4.12.2008

Freispruch im Brechmittelprozess

Landgericht Bremen: Arzt ist Tat nicht nachzuweisen / Zeugen mit Erinnerungslücken

 
 
Der angeklagte Arzt mit seinem Verteidiger. Foto: ddp
   

BREMEN (DPA). Im Prozess um einen tödlichen Brechmitteleinsatz hat das Bremer Landgericht den angeklagten Polizeiarzt freigesprochen. Dem 44-Jährigen könne der Vorwurf der fahrlässigen Tötung nicht nachgewiesen werden, urteilten die Richter am Donnerstag. Zuvor hatten auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung einen Freispruch für den Mediziner gefordert. Er hatte im Dezember 2004 einem mutmaßlichen Drogendealer Brechmittel eingeflößt. Der 35- Jährige fiel ins Koma und starb wenige Tage später. Nach dem Freispruch gab es im Gerichtssaal großen Aufruhr. Zuschauer entrollten ein Plakat und protestierten mit Sprechchören gegen das Urteil.

Die Richter begründeten den Freispruch damit, dass der aus Kasachstan stammende Mediziner mit der Situation völlig überfordert gewesen sei. "Der Angeklagte verfügte praktisch über keine klinische Erfahrung", betonte der Vorsitzende Richter Bernd Asbrock. Außerdem habe sich der kritische Zustand des Opfers schleichend entwickelt und sei schwer erkennbar gewesen. Dennoch habe sich der Arzt "zahlreiche Unsicherheiten, Versäumnisse und Fehler" zuschulden kommen lassen, die zum Tod seines Patienten geführt hätten. Strafrechtlich sei er aber nicht schuldig.

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5.12.2008

Tumult nach Brechmittel-Urteil
Richter lässt Saal teilweise räumen / Rechtsmittel gegen den Richterspruch möglich

Von Bernd Schneider

 
 
Der Prozess wurde von Protesten begleitet. Foto: ddp
   
BREMEN. "Wenn sich dieser Freispruch in weiten Teilen wie ein Schuldspruch anhört, dann hat das seinen Grund." Mit diesen Worten kommentierte der Vorsitzende Richter Bernd Asbrock gestern sein eigenes Urteil im Brechmittelprozess. Zwar könne das Gericht keine strafrechtliche Schuld feststellen. Es habe aber eine Reihe von "individuellen Versäumnissen und strukturellen Fehlern" festgestellt, die zum Tod des damals 35-jährigen Laye-Alama Condé beigetragen hätten.

Ein gutes Dutzend Zuhörer konnte diesen Ausführungen nicht mehr folgen. Starke Polizeikräfte drängten sie aus dem Saal. Nach dem Urteilsspruch "im Namen des Volkes" waren Rufe ausgebrochen wie: "Rassismus" und: "Das war Mord, und ihr macht mit."

23 Tage hat das Gericht verhandelt und acht Sachverständige ausführlich befragt. Für die Juristen gibt es nun keinen Zweifel mehr daran, dass Condé infolge der Behandlung mit Brechmittel und Wasser gestorben ist: Wasser sei in die Lunge geraten, das Gehirn habe unter Sauerstoffmangel massiv Schaden genommen. Erst dann habe die Leistungsfähigkeit des Herzens dramatisch nachgelassen. Eine Vorschädigung des Herzens habe diesen Prozess beschleunigt, sie sei aber nicht die Todesursache.

"Ein erfahrener Arzt hätte die Gefahr der Aspiration von Wasser erkennen müssen", so Asbrock. Der Angeklagte sei aber "weit entfernt von einem erfahrenen Facharzt", das ziehe sich durch sein "gesamtes Verhalten". Berufspraxis mit Patienten habe der in Kasachstan ausgebildete Gerichtsmediziner und Pathologe so gut wie nicht gehabt. Asbrock: "Er verfügte über praktisch keine klinisch-therapeutische Erfahrung" und "keine nennenswerte Erfahrung mit Brechmitteleinsätzen", schon gar nicht per Magensonde und unter Zwang.

Nach einem ähnlichen Todesfall in Hamburg Jahre zuvor hätten dort nur noch hochqualifizierte Ärzte Brechmitteleinsätze vorgenommen - mit einem Facharzt für Anästhesie in Rufbereitschaft. Asbrock: "Es war ein genereller organisatorischer Mangel, dass in Bremen ein Arzt auf dem Ausbildungsstand des Angeklagten diese Behandlung vorgenommen hat."

Angeklagt wegen fahrlässiger Tötung ist der Mediziner der ärztlichen Beweissicherung, der den Einsatz Ende Dezember 2004 im Auftrag der Polizei durchgeführt hat. Zweimal, so die Kammer, war Condé dem Tode durch eingeatmetes Wasser nahe. Beim ersten Mal sei der Mediziner geradezu "kopflos" aus dem Behandlungsraum zum Telefon gelaufen, um den Notarzt zu alarmieren. "Es war falsch, einen solchen Patienten in so einer Situation zurückzulassen." Was als Sofortmaßnahme nötig gewesen wäre, habe der Angeklagte unterlassen - vor allem für die Sauerstoffzufuhr zu sorgen. Das hätten Minuten später erst die Rettungssanitäter eingeleitet.

Beim Eintreffen des Notarztes sei Condés Bewusstsein bereits getrübt gewesen. Die Vorstellung, er habe Bewusstlosigkeit nur gespielt, sei nicht zu halten. Dennoch habe der Angeklagte die Behandlung fortgesetzt. Ein angemessen ausgebildeter Mediziner hätte die damit verbundenen Risiken erkennen müssen, nicht aber der Angeklagte. Insofern sei ihm der Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht zu machen.

Bis Donnerstag kann Condés Familie Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen. Die Entscheidung ist aber noch nicht gefallen.

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5.12.2008

Freispruch wegen Unfähigkeit
Bernd Schneider

Freispruch für den Brechmittelarzt - die Staatsanwaltschaft hat ihn beantragt, die Verteidigung mit allem gerechnet, aber nicht damit. Noch in ihrem Plädoyer hatte sie dem Gericht vorgeworfen, Zeugen und Sachverständige einseitig gehört zu haben. Zu Lasten ihres Mandanten. Und nichts hat der Anwalt unversucht gelassen, Gründe für eine spätere Revision einzubauen. Nicht zuletzt durch einen Befangenheitsantrag. Der Vorsitzende Richter musste sich vorwerfen lassen, dass er nach Condés Tod in einem Zeitungsartikel den Einsatz von Brechmitteln verdammt hat. Kann so einer unbefangen urteilen?

Nun also der Freispruch wie ein Donner, ein Freispruch wegen erwiesener Unfähigkeit. Ein vernichtendes Urteil, gegen das kein Anwalt Revision einlegen kann. Sein Mandant wird damit leben müssen. Auch in seinem weiteren beruflichen Werdegang. Ein Verfahren der Ärztekammer steht noch aus, und es wäre wohl eine Überraschung, wenn es den Arzt nicht die Zulassung kosten würde.

Das Urteil ist kein Freispruch. Zwar haben die Richter die juristische Schuld am Angeklagten nicht festmachen können. Aber sie zeigen, wo sie Schuld sehen. Der Angeklagte hat einen Job gemacht, für den er nicht im Ansatz qualifiziert war. Wer hat ihn eigentlich angestellt? Und warum hat die Politik alle Warnungen vor der Gefahr solcher Einsätze in den Wind geschlagen? Zwei Menschen mussten sterben, bevor die Brechmittelvergabe unter Zwang gestoppt wurde. Auch darauf weist das Urteil hin. In aller Deutlichkeit.

KOMMENTAR

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11.12.2008

Brechmittelurteil wird nicht rechtskräftig
Vertreterin der Nebenklage geht für die Angehörigen in die Revision

Von Bernd Schneider

BREMEN. Freispruch für den Mediziner, der im Dezember 2004 den Brechmitteleinsatz gegen den Afrikaner Laye-Alama Condé geleitet hat - dieses Urteil wird nun einer gerichtlichen Prüfung vor dem Bundesgerichtshof unterzogen. Einen Tag vor Ablauf der Frist hat Rechtsanwältin Elke Maleika gestern Revision eingelegt. Eine detaillierte Begründung wolle sie nachliefern, sobald das Urteil schriftlich vorliegt. Sie erwarte es in sechs bis acht Wochen , erklärte sie.

Die Juristin vertritt die in Guinea (Westafrika) lebende Mutter des Toten und seinen Bruder. Beide verfolgten den Prozess in Bremen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten auf Freispruch plädiert. Die Nebenklägerin forderte eine Verurteilung.

Gestern zeigte Elke Maleika sich überrascht, dass das Gericht den Angeklagten nicht schuldig gesprochen hatte, obwohl es ihrer Auffassung gefolgt war, Condé sei ertränkt worden. Die Richter vertraten die Ansicht, der Mediziner habe die Risiken des Brechmitteleinsatzes subjektiv nicht voraussehen können, weil er zu schlecht ausgebildet war. Wegen "fahrlässiger Tötung" könne er daher nicht verurteilt werden. Maleika: "Ich werde jetzt prüfen, ob diese Argumentation rechtlich anfechtbar ist."

Ärzteverbände haben den Richterspruch inzwischen kritisiert. Ein Urteil nach dem Motto "Unwissenheit schützt vor Strafe" widerspreche seinem Rechtsverständnis, sagte nach Zeitungsberichten der Vize-Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Wenn ein Arzt die Folgen seines Handelns nicht abschätzen könne, dürfe er den Einsatz gar nicht erst beginnen. Beim Verband demokratischer Ärztinnen und Ärzte hieß es, der Angeklagte habe "grausam, unmenschlich und erniedrigend" gehandelt.

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14.12.2008

Polizei kesselt Autonome ein
Verbotene Demonstration aufgelöst / Fußgängerzone blockiert

Von Michael Brandt

BREMEN. Die Polizei hat gestern rund 200 Demonstranten aus dem autonomen linken Spektrum in der Hutfilterstraße eingekesselt und rund 160 von ihnen in Gewahrsam genommen. Mehrfach drohte die Situation in der Fußgängerzone zu kippen. Für mehr als zwei Stunden gab es auf Höhe des Ansgarikirchhofs kaum ein Durchkommen. Am Abend zuvor noch hatte das Oberverwaltungsgericht das Verbot der Demonstration bestätigt.

Ursprünglich sollte die Demo um 14 Uhr am Schlachthof starten. Dort sorgte indes ein starkes Polizeiaufgebot samt Wasserwerfern dafür, dass alles ruhig blieb. Nach Angaben der Einsatzleitung trafen sich die Demonstranten - schwarz gekleidet, viele mit Kapuzen und Sonnenbrillen - in der Nähe des Rathauses wieder. Ihr Zug in Richtung Faulenstraße wurde von der Polizei gestoppt. Die Einsatzkräfte kesselten die Teilnehmer ein und drängten sie nach langen Verhandlungen schließlich unter den Blicken vieler Schaulustiger in die Straße Kurze Wallfahrt. Von dort aus wurden sie ins Polizeipräsidium in der Vahr gebracht. Am Abend verlagerten sich die Spannungen in Richtung Ostertorsteinweg. Die Polizei befürchtete für die Nacht ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Autonomen und Ordnungskräften. Nach Auskunft der Bremer Straßenbahn AG wurden vor 19 Uhr vorsorglich die Linien rund um die Domsheide über den Hauptbahnhof umgeleitet.

Die Kundgebung sollte sich gegen staatliche Repression richten. Anlass war unter anderem das Urteil im sogenannten Brechmittel-Fall, bei dem das Landgericht den Arzt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen hat. Das Verwaltungsgericht hatte die Kundgebung aber, wie berichtet, am Freitag untersagt, weil von einem "unfriedlichen Verlauf" auszugehen sei.

Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) hatte die Gerichtsentscheidung ausdrücklich begrüßt. Die Bremerinnen und Bremer "und die Vielzahl der Gäste, die sich anlässlich des Weihnachtsmarktes in der Stadt aufhalten", müssten geschützt werden. Anders urteilt die Linksfraktion: "Dieses Verbot hat einzig und allein dafür gesorgt, die Situation grundlos aufzuheizen."

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15.12.2008

Versteckspiel nach der Demo
Polizeieinsatz bis in die Abendstunden

Von Michael Brandt

BREMEN. Mit dem Auflösen der verbotenen Demonstration am Sonnabend in der Fußgängerzone war der Polizeieinsatz noch nicht vorüber. Wie berichtet, hatten die Einsatzkräfte 174 Personen eingekesselt und festgenommen, die dem linken autonomen Spektrum zugerechnet werden. In den folgenden Stunden versuchten Demonstranten, die nicht in Polizeigewahrsam waren, an mehreren Orten wieder Fuß zu fassen, zum Beispiel im Bereich Bischofsnadel, Dobben und Ostertorsteinweg. Laut Polizeibericht betrug die Gruppenstärke zwischen 30 und 200 Personen. Beim Auftauchen der Beamten hätten sich die Gruppen sofort wieder aufgelöst. Nach 21.30 Uhr habe sich die Lage dann aber beruhigt, offenbar kam es in der Nacht lediglich am Polizeipräsidium in der Vahr erneut zu kurzfristigen Protestaktionen.

In einem Fazit des Sonnabends bewertet die Polizei den eigenen Einsatz als "professionell". Es seien dadurch gesundheitliche Schäden auf Seiten der Polizei und der Demonstrationsteilnehmer "sowie größere Schäden in der Innenstadt" verhindert worden. Ein Auszubildender eines Geschäftes erlitt offenbar leichte Verletzungen, als Demonstranten in den Laden drangen. Mehrere Geschäfte und Weihnachtsmarktstände auf dem Ansgarikirchhof hatten für kurze Zeit geschlossen.

Mehrere Strafanzeigen

Ab 22.30 Uhr wurden die Festgenommenen am Sonnabend nach und nach wieder entlassen. Die Polizei beabsichtigt, hieß es gestern, gegen diverse Teilnehmer der Kundgebung Strafanzeige zu erstatten, unter anderem wegen Körperverletzung und wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.

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