe soll ja zum Erfolg führen! Falls die Angelegenheit eilt, bitte ebenfalls auf dem Antrag vermerken und, falls das (No-)Job-Center nicht rechtzeitig entscheidet, eventuell anmahnen und einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht beantragen. Dies geht relativ schnell. Allerdings ist das (No-)Job-Center gerade auf diesem Gebiet sehr kreativ. Gefordert wurde zum Beispiel, dass der Anbieter in der Liste steht. Das ist Unsinn, denn für Lernförderung gibt es keine Anbieterliste bei der Senatorin für Bildung. Dass der Anbieter eine Qualifizierung haben müsse, ist Unsinn, denn es wird die angemessene Lernförderung gezahlt. Auch Bestätigung durch die Klassenkonferenz ist Unsinn, der Fachlehrer reicht. Bitte nicht abschrecken lassen, es geht um Ihr Kind und seine Zukunft!

Zur kostenlosen Schülerbeförderung will die Senatorin für Bildung den Anspruchsberechtigten Fahrkarten in der Schule aushändigen, aber erst nachdem der Antrag beim (No)Job-center gestellt und von diesem bewilligt wurde. Bitte beim Antrag die Fahrt zur Nachhilfe und zu den Veranstaltungen außerhalb des Schulgeländes nicht vergessen. Ein Feld für „kostenfreie Beförderung zur Schule“ ist vorhanden, die Ergänzung würde lauten: „zu den schulischen Veranstaltungen“. Damit ist aber nicht die Fahrt zu einem Mitschüler zwecks gemeinsamer Schularbeiten möglich. Der Erlass für die kostenlose Schülerbeförderung steht auf den Seiten der Bildungsbehörde.

Dort heißt es zur Antragsstellung: „1. Berechtigter Personenkreis. Schülerinnen oder Schüler mit Hauptwohnung in der Stadtgemeinde Bremen, die Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 28 SGB II, § 34 SGB XII, §§ 2 und 3 Asylbewerberleistungsgesetz oder § 6b Bundeskindergeldgesetz beziehen, belegen ihre Leistungsberechtigung durch Vorlage des vom Jobcenter oder vom Amt für Soziale Dienste ausgestellten Berechtigungsnachweises in Form der sogenannten Blauen Karte gegenüber der zurzeit besuchten Schule. Als Besuch einer Schule gilt auch die vorübergehende Schulpflichterfüllung in einem regionalen Beratungs- und Unterstützungszentrum nach § 55 Absatz 4 des Bremer Schulgesetzes.“

Und zur Leistungsgewährung: „5.3. Der Sonderfahrausweis wird auf Antrag der Erziehungsberechtigten bei Vorliegen der oben angeführten Voraussetzungen nach Vorlage der ‚Blauen Karte‘ ausgestellt. Der Antrag ist zusammen mit einem Passfoto der Schülerin oder des Schülers über die besuchte Schule oder Einrichtung bei der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit einzureichen. Mit der Vorlage wird gleichzeitig das Einverständnis zur Speicherung und Verarbeitung der Daten in der Bremer Schulverwaltungssoftware Magellan erteilt. Anträge und Bescheinigungen stehen den Schulen zur Verfügung.“

Dies ist Widersprüchlich. Wer schon eine „Blaue Karte“ hat, sollte erst in der Schule nachfragen, bevor er einen weiteren Antrag beim Jobcenter stellt. Die Anspruchsberechtigung ist von der Entfernung zur Schule abhängig. Die gewählten Entfernungen und die anderen Einschränkungen sind ein Versuch, die Ansprüche zu begrenzen. Auch hier sind eventuell die Richter gefragt. Die von der Senatorin für Bildung bisher ausgestellte Fahrkarte war als solche erkennbar. Hier muss die Optik der normalen Fahrkarte angepasst werden beziehungsweise eine Originalfahrkarte der BSAG Verwendung finden, sonst ist der Leistungsbezug für jeden Fahrkartenkontrolleur und andere Mitfahrer erkennbar. Falls sich das nicht ändert, werden wir die Datenschutzbeauftragte fragen!

Der persönliche Schulbedarf von 100 Euro je Schuljahr wurde bisher automatisch, also ohne Antrag gezahlt. Bitte trotzdem ankreuzen! Der Kreis der Anspruchsberechtigten wurde rückwirkens erweitert. Hat die Behörde inzwischen diese Beträge ohne Antrag nachgezahlt? In der Anleitung steht nichts davon. Im veralteten Merkblatt Nummer 5 steht dazu: „Für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf wie Hefte, Stifte oder Bücher stehen jährlich 100 Euro pro Kind zur Verfügung (70 Euro zum 1. August und 30 Euro zum 1. Februar eines Jahres).“ Es geht um die am 1. Februar 2011 fällig gewesene Teilzahlung von 30 Euro. Hat Bremen gezahlt? Wer rückwirkend die Leistungen 1. Januar 2011 beantragt hat, soll vorerst für die Ausgaben und Aufwendungen nach der Antragsstellung Nachweise einreichen. Das (No-)Job-Center muss ohne diese Unterlagen zahlen!

Über die Gültigkeit, die Laufzeit des Antrags auf „Bildung und Teilhabe“ gibt es bei „Soziales Bremen“ keine Aussage. Hoffentlich ist die Befristung dieser Anträge vom Tisch. Falls im Bewilligungsbescheid ein Verfalldatum steht, bei einem Fortsetzungsantrag für ALG II einfach gut sichtbar vermerken: „Ich beantrage auch die Leistungen für Bildung und Teilhabe“. Wer bis hierher gelesen hat, wird die Eingangsbemerkung bestätigen: Bremen will gar nicht an die leistungsberechtigten Kinder auszahlen! Trotzdem sollte, wer anspruchsberechtigt ist und Kinder hat, den Antrag stellen. Wie dies alles geht? Wir gehen mit! Dieses bürokratische Monster „Bildungs- und Teilhabepaket“ soll vor allen Dingen von den unzureichenden Regelsatzhöhen für Kinder und Familien ablenken. Wie es Kindern von Menschen mit geringem Einkommen geht, dazu gibt es eine ausführliche und sehr lesenswerte Studie des IAB mit dem Titel „Grundsicherung und Einkommensarmut. Bedürftige Kinder und ihre Lebensumstände“. Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft lebenswert gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)
 

 

Weltkonzerne sind die wahren
Abzocker von Hartz IV

Elisabeth Graf1. Alle paar Tage tröpfelt ein bisschen mehr vom wirklichen Ausmaß der Katastrophe in Fukushima durch. Die japanische Regierung erklärte lediglich den Umkreis von 20 Kilometern um das havarierte Atomkraftwerk zum auf lange Sicht unbewohnbar bleibenden Sperrgebiet. Aber es ist ja sehr beruhigend zu wissen, dass die aus den Meilern weiterhin austretende Radioaktivität in den vergangenen Wochen weiter gesunken sei. Aus den Reaktoren 1, 2 und 3 träten noch maximal 200 Millionen Bequerel an radioaktiven Substanzen aus, nicht mehr eine Milliarde Bequerel, wie noch vor gut einem Monat.

Ein paar Tage später ist zu lesen, dass die freigesetzte Menge radioaktiven Cäsiums bei der Explosion des Atomkraftwerkes in Fukushima noch gravierendere Folgen hat als zuvor angegeben wurde: Sie sei 168 Mal höher gewesen als bei der Explosion der Atombombe von Hiroshima. Dass sich die Fälle nicht vergleichen ließen, weil in Hiroshima durch die unglaubliche Druckwelle und die enorme Hitze 140.000 Menschen sofort starben, finde ich persönlich vollkommen irrelevant. Bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren sei rund 900 Mal mehr Cäsium 137 freigesetzt worden als bei der Explosion der Atombombe von Hiroshima. Das nächste Tröpfchen Wahrheit teilt uns mit, dass die Betreibergesellschaft des havarierten Atomkraftwerks Fukushima-Daiichi sich der unzureichenden Schutzmaßnahmen im Falle eines großen Tsunami bewusst war, wenn Wellen von mehr als zehn Metern Höhe die Anlage treffen könnten.

 

2. In einer WDR-Dokumentation wird der größte deutsche Discounter unter dem Titel „Ausbeuter des Tages: Aldi“ unter die Lupe genommen. Doch kommt der WDR mit seiner Untersuchung nicht richtig zum Zug, weil Aldi offenbar keine Journalisten mag. Es gibt weder eine Drehgenehmigung noch Interviews, auch keine Auskünfte von irgendwem. Hat Aldi etwas zu verstecken? So holt sich der WDR Hilfe bei einem externen Experten, dem ehemaligen Aldi-Manager Dieter Brandes. Uns ist allen das bewusst eingeschränkte und undekorierte Angebot auf den nackten Paletten mitten im Laden bekannt. Auch wenn die Kunden verführt würden, seine doch 70 Prozent der Aldi-Einkäufe geplant. Zu den eigenen Kunden verhalte sich Aldi fair. Ein „Markendetektiv“ und ein Lebensmitteltechnologe stellen fest, dass die Qualität ordentlich sei. Problematischer als Preise, Verführung und Qualität sei bei Aldi jedoch die Fairness: Der Konzern zahle den Produzenten oft zu wenig Geld, Betriebe litten unter dem extremen Preisdruck des Discounters. Aldi produziere zudem Kleidung in Asien oder der Türkei und nutze mit unbezahlten Überstunden oft die eigenen Verkäufer aus, die dazu meistens keinen Betriebsrat hätten und auch noch überwacht würden. Das alles spricht nicht gerade für ein gutes, faires Arbeitsklima!

 

3. Lovely Zensursula von der Leyen scheint überaus gern in ihren eigenen Märchen von der wundervollen Arbeitswelt zu schwelgen, wo inmitten des gigantischen Aufschwungs immer mehr ältere Arbeitnehmer in Beschäftigung seien, sodass die Rente mit 67 nicht nur gar kein Problem darstelle, sondern mittlerweile offen über die Rente mit 69 Jahren diskutiert würde. Die Autoren der ARD-„Exclusiv“-Sendung „Alt, arm, arbeitslos – immer mehr Ältere rutschen ab“ gingen dieser Frage nach, indem sie ältere Arbeitslose in deren Alltag zwischen Jobcenter, Jobsuche und Minijob begleiteten und dabei feststellen mussten, dass es da offenbar – gelinde ausgedrückt – noch eine ganz andere Wahrheit gibt: Der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt ist gerade an vielen älteren Arbeitslosen vorbeigegangen, obwohl sie gut qualifiziert, hochmotiviert und ständig auf Jobsuche sind. Es ist wahrhaft unglaublich, wie hier ältere Erwerbslose mit „fit for job“ als „Bestager“, weil es besser klinge, veräppelt, ja: verhöhnt werden. Das ist noch nett ausgedrückt, denn viele Erwerbslose sprechen nach dieser Dokumentation von „Demütigung, Verblödung und Zwang“.

Der Film zeigt eindrucksvoll auf, wie mit äußerst zweifelhaften Maßnahmen für 350 Millionen Euro Fördergelder eben nicht ältere Menschen auf den Arbeitsmarkt gebracht werden, sondern ihnen auch noch das letzte Stück Selbstachtung genommen wird. Mit ein bisschen Gehopse auf dem Gymnastikball, flanieren am Rhein, schlendern, Eis essen, Schiffe gucken und Muscheln sammeln, drinnen Uno oder Scrabble spielen, Aqua-Sport für die Generation „50 plus“ betreiben und im Chor singen ist es nicht auszuschließen, dass sie hier fitter werden können, aber ganz bestimmt nicht jünger! Selbstverständlich ist alles wie immer super freiwillig und kostenlos, aber wer nicht mitmacht, riskiert eben eine Kürzung des ohnehin kargen ALG II. All das Strecken und Dehnen nach dem Ziel erster Arbeitsmarkt ist völlig umsonst, wenn selbst für den Verkauf von Druckerpatronen nur bis zum „Verfallsdatum“ von 35 Jahren eingestellt wird, damit auch etwas Junges, Hübsches, etwas „fürs Auge“ zu sehen ist.

Der Vorzeigearbeitnehmer des Ministeriums konnte dann selbst vom traurigen Ende einer vermeintlichen Erfolgsgeschichte erzählen. Als 58-jähriger arbeitsloser Klempnermeister wurde er bei zwar bei VW eingestellt, arbeitete aber nie an Autos, sondern unterrichtete dort nur so lange andere ältere Arbeitslose, wie das (No-)Job-Center 2.700 Euro monatlich pro Nase Lehrgangsgebühren zahlte. Einstellen mochte der Konzern niemanden. Dazu sagte Martin Behrsing, Sprecher des „Erwerbslosenforums Deutschland“, dass sich hier fast schon unseriöse Verflechtungen zwischen der aus Niedersachen stammenden Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und dem Wolfsburger Weltkonzern vermuten ließen, angesichts der Summen, die VW als einer der größten Profiteure der Arbeitslosenindustrie zugeschanzt bekam.

Genau hier zeigen sich die wahren Abzocker von Hartz IV. Es sind Weltkonzerne, die Gelder abkassieren und damit den Menschen das letzte Stück Hoffnung nehmen, obwohl VW diesen Bluff selbst locker aus der Portokasse zahlen könnten. Dass heute tatsächlich mehr ältere Arbeitnehmer arbeiten, liegt keinesfalls an einem deutschen Job-Wunder oder an einer vermeintlich veränderten Einstellung und Wertschätzung der Arbeitgeber gegenüber der längeren Lebenserfahrung Älterer, sondern daran, dass die ganze Bevölkerung schlichtweg älter wird und allein deswegen mehr Ältere eine Stelle haben. Entgegen den Beteuerungen von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen sind gerade die Älteren die Verlierer am Arbeitsmarkt. Von den Übersechzigjährigen übt nur noch jeder Vierte einen Beruf aus. Angesichts dieser glatten Verdrehung, ja Schönwetter-Lüge verstehe ich immer besser, warum so viele immer nur von Frau von der Lügen sprechen!

 

4. Wie jetzt: Die neoliberalen Regierungen schaufeln das Geld fleißig von unten nach oben – sicher auch, um die eigenen Pfründen für die Zeit nach der Politik zu sichern –, und dann spielen nicht alle Wohlhabenden mit und verlangen sogar, selbst mit gerechten Steuern belegt zu werden. Superreiche mit sozialem Gewissen? Der französische Manager Maurice Levy, der seit mehr als 20 Jahren den drittgrößten Werbekonzern der Welt führt, rief die Kampagne „Taxez-nous“ („Besteuert uns“) ins Leben, der die Elite der französischen Wirtschaft folgte. Es ist der bisherige Höhepunkt einer ganz neuen Bewegung: dem Aufstand der Reichen. Nicht nur in Frankreich stehen sie auf, auch in Italien, den USA und Deutschland wollen Millionäre und Milliardäre endlich stärker zur Kasse gebeten werden. Ich glaube nicht wirklich an ein soziales Gewissen, sondern stelle mir vor, dass immer mehr unanständig Reiche Angst vor den immer mehr werdenden Menschen haben, die diesen Raubtierkapitalismus verteufeln und bekämpfen wollen.

 

5. Die 20-jährige Schwangere aus Bonn, die im Oktober ihr Kind erwartet und der wegen angeblicher Versäumnis ach so wichtiger Vorladungen beim (No-)Job-Center das komplette ALG II gestrichen worden war, erhält nun endlich wieder Transferleistungen. Die Zahlungen seien rückwirkend wieder aufgenommen worden. Angeblich sei die Schwangere ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, obwohl ihr Partner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ans Jobcenter faxte, nachdem ihr Arzt ihr Bettruhe verordnet hatte. Angeblich seien nur zweimal nachträglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt und mehrere Briefe an die Schwangere als „unzustellbar“ zurückgesandt worden. Ein Jobcenter-Mitarbeiter habe sie in ihrer Wohnung nicht angetroffen und sie auch nicht telefonisch erreicht. Allerdings stand die Komplettstreichung offenbar juristisch auf dünnem Eis, weil die Sanktionen stufenweise hätten erfolgen müssen.

Selbst verurteilte Mörder bekommen in diesem Land zu essen und ein Dach über dem Kopf. Mir persönlich erscheint die Darstellung der Hartz-IV-Behörde keinesfalls plausibel. Bei acht abgeschickten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen klingt es doch nicht gerade glaubwürdig, dass sie allesamt nicht angekommen sein sollen! Das „Erwerbslosenforum“ und die Linksfraktion im Bonner Stadtparlament werfen der Behörde Nachlässigkeit beim Umgang mit Informationen vor. Die Stadtverwaltung, die das Jobcenter betreibt, habe zudem falsche Fakten an die Öffentlichkeit gebracht. Dadurch sei die Frau in ein „schlechtes Licht“ gerückt worden. Sie fordern eine öffentliche Richtigstellung und eine Entschuldigung bei der werdenden Mutter. Ebenfalls bestritten wird, dass die Behörde erst Ende Juli von der Schwangerschaft erfahren haben will, obwohl der Schwangeren eben von dieser Behörde bereits im April ein Mehrbedarf wegen Schwangerschaft gewährt wurde.

 

6. Das Bundessozialgericht in Kassel hat entschieden, dass Jobcenter dafür verantwortlich sind, wenn sie Hartz-IV-Beziehern einen rechtswidrigen Ein-Euro-Job anweisen. Das wird auch Zeit, weil alle anderen schließlich ebenfalls immer für ihre Entscheidungen geradestehen müssen! Demnach müssen Jobcenter Arbeitslosen den üblichen Tariflohn zahlen, wenn es sich bei dem vermittelten Job nicht, wie vom Gesetz verlangt, um „zusätzliche“ Arbeit handelt, sondern der Job eine reguläre Beschäftigung verdrängt. Im konkreten Fall war eine Arbeitslose als Putzfrau an ein Pflegeheim vermittelt worden, was kaum als zusätzliche Tätigkeit bezeichnet werden kann. Es ist super, dass Jobcenter nun dazu verpflichtet werden, in ihren Zuweisungsschreiben an Arbeitslose die „konkret auszuübende Tätigkeit“ im Ein-Euro-Job genau zu benennen, da „allein das Jobcenter“ für die Eingliederung der Betroffenen in den Arbeitsmarkt „verantwortlich bleibt“. Mit den Ein-Euro-Jobs wird viel, ja eigentlich nur Schindluder betrieben, da sie bloß in ganz seltenen Ausnahmefällen in Arbeit führen, aber mit Sicherheit immer reguläre Arbeitsplätze gefährden. Blöde nur, wenn das Gehalt zurückgezahlt werden muss; dann haben die Erwerbslosen nun gar nichts davon, weil ihnen nach dem Zuflussprinzip alles angerechnet werden wird (Aktenzeichen B4 AS 1/10 R).

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Professor beweist Verelendungstheorie:
Sparprogramme lösen soziale
Unruhen aus („Die Welt“)
 

 

Wir bekommen aufgezwungen, was
wir nicht brauchen und nicht wollen

Helmut Minkus Was ist der Unterschied zwischen einem Atomkraftwerk und einem Flugzeug? Es gibt viele Unterschiede, kleinere und größere. Aber die will ich nicht alle aufzählen, bloß einige wichtige. Ein AKW kann nur einmal in die Luft fliegen, ein Flugzeug normalerweise öfter. Mit einem Flugzeug kann man in den Urlaubsstress fliegen; mit einem AKW nicht – beziehungsweise in die ewige Ruhe. Man könnte das lustig finden, wenn es nicht so ernst wäre. Es ist zynisch.

Ich könnte auch fragen: Was ist der Unterschied zwischen einem Atomkraftwerk und einem Auto? Ein AKW hat eine Kohlendioxid-Bilanz von maximal 60 Gramm pro erzeugter Kilowattstunde Strom. Doch was ist das schon? Ein Flugzeug oder ein Auto beziehungsweise sein Fahrer bläst etwa drei Kilogramm Kohlendioxid pro verbrauchtem Liter Treibstoff in die Atemluft. Wie weit man mit einem Liter kommt, weiß jeder Fahrer selbst am besten. Dagegen ist ein AKW ein sauberes Ding, und es gibt auf der Welt nur 430 davon! Doch wie viele Millionen Autos gibt es auf der Welt, wie viele Flugzeuge?

Erzähle ich etwas Falsches? Nein, ich doch nicht. Das ist die Wahrheit! Ich verharmlose nur eine ernste Sache. Ich bin ein schlimmer Witzbold, ein Schönredner. Ich mache gerade das Gleiche wie ein Atomstromer, ein Lobbyist, viele Politiker oder „arme“ Millionäre, die sich mit primitiver Werbung ihr Taschengeld aufbessern, die etwas Katastrophales zur Volksbelustigung, Volksverdummung oder Bereicherung benutzen. Das habe ich Ihnen jetzt verraten! Nur Geld verdiene ich damit nicht.

Für mich gibt es nur einen einzigen wichtigen Unterschied zwischen einem AKW und einem Flugzeug oder Auto, der steht über allen anderen Argumenten. Das ist übrigens nicht nur meine persönliche Meinung, sondern eine bittere Tatsache, die auch die meisten von Ihnen betrifft. Ich behaupte sogar, dass es den größten Teil der Weltbevölkerung betrifft. Hier meine einfache Antwort: In ein Flugzeug muss ich nicht einsteigen, wenn es mir zu gefährlich ist. In ein Auto muss ich mich auch nicht hineinsetzen und wie ein Rennfahrer über Autobahnen rasen oder mich von anderen totfahren lassen. Niemand kann mich dazu zwingen.

Doch die Atomkraftwerke haben uns irgendwelche Spinner vor die Nase gebaut. Hier in unserer Nähe sind es sogar drei Stück: Brokdorf und Brunsbüttel in einer Entfernung von je 90 Kilometern, Unterweser nur 45. Niemand hat mich gefragt. Man zwingt sie uns auf. Ich will sie nicht mehr, ich brauche sie nicht mehr. Wir alle brauchen sie nicht mehr. Sie sind nicht nur sinnlos geworden, sondern auch noch gefährlich, wie inzwischen der letzte Ignorant gesehen haben wird. Es ist eine schreckliche Tatsache, von der auch Sie betroffen sind: Jeden Tag aufs Neue bekommen Sie etwas aufgezwungen, das Sie gar nicht wollen oder nicht brauchen.

Noch schlimmer: von dem Sie teils noch nicht einmal wissen, dass Sie es nicht wollen, zum Beispiel genmanipulierte oder chemisch verseuchte Nahrungsmittel, sinnlose Medikamente, Praxisgebühren, Atomkraftwerke, Chem-Trails, große PKWs, dummdreiste Werbungen oder Postwurfsendungen. Es wird Ihnen untergeschoben, dabei möglichst viel verschwiegen und vertuscht. Davon habe ich die Schnauze voll: vom jahrzehntelangen Lügen und Schönreden, von Wirtschaftskriminellen und unfähigen Politikern. Ich habe die Schnauze voll von korrupten Investmentbankern und Spekulanten von professionellen Weltverbesserern und Volksverdummern.

Deshalb mache ich zum Beispiel meinen Atomausstieg und meinen Ökostrom und vor allem meine Meinung selbst. Deshalb mache ich jetzt selbst Politik. Ich nutze mein demokratisches Grundrecht, gehe auf die Straße und sage nicht nur öffentlich und möglichst laut meine Meinung, sondern versuche auch interessierten Mitbürgern einige Informationen zu geben, die nicht in jeder „Blöd“-Zeitung stehen. Das mache nicht nur ich, sondern alle Mitbürger der Montagsdemos in vielen Städten Deutschlands. Und das, liebe Mitbürgrinnen und Mitbürger, können Sie auch. Fangen Sie heute damit an, hier auf dem Marktplatz bei der Bremer Montagsdemo, mit uns zusammen oder in Ihrer Stadt!

Helmut Minkus (parteilos)

 

Wie sich die Atompolitik
in Japan und Deutschland gleicht

Harald Braun1. Die internationale Ärzteorganisation IPPNW und die „Gesellschaft für Strahlenschutz“ stellten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Fukushima am 15. August 2011 die erste unabhängige Strahlenmessstation der japanischen Bürgerinitiative „Citizen’s Radioactivity Measuring Station“ vor. Ziel ist es, alle 47 Präfekturen Japans mit einem Netz unabhängiger Messstationen zu überziehen, „Projekt 47“ genannt.

„Die IPPNW kritisiert insbesondere, dass die japanischen Behörden den Grenzwert für Kindergarten- und Schulkinder am 20. April 2011 auf 20 Millisievert pro Jahr angehoben haben. Dieser Wert gilt in den meisten Ländern als oberste Grenze für Mitarbeiter in Atomanlagen. Für die Normalbevölkerung beträgt der entsprechende Dosisgrenzwert ein Millisievert pro Jahr. Kinder offiziell mit dem Zwanzigfachen zu belasten, ist aus ärztlicher Sicht nicht verantwortbar. Die Ärzteorganisation fordert, den Grenzwert für Strahlenexposition aus Atomanlagen auch in Japan wieder auf 1 Millisievert pro Jahr festzusetzen. Schwangere und Familien mit Kindern aus Gebieten, in denen dieser Dosisgrenzwert überschritten wird, müssen evakuiert werden“ (Presseinformation zur Canupis-Studie vom 4. August: „Leukämierisiko im Umkreis von AKWs signifikant erhöht“).

Die Festsetzung überhöhter Grenzwerte ist vom Streben nach Maximalprofit diktiert, sonst wäre eine viel umfangreichere Evakuierung und Entschädigung der Betroffenen notwendig. Am 12. August demonstrierten 2.800 Menschen aus der Region Fukushima in Tokio für eine schnelle Wiedergutmachung. Es waren zumeist Bauern, Fischer und Arbeiter aus der Lebensmittelindustrie, deren Produkte wegen der Strahlenbelastung unverkäuflich sind.

Naoto Kan, japanischer Ministerpräsident, ist nun zurückgetreten. Er amtierte nur ein Jahr. Sein Krisenmanagement nach der Erdbeben- und der Nuklearkatastrophe in Fukushima stieß auf entschiedene Kritik unter der japanischen Bevölkerung. Immer wieder wurde das wahre Ausmaß der Katastrophe vertuscht. Bis heute wird der Eindruck erweckt, die 90.000 Einwohner, die vor der Radioaktivität geflüchtet sind, könnten bald wieder in ihre Heimat zurückkehren. In den Städten Fukushima und Koriyama, rund 65 Kilometer vom AKW entfernt, wurden jüngst die obersten zehn Zentimeter Erdboden von 334 verstrahlten Schulhöfen und Kindergärten abgetragen. Weil es keine Möglichkeit der Entsorgung gibt, wurde der verstrahlte Boden einfach tiefer vergraben. Solche Methoden sind reine Augenwischerei, weil die radioaktiven Partikel dann ins Grundwasser gelangen und über Pflanzen und Tiere verbreitet werden.

Auch in Deutschland geht der Widerstand gegen die Atompolitik in die nächste Runde. Die Atomkraftgegner im Wendland riefen am Wochenende „Strahlenalarm“ aus und forderten den sofortigen Stopp weiterer Castortransporte. Am Zaun der Castorhalle wurde eine deutliche erhöhte Strahlung gemessen. Die niedersächsische Aufsichtsbehörde hatte den Anstieg der Werte zunächst verheimlicht. Sie sind erst durch Medienrecherchen öffentlich bekannt geworden. Die Abhilfe soll jetzt darin bestehen, die Castorbehälter etwas weiter von den Messgeräten weg zu stellen. Was für eine Verantwortungslosigkeit! Obwohl die erlaubten Grenzwerte bereits mit den derzeit gelagerten 102 Castoren erreicht sind, hält das Umweltministerium weitere Transporte „prinzipiell für möglich“. Wir wissen, dass die Regierung erst dann reagiert, wenn sie durch den Druck breiten Widerstands dazu gezwungen wird! Die radioaktiven Belastungen verdeutlichen, dass der begonnene Atomausstieg nicht ausreicht. Die Stilllegung aller AKWs weltweit muss durchgesetzt werden – auch um die weitere Produktion strahlender Abfälle zu stoppen!

 

2. Heute hat in Bremen der erste deutsch-italienische Schwabenstreich stattgefunden. Wir waren verbunden mit dem Widerstandscamp gegen unnütze Großprojekte, das gerade im Susa-Tal stattfindet und an dem auch eine Delegation von „Stuttgart-21“-Gegner(inne)n teilnimmt. Seit einigen Tagen findet dort ein Erfahrungsaustausch verschiedener Bürgerinitiativen aus Spanien, Frankreich, Finnland, Deutschland und Italien statt. Der Widerstand im Susa-Tal hat eine lange Geschichte: Seit 22 Jahren richtet er sich gegen die neue Bahnlinie Lyon-Turin. Für dieses Wahnsinnsprojekt soll ein 53 Kilometer langer Tunnel unter den Alpen gebaut werden, der das Susa-Tal zerstört.

Der parallel um 19 Uhr durchgeführte „Schwabenstreich“ hat unsere internationale Verbundenheit spüren lassen. Leider kamen die Grüße aus Italien von Martina Moog und Gernot-Peter Schulz etwas zu spät, denn unser Protest vor dem Bremer Bahnhof hatte sich schon aufgelöst. Aber nächsten Montag werden wir bestimmt mehr erfahren aus dem Susa-Tal. An diesem Samstag, dem 3. September 2011, werden wir von 15 bis 20 Uhr den gemeinsamen Widerstand gegen Sozialabbau, Atomkraft und „Stuttgart 21“ beim Sommerfest in den Neustadtswallanlagen feiern. Alle sind herzlich eingeladen!

Harald Braun

 

Sieben Jahre Montagsdemo Bremen

Jobst Roselius Am 16. August 2004 startete die Montagsdemo in Bremen mit circa 500 Teilnehmern aus einem breiten Feld von Betroffenen und politisch Engagierten. Die bereits an verschiedenen Orten entwickelten Prinzipien wie das Offene Mikrofon und die direkte Abstimmung über aktuelle Fragen wurden auch in Bremen aufgegriffen und zum Standard. Über den Weg des Kampfes gegen die Hartz-Gesetze und die Schröder’sche Agenda-Politik wurde auch bei Nachbesprechungen gestritten. Eine breite Mehrheit entschied sich für einen konsequenten Kampf auf der Straße. Die Bremer Mitstreiter entschieden sich deshalb gegen eine Linie, nach dem 2. Oktober 2004 den Kampf wieder einzustellen. Es gab intensive Diskussionen, und es blieben auch Leute weg, aber das führte die anderen enger zusammen.

Mit viel Engagement arbeiten wir sommers wie winters an unserer Darstellung, mit Plakaten, Sandwiches in Form von Hüllen wie dem „Hartzer Käse“ und einer eigenen Homepage, die täglich mehrere hundert bis manchmal weit über tausend Besucher hat. Fester Standpunkt war immer der Bremer Marktplatz, der Mittelpunkt der Stadt. Da musste uns seinerzeit auch der Bundespräsident Köhler begrüßen und unser Engagement würdigen. Die Bremer Politik machte mehr den Bogen um uns, aber zweimal konnten wir die grüne Finanzsenatorin zu einem Statement und kurzer Diskussion bewegen. Wir haben aber auch im Innenstadtbereich demonstriert. Das war besonders wichtig, wenn uns wegen des Bremer Freimarktes oder des Weihnachtsmarktes der Platz für die Kundgebung genommen war.

Die Montagsdemo, die große Sympathie unter vielen Menschen in der Stadt genießt und sozusagen das „Gewissen der Stadt“ darstellt, wurde über die lange Zeit auch kleiner, weil nicht mehr jede(r) so regelmäßig kam, uns aber doch dabei unterstützte. Ein jährliches Sommerfest in den Neustadtwallanlagen und ein Jahresabschlussfest gehören mittlerweile zur siebenjährigen Tradition. Neben der politischen Montagsdemo hat sich auch ein Kreis gebildet, der praktische Unterstützung der Hartz-IV-Betroffenen betreibt, durch Mitgehen zu Jobcenter und Sozialgericht und durch aktuelle Informationen auf der Montagsdemo zu konkreten Gesetzesänderungen und Ämteranweisungen. Der Weg per Widerspruch und Klage, der im Einzelnen sinnvoll und wichtig ist, kann aber nur ein individueller sein. Den meisten ist klar, dass weiterhin der laute Protest auf der Straße und das Mutmachen, sich nicht drangsalieren und in die Resignation drängen zu lassen, die Mittel sind, mit denen wir die unsoziale Politik in allen Lebensbereichen bekämpfen müssen.

Die Bremer Montagsdemo hat die kämpfenden Belegschaften wie von Karstadt, Daimler, Atlas oder der Bahn beim Lokführerstreik der GDL mit Solidaritätserklärungen unterstützt und besucht und auch zu anderen politischen Fragen wie dem Afghanistankrieg oder jetzt zur Atomkatastrophe in Japan Stellung bezogen und neue Aktionseinheiten geknüpft. Am Montag „nach Fukushima“ konnten wir aus dem Stand aus einer „Mahnwache“ von Grünen und SPD circa 3.000 Teilnehmer für eine kämpferische Demonstration durch die Stadt gewinnen, die dann mehrmals stattfand, ehe besonders die Grünen den Kampf gegen die Atomanlagen für erledigt erklärten. Seit dem 30. September führen wir als Solidaritätsaktion gegen den Wahnsinnsbahnhof „Stuttgart 21“ den „Schwabenstreich“ um 18:59 Uhr mit einer Minute Krach durch, jetzt bereits zum 52. Mal. Je nach Wetterlage kommen 30 bis 50 Menschen um zu reden oder auch nur zuzuhören.

Nach sieben Jahren stellen gerade die jungen Leute neue und ganz andere Fragen, etwa: „Wollt ihr uns Hartz IV auch noch wegnehmen?“ Das wollen wir natürlich nicht, sondern führen im Gegenteil den Kampf für sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und eine den realen Lebensbedürfnissen entsprechende Finanzierung von Ausbildung, sozialer Unterstützung, Arbeitslosigkeit und Rente. Die Bremer Montagsdemo arbeitet als überparteiliches Bündnis. Parteilose, Gewerkschafter, Friedenskämpfer und Umweltaktivisten wie von „Ausgestrahlt“ sind dabei, genauso wie Mitglieder von DKP, Linkspartei und MLPD. Angriffe auf teilnehmende Organisationen weisen wir zurück. Die Teilnehmer(innen) kritisieren und unterstützen sich gegenseitig und praktizieren so eine neues demokratisches Leben.

Jobst Roselius
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz