603. Bremer Montagsdemo
am 06. 02. 2017  I◄◄  ►►I

 

Dem Staat ist ein reiches Kind 199 Euro wert, ein armes nur 107

Elisabeth Graf1. Aus einer Studie des „Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“ geht hervor, dass von den 6,2 Millionen Leistungsberechtigten, die es bei der Einführung von Hartz IV im Januar 2005 gab, 1,5 Millionen gelungen sei, den Bezug der Transferleistung zu beenden. Innerhalb von fünf Jahren soll dies vier Millionen Menschen geglückt sein. Dennoch habe sich eine Million Hartz-IV-Berechtigter durchgehend von Januar 2005 bis Dezember 2014 in der Grundsicherung befunden. Dagegen habe von den neu hinzukommenden Hartz-IV-Berechtigten die Hälfte den Leistungsbezug innerhalb eines Jahres beendet, auch wenn dies nicht unbedingt von Dauer war.

Langer Leistungsbezug kann nicht automatisch mit langer Arbeitslosigkeit gleichgesetzt werden, da etwa 30 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsbezieher(innen) erwerbstätig sind. Die Arbeitsmarktforscher skizzierten verschiedene typische Werdegänge in der Grundsicherung anhand einer Stichprobe von mehr als 20.000 Hartz-IV-Berechtigten. Demnach entwickelte sich etwa ein Drittel zu Langzeitleistungsberechtigten mit relativ wenig Kontakt zum Arbeitsmarkt. Ein gutes Viertel könne schnell und dauerhaft den Leistungsbezug mit einer bedarfsdeckenden Beschäftigung verlassen. Ein knappes Zehntel sei angeblich relativ gut in den Arbeitsmarkt integriert, obwohl es ohne aufstockendes Arbeitslosengeld II seinen Lebensunterhalt nicht zu bestreiten vermöge.

Einem weiteren knappen Zehntel gelinge erst nach längerer Zeit der Ausstieg aus dem Leistungsbezug mit einer bedarfsdeckenden Beschäftigung. Ebenfalls ein knappes Zehntel schaffte nach einer betrieblichen Ausbildung den Ausstieg. Die übrigen knapp zwei Zehntel verließen den Leistungsbezug aus anderen Gründen wie Studienbeginn, Selbständigkeit oder Renteneintritt. Wer schneller und nachhaltiger in den Arbeitsmarkt integriert werden konnte, war meist höher qualifiziert, jünger, besaß eher die deutsche Staatsangehörigkeit und konnte in der Vergangenheit auf mehr Erwerbserfahrung zurückblicken. Wer hingegen häufiger erwerbslos war, hatte ein höheres Risiko, länger im Hartz-IV-Bezug zu bleiben.

Bei dem negativen Bild, das über Erwerbslose in der Gesellschaft verbreitet wird, verwundert der Befund nicht wirklich. Komisch, dass bei diesen Aufzählungen offenbar immer wieder „vergessen“, also verschwiegen wird, dass es ein auserkorenes Ziel von Ex-Kanzler Schröder war, in Deutschland einen der größten Niedriglohnarbeitsmärkte Europas zu schaffen. Unter der Drohkulisse von Hartz IV und dem Emporschießendürfen so vieler Leiharbeitsvermittlungen ist dies so trefflich wie schändlich gelungen.

 

2. Alle reden noch und nöcher davon, es sei eine Schande, dass hierzulande inzwischen jedes fünfte Kind arm sei. Seit Jahren schwafeln so viele Politiker davon, dass sich daran endlich etwas ändern müsse! „Zeit“-Autorin Julia Friedrichs ist die billige Heuchelei leid. Sarkastisch formuliert sie, die armen Kinder wären inzwischen reich, wenn sie jedes Mal einen Zehner bekämen, sobald ihr Schicksal bedauert würde. Friedrichs berichtet seit mehr als zehn Jahren in Fernsehreportagen, Büchern und Zeitungsartikeln immer wieder über arme und „abgehängte“ Kinder in Deutschland. Sie betrat viele Wohnungen, in denen sich Eltern mühten, auch ohne Geld Würde und Anstand zu wahren.

Friedrichs sprach auch mit Grundschulkindern, die jobben wollten, um ihren Eltern zu helfen, und solchen, die wütend wurden, weil ihnen immer gepredigt wurde, dass sie verzichten müssten. In Deutschland entscheidet mehr als in vielen anderen Industrieländern die soziale Herkunft über die Zukunft von Kindern. Besonders häufig arm sind Kinder von Arbeitslosen, Alleinerziehenden und solche mit mindestens zwei Geschwistern. Arme Kinder könnten sich bereits mit sechs Jahren schlechter konzentrieren, seien häufiger übergewichtig und krank als ihre finanziell besser gestellten Altersgenossen, könnten auch schlechter sprechen und zählen.

In der Schule gelinge es viel zu selten, diesen Startnachteil wettzumachen, selbst wenn die Eltern zwar über wenig Geld, wohl aber über einen hohen Bildungsstand verfügten. Der Malus der Armut begleite oft ein ganzes Leben, könnte dies sogar verkürzen, da die statistische Lebenserwartung eines Jungen, der in eine arme Familie geboren wird, elf Jahre niedriger sei, als die eines Jungen aus wohlhabendem Hause. Die Zahlen der Armut sind traurig, bedeuten beengte Wohnungen, in die selten Freunde eingeladen werden können, raue Stadtviertel, kein Geld für individuelle Förderung, für Wünsche und Urlaub.

In großer Einigkeit beklagen die Journalisten regelmäßig, dass etwas geändert werden müsse, was die Politiker Jahr um Jahr bekräftigen. 2007 sagte die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen, Kinderarmut sei „eines der beschämendsten Probleme“ in unserem Land. 2014 schwadronierte die aktuelle Familienministerin Manuela Schwesig, für sie sei die Bekämpfung von Kinderarmut „ein sehr wichtiger Punkt“. 2016 schwatzte Arbeitsministerin Andrea Nahles, Kinderarmut sei „ein bedrückendes Problem“. Haben dann endlich alle ihre Bestürzung geäußert, ihre Betroffenheit artikuliert, können sie ja wieder schweigen, bis sie bei der nächsten Statistik von neuem taten- und folgenlos losblubbern können.

Hier und da wird mit großem Brimborium ein schnell verzischender Tropfen auf den heißen Stein fallengelassen. Da wird dann der Kinderzuschlag für Eltern mit niedrigem Einkommen um zehn Euro oder das Kindergeld um zwei Euro monatlich „erhöht“, werden „Teilhabepakete“ geschnürt. Aber wann gehen Bürger(innen) endlich einmal auf die Straße, um sich darüber zu empören, dass so viele Kinder „abgehängt“ sind? Wo wird Druck gemacht, bis es endlich gut ausgestattete Bildungseinrichtungen für alle von Anfang an gibt? Wo ist die konzertierte Aktion der Regierung gegen Chancenarmut?

Es ist offensichtlich, wo dringend etwas zu tun wäre. Es fehlt zum Beispiel an herausragenden Bildungseinrichtungen für ganz Kleine, an verlässlichen Ganztagsgrundschulen, in denen die Kinder am Nachmittag nicht nur betreut werden, sondern in denen alle gemeinsam auch nach zwölf Uhr noch lernen, Sport treiben, musizieren und ein warmes Mittagessen bekommen. Wenn die Bundesländer es weiter nicht schaffen, ihren föderalen Flickenteppich zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzuweben, müsste der Bund die Verantwortung für diese Schulen tragen.

Wie kann es angehen, dass trotz der Mahnungen der Verfassungsrichter dem Staat ein armes Kind offenkundig weniger wert ist als ein armer Erwachsener, dass der Hartz-IV-Regelsatz für einen Zehnjährigen rund 100 Euro im Monat niedriger ist als der seiner Elternteile? Schließlich benötigen Kinder häufiger neue Kleidung als Erwachsene, brauchen Bücher, Stifte und vor allem gesundes Essen. Sie leiden sehr darunter, von den Aktivitäten ihrer Freunde wie Schwimmunterricht, Zoobesuch und „Kino mit Popcorn“ ausgeschlossen zu sein.

Es wäre für den Staat geradezu kinderleicht, dafür zu sorgen, dass große Familien günstiger wohnen können, dass kinderreiche Familien – wie etwa in Frankreich – Rabatte bekommen, wenn sie verreisen wollen oder Kleidung und Schulsachen kaufen. Klar und deutlich zeigt sich, dass dem Staat ein armes Kind dem Staat weniger wert als ein reiches. Deutschland investiert 200 Milliarden Euro, um Ehen und Familien, Paare mit und ohne Kinder zu unterstützen. Dies geschieht nicht mit der oft kritisierten „Gießkanne“, sondern mit einem außer Kontrolle geratenen Rasensprenger, der die Wiese vor allem dort wässert, wo sie ohnehin schon sattgrün ist.

Das „Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung“ hat berechnet, wie sich die über 150 Familienleistungen – Elterngeld, Kindergeld, Kita- Zuschuss – mit 13 Prozent der Fördersumme bei den reichsten zehn Prozent der Familien und nur sieben Prozent bei den ärmsten zehn Prozent verteilen. Anders ausgedrückt ist dem Staat ein armes Kind monatlich im Schnitt 107 Euro wert, ein reiches aber 199 Euro.

Wenn der Staat jedem Kind, egal wie alt es ist und aus welcher Familie es kommt, das zahlte, was es zum Leben braucht, sei das nicht nur ein Zeichen dafür, dass alle Kinder gleich viel wert sind, sondern auch eine wirksame Waffe gegen die Folgen der Armut. „Kindergrundsicherung“ nennen Wissenschaftler das und schlagen vor, dass Kinder 500 Euro pro Monat erhalten sollten. Das Team der „Böll-Stiftung“ schätze die Mehrkosten auf 30 Milliarden Euro pro Jahr. Das Konzept sei keine Träumerei, denn allein die Abschaffung des Ehegattensplittings würde etwa 20 Milliarden einbringen.

Wenn aus den süßen Kindern laute, manchmal schwierige Teenager geworden sind, wandle sich das Mitleid vieler in Ablehnung, und es werde von ihnen gefordert, sie sollten sich doch mehr anstrengen. Binnen weniger Jahre würden aus den Opfern ihrer Lebensumstände Täter. Andere erstickten ihr Mitgefühl in abstrakten Debatten über „Armutseinwanderung“ oder einen „Armutsadel“, die Milderen spendeten gerade vor Weihnachten wieder. Für echte Aufstiegschancen der armen Jungen und Mädchen aber kämpfe niemand.

Die Autorin fragt, ob sich nicht vor allem die Menschen aus der Mittelschicht selbst belügen: Haben sie wirklich ein Interesse daran, dass die armen Kinder mitmischen beim ohnehin angespannten Wettkampf um Karrierechancen, oder sind viele Eltern insgeheim froh darüber, dass ein Fünftel der Konkurrenz bereits in der Schule „abgehängt“ ist? Ein Student, der finanziell arme Kinder betreute, brachte es auf den Punkt: „Es heißt immer: Kinder sind unsere Zukunft. Aber die Kinder in unserer Siedlung sind damit nicht gemeint.“ Da hat er wohl Recht!

Ich finde, wir dürfen auch nicht vergessen, dass finanziell arme Kinder immer Kinder von finanziell armen Eltern sind. Die politisch Verantwortlichen sorgen nicht dafür, dass Eltern, dass Erwachsene ein anständiges Gehalt für ihre Arbeit bekommen – beziehungsweise ein anständiges Geld für ihren realen Unterhalt, wenn sie keinen der immer weniger werdenden Arbeitsplätze ergattern konnten oder zu krank, zu alt für Erwerbsarbeit sind. Nicht nur Kinder brauchen eine echte Grundsicherung, die diesen Namen auch verdient und über ein bloßes Vegetieren hinausgeht, die ein echtes Teilhaben, ein wirkliches Leben in der Gesellschaft, auch mit normalen Mieten ermöglicht, sondern Erwachsene ganz genauso. Wir brauchen immer dringender ein bedingungsloses, ein realistisches Grundeinkommen!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke

 

Der Hype um Agenda-Wegbegleiter Schulz wird nicht lange anhalten

Donald Trump ist ein widerlicher, rassistischer, faschistischer, sexistischer Präsident! Mit seinem Einreiseverbot für Muslime aus sieben Staaten ist er aber jetzt erst mal vor dem Berufungsgericht gescheitert. Auch die Demonstrationen reißen nicht ab, und das macht mich froh, weil es zeigt: Nicht die Bevölkerungen sind nach rechts gerückt, sondern die Regierungen. Allein 4,5 Millionen Menschen gingen an einem einzigen Tag in den USA gegen Trump auf der Straße, und der Protest reißt nicht ab. Von den 25 Prozent der Bevölkerung, die Trump gewählt haben, tut es doch mindestens der Hälfte schon wieder leid.

Wolfgang LangeTrump muss weg! Beim G20-Gipfel im Juli in Hamburg werden wir ihm einen freundlichen Empfang bereiten, wenn er sich denn traut zu kommen. Aber nun kommt Sarah Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, daher und sieht „positive Signale“ vor allem in der Trumps Außenpolitik. Ursache für diese abgefahrene Ansicht ist, dass Trump angekündigt hatte, sich mit Putin besser zu verstehen, und den sehen Wagenknecht wie auch die DKP-Führung als „friedliebend“ an, in völliger Verkennung der Tatsache, dass Russland ein neoimperialistisches Land ist! Daran gibt es nichts Friedliebendes.

Imperialismus heißt immer: Reaktion nach innen, Aggression nach außen, andere unterdrücken und nach Weltherrschaft streben. Die imperialistische Konkurrenz ist Ursache der wachsenden Kriegsgefahr. Neoimperialistische Staaten wie Russland und die Türkei wollen aggressiv einen größeren Teil vom „Kuchen“, während alte Imperialisten wie die USA verloren gegangenes Terrain zurückerobern wollen. Das ist der Hintergrund dafür, dass die reaktionärsten Teile des amerikanischen Großkapitals auf Trump setzen, und das macht ihn brandgefährlich. Schon droht er mit Atomwaffen! Beim ersten Kriegseinsatz unter Trumps Befehl gegen den Jemen gab es Tote unter der Zivilbevölkerung, darunter Kinder.

SPD jubelt derweil über bessere Umfragewerte, seit Martin Schulz auf den Schild gehoben wurde: von 20 auf 31 Prozent und damit nun sogar knapp vor der Union. Freilich gehörte Schulz seit 1999 der engsten Parteiführung an und war treuer Wegbegleiter der Agenda 2010 mit den Hartz-Gesetzen und Rente 67! Der Hype um ihn wird nicht lange anhalten. Die Zahl der Leiharbeiter(innen) ist auf neuem Rekordhoch: über eine Million. Sie verdienen als Hilfskraft im Durchschnitt 1.524 Euro. Eine Stammkraft erhält dagegen 2.119, eine Fachkraft 2.844 Euro.

Da sind die Manager-Gehälter schon ein wenig anders: Ex-VW-Chef Martin Winterkorn erhält heute 93.000 Euro Rente im Monat. 2015 bekam er ein Gehalt von 7,3 Millionen Euro. Christine Hohmann-Dennhardt bekommt nach einem Jahr Ethik-Beratung bei VW zwölf Millionen Euro Abfindung. Sie sollte dafür sorgen, dass Volkswagen nach dem Abgasskandal wieder eine reine Weste bekommt, was ihr freilich nicht gelungen ist. Bei Daimler hatte sie vorher durch Regelanfragen beim „Verfassungsschutz“ für eine umfassende Bespitzelung aller Mitarbeitenden gesorgt.

30.000 Arbeitsplätze will VW abbauen, 5.700 Leiharbeiter(innen) wurden bereits auf die Straße geworfen. 22 Milliarden Euro hat Volkswagen inzwischen an Strafen und Entschädigungen bezahlt, aber deutsche Autofahrer(innen) bekommen keinen Cent, denn laut Verkehrsminister Dobrindt wurden sie „nicht geschädigt“. Ebenfalls keine Entschädigung bekommen die Opfer des Abgasbetrugs, die Hunderttausenden durch Stickoxide geschädigten oder getöteten Menschen.

Selbst VW-Patriarch und Hauptaktionär Piëch bestätigt, dass Winterkorn frühzeitig von dem Betrug durch Abschaltung der Abgasreinigung im Normalbetrieb wusste. Schon als Winterkorn zur Attacke auf den US- Markt mit VW-Dieseln blies, wusste er genau, dass diese niemals den strengen US-Richtlinien für Stickoxid- und Feinstaubausstoß standhalten würden, wenn es mit rechten Dingen zugeht. Finanzchef Pötsch bekam seinen Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat mit 20 Milliönchen versüßt.

Winterkorn und Konsorten gehören in den Knast und ihr Vermögen eingezogen, Renten und Bonuszahlungen ebenfalls! Das sind alles keine Versehen, keine Ausrutscher, das ist das System: Das Finanzkapital hat sich alle Teile der Gesellschaft untergeordnet. Die Oktoberrevolution vor 100 Jahren hat gezeigt, dass es möglich ist, ein System zu stürzen und die Macht der Arbeiter und Bauern, die Räterepublik, zu errichten!

Wolfgang Lange (MLPD)
 
Judges say no: Wird Trump im Sommer beleidigt zurücktreten, wenn er überall gegen die Mauer gelaufen ist? („Spiegel-Online“)
 
Vom 10. Februar bis zum 26. März 2017 veranstalten der kurdische
Verein in Bremen „Birati“ und das „Kurdistan-Solidaritätskomitee Bremen“
unter dem Titel „Leben und Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung“ in loser Folge und an wechselnden Orten die Reihe „Kurdische Filmtage“. Den thematischen Schwerpunkt bildet dabei die Befreiung der Frau.
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz