493. Bremer Montagsdemo
am 20. 10. 2014  I◄◄  ►►I

 

Gewerkschaften, gemütlich auf
den Schößen der Unternehmer­verbände zusammengerollt

Elisabeth Graf1. Ist es nicht toll, sind Facebook und Apple nicht super-sozial? Sie zahlen nicht nur Top-Gehälter, holen ihre Mitarbeiter mit Shuttle-Bussen ab, gönnen ihnen auf der Arbeit kostenlose Verpflegung und Freizeitangebote, nein: Sie bezahlen ihren weiblichen Mitarbeitern jetzt sogar noch das Einfrieren von Eizellen, damit diese die Produktion ihres Nachwuchses hinausschieben können. Selbstredend erfolgt das Angebot nur auf das persönliche Begehren der jungen Frauen, von Druck kann gar keine Rede sein! Welche Frau wollte nicht sofort das Ranking um die klügsten Köpfe mitmachen wollen? Jetzt kann jede ihre Sehnsucht nach einem eigenen Kind hinausschieben und sich in jungen Jahren voll und ganz auf ihre Karriere konzentrieren. Laut US-Medienberichten geht es hier immerhin um Kosten von bis zu 20.000 Dollar pro Fall.

Der „iPhone“-Konzern und das weltgrößte Online-Netzwerk betonten zugleich, dass diese Maßnahme natürlich lediglich ein Teil ihrer Sozialleistungen für Frauen und Familien seien. Schließlich gewähre Apple in den USA einen über vier Monate langen Mutterschaftsurlaub und die Übernahme von Adoptionskosten. Bei Facebook bekämen die Mitarbeiter nach der Geburt eines Kindes vier Monate bezahlten Urlaub und eine zusätzliche Zahlung von 4.000 Dollar. Wer weiß, ob nicht sogar die Kosten für eine Leihmutterschaft übernommen würden, wenn sich das Hinausschieben einer eigenen Schwangerschaft bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinauszögert oder sich das späte Einpflanzen der vordem tiefgefrorenen Eizellen schwieriger gestaltet als erwartet? Es gab ohnehin noch nie eine Mutterschaftsgarantie für irgendeine Frau.

Als Microsoft-Chef Satya Nadella vor wenigen Tagen während eines öffentlichen Auftrittes meinte, Frauen sollten nicht unbedingt nach Gehaltserhöhungen fragen, weil sie dann durch „gutes Karma“ belohnt würden, sollte dies natürlich niemals missverstanden werden. Mit Sicherheit wird nun niemand von Frauen erwarten, dass sie ihre Potenz, Kinder zu bekommen, ihre persönlichste Lebensplanung, den ökonomischen Interessen, der Unersättlichkeit, der Begierde nach immer mehr Profitsteigerung ihrer Arbeitgeber unterordnen! Zweifelsohne um solchen Missverständnissen vorzubeugen, nahm Nadella wenig später seine Bemerkungen zurück und entschuldigte sich dafür. Mal ehrlich: Welche Frau könnte zu diesem Angebot schon Nein sagen wollen und darauf beharren, ihre Kinder trotzdem noch „so früh“ zu bekommen?

 

2. Aus einem unveröffentlichten Konzept von Bundesarbeitsministerin Andrea Nah­les kamen nun Details auf den Tisch, wonach Hartz-IV-Be­zie­her künftig für den Erhalt von Sozialleistungen arbeiten sollen. Beim sogenannten „Passiv-Aktiv-Tausch“ sollen Regelsatz und Unterkunftskosten in ein Gehalt für einen sozialversicherungspflichtigen Job investiert werden, über den Erwerbslose mit großen Vermittlungshemmnissen in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. In Nord­rhein-West­fa­len soll ein solcher „sozialer Arbeitsmarkt“ nun tatsächlich für Hartz-IV-Be­zie­her umgesetzt werden, die mindestens drei Jahre erwerbslos sind und kaum noch Chancen auf eine reguläre Beschäftigung haben.

Sie sollen in Kitas, Schulen oder Pflegeheimen als Assistenten arbeiten, als Begleitdienst in Bus und Bahn oder als Servicekraft an der Tankstelle eingesetzt werden. Die Tätigkeiten sollen zu hundert Prozent „zusätzlich“ sein und die Assistenten den Stammbelegschaften zur Seite stehen. Der soziale Arbeitsmarkt soll von den Kommunen aufgebaut und organisiert werden. Wie sozial dieser soziale Arbeitsdienst, äh: Arbeitsmarkt ist und wie Aushilfstätigkeiten zu Niedriglöhnen dazu beitragen können sollen, langzeiterwerbslosen Menschen wieder eine Perspektive zu verschaffen, ist mehr als fraglich! Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Hartz-IV-Bezieher, die sich weigern, diese herzallerliebsten Jobs „für lau“ anzutreten, wahrscheinlich sanktioniert werden.

Es ist eine Schweinerei, so einen „sozialen“ Arbeitsmarkt zu schaffen, der in meinen Augen nur dazu dienen kann, „zu alt“ oder „zu krank“ Gewordene, „zu Ungebildete“, denen von den Job-Centern die Berufsausbildung aberkannt wurde, oder schlicht jene „Überflüssigen“, für die kein regulärer Arbeitsplatz mehr vorhanden ist, systematisch auszubeuten und gleichzeitig die noch Arbeitenden mit diesem staatlichen Disziplinierungsapparat davor zu warnen, was ihnen blühen kann, wenn sie aufmucken, sich gar für ihre Rechte einzusetzen getrauen! Warum sollen Menschen überhaupt „für einen Apfel und ein Ei“ arbeiten? Mit welchem Recht geht es vom Welfare- zum Workfare-System?

 

3. Der Streik der GDL löste wütende Angriffe der Medien aus. Es soll, bitte schön, weder am Wochenende, noch in der Urlaubszeit und in der Arbeitszeit schon dreimal nicht gestreikt werden, also am besten nie. Die Forderung nach fünf Prozent mehr Lohn und einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden führte zu scharfer Kritik. Auch wenn sie mit ihren über 30.000 Mitgliedern ein verschwindend „kleiner Haufen“ ist, vertritt die GDL immerhin 90 Prozent der Lokführer und 30 Prozent der Zugbegleiter und tritt dabei nicht so handzahm auf wie „Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft“, die über 200.000 Mitglieder hat.

Wer setzt sich denn für seine Mitglieder ein, für ein höheres Gehalt, das der Verantwortung entspricht, für längere Ruhezeiten bei nur 1.750 netto als Verantwortlichem für Hunderte Fahrgäste und millionenteure Technik? Die Masse macht es kaum. Klar ist die GDL vielen ein Dorn im Auge, zeigt sie doch allen anderen Gewerkschaften, was es heißen könnte und müsste, Arbeitnehmerrechte zu verteidigen. Um sich davon keine allzu große Scheibe abschneiden zu müssen, ist es natürlich leichter, die GDL zu verteufeln.

Mal wieder vortrefflich funktioniert das Prinzip Sündenbock, wonach ohne diesen die Arbeitnehmerrechte völlig in Ordnung sind. Arbeitsministerin Andrea Nahles möchte deshalb ein Gesetz verabschieden lassen, demzufolge es pro Betrieb – hier die Deutsche Bahn – nur noch einen Tarifvertrag, also auch nur noch einen Tarifpartner auf Arbeitnehmerseite geben soll. Das wäre dann das gewollte Ende der GDL, vom Mainstream der De-facto-Einheitsmedien unterstützt. Hätten sich die Gewerkschaften nicht so gemütlich auf den Schößen der Unternehmerverbände zusammengerollt, hätten wir heute keinen derartig aufgeblähten Dumpinglohnsektor, mit so vielen tollen „Jobs“, von denen keiner leben kann!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend) – siehe auch „Die Linke

 

Der Elefanten-Streik

Es ist schwer, sich mit den Einzelgewerkschaften anzufreunden, die noch übrig geblieben sind. Wie kann das sein? Die Medien suchen Sensationen: die Wirkung weniger, die Abhängigkeit ganz vieler. Das schafft tatsächlich Unruhe, die beim Streik im April noch von Verständnis begleitet war. Ich sehe da viele, die weiter für Minigeld Überstunden arbeiten, schon lange verlassen. Die sogenannten Konkurrenten werden von der Gewerkschaft GDL wohl gar nicht beachtet. So ist es auch bei den Piloten, die den Streik allein machen. Das ist ein großen Fehler, der zur Selbstzerstörung führt. Am Ende haben dann die anderen endgültig gewonnen.

Es müssen wie früher in den Sechzigern und Siebzigern alle mit ins Boot! Dann ist erst die große Kraft beim Streik da. In Frankreich lief vor nicht langer Zeit noch so etwas ab, früher erst recht. Was jetzt läuft, ist eine Art Wettbewerb im Streiken. Man könnte meinen, die GDL könnte einen Elefanten am Rüssel pieken, dass er freundlich wird. Aber wir wissen, wie wütend Elefanten ohne Käfig werden können. Nur im Käfig können wir Elefanten besser erziehen und dazu, dass er für besten Lohn auch noch tanzt. Hier kennt man ja schon die Sache mit Hartz IV, aber in der bürgerlichen Welt will man es immer noch nicht wissen, dass ein Drittel der Menschen wie in den USA auf den Armutsabhang zuläuft.

Jeder kann sehen, wie unterschiedlich Tarifverträge erhöht werden, trotz der Gleichheitsformel des Grundgesetzes. Die Macher glauben, es könne im Materialismus nur so sein. Glücklich machen kann das niemals alle, die arbeiten. Das sind die Unterschiede: Hartz-IV-Erhöhung acht Euro, erste Beamtenbesoldungsstufe A1 schon über 70 Euro, B1-Beamter über 150 Euro, und dann geht es in Richtung 1.000 und 100.000 Euro für Leute, die das Sagen haben. Wer schon mal nachgefragt hat, was Demokratie ist, wird erkennen, dass die Bundesrepublik keine Demokratie ist, sondern ein neoliberaler Zahlenwirkungsapparat.

Schauen wir doch mal über hundert Jahre zurück. Unter dem Kaiser hatten die Menschen im Durchschnitt mehr Eigentum als heute, und sei es als kleine Bauern. Dann waren sie selber eine kleine Firma ohne Lohnabhängigkeit. Zu der Zeit war das Arbeiten zwar härter, aber die bäuerliche Unabhängigkeit ist eindeutig eine größere Freiheit. Davon ist das meiste von Lohnabhängigkeit vernichtet worden, durch Krupp damals, durch Amazon und Zalando heute. Deutschland ist nicht glücklicher, höchstens komfortabler geworden.

Günni, der „Mann mit dem großen Hut“

So geht es nicht! Ihr klagt auf hohem Niveau und versteht nicht, dass Be­triebs­räte und Ge­werk­schafts­mit­glie­der von euch nicht akzeptiert werden. Die MLPD ist für mich post­kom­mu­nis­ti­scher So­zi­al­ro­man­ti­zis­mus. Ihr seid nette Leute, aber politisch hoffnungslos naiv! :-((( Mit freundlichem Gruß!

Zuschrift von Ulrich Peters (Verdi), aktiver Betriebsrat
 
Schluss mit der Sozialromantik: Krankheit lässt sich nicht verbieten („Die Zeit“)
 
„Ich hasse euch alle“: „Und wenn sich jetzt jemand aufregt, dann
ist das mein Ejakulat“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“)
 
„Hasta la vista, Salafista“: Kölner Polizei lässt
Nazis randalieren („Spiegel-Online“)
 
Kein Verstoß gegen Urheberrechte: Europäischer Gerichtshof
erlaubt Einbettung von „Youtube“-Videos („Spiegel-Online“)
 
Die nächste Montagsdemo beginnt am 27. Oktober 2014
wieder um 17:30 Uhr, wegen des Freimarktes jedoch auf
dem Hanseatenhof beim „Bessel-Ei“. Ab 3. November sind
wir bis zum Weihnachtsmarkt wieder auf dem Marktplatz.
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz