Wahlblogs
Alles viel zu
wichtig
Von Frank Patalong
Heute schon ein politisches Blog gelesen? Falls nicht, gehören Sie zur absoluten Mehrheit der deutschen Internet-Nutzer. In der Wahrnehmung der Medien jedoch stehen die Blogs ganz oben. Das haben sie aus etlichen Gründen (noch) nicht verdient.
Obwohl seit Jahren kaum
ein Internet-Thema so viel Niederschlag in den Medien gefunden hat, von
Politikern, Journalisten und natürlich den Bloggern selbst so stark thematisiert
wurde wie die "Blogosphäre", in der jedermann frei publizieren kann, ist sowohl
das Schreiben als auch das Lesen von Weblogs in Deutschland nach wie vor eine
Minderheiten-Beschäftigung.
Man kann sich fragen, warum das so
ist.
Der Gedanke ist doch außerordentlich reizvoll: Die neue, kostenlose
Blogging-Software im Verbund mit einer ganzen Reihe kostenloser Angebote, wo man
ein Blog hinterlegen kann, machen es für jedermann möglich, weltweit lesbar zu
publizieren. Damit nicht genug. Jeder Beitrag kann durch die
Kommentierungsfunktionen der Blog-Software zum Auslöser einer lebendigen
Diskussion werden. Das klingt für manche nach Stammtisch, für andere nach der
Wiederkehr des Forums: Dort sollen die Erfinder der Demokratie einst in freier
Diskussion die Richtung der Politik mitbestimmt haben.
Zum Forum im
antiken Athen gibt es übrigens noch eine augenfällige Parallele: Dort traf sich
mitnichten das Volk, um seine Geschicke zu bereden, sondern die vermögende
männliche Elite. Die sieht heute so aus: "So sind 50 Prozent der befragten 34
Jahre und jünger, knapp 80 Prozent sind männlich und verfügen über
Hochschulreife bzw. ein abgeschlossenes Studium."
Der Satz beschreibt die
Nutzerschaft politischer Blogs im Vorfeld zur Bundestagswahl 2005, wie sie der
Politologe Roland Abold in seiner Studie "Wahlkampf in der Blogosphäre" erfasst
hat.
Großer Zirkus, wenig Publikum?
Diese Web-Nutzer seien
überdurchschnittlich Internet-affin, politikinteressiert und ganz und gar nicht
zahlreich: "Auch im Jahre 2005 werden die Möglichkeiten der internetbasierten
Kommunikation und Artikulation nur von einer kleinen Gruppe der Bürger intensiv
genutzt." Selbst innerhalb der Gruppe der "politisch stark Interessierten", die
Abold über eine Online-Befragung unter Blog-Nutzern erfasste, machten nur "etwa
ein Viertel der Befragten regelmäßig von den Möglichkeiten des Internet als
Diskussionsmedium Gebrauch". Trotzdem kommt er zu dem Fazit, dass sich
politische Weblogs "als wichtige Form des internetbasierten Meinungs- und
Informationsaustausches etabliert" hätten.
Das sieht auch der
Kommunikationswissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt so, der sich seit rund
eineinhalb Jahren sowohl akademisch als auch
bloggend mit dem Thema befasst.
Seiner Meinung nach beruht die
Bewertung von Blogs anhand ihrer Leserzahlen auf einem Missverständnis:
Schließlich würden Blogs nicht nur von Multiplikatoren geführt, die Meinung und
Nachricht verbreiten, sondern erreichten eben auch wieder vornehmlich
Multiplikatoren. Im Klartext: Ihre relative Wichtigkeit im öffentlichen Diskurs
liege gerade auch darin begründet, dass Blogs eben nicht "Massenmedium" seien,
sondern Forum von Meinungsaustausch innerhalb besonders interessierter oder
qualifizierter Gruppen. Weil das so sei, fänden bestimmte Blogs eben auch eine
überproportionale Wahrnehmung in Kreisen der Politik und der Medien.
Wie
groß die Blogging-Öffentlichkeit tatsächlich ist, machen die Blogs selbst erst
seit relativ kurzer Zeit öffentlich. Der "Schwanzvergleich" bei Blogcounter.de veröffentlicht in Form
einer Top 100-Liste die Logstatistiken führender Blogs. Das Bildblog etwa,
wahrscheinlich Deutschlands bekanntestes Medienblog, kam am Dienstag, 13.
September, auf fast 32.000 Visits und fast 55.000 Seitenaufrufe und ist damit
Spitzenreiter.
Das ist relativ viel:
Vergleicht man die Zahl mit der IVW-Liste, die die monatlichen Logstatistiken
zahlreicher deutscher Medientitel erfasst, wird die Dimension
klar.
Von wegen "klein"
Erfolgreiche Blogs wie Bildblog
kicken demnach längst in einer Liga mit großen regionalen Zeitungstiteln,
bekannten Zeitschriften und populären Beratungsseiten. Hochgerechnet auf einen
Monat kann sich Bildblog mit Titeln wie "Cinema", der Frauenzeitschrift "Amica",
dem "General Anzeiger Bonn", dem "PC Magazin", der "Schwäbischen Zeitung" oder
dem Handy-Portal Xonio messen. Das mag nicht die allererste Garde der
erfolgreichen Online-Publishing-Titel sein, doch es ist bereits die zweite
Reihe: Die bei weitem meisten Lokal- und Regionalzeitungen können von den
Besucherzahlen, die Bildblog erntet, nur träumen.
Die Polit-Blogs
allerdings auch. In den Top 100 findet sich das erste ausgewiesene politische
Blog auf Platz 32, das in den Medien hoch prominente Lautgeben.de brachte es am 13.
September mit knapp über 700 Visits gerade mal auf Platz 41.
Auf der
anderen Seite haben sich im Online-Publishing Titel etabliert, die sie auch in
den Augen der Politik zu echten Massenmedien machen. "Bild" mit seinen 31
Millionen Visits im August gehört dazu, "Focus" (13 Millionen), Heise Online
(fast 21 Millionen) oder RTL (25 Millionen). Bei ihnen laufen Artikel, die im
Extremfall in 15 Minuten so viele Aufrufe erleben können, wie das Bildblog
insgesamt am Tag (SPIEGEL ONLINE erzielte im August 53 Millionen
Visits).
In der Quotenwelt der Politik lässt das die Blogs nahezu
verschwinden.
Zwar nutzen die Parteien das Format der Blogs für eigene
Veröffentlichungen, aber nur selten kann das überzeugen. Zwar, konstatierte das
"Handelsblatt" vor einigen Tagen, sei die Zahl der bloggenden Politiker groß
(über 100), "die Masse der langweilenden Volksvertreter" allerdings auch. Da
gibt es Politiker, die Blogs anlegen und dort gerade einmal einen Link zur
bestehenden Webseite hinterlegen. Viele andere lassen das Blog gleich ganz
leer.
Und
selbst bei denen, die es zumindest pro forma versuchen, ist oft nicht viel
Verständnis fürs Format zu finden: Auf ihren Seiten landen gerne
allgemeinverbindliche, salbungsvolle Mitteilungen aus der PR-Abteilung - genau
das, was Blog-Leser nicht sehen wollen. Die Attraktivität der von den Parteien
veröffentlichten Seiten ist dementsprechend gering.
Jan-Hinrik Schmidt
hat dafür eine einfache Erklärung. "So was schreckt die Blog-Leser eher ab. Die
haben dann schnell das Gefühl: Hey, hier soll ich nur manipuliert werden." Denn
was ein Blog ausmacht, sei in erster Linie die Authentizität der Beiträge:
subjektive Stimmen und Urteile, wie man sie in etablierten Medien weder von
Politikern noch von Journalisten oft zu sehen bekomme.
Im Blog ist die
subjektive Sicht also eine Tugend.
Warum auch nicht? Immerhin ist das
ehrlich. Die so lange gepflegten hehren journalistischen Tugenden einer durch
Stilformen und Handwerksregeln definierten Objektivität -
Kommunikationswissenschaftler reden hier von einer "hergestellten" Objektivität
- waren nie frei von Selbstbetrug.
Das "Ich" ist Trend
Journalisten verstanden sich immer auch als
"Gatekeeper", die darüber entscheiden, was alles aus dem unfassbar großen
Nachrichtenstrom letztlich in Zeitung oder Nachrichtensendung landen soll; als
"Agenda Setter", die entscheiden, welche Themen wichtig sein sollen und welche
nicht. Und das alles, während sie sich als handelnde Person hinter einer
Objektivität darstellenden Sprache verbergen.
Insbesondere im
angelsächsischen Raum gibt es seit Jahren einen starken Trend hin zum subjektiv
gefärbten Journalismus, der bis hinein in die "Ich"-Form wieder die Zeugenschaft
des Berichters betont - wie in den Anfangstagen der Zeitung. Anders als in
deutschen Medien wird da mit Karacho kommentiert. Wo deutsche Kommentare gerne
abwägen und ausgewogen-weise am liebsten dem Leser selbst das Urteil überlassen,
scheuen sich britische und US-Medien nicht, auch subjektive Urteile zu
veröffentlichen, die mitunter quer zur eigentlichen redaktionellen Linie liegen.
Das ist spannend und fördert die interne wie externe Debatte.
Deutschen
Medien bricht da tatsächlich noch ein Zacken aus der Krone: Die meisten setzen
nach wie vor auf unemotionale Sprache und Perspektive, die ihren Lesern,
Zuhörern und Zuschauern nur selten auch mal eine Meinung zumutet, an der die
sich reiben können.
Jetzt haben sie Konkurrenten bekommen, die freier
bloggen - heißt: reden - dürfen als die meisten Journalisten in
Redaktionen.
Die Selbstkritik wächst
"Qualitätsverlust und
zu viel Freiheit für Journalisten und Korrespondenten lassen die Redaktionen vor
einem Einsatz von Weblogs zurückschrecken", schrieb dazu Corinna Warth in ihrem
Kommentar "Das Land, das sich nicht traut" bei Onlinejournalismus.de.
"Deutschland macht sich wieder einmal viel zu viele Gedanken, anstatt Mut zu
beweisen und zu handeln."
Aber gilt Ähnliches nicht auch für die
Blogger?
Ziehen sich nicht auch sie hinter eine betonte Stilform zurück,
die oftmals mit Polemik statt mit Argumenten punktet? Pflegen sie nicht die
Attitüde des überlegenen, weil mit Fachwissen ausgestatteten Nicht-Involvierten,
der die Informationen der angeblich parteiischen Akteure in Politik und Medien
diskreditiert? Wie viel wertvolle, originäre Stimmen haben denn die so heiß
erwarteten Wahlblogs zum öffentlichen Diskurs in diesem Wahlkampf
beigetragen?
Leider nicht so viel
wie erhofft, resümiert ernüchtert Don Alphonso, einer der bekanntesten
Blogger in Deutschland: Zwar seien Angebote wie das Wahlblog oder Lautgeben
besser "als die komischen Blogversuche der politischen B-Prominenz bei "Focus",
AOL oder die 'Profiwahlblogger' der "SZ" und anderer Medien". Gut seien sie
deshalb aber noch lange nicht; sie dürften Schwierigkeiten haben, "von normalen
Zeitungen ernst genommen oder als gleichwertiges Medium akzeptiert zu
werden".
Als Gründe dafür führt er unter anderem die Minderqualität
vieler Beiträge an, die etwa beim Wahlblog "schlichtweg dumme Propaganda nach
dem Motto 'Schröder lügt, Merkel sagt die Wahrheit'" seien. Und das setze sich
dann in den Diskussionen fort: "Es ist wohl der Fluch eines jeden populäreren
Blogs", schreibt Alphonso, "dass sich in den Kommentaren ein gewisses Pack breit
macht, das früher in den Tiefen abstruser Foren verborgen geblieben
wäre."
Das ist starker Tobak, bestätigt im Übrigen die These, dass gerade
Authentizität den Wert eines Blogs ausmacht - und stellt die überzogenen
Erwartungen an Wahlblogs endlich auf die Füße.
Aller Anfang ist
mühsam
Was haben wir denn erwartet? Die plötzliche Medienrevolution,
die die etablierten Netzwerke der Medienmarken hinwegfegen und durch die weise
Stimme des Volkes ersetzen würde?
Wie denn? Auch im Land der Blogger
scheiden sich langsam Spreu und Weizen, und Erfolg haben - das zeigt das
Beispiel der Erfolgs-Blogger in den USA, von denen manche längst Profis und
keine Hobbyschreiber mehr sind - vor allem die, die wirklich schreiben
können.
Denn eine kostenlose Software allein macht noch keinen Egon Erwin
Kisch, und nicht jeder, der tippen kann, kann auch schreiben - oder hat
wirklich etwas mitzuteilen. Dass etwas "Blog" ist, heißt nicht automatisch, dass
es auch gut ist - auch wenn "Wahl" davor steht. Wie in der "großen" Medienwelt
schreibt sich ein gutes Blog nicht von allein: Es bedeutet eine Menge Fleiß und
Arbeit, und das auch noch "ehrenamtlich" neben anderen Tätigkeiten.
Auch
Jan-Hinrik Schmidt sieht das nüchtern. Für ihn haben sich - "ganz ohne Wertung"
- "neben oder jenseits der etablierten Massenmedien" Weblogs etabliert, "in
denen Stimmen zu Wort kommen, wie man sie in den professionellen Medien eben
nicht zu hören bekommt". Für ihn ist das der Beginn einer Entwicklung, die in
Deutschland ja erst vor rund zwei Jahren ernsthaft einsetzte. Gemessen daran
hätten die Verfechter der Blogosphäre bereits viel erreicht.
Auch dass
es so kommen könne wie in den USA, wo prominente Blogger längst wie
einflussreiche freie Journalisten behandelt werden, würde Schmidt "sich
wünschen". In den Vereinigten Staaten sei dies den Bloggern jedoch leichter
gefallen, weil sie aufgrund ihrer Gesamtzahl schneller eine "kritische Masse"
erreicht hätten, die ihnen Gewicht in den Augen von Politik und Medien verlieh.
Das könne aber auch in Deutschland noch passieren, denn "wir sind hier auf einem
Stand wie die Blogging-Szene in den USA vor zwei, drei Jahren".
Auf die
Wahlblogs im nächsten Wahlkampf darf man dann wohl wirklich gespannt sein.
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