Linkspartei
Jagd auf den
Verschwörer
Von Steffen Winter
Die zur Linkspartei mutierte PDS glaubt in einem ihrer schärfsten Kritiker einen Handlanger des Verfassungsschutzes erkannt zu haben: Der Wissenschaftler Patrick Moreau kommt in Erklärungsnöte.
Hamburg - Es gibt Quellen, die zitiert der angebliche Münchner Politologe
Peter Christian Segall besonders gern. Bücher von Patrick Moreau etwa. Immer
wieder tauchen die Werke Moreaus in den Fußnoten der PDS-kritischen Aufsätze
auf, die Segall für Institutionen wie die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung
verfasst - und zwar immer als Beleg für die ernste Gefahr, welche die
Linksgenossen für die Demokratie darstellten.
Segall und Moreau sind auch
im richtigen Leben so nah beieinander, wie es nur geht: Der angebliche
Wissenschaftler Segall existiert nicht, der Name ist Professor Moreaus
Pseudonym. Der deutsch-französische Wissenschaftler - Autor des Standardwerkes
"PDS. Anatomie einer postkommunistischen Partei" - nutzt sein Alter Ego, um
bislang weitgehend unerkannt seine teils rüden Attacken gegen die Partei zu
reiten.
Das Phantom Segall könnte jetzt freilich den deutschlandweit
anerkannten Politologen Moreau diskreditieren, während die von ihm so vehement
verfolgte Partei wieder in den Bundestag zieht: Die Doppel-Identität ist
inzwischen gerichtsbekannt - und die Genossen der in "Linkspartei" umgetauften
PDS glauben über den Fall Segall endlich nachweisen zu können, dass ihr
profiliertester Kritiker vom Verfassungsschutz munitioniert wird.
Als
Hauptindiz gilt eine Broschüre, die Moreau 1999 unter dem Namen Segall für die
Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) Thüringen verfasste. In dem
Werk, das die Zusammenarbeit zwischen PDS und Gewerkschaftlern als "Verrat an
der demokratischen Revolution in der früheren DDR und an Lehren der deutschen
Geschichte" geißelt, taucht als besonders abschreckendes Beispiel der heutige
Wahlkampfchef der Linkspartei Bodo Ramelow auf. Der war seinerzeit Thüringer
Landeschef der Gewerkschaft HBV und wollte für die PDS in den Landtag ziehen -
Moreau deckte pünktlich zum Wahlkampf Ramelows alte DKP-Kontakte auf.
In
Gießen und Marburg sei Ramelow für seine DKP-Nähe bekannt, ist der Kampfschrift
zu entnehmen. Moreau alias Segall will nach fast 15 Jahren noch Gastkommentare
Ramelows in örtlichen DKP-Blättern gefunden haben sowie Unterschriften unter
Solidaritätsaufrufe für DKP-Aktivisten, gegen die Berufsverbote ausgesprochen
wurden. Selbst Ramelows Hochzeitsanzeige konnte der Wissenschaftler im Ausriss
dokumentieren: erschienen am 22. Oktober 1982 in der DKP-Zeitung
"UZ".
Die Genossen schäumten und vermuteten alsbald eine große
Verschwörung - inzwischen beschäftigt sich das Verwaltungsgericht Weimar mit dem
Fall, und dabei nimmt der Verdacht klarere Formen an. Ramelow klagt dort auf
Offenlegung seiner Verfassungsschutzakte - und das Gericht prüft die Verbindung
zwischen Moreau und dem Dienst. Denn heute ist klar: Es gab im Landesamt für
Verfassungsschutz nicht nur eine Personenakte Ramelow, sondern auch eine
ausführliche Stellungnahme des hessischen Dienstes zu dessen Aktivitäten in den
Jahren 1982 bis 1990. Darin wird detailliert auf genau jene Hand voll
DKP-Kontakte hingewiesen, die auch in der Segall-Broschüre
auftauchten.
Der Dienst hat jetzt in Schreiben an das Gericht Kontakte
zwischen dem Amt und Moreau eingeräumt. Der Wissenschaftler habe "auf
Honorarbasis" Vorträge gehalten und in vom Amt verlegten Büchern Abhandlungen
zur PDS veröffentlicht. Allerdings gebe es keinen Hinweis darauf, dass
Informationen aus dem Dienst an Moreau geflossen sein könnten.
Doch
sicher können sich die Schlapphüte da kaum sein, dreht sich beim Thüringer
Verfassungsschutz dank zahlreicher Affären das Personalkarussell doch schnell:
Die damals handelnden Beamten haben den Dienst verlassen, der einstige Amtschef
wurde gerade wegen Untreue in 48 besonders schweren Fällen angeklagt. Das
Gericht verlangt nun den kompletten Schriftverkehr zwischen dem Geheimdienst und
Moreau - was das Amt bisher unter Hinweis auf Vertraulichkeit
verweigert.
Patrick Moreau sitzt indes in seiner Leipziger Altbauwohnung
zwischen Büsten von Marx, Lenin und Stalin und streitet ab, für den Dienst
schmutzige Wäsche gewaschen zu haben. Sicher bekämpfe er die PDS, klar habe er
Kontakte zum Verfassungsschutz - aber Dossiers der Geheimen habe er nie
erhalten. Tonnenweise habe er selbst Material über die DKP gesammelt, und dabei
sei er eben auf Ramelows Vergangenheit gestoßen. Ob er die Fundstellen mal kurz
zeigen könne? Tja, da sei ja so viel Material im Keller, in Kisten. Nicht so
einfach zu finden. Aber: "Ich bin ein Spezialist. Ich brauche den
Verfassungsschutz nicht."
Und Segall? "Das war ein Spiel", beteuert
Moreau. Da er gern und oft für CDU- und CSU-nahe Organisationen schrieb, sei er
dem konservativen Lager zugeordnet worden. Einige Medien hätten ihn nicht mehr
als unabhängigen Experten zitiert. Deshalb habe er sich das Pseudonym zugelegt.
Und: Einen echten Segall habe es tatsächlich gegeben. Der Mann sei ein im Exil
lebender Trotzkist gewesen.
Alle Rechte
vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH