16.11.2008

Lidl vergiftete abgelaufene Ware
Obdachlose in Schweden sollten nicht nach Essen suchen

Von André Anwar
 

STOCKHOLM. Der Ruf von Lidl in Schweden wird immer schlechter. Nach zahlreichen Ekelmeldungen à la "tote Maus im Lidl-Orangensaft", ermittelt die Polizei nun gegen den deutschen Lebensmitteldiscounter wegen eines sehr ernsten Vergehens: Um Obdachlose daran zu hindern, weggeworfene Lebensmittel in Müllcontainern einer Stockholmer Lidl-Filiale zu suchen, hatte der Supermarkt die Waren bewusst mit Reinigungsmittel vergiftet.

Dazu öffneten Angestellte systematisch Vakuumverpackungen und abgepacktes Fleisch, um den Inhalt in einem Bottich mit ätzendem Reinigungsmittel zu verunreinigen. Bei dem Mittel soll es sich um Chlorit gehandelt haben, dass bereits bei geringer Einnahme starkes Brennen im Hals und Durchfall verursacht.

Gerade bei Obdachlosen käme hinzu, dass sie oft unter einem schlechten Immunsystem leiden, was bei Einnahme zu noch größeren Konsequenzen führen kann, betont Jan Halldin von Convictus, einer religiösen Wohltätigkeitsorganisation für Obdachlose.

Trotz eines von Lidl angebrachten Warnschildes an den Containern sollen Obdachlose laut Medienberichten die vergifteten Lebensmittel weiterhin aus den Tonnen genommen haben. Ob sie diese auch gegessen haben, ist bislang nicht geklärt. Die schwedische Polizei ermittelt nun gegen Lidl wegen bewusster "Gefahrenverursachung für Dritte".

Polizeistationschef Gert Fredlin kündigte mehrere Verhöre an. "Wir wollen wissen, was das genau für ein Stoff war, der den Lebensmitteln zugefügt wurde. Und wir wollen wissen was für eine Absicht Lidl mit dem Gift verfolgt hatte", so Fredlin. Im sozial orientierten Schweden erregte der Fall große Aufmerksamkeit. Im populären Radiodiskussionsprogramm "Ring P1", brachten Hörer aus dem ganzen Land ihre Wut auf Lidl zum Ausdruck: "Die armen Obdachlosen. Eigentlich müsste so ein großer Konzern seine übrig gebliebenen Waren an die Obdachlosen ausliefern, anstatt sie zu vergiften", so eine empörte Hörerin.

"Wenn ich nicht will, dass jemand meine Sachen anrührt, habe ich dann auch das Recht, Leute zu vergiften?", fragt sich der ehemalige Obdachlose Rolf Nilsson. Auch Kirchliche Organisationen, die sich um obdachlose Schweden kümmern, kritisieren Lidl auf das Schärfste.

Lidls Führung in Schweden bestätigte das Motiv für die Vergiftung der Abfälle. Der Discounter wolle tatsächlich Obdachlose davon abhalten, in den Containern hinter der Filiale nach Essen zu stöbern, weil sie dadurch das Gelände verschmutzten. Lidl hat sich inzwischen entschuldigt.

Die Mitarbeiter hätten über einen kurzen Zeitraum Lebensmittel vergiftet, teilte Mathias Kivikoski, Chef des Unternehmens in Schweden mit. Weder die Stockholm-Führung noch der Filialleiter sollen über die Vergiftung informiert gewesen sein.

Stockholmchef Daniel Benett rechtfertigte sich damit, dass es sich lediglich um eine unerlaubte Initiative des Personals gehandelt haben soll. Dieses sei frustriert gewesen, den Arbeitstag damit beginnen zu müssen, an den Mülltonnen sauber zu machen. Statt Gift anzuwenden, wolle man in Zukunft weggeschmissene Lebensmittel einschließen. Die Möglichkeit, Essen an Obdachlose zu verschenken, soll zumindest geprüft werden.

© Bremer Tageszeitungen AG



DRUCKEN   |   FENSTER SCHLIESSEN