288. Bremer Montagsdemo
am 26. 07. 2010  I◄◄  ►►I

 

25 Quadratmeter genügen durchaus, um Überflüssige mit einem respektablen Wohnklo auszustatten

Elisabeth Graf1. Letzte Woche formierten sich 15 Arbeitslose für eineinhalb Wochen zu einem Zug der Tagelöhner durch das Land Brandenburg. Der Jüterboger „Verein für soziale Selbstverteidigung“ gehört zu den Initiatoren der Aktion, die unter der Trägerschaft des Fördervereins „Soziale Bewegung Land Brandenburg“ steht. Die Erwerbslosen ziehen mit Wohnmobilen und mehreren PKWs übers Land und gehen auf Arbeitssuche. Sie wollen überall den Menschen die zunehmende Dehumanisierung der Arbeitswelt bildhaft vor Augen führen. Für ihr Vorhaben mussten sie sich bei ihrer Arge persönlich abmelden, weil sie während der Werktage ihren Wohnort verlassen wollen. Dieser Schikane müssen sie sich aussetzen, wenn sie sich nicht wegen „unerlaubter Ortsabwesenheit“ und „Nichterreichbarkeit“ der Gefahr des Verlustes auf den Anspruch auf das Arbeitslosengeld II aussetzen wollen. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Arge ihnen einen Arbeitsplatz vermitteln könnte, unwahrscheinlich gering.

Die Betroffenen sind zum Teil seit mehreren Jahren arbeitssuchend, bekommen bestenfalls mal einen befristeten Job bei einer Reinigungsfirma oder einen dieser bescheidenen Ein-Euro-Jobs. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass es dies für sie mit Mitte, Ende 40 schon gewesen sein soll. Sie kritisieren, dass die hohe Arbeitslosigkeit im Land jetzt zunehmend durch Leiharbeit kaschiert wird, was letztlich auch zu einem ständig sinkenden Lohnniveau führt. Sie wollen darauf aufmerksam machen, dass immer mehr Menschen von der Zunahme von unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnissen betroffen sind, dass das sinkende Lohnniveau immer mehr Vollzeitbeschäftigte in die Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen treibt und dass die Zumutbarkeitskriterien für Erwerbslose verschärft werden, was die Menschen in Arbeitsverhältnisse bringt, von deren Lohn allein sie nicht leben können, sodass eine normale Lebensplanung geradezu verunmöglicht würde. Aber nicht allein die Einkommensarmut ist das Problem, sondern auch, dass die Situation durch herbe Einschnitte in das soziale Netz verschärft wird. Darum werden das Kürzen sozialer Leistungen, Einsparungen im Gesundheitssystem oder eingeschränkte Mobilität und Ausgrenzung von gesellschaftlicher Teilhabe der Arbeitslosen auch Themen während ihrer Tour sein. Informationen und Gespräche sollen dazu beitragen, Vorurteile zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen abzubauen. Eine tolle Idee, die hoffentlich auf Nachahmung stößt!

 

2. Rechtsanwalt Johannes Hentschel beklagt, die „rechtswidrige Schnüffelei“ bei Hartz-IV-Beziehern durch das Göttinger Sozialamt. Im April dieses Jahres habe ein anonymer Anrufer der Behörde mitgeteilt, dass sich eine Hartz-IV-Bezieherin aus der Stadt gar nicht regelmäßig in ihrer angegebenen Wohnung aufhalte, sondern bei ihrem Freund lebe. Nach dem Telefonat entsandten die Stadt und der Landkreis Göttingen Mitarbeiter, um in der Nachbarschaft der Frau weitere Erkundigungen einzuholen. Obwohl die Betroffene weder angehört noch informiert wurde, erfolgte einfach so die Leistungseinstellung. Stadt und Landkreis Göttingen weigern sich bis heute, die Namen des oder der anonymen Informanten offenzulegen. Wegen dieses und weiterer Beispiele von rechtswidriger Schnüffelei bei Hartz-IV-Empfängern im Raum Göttingen hat der Jurist jetzt beim Niedersächsischen Sozialministerium Bußgelder gegen insgesamt vier Stadt- und Landkreismitarbeiter beantragt und in zwei Fällen von Hausbesuchen und Nachbarbefragungen zudem den Landesdatenschutzbeauftragten eingeschaltet.

In diesem Land scheint es immer wieder nette Mitbürger zu geben, die gern die Funktion des selbsternannten Blockwartes ausüben und ihre Nachbarn wegen abgelaufener Konservendosen, Spinnweben und anderer „zweifelhafter Erkenntnisse“ denunzieren, wodurch sich die Sozialbehörde dann veranlasst sieht, einen „Hausbesuch“ bei einem Leistungsbezieher in die Wege zu leiten. So standen bei einer 82-jährigen Hilfebezieherin plötzlich zwei Mitarbeiter der Behörde unangekündigt mit der Begründung „auf der Matte“, dass die Heizkosten der Frau zu hoch seien. In der einschlägigen Rechtsprechung gelten die unangekündigten Hausbesuche und die Befragung der Nachbarn für die Behörden als letzte Mittel der Informationsgewinnung. Voraussetzungen sind aber gewichtige Verdachtsmomente, dass Leistungen zu Unrecht bezogen werden und dass es keine andere Möglichkeit einer anderweitigen Klärung gibt. Hentschel beklagt, dass die Praxis der Göttinger Behörden eklatant gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Hartz-IV-Bezieher verstoße und auch die im Sozialgesetzbuch geregelten Grenzen der Datenerhebung von den Ämtern „bewusst mit Füßen getreten“ würden. Göttingens Oberbürgermeister reagierte prompt – und wies die in einem der Fälle zusätzlich erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde ab, weil er „kein Fehlverhalten“ seiner Mitarbeiterin erkennen könne. Das wird der Landesdatenschutzbeauftragte wohl anders sehen!

 

3. Letzte Woche verwarf das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde einer Frau aus Sachsen, die eine dreijährige Ausbildung an einer privaten Berufsfachschule absolvierte und dabei sowohl Hartz-IV-Leistungen als auch sogenanntes Schüler-Bafög erhielt. In einer Vorinstanz entschied das Bundessozialgericht, dass die Bafög-Leistungen mit Ausnahme einer Pauschale für ausbildungsbestimmte Kosten als bedarfsmindernd zu berücksichtigen seien. Das Bundesverfassungsgericht schloss sich der Meinung der Vorinstanz an, wonach Bafög-Leistungen auf Hartz-IV-Bezüge angerechnet werden dürfen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthalte nur einen Anspruch auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind – und dazu zählten die Aufwendungen für den Besuch einer Privatschule eben nicht. Klar, diese Privatschulen können nur von Kindern betuchter Eltern besucht werden. Dabei muss in einem Sozialstaat Bildung für alle kostenlos und möglich sein (Aktenzeichen 1 BvR 2556/09)!

 

4. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, sprach sich im „Deutschlandradio Kultur“ für eine „freiwillige Wehrpflicht“ aus, bei der Wehrdienstleistende bevorzugt Studienplätze erhalten sollen. Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin der Fraktion „Die Linke“, kommentierte, dass die SPD offensichtlich Studienplätze in eine billige Währung verwandeln wolle. Schon jetzt dienen finanziell Benachteiligte als Kanonenfutter in Afghanistan und anderen Konfliktregionen. Offenbar soll der Druck auf junge Erwachsene erhöht werden, sich für eine militärische Laufbahn zu entscheiden, wobei dann in meinen Augen bei einer ökonomischen Zwangslage kaum noch von einer wirklichen Entscheidung gesprochen werden kann! Dass, wer „gedient“ habe, einen Studienplatz bekomme, zieht natürlich nur, wenn Studienplätze knapp oder schwer zu erreichen sind. Das Recht auf einen Studienplatz darf nicht in einen staatlichen Gnadenakt verwandet werden! Inge Höger formulierte treffend, dass junge Menschen wieder Perspektiven brauchen, sodass sie nicht auf die todsicheren Angebote der Bundeswehr angewiesen sind. Arbeitsplätze statt Kriegseinsätze, das sollte die Devise sein! Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass Studienplätze an eine Militärausbildung gekoppelt werden! Offenbar will Herr Arnold eine militarisierte Gesellschaft, in der Soldaten überall Vorfahrt haben. Meiner Meinung nach muss derjenige studieren können, der studieren möchte – völlig unabhängig von Studiengebühren, dem Portemonnaie der Eltern und erst recht vom Militär!

 

5. Der NDR-Redaktion „Panorama“ liegen brisante Aussagen und Dokumente vor, wonach der Textildiscounter Kik offenbar systematisch die Vermögensverhältnisse seiner Mitarbeiter ausgespäht hat, um verschuldete Angestellte zu feuern. Die Zentrale schaute sich nach Neueinstellungen eine „Creditreform“-Auskunft online an. Danach bekamen die Bezirksleiter die Information, bei der oder dem liege dies und das im Argen. Die Kik-Bezirksleiter wurden angehalten, diesen Mitarbeiter(inne)n zu kündigen oder einen befristeten Vertrag nicht zu verlängern. Natürlich durfte bei den Kündigungen der wahre Grund nicht genannt werden. Diese Praxis traf Menschen, die sich darum bemühten, von ihren Schulden runterzukommen, besonders hart und ungerechtfertigt! Als das Unternehmen von „Panorama“ daraufhin angesprochen wurde, antwortete es schriftlich, die angeführten Verfahren würden bei Kik nicht mehr praktiziert. Noch im vorigen Jahr hatte die Staatsanwaltschaft Dortmund vergeblich gegen Kik wegen vergleichbarer Vorwürfe ermittelt, wobei das Verfahren allerdings eingestellt wurde. Dabei ist es laut Bundesdatenschutzgesetz strafbar, persönliche Daten von Mitarbeitern mit der Absicht zu besorgen, ihnen systematisch zu schaden. Obwohl der Discounter allein in den Jahren 2008 und 2009 in über 49.000 Fällen die Vermögensverhältnisse seiner Mitarbeiter bei „Creditreform“ abgefragt hatte, konnte die Staatsanwaltschaft keine Schädigungsabsicht nachweisen. Dies könnte sich durch die Aussagen der Bezirksleiter in „Panorama“ nun ändern. Sie bestätigen, dass die Abfragen offenbar das Ziel hatten, verschuldete Mitarbeiter loszuwerden, ihnen also zu schaden.

 

6. Laut einer Umfrage der Gazette mit den vier Großbuchstaben sind 84 Prozent der Bevölkerung dafür, dass für Hartz-IV-Bezieher eine Arbeitspflicht bestehen sollte. Hatten Westerwelle und Sarrazin mit ihren als Pöbeleien gewerteten Kommentaren zu Hartz IV doch nicht so ganz Unrecht? Soll der arbeitslose Facharbeiter etwa den Dreck anderer aufsammeln? Gibt es ein offensichtliches Lustempfinden der Gesellschaft, die ihre Freude daran hat, Transferleistungsbezieher zum Beispiel mit gelben Jacken bekleidet arbeiten zu sehen? Immerhin geistert sogar bei „Bild“ die Frage herum: Was ist, wenn persönliche Betroffenheit durch Arbeitslosigkeit und Hartz-IV-Bezug entsteht und innerhalb nur eines Jahres der völlige soziale Absturz erfolgt? Immerhin wird die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt Arbeitsprogramme gibt, die der Würde und der Qualifikation angemessen sind, oder ob das mit Maßnahmen verbunden sein darf, die den Betroffenen das Gefühl geben, gesellschaftlicher Aussatz zu sein. Erstaunlich, dass ich in dieser Zeitung online nachlesen kann, dass erst mal Plätze geschaffen werden müssen, in der ALG-II-Bezieher mit Würde und Perspektiven einer angemessenen Tätigkeit nachgehen können, bevor darüber nachgedacht wird, sie arbeiten zu lassen. Ich frage mich aber schon, ob wirklich 84 Prozent der Bevölkerung dafür sind oder nicht vielmehr der „Bild“-Zeitungsleser. Vielleicht hätte die Frage auch anders gestellt werden müssen: ob nämlich Zustimmung darüber besteht, dass Erwerbslose unter staatlicher Aufsicht als Sklaven arbeiten müssen – oder ob die angebotenen Arbeitsplätze regulär sein und den „arbeitenden Erwerbslosen“ (was ist das denn?) ein ausreichendes Einkommen sichern sollen, damit sie ein frei bestimmtes Leben führen können. Die Form der Frage bestimmt das Ergebnis!

 

7. Kaum ist die leckgeschlagene Ölquelle im Golf von Mexiko mit einer proviso­rischen Haube abgedichtet, muss natürlich auch das Sommerloch gestopft werden. Sarrazin, Heinsohn, Westerwelle, Möllenstädt und Konsorten stimmten bereits mental darauf ein, wie mit den Überflüssigen einer Gesellschaft umzugehen sei: Das muss selbstverständlich einen Verzicht auf Warmduschen, warme Räume, beliebige Ortsabwesenheit und Elterngeld – spätrömische Dekadenz eben – nach sich ziehen! Wenn sich Erwerbslose nicht durch eigenen Broterwerb selbst versorgen wollen, müssen sie auch die Konsequenzen für ihre eigens verursachte Wertminderung tragen. Warum sollen die Steuerzahler eigentlich länger für deren Nichtstun in einer behaglichen Unterkunft zahlen? Wenn die Vorschriften der Verfolgungsbetreuung durch die argen Argen noch immer keinen ausreichenden Anreiz zur Arbeitsaufnahme bieten, müssen halt drakonischere Maßnahmen gefunden werden, die zur Aktivierung führen. Ich finde, dass 25 Quadratmeter durchaus genügen, um vollkommen Überflüssige mit einem respektablen Wohnklo auszustatten. Wenn ihnen überdies noch ein elektrisches Laufrad mit eingebautem Akku gestellt würde, könnten sie selbst so viel Strom erzeugen, wie ihre großformatigen Flachbildschirme Tag für Tag verbrauchen. Durch diese körperliche Ertüchtigung würde auch der Kreislauf in Gang gebracht werden, was für die Gesundheit förderlich wäre und ebenso die Kosten für die Heizung mindern könnte!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke
 
Faschistischer Menschenschlachthof: Wie kann die Obrigkeit eine Million Menschen durch einen einspurigen Tunnel quetschen? („Rote Fahne News“)

 

Die unterste Schmerzgrenze

Hans-Dieter BinderWenn der Hund von Christian Wulff mit dem Schwanze bellt und sich in Buxtehude ein Huhn zu Tode erschreckt, so landet dies in jeder Zeitung, ohne dass feststeht, ob Wulff überhaupt einen Hund hat und ob der es wirklich tat, bloß weil einer Interesse an der Verbreitung dieser Meldung hat – einer mit entsprechenden Druckmöglichkeiten. Das Interesse beziehungsweise die Lösung steht heute in der Zeitung, sie lautet: ortsabhängige Pauschalen für die Kosten der Unterkunft. Es wird also keine Begrenzung auf 25 Quadratmeter geben. Trotzdem ist das eine Riesenungerechtigkeit, die nicht dadurch feiner wird, weil eine noch größere Ungerechtigkeit sich dadurch erledigt hat. So ist es schon öfter im Umfeld des SGB II gemacht worden. Ein Grund mehr, bei dem in Bremen bestellten Gutachten genau hinzusehen: Eine wirklichkeitsgetreue Abbildung des hiesigen Wohnungsangebots wird bestätigen, dass die neuen Obergrenzen gemäß Wohngeldgesetz die unterste Schmerzgrenze sind. Daher Kopf zeigen auf der Bremer Montagsdemo!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)

 

Widerstand leisten
gegen „Bürgerarbeit“ und neue
Kürzungen für Hartz-IV-Empfänger!

Harald Braun Von staatlicher Seite wird die Einführung der „Bürgerarbeit“ sehr gelobt. In Bremen sind davon 200, in Bremerhaven 210 Hartz-IV-Empfänger betroffen. Der Bremer Staatsrat Joachim Schuster preist sie genauso an wie der Leiter der Bagis: „Bürgerarbeit ist ein vielversprechender neuer arbeitsmarktpolitischer Ansatz“ („Weser-Kurier“ vom 15. Juli 2010). Mit den Details halten sie sich vornehm zurück.

Ich bin im Internet auf eine Konzeption zur „Bürgerarbeit“ der Arge in Offenbach gestoßen, die deutlich macht, wie mit den Langzeitarbeitslosen in diesem Modell umgegangen werden soll. Dort heißt es zur sogenannten „Aktivierungsphase“ in den ersten sechs Monaten: „Einige Kunden“ (damit sind die betroffenen Arbeitslosen gemeint) „können bereits in dieser ersten Stufe in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden. Ein nennenswerter Anteil dieser Kunden zieht an dieser Stelle auch den Leistungsantrag auf ALG II zurück beziehungsweise erscheint nicht zur Sofortaktivierungsmaßnahme, was nach rechtlicher Prüfung zur Versagung der Leistung aufgrund fehlender Mitwirkung führen kann.“

Mit dieser Methode verschwinden bundesweit wieder Zehntausende Langzeitarbeitslose aus der Statistik, und das Bundesamt für Arbeit kann sinkende Ausgaben für Regelleistungen feiern. Für die Betroffenen werden Armut, Zukunftsängste und der entwürdigende Weg zur „Tafel“ zum Alltag. Und die Regierung plant neue Kürzungen: Letzte Woche wurde bekannt, dass eine „Expertengruppe“ des Arbeitsministeriums vorgeschlagen hat, das Wohngeld für Hartz-IV-Empfänger zu kürzen. Bei der Bemessung sollen demnach künftig „regionale Merkmale“ berücksichtigt werden. Das würde dazu führen, dass in bestimmten Städten wie Bremen für Alleinstehende nur noch 25 statt bisher 45 Quadratmeter bezahlt würden. Gleichzeitig soll die kostenlose Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln für Schwerbehinderte wegfallen.

Die Hartz-IV-Betroffenen sollten gemeinsam mit denen, die in den Betrieben und Verwaltungen täglich die Arbeitshetze und den Leistungsdruck zu spüren bekommen, auf die Barrikaden gehen! Der geeignete Ort dafür sind die wöchentlichen Montagsdemonstrationen. Wir werden in den kommenden Wochen feiern, was wir seit sechs Jahren erfolgreich unter Beweis gestellt haben: Es lohnt sich zu kämpfen! Außerdem wollen wir viele Menschen für die Teilnahme an der Großdemonstration am 16. Oktober 2010 in Berlin gewinnen. Sie steht unter dem Motto: „Wir wollen eine lebenswerte Zukunft! Weg mit Hartz IV und dem Krisenprogramm der Berliner Regierung!“ Wer den Aufruf lesen und unterzeichnen möchte, findet ihn auf der Homepage der Bundesweiten Montagsdemo.

Harald Braun

 

Die Ausbeutung der Frauenarbeit

Bettina Fenzel Am Donnerstag, dem 8. Juli 2010, erfuhr ich, dass das „Versorgungszentrum Obervieland“ keine Helferinnen und Helfer habe, die mir in der Woche 9,5 Stunden in der Woche im Haushalt und beim Einkaufen helfen könnten, für 6,15 Euro pro Stunde, das ginge maximal sechs Stunden in der Woche. Ich war vor sechs Wochen, am 26. Mai, aus der Reha entlassen worden. Normalerweise hätte mir gleich erklärt werden müssen, dass ich in meinem Freundkreis fragen solle, ob jemand dazu bereit sei, bei der „Nachbarschaftshilfe Obervieland“ für mich zu arbeiten, wenn das „Amt für Soziale Dienste„ die Kosten übernimmt. Dieses hat jetzt circa 350 Euro gespart, indem ich keine Hilfe erhielt. Per Bescheid hat das Amt jetzt auch die Kostenübernahme für eine vorübergehende Unterbringung in einem Altenpflegeheim verweigert, die natürlich teurer wäre als die Haushaltshilfe. Aber am allerbilligsten ist es für die Behörden, wenn sie überhaupt nichts zahlen. Hier wird die Betroffene als bloßer Kostenfaktor betrachtet, nicht ganzheitlich als Mensch, der dringend Hilfe benötigt und der nicht nur aus einem Körper besteht, sondern auch eine Psyche und seine Lebenserfahrungen hat! Die Behörden haben keine individuellen Vorstellungen vom Leben.

In den meisten Fällen werden Frauen in der Hausarbeit ausgebeutet. Ihre Arbeit wird gering geschätzt und unterbezahlt oder gar nicht vergütet. Das betrifft aber auch die wenigen Männer, die etwa im Pflegebereich arbeiten. Friedrich Engels erkannte richtig, dass Produktions- und Reproduktionsarbeit gesellschaftlich eine Einheit darstellen und dass die kapitalistischen Verhältnisse überwunden gehören, die dies ausklammern. Eine Gesellschaft kann nicht ohne Reproduktionsarbeit existieren. Das gleiche gilt für Produktionsarbeit, die nötig ist, um die Lebensgrundlagen der Menschen zu sichern. Sie bedingen sich gegenseitig. Die künstliche Trennung führt dazu, dass im reformierten kapitalistischen Patriarchat Frauen sowie Männer extrem ausgebeutet werden, die im Reproduktionsbereich, im Dienstleistungssektor, in sozialer Pflege, Haus- oder Erziehungsarbeit tätig sind. Die kapitalistischen Verhältnisse und das Privateigentum bedingen die Lohnarbeit. Die Mehrheit der Menschen muss ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen und sich unter kapitalistischen Bedingungen ausbeuten lassen. Der gesellschaftliche Reichtum sammelt sich in der Hand einer kleinen Minderheit, die die besitzende Klasse darstellt.

Die Einheit von Produktions- und Reproduktionsarbeit herzustellen, hilft mit bei der Beseitigung der kapitalistischen Verhältnisse, die hier eine künstliche Trennung hervorbringen. Der gesellschaftliche Reichtum gehört dazu genutzt zu verhindern, dass Frauen und Männer ausgebeutet werden bei der Arbeit in sozialen, pflegerischen und ökologischen Bereichen, bei Hausarbeit, Bildung und Kultur. Dass Frauen und Männer bei der „Nachbarschaftshilfe“ 6,15 Euro in der Stunde verdienen, legt Zeugnis von den Ausbeuterverhältnissen ab. Normalerweise gehört hier ein Mindestlohn von zehn oder zwölf Euro in der Stunde bezahlt! Wäre es mir finanziell möglich, würde ich diesen auch zahlen, doch da ich auf die Hilfe von „Amt für Soziale Dienste“ angewiesen bin, sehe ich mich hierzu außerstande.

Bettina Fenzel (parteilos)

 

Verantwortungslos, so sieht die „Entbürokratisierung“ aus

Jobst Roselius1. Am Wochenende kam es bei der „Lovepa­rade“ in Duisburg zu einer Katastrophe mit 21 Toten und über 500 Verletzten. Unsere Anteilnahme gilt den Angehörigen und den überlebenden Opfern. 1,4 Millionen Besucher wollten teilnehmen an dieser Veranstaltung auf einem für diesen Zweck viel zu kleinen, ein­geschnürten Gelände. Schon vor einem Jahr und bis zum Tag zuvor war gewarnt worden. Die Betreiber haben, so ist zu hören, die Stadtverwaltung unter Druck gesetzt, bei den Auflagen nachzugeben, damit die Gewinne auch genügend hoch bleiben. Alle Warnungen wurden in den Wind geschlagen. CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland soll erst am Morgen seine Freigabe erteilt haben. Jetzt will er nicht einmal zurücktreten und die „politische Verantwortung“ übernehmen. Dabei hätte er dann seine Ruhe und könnte sich seine Ausreden ausdenken. Dann gäbe es eben einen kleinen Knick auf der Karriereleiter.

Verantwortungslos ging es doch auch zu beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs. In Diskotheken werden zuweilen aus reiner Geldgier die Notausgänge verschlossen, und dann kommen die jungen Leute bei Feuer oder Panik ums Leben. So sieht die „Entbürokratisierung“ konkret aus, von der Unternehmer wie auch CDU und FDP so viel halten. In meiner Berufspraxis habe ich selbst erlebt, wie Amtsvertreter über die Mängel hinwegsehen und andere zu ihren Bütteln machen, um keine Schuld auf sich zu laden. Wir wissen doch, wo es überall an Kontrolle und Überwachung fehlt: Es gibt keine Steuerfahnder und keine Kontrollen in wichtigen Bereichen. Kleine wie große Kapitalisten nutzen das aus, um Steuern zu hinterziehen und alle denkbaren Arbeitnehmerechte zu unterlaufen.

Nur wenn es ums Drangsalieren von Hartz-IV-Betroffen geht, kennt die Bürokratie weder Grenzen noch Gnade. Darum muss die Katastrophe von Duisburg in allen Fragen offengelegt werden, und es müssen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Diese menschenverachtende Gleichgültigkeit des Oberbürgermeisters und anderer, die noch den Jugendlichen mit ihrem „Fehlverhalten“ die Schuld zuweisen wollen, gehört an den Pranger und genauso wie die Machenschaften der Betreiber bestraft.

 

2. In Hamburg, wo demnächst das Finanzdesaster den Haushalt der Stadt erreicht, ruft Bürgermeister Ole von Beust erleichtert aus: „Alles hat seine Zeit“ und schreitet von dannen in vermutlich dankbarere Beratungstätigkeiten in der Wirtschaft. In seinen Fußstapfen folgt fast der halbe Hamburger Senat. Den Wirtschaftssenator erwartet ein genügend gut dotierter Job in der Wohnungswirtschaft. Die Adlige von Welk sieht sich ihre Elbphilharmonie-Ruine lieber von Ferne an: „So viel kann ich nicht verkraften“. Auf sechs hochkarätige Länderfürsten musste Walküre Merkel inzwischen verzichten. In Bayreuth, wo sie den letzten Sonnabend bei Wagners „Lohengrin“- Premiere verbrachte, konnte sie beiwohnen, wie in einem imaginären Universum aus kleinen Drahtgebilderatten allersüßeste Homunkulusse werden. Das ist doch eine schöne Ablenkung für eine so tolle Physikerin! Vielleicht kann sie ja lernen, wie man noch steuerfähigere CDU-linge zeugt.

In 20 Tagen feiern wir sechs Jahre Montagsdemo: sechs Jahre Widerstand und Unruhe im Land! Wenn wir und viele andere nicht diesen Kampf gegen die Regierungspolitik geführt hätten, sähe es anders im Land aus. Schröders Agenda 2010 und seine Hartz-Gesetze sind zwar immer noch da, aber die Regierung ist schon gerupft. Die Urheber wie Peter Hartz und sein Basta-Chef trauen sich gar nicht mehr in die Öffentlichkeit. Den Nachfolgern, wenn sie nicht schon flüchten, geht es kaum anders. Ihr ganzer „Stadel“ hat doch gar kein Vertrauen mehr in der Bevölkerung!

In der letzten Woche gab es den „Banken-Stresstest“: Außer der Hypo Real Estate seien alle gut durchgekommen. Welch Wunder, wenn die „Bad Banks“ alle ausquartiert sind und nicht mehr auf der Rechnung stehen! Für deren Abwicklung ist das Potential der Werktätigen da, denen man noch in Jahrzehnten dafür das Geld abknöpfen will. In der Wirtschaft läuft ohne Spekulation heute gar nichts mehr. Das ist ihr Motor, wird mancher Neunmalkluge sagen. Man sieht es an der Autoindustrie und China: Der Export brummt, und im „ Reich der Mitte“ selbst können gar nicht schnell genug neue Autowerke aus dem Boden gestampft werden. VW will allein in China drei Millionen Autos verkaufen. Dort gibt es noch Wirtschaftskrisen-Förderprogramme – auf Spekulationsbasis. Wenn die Blase platzt, haben wir die nächste Krise! Da wird keine „Abwrackprämie“ mehr helfen.

Doch es gibt kein Feld mehr, wo sich nicht Widerstand gegen die Regierungspolitik regt, vom Umweltbereich, in dem die Versteigerung der Brennelementgewinne geplant wird, über die Verdummungspolitik beim Afghanistan-Einsatz bis zum Gesundheits- und Bildungswesen. Dass es diesen Widerstand gibt, ist richtig so und muss weiter verstärkt werden! Wo wir die Regierenden angreifen, trauen sie sich nicht so leicht voran mit ihren Plänen. Leider sind manche dieser Kämpfe noch nicht so gut vernetzt und voller Mumm, wie es notwendig wäre. Daran müssen wir arbeiten. Beim Widerstand ist die Montagsdemo immer dabei! Sie hilft auch und berät, wo sie es leisten kann. Kommt her, hier seid ihr richtig!

Jobst Roselius
 
„Der schlimmste Schrott, den ich je gesehen habe“: Eine Plattform, auf der
sich die „linke Szenelächerlich machen soll („Apache Friends“)
 
Scheckbetrug: Manche Mails muss man an die Polizei
weiterleiten (Pete Ording in „D-Forum“)

 

Von Kanarienvögeln,
Ich-AG, Kapitalismus und
bedingungslosem Grundeinkommen

Ich habe es letzte Woche schon angerissen: Hartz IV schießt den Vogel ab! Einen Vogel in einer Tierpension unterzubringen, kostet Frauchen oder Herrchen pro Tag im Schnitt neun Euro, für den Monat 270 Euro. Einem Kind im Alter von sieben bis 14 Jahren steht ein monatlicher Regelsatz in Höhe von 251 Euro zu. Die Lebenshaltungskosten für ein Kind sind somit niedriger angesetzt als die Kosten für einen Kanarienvogel in einer Tierpension. Eltern, füttert eure Kinder nicht mit Vogelfutter, sonst reicht das Geld nicht!

Hans-Dieter WegeAuf der Fahrt nach Bremen heute ging mir die obige Geschichte einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wie leicht, mit welch geringen finanziellen Mitteln könnte doch ein Hartz-IV-Empfänger eine eigene Existenz basteln! Ein Raum würde schon genügen: Jeden Monat 30 Tage lang zehn Kanarienvögel oder Wellensittiche von Vogelfreunden in Pension genommen, und schon würde man hiermit ungefähr 3.000 Euro im Monat brutto verdienen! Bestimmt ließe sich auf diese Weise eine Ich-AG gründen.

Doch wie geht das der Kapitalist an? Der würde bestimmt erst einmal den vorhandenen durchschnittlichen Bedarf eines Monates prüfen. Wäre es zum Beispiel möglich, jeden Monat die Tiere von 100 Vogelfreunden in Pension zu nehmen, liefe er wahrscheinlich erst mal zu seiner Bank, um ein Konzept vorstellen und eine Finanzierung beantragen. Auch der Kapitalist bräuchte eigentlich nur einen geeigneten Raum. Er würde hier dann mehrere mehrgeschossige Regale aufstellen, sodass man 100 Käfige unterbringen könnte. Für Betreuung und Versorgung der Vögel und die Abwicklung der Pensionsgeschäfte würde er wahrscheinlich neun 400-Euro-Kräfte einstellen, sodass ein Geschäftsbetrieb von zwölf Stunden an jedem Tag des Monates gewährleistet wäre.

Zahlte der Kapitalist einen Mindestlohn von zehn Euro in der Stunde, wären das für 360 Stunden nur 3.600 Euro – „Peanuts“ bei einem Umsatz von 30.000 Euro, selbst wenn für die verschiedensten Versicherungen noch zusätzliche Kosten anfallen. Gäbe es nun das bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland und müsste der Kapitalist auf den gesamten Umsatz daher eine Steuer von 50 Prozent zahlen, käme er immer noch gut auf seine Kosten und machte immer noch Profit.

Gemäß Vorschlag der Bremer Montagsdemo nach einem über eine Arbeitskraftabgabe in Höhe des jeweiligen Mindestlohnes finanzierten bedingungslo­sem Einheitsgrundeinkommen müsste dieser Kapitalist seine Mitarbeiter mindestens vier Stunden am Tag in einer Fünf-Tage- Woche beschäftigen, wenn die Mitarbeiter das so verlangen. So verdiente jeder der dann in Vollzeit von 87 Stunden im Monat beschäftigten Mitarbeiter bei einem Mindestlohn von zehn Euro in der Stunde mindestens 870 Euro. In 90 Stunden, jeweils einem Viertel der gesamten Arbeitszeit, wären es genau 900 Euro. So verteilte sich die benötigte Arbeitszeit von 360 Stunden sehr gerecht auf die vier Mitarbeiter. Jeder verfügte über das bedingungslose Einheitsgrundeinkommen bereits über ein Einkommen von 1.000 Euro netto. Fünfzig Prozent des ausgezahlten Gehaltes würden dieses Einkommen ergänzen. Das Einkommen jedes Mitarbeiters betrüge somit mindestens 1.450 Euro.

Vom seinem Umsatz von 30.000 Euro müsste der Kapitalist mindestens 3.600 Euro an Lohn zahlen, weiterhin eine Arbeitskraftabgabe von 3.600 Euro für die 360 Arbeitsstunden. Das wären Kosten von 7.200 Euro für die Arbeit, zuzüglich notwendiger gesetzlicher Versicherungen, Miete, Tilgung und Energie. Vom Umsatz bleiben ungefähr zwei Drittel, nach dieser Rechnung also 20.000 Euro im Monat übrig. Versteuerte man diesen Betrag zusätzlich mit 50 Prozent, wären es immer noch 10.000 Euro Profit - zusätzlich der 1.000 Euro aus dem bedingungslosen Einheitsgrundeinkommen für jedes Familienmitglied des Unternehmers.

Ich hoffe, ich kann durch dieses kleine Beispiel, das im Prinzip auch im großen Stil funktionieren müsste, die Notwendigkeit zur Einführung des bedingungslosen Einheitsgrundeinkommens auf Kosten des Profits einigermaßen verständlich erklären! Wer auf der Montagsdemo fragt: „Was soll denn eurer Meinung nach statt Hartz IV kommen?“, dem antworte ich: Als erster Schritt das bedingungslose Einheitsgrundeinkommen auf Kosten der Profite der Unternehmen – mit einem Rechtsanspruch auf die tatsächlich notwendigen monatlichen Arbeitsstunden aller erwerbsfähigen Menschen in Deutschland. Die Überwindung von Hartz IV ist ohne jeden Zwang möglich, mit hundertprozentigem Recht der Menschen auf Teilhabe an jeder Art von Arbeit, wenn sie das möchten! Auch die Kommunen dürften hiernach keine finanziellen Probleme mehr haben.

Hans-Dieter Wege (parteilos, Gegner asozialer Politik)
 
Hartz IV schießt Menschen ab: Sie werden zum Schulabbruch gedrängt
oder als potentiell psychisch krank eingestuft („Spiegel-Online“)
 
Die Wahrheit drängt ans Licht: Der Hartz-IV-Regelsatz ist zu niedrig –
er müsste bei 400 Euro liegen („Spiegel-Online“)
 
Proteste zeigen Wirkung: Regierung verzichtet auf
Wohngeldkürzung für ALG-II-Bezieher („Die Zeit“)
 
Psycho-Haft wie in Nordkorea: Wetterfrosch zu
den Kakerlaken gesperrt („Spiegel-Online“)
 
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