202. Bremer Montagsdemo
am 13. 10. 2008  I◄◄  ►►I

 

Krise und Chance

Udo RiedelSchadenfreude ist nicht angebracht, weil wir alle unter der Finanzkrise leiden müssen, allerdings auch jene, die uns die Suppe eingebrockt haben. Doch endlich hat die Politik mal gezeigt, dass viel zu erreichen ist, wenn alle an einem Strang ziehen. Endlich hat die Politik begriffen, was wirklich Sache ist! Nicht nur, dass sich alle einig waren, nein: Jetzt werden auch alle gemeinsam handeln müssen. Sogar die Gewerkschaften wollen „Vernunft“ zeigen. Es geht also doch! Aber was sage ich da: Das Handeln haben wir ja schon so lange angemahnt, auch für Bremen! Ist das nun ein Grund, nach Hause zu gehen?

Nein, das wäre natürlich totaler Blödsinn. Erstens kämen die Probleme nicht mehr auf den Tisch. Zweitens würden bestimmte Herrschaften ohne gewisse Kontrollen einfach so weitermachen wie bisher. Gerade jetzt müssen wir wachsam sein! 2009 ist ja Bundestagswahl, außerdem die Europawahl, und ich kann euch nur alle auffordern hinzugehen! Diesmal hat sich Europa einen guten Dienst erwiesen, indem sich mal alle einig waren: So darf es nicht weitergehen. Wie denn? Na, so unsozial, so menschenverachtend, so raffgierig nach Rendite, so kinderfeindlich, so ungerecht!

Kommt euch das nicht bekannt vor? Das mahnen wir von der Montagsdemo schon seit vier Jahren an! Ich möchte an dieser Stelle noch einmal unseren Politikern einen guten Rat geben: Die Krise ist auch eine gute Chance, alles wieder ins Lot zu bringen und den Menschen wieder als Menschen zu sehen statt als Kostenfaktor! Wir alle sind die Gemeinschaft, und nur wenn wir das alle begreifen, können wir auch Krisen meistern und als Menschheit überleben. Wer sich aber aus der Verantwortung stiehlt, ganz gleich wie, ist nicht für diese Gemeinschaft und soll ruhig die Konsequenzen tragen. Ohne Hass im Herzen sage ich hier: Der soll am eigenen Leibe erfahren, was Hartz IV bedeutet!

Udo Riedel (parteilos)

 

500 Milliarden Euro
sind in aller Munde

Hans-Dieter BinderEine unvorstellbare Summe! 500 Milliarden Euro, davon 30 Prozent zulasten der Länder, sollen Vertrauen schaffen. Der Betrag ist trotzdem zu gering, um das Ziel zu erreichen, weil gleichzeitig die Bilanzierungsregeln geändert werden: Wert­berichtigungen für im Wert gesunkene Vermögenswerte müssen jetzt erst mit der Realisierung des Verlustes bilanziert werden.

Wie gehen die Banken damit um? Der Geldhandel unter den Banken soll gefördert werden. Den Banken wird das Ausfallrisiko abgenommen, wenn sie Geld an eine andere Bank verleihen. Die Aktion ist befristet. Was ist, wenn dieser Schirm wieder zugeklappt wird? Das Risiko für Bankenpleiten nach dieser Aktion steigt, ebenso dasjenige für Banken bei der Kreditvergabe an andere Unternehmen, weil die Bilanzierungsregeln gelockert wurden. Die investitionswilligen Unternehmen werden es zu spüren bekommen.

Wie gehen die Banken damit um? Studenten zahlen für einen Studienkredit ab 1. Oktober 2008 sieben Prozent Zinsen bei der KfW. Der Kredit verteuert sich damit um rund 4.500 Euro. Die Banken Fortis und Dexia wurden mit Steuergeldern gerettet. In Monaco wurden fast zeitgleich mit betuchten Kunden Luxusfeten gefeiert. Und die Bundesregierung? Sie behindert weiter den Untersuchungsausschuss zur Sachsen-LB! Was ist aus den bisherigen Rettungsaktionen geworden? Wie hoch ist der Anteil Deutschlands an den Rettungsaktionen der EZB (siehe vorherige Bremer Montagsdemos)?

In Bremen wurden die Gelder für Jugendarbeit gekürzt und Freizeitheime geschlossen. Bremen kürzt weiterhin bei der Bildung. Dies führte bei der Uni zur Einstellung von Studiengängen. Die Förderstunden sind reduziert. Der Fahrdienst für Behinderte wurde stark eingeschränkt. In Bremen wurden die Lebensbedingungen für alle Bürger unter den Bundesschnitt gedrückt. Insbesondere die sozial Schwachen können dies nicht kompensieren. Die Kinder leiden am meisten! Dieses Bundesland Bremen soll sich verpflichten, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Die Verhandlungen sind am Donnerstag um 16 Uhr in Berlin. Die angebotenen Unterstützungsleistungen reichen bei Weitem nicht zur Schließung der Haushaltslücke. Wie sagt Bremen dies seinen Bürgern?

Will die Bundesregierung tatsächlich die Erstattungszahlungen für die Kosten der Unterkunft und das Wohngeld an die Länder mit einem unausgeglichenen Haushalt kürzen oder einstellen? Die Schlagzeilen von gestern und die vorstehenden Gegenmaßnahmen klingen angesichts der 500 Milliarden Euro wie der blanke Hohn! Ein Hohn ist es auch, diese enorme Staatsverschuldung als Rettungsaktion für die kleinen Anleger darzustellen. Um die Euros der „Normalbürger“ zu sichern, ist diese Aktion ungeeignet. Solche „Spargroschen“ waren schon vorher über die Einlagengarantien abgesichert, und zwar sicherer als jetzt. Darum Montagsdemo, Kopf zeigen: Ich bin nicht einverstanden! Ich will die Zukunft positiv gestalten!

Hans-Dieter Binder („Die Linke“)

 

Beratungsgebühr erhöht, damit wir Fehlbescheide hinnehmen

Jobst RoseliusDie Banken- und Börsenkrise ist weltweit geworden. Noch ist es keine Weltwirtschaftskrise, aber die Anzeichen mehren sich für den Übergang dahin. Die Ersparnisse und die Lebensfähigkeit der Arbeitenden, Arbeitslosen und Rentner und ihrer Familien stehen auf dem Spiel. Die Einkommen und Boni der Banker und Politiker sind dagegen nicht in Gefahr: Bei ihnen sind die Einbußen, die andere in Resignation oder Obdachlosigkeit treiben können, „Peanuts“, auf die man mal verzichten kann.

Die perverse Bürokratie in den Ministerien in Bund und Ländern produziert derweil neue Gesetze und Verordnungen; jetzt die Erhöhung der Gebühren für Beratung in Sozialfragen bei den Argen. Da die Politik-Opfer sich zum Glück immer mehr wehren und dadurch die Kosten bei den Behörden über das veranschlagte Maß hinaus angestiegen sind, erhöht man jetzt einfach die Gebühren und will damit mutmaßliche Kläger und Anwärter auf Beratung verscheuchen. Klar ist doch, dass viele dann die falschen und ungerechtfertigten Bescheide und Urteile gegen sie hinnehmen müssen! Dem wollen und können wir widerstehen! Kommt zur Montagsdemo, klärt mit uns eure Fragen und wie verfahren werden kann! Werdet selbst Berater in diesen Fragen und helft anderen! Wir haben kein Vertrauen mehr in diesen Staat und seine Organe! Am 8. November 2008 geht es zur Demo nach Berlin gegen die Regierung!

Jobst Roselius

 

Was hat ein Hartz-IV-Kind
von der Kindergelderhöhung?

Elisabeth Graf1. Der deutsche „Caritas“-Verband verlangt, dass für die 1,9 Millionen Kinder von ALG-II-Beziehern eigenständige Regelsätze eingeführt werden, um die Kinderarmut besser bekämpfen zu können. Völlig zu Recht wird hier bemängelt, dass die bisherige Regelung total willkürlich sei und die besonderen Bedarfe von Kindern nicht berücksichtige. Die zur „Berechnung“ herangezogenen 20 Prozent der ärmsten Schicht der alleinstehenden Erwachsenen benötigen üblicherweise kein Geld für Bildung, Kinderbetreuung, Nachhilfe, Spielzeug oder Schuhe für wachsende Füße. Es kann einfach nicht ausreichen, von einem Zuwenig für Erwachsene lediglich 60 oder 80 Prozent als „Bedarf“ für Kinder anzusetzen!

Bisher werden für Kinder nach diesem Schlüssel bis zu einem Alter von 13 Jahren 211 Euro gezahlt; Kinder zwischen 14 und 17 Jahren erhalten 281 Euro im Monat. Nun legte die „Caritas“ für eine Neuberechnung die Konsumausgaben von Familien im unteren Einkommensbereich zugrunde. Bei der bisherigen „Berechnung“ für Kinder wurden weder Ausgaben für Bildung noch für einen Inflationsausgleich berücksichtigt. Die Neuberechnung der „Caritas“ kommt zu dem Ergebnis, dass Kleinkinder bis zum Alter von fünf Jahren eigentlich 250 Euro erhalten müssten (39 Euro mehr), Kinder von sechs bis 13 Jahren 265 Euro (plus 54 Euro) und Jugendliche von 14 bis 17 Jahren 302 Euro (Erhöhung um 21 Euro).

Die „Caritas“ fordert darüber hinaus eine Modifizierung des Kinderzuschlags, der 2005 für Familien eingeführt wurde, die trotz Arbeit arm sind. Dieser Zuschlag soll eigentlich ab einem Mindesteinkommen von 900 Euro gezahlt werden. Faktisch ist es aber nach Angaben der „Caritas“ meist so, dass er erst von einem deutlich höheren Einkommen an gezahlt wird, denn das verfügbare Familieneinkommen muss dafür mit dem Kinderzuschlag über dem theoretisch möglichen Arbeitslosengeld-II-Satz liegen. Um die Kinderarmut wirksam bekämpfen zu können, verlangt die „Caritas“ eine Reihe zusätzlicher Sachleistungen wie Lehrmittelfreiheit, einmalige Beihilfen zu Schulanfang und Schuljahresbeginn, vergünstigtes Essen in der Schule sowie kostenlose Teilnahme in Musik- und Sportvereinen.

Selbstverständlich gehört zu einem guten Aufwachsen nicht nur eine ausreichende Menge an gesundem Essen und Trinken, sondern auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben! Die Gesamtkosten werden mit 2,7 Milliarden Euro beziffert. Das sind Peanuts im Vergleich zu den 500 Milliarden Euro, die jetzt für die Rettung der notleidenden Banken mal eben ganz leicht rübergeschoben werden können! So weit, so „gut“ – aber hat die „Caritas“ Angst, dass die von ihnen ausgebeuteten und ausgenutzten Ein-Euro-Jobber schlappmachen? Ist die „Caritas“ möglicherweise eine doppelzüngige Schlange, so wie viele andere dieser Organisationen auch?

 

2. Die Ankündigung von Bundeskanzlerin Merkel, armen Kindern mehr Unterstützung zukommen zu lassen, ist die reinste Mogelpackung! Merkel verwies am Samstag in ihrem Video-Podcast auf das geplante Schulbedarfspaket von 100 Euro, das Kinder aus Hartz-IV-Familien bis zur zehnten Klasse jeweils zu Schuljahresbeginn bekommen sollen. Die CDU-Chefin sagte, sie wolle nicht, dass Eltern aus wirtschaftlichen Gründen an der Bildung ihrer Kinder sparen müssen. Deswegen freue sie sich, dass die Leistungen für Familien ab dem 1. Januar 2009 verbessert würden. So wird das Kindergeld um zehn Euro für das erste und zweite Kind und um 16 Euro ab dem dritten Kind erhöht. Außerdem steigt der Kinderfreibetrag um knapp 200 auf 6.000 Euro pro Jahr.

Nur leider werden die Kinder aus armen Familien kein Stück weiter aus ihrer finanziellen Misere herausgebracht! Was hat denn ein Kind aus einem Hartz-IV-Haushalt von einer Kindergelderhöhung, wenn diese gleichzeitig wieder in voller Höhe vom Regelsatz abgezogen wird? Kinder und Eltern müssen sich regelrecht verschaukelt vorkommen, denn der Hungerregelsatz bleibt bei den Kindern gleich! Ebenso verhält es sich mit dem Schulbedarfspaket. Dieses und auch der entwicklungsbedingte erhöhte Wachstumsbedarf wurden mit Einführung von Hartz IV 2005 vorsätzlich gestrichen, und mensch behauptet frecherweise auch noch ganz verlogen, die Schulkosten seien im Regelsatz enthalten!

Das „Erwerbslosenforum Deutschland“ fordert die Bundeskanzlerin auf, wieder für alle Schüler aus Hartz-IV-Haushalten die vollen Schulkosten zu übernehmen. Ebenso muss die Kürzung des erhöhten entwicklungsbedingten Wachstumsbedarfs bei Schulkindern und bei Heranwachsenden noch vor der Bundestagswahl zurückgenommen werden! Berechnungen des „Erwerbslosenforums“ haben ergeben, dass im Regelsatz bei Kindern zwischen sieben und 14 Jahren allein bei Nahrung und Getränken eine monatliche Unterdeckung von 85,34 Euro, bei Heranwachsenden von 123,94 Euro vorliegt. Grund dafür ist der wachstumsbedingte erhöhte Ernährungsbedarf bei diesen Altersgruppen. In der Bundessozialhilfe vor 2005 wurde dies berücksichtigt. Ebenso gibt es keine Position für Bildung. 100 Euro würden bei weitem nicht ausreichen! Für den Besuch einer höheren Schule wäre das angekündigte Schulbedarfspaket völlig unzureichend!

 

3. Über eine Familienkasse des öffentlichen Dienstes und über die Bundesagentur für Arbeit sollen Hunderte Beamte doppelt Kindergeld bezogen haben. In rund 60 Fällen hat die Bundesagentur für Arbeit bereits eine Doppelzahlung in Höhe von insgesamt einer halben Million Euro nachgewiesen. Es wurde hierbei keine Durchschnittssumme ermittelt, da der jeweilige Zeitraum sehr unterschiedlich ist und von einem Monat bis hin zu mehreren Jahren variiert. Nun wird überprüft, ob in den Fällen, in denen über Jahre hinweg Zahlungen eingingen, ein Steuerprüfungsverfahren eingeleitet werden muss. Es könnten aber auch Übermittlungsfehler infrage kommen. Die betroffenen Familien sind auf jeden Fall dazu aufgefordert worden, das zu viel gezahlte Geld zurückzuzahlen. Irgendwo muss das Kindergeld ja hingehen, was den Hartz-IV-Kindern abgezogen beziehungsweise angerechnet wird!

 

4. Anlässlich des „Welttages für menschenwürdige Arbeit“ forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund letzte Woche einen Mindestlohn und die Gleichbehandlung von Leiharbeit. Helga Ziegert, Vorsitzende des DGB Bremen, erläuterte, dass zum ersten Mal weltweit Kundgebungen und Aktionen stattfänden. Sagenhaft, da lassen die Vertreter der Gewerkschaften doch tatsächlich 500 Luftballons mit ihren Forderungen gen Himmel aufsteigen! Ob sie dort wohl an die richtige Adresse gelangen? Sind die Arbeitgeber beim lieben Gott, oder sind sie es gar selbst?

Ja, es geht in der Tat um die richtige Gestaltung der Globalisierung, Frau Ziegert! Wie wäre es denn, dabei mit den Arbeitgebern und den Politikvertretern zu verhandeln, sie unter Druck zu setzen, sie zu fordern – und nicht einfach bloß kraftlose Luftballons nach oben ziehen zu lassen, als bloße Lippenbekenntnisse und leere Worthülsen? Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein – die würde ich aber auch gerne hienieden auf Erden genießen können, mit anständigen Löhnen, von denen es sich gut und sicher leben lässt! Kommunikation heißt das Zauberwort – und ganz bestimmt nicht Luftballon!

 

5. Nach dem Willen mehrerer Bundesländer soll die Rechtsberatung für Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger eingeschränkt werden. Der Bundesrat entschied am Freitag über einen Gesetzentwurf von fünf Bundesländern zur Reform des Beratungshilferechts. Der Bundesrat versucht auf diesem Weg, die häufig amtlich falschen und für die Betroffenen nachteiligen Entscheidungen der Hartz-IV-Behörden nahezu unanfechtbar zu machen. Damit wäre der Weg zu einer Zwei-Klassen-Justiz frei. Mit der Reform soll der Gang zum Rechtsanwalt für die Hartz-IV-Empfänger schwerer werden. Seit das ALG II eingeführt wurde, ist die Zahl der Klagen von Beziehern dieser Leistung stark gestiegen. Für die Länder wird das teuer, denn sie sind dazu verpflichtet, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten für Menschen mit geringem Einkommen sowie Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosengeld-II-Bezieher zu übernehmen.

Nach Angaben aus Sachsen-Anhalt haben sich die Kosten für die Beratungshilfe zwischen 2000 und 2007 mehr als verdreifacht. Neben Sachsen-Anhalt unterstützen auch Sachsen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Hol­stein den Gesetzesentwurf, nach dem die Eigenbeteiligung um bis zu 200 Prozent erhöht würde. Bislang müssen Ratsuchende beim Gang zum Rechtsanwalt pro Fall eine Gebühr von zehn Euro zahlen. Nach dem Gesetzentwurf soll nun eine weitere Gebühr in Höhe von 20 Euro fällig werden, wenn der Rechtsanwalt den Hilfesuchenden nicht nur mündlich berät, sondern für ihn außerdem Schriftsätze verfasst. Sachbearbeiter sollen nun strikter prüfen, ob Anwaltskosten für Hartz-IV-Empfänger übernommen werden müssen. Bei der zusätzlichen Gebühr handelt es sich lediglich um ein Einsparprogramm. Dabei können Hartz-IV-Bezieher eine Eigenbeteiligung von insgesamt 30 Euro nur schwer aufbringen!

Die Bundesländer verweisen hingegen darauf, dass die Amtsgerichte, die über die Übernahme der Rechtsanwaltsgebühren entscheiden, die Einzelfälle nur ungenau prüften. Die Beratungshilfe werde häufig zu Unrecht in Anspruch genommen. Daher solle sie künftig auch nicht mehr nachträglich bewilligt werden können, sondern müsse stets vor einer Beratung oder Klage beantragt werden. Außerdem sollen die Amtsgerichte gesetzlich verpflichtet werden, Listen von Verbänden und Organisationen zu führen, die kostenlose Rechtsberatung anbieten. Die Amtsgerichte sollen die Bedürftige auf diese Adressen verweisen. Sind vielleicht die ALG-II- und Sozialgeld-Bezieher schuld daran, dass die Hartz-Gesetze mit heißer Nadel gestrickt wurden, oft vollkommen uneindeutig sind, teilweise ungeniert dem Grundgesetz widersprechen?

Ziemlich perfide, aber geschickt sollen Einsparungen auf diese Weise still und leise durch die Hintertür eingeschmuggelt werden. Es ist schon ein starkes Stück, was die Bundesländer hier fordern! Die jetzige Klageflut wäre nicht notwendig gewesen, wenn schon bei der Gesetzgebung zu Hartz IV auf die Betroffenenverbände gehört worden wäre. Hellseherischer Fähigkeiten bedurfte es 2003 und 2004 nicht, um abzusehen, was auf die Gerichte zukommt. Jetzt soll den Betroffenen mit einer 200-prozentigen Gebührensteigerung der Gang zum Anwalt verunmöglicht werden. Nach wie vor sind 70 bis 80 Prozent der Bescheide und Sanktionen falsch oder rechtswidrig, weil wir es mit unfähigen Behörden und äußerst schlecht geschulten Mitarbeitern zu tun haben. Es ist für mich unverständlich, warum nicht dort der Hebel angesetzt wird!

Das ist die Quittung dafür, dass die Bürger die Unverschämtheit besitzen, sich zu wehren, obwohl sie Transferleistungen beziehen. Schließlich gilt der Appell an die erste Bürgerpflicht, die da lautet: Klappe halten! Der Sachberater soll also prüfen? Demnächst werde ich auch den Straftäter fragen, ob ich als Opfer einen Anwalt nehmen darf! Nun eben mit Anwalt, dann gibt es hoffentlich noch mehr Klagen, die gewonnen werden! Letztlich bedeutet dies doch wohl, dass es den Anwälten noch schwerer gemacht wird, Erwerbslose zu vertreten. Zudem wird die Prüfung, ob eine Rechtsberatung erforderlich ist, den Amtsgerichten auferlegt. Die „Klageflut“ wird sich damit nur zeitlich und örtlich verlagern. Im Umkehrschluss sollte jeder, der meint, von der Arge rechtswidrig behandelt worden zu sein, dann ohne Anwalt (gegebenenfalls mit Unterstützung von Erwerbslosen­initiativen) klagen, solange das noch möglich ist. Nicht umsonst zeigt die Statistik, dass fast jede zweite Klage gewinnt! Immer wieder frage ich mich: Wo bleibt der kollektive Aufschrei?

 

6. Um anschaulich zu machen, wie ein erwachsener Hartz-IV-Empfänger mit einem Kind mit genau 15,50 Euro für den Lebensmitteleinkauf zum Wochenende auskommt, standen am vergangenen Samstag einige Figuren an einer Straßenecke in Kassel. Sie trugen durchsichtige Tüten, in denen der materielle Gegenwert zu sehen war. Wer satt werden will, kann ausschließlich billige Lebensmittel einkaufen. Entsprechend eingeschränkt bleibt der Speiseplan – und leider auch alles andere als gesund.

Wenn der monatliche Hartz-IV-Regelsatz von 351 Euro auf die einzelnen Tage heruntergerechnet und dabei abgezogen wird, was für Kleidung, Körperpflege, Strom, Telefon oder Schreibmaterial nötig ist, dann bleiben einer erwachsenen Person mit einem Kind genau die erwähnten 15,50 Euro für den Lebensmitteleinkauf zum Wochenende.

Mit dieser Aktion möchte das Forum „Erwerbslos und arm in Kassel“ über die Lebenssituation von Menschen am Rande der Gesellschaft informieren und dadurch für Verständnis und Solidarität werben. In dem Forum haben sich schon seit einigen Monaten Vertreterinnen und Vertreter der beiden großen Kirchen, von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und freien Initiativen zusammengefunden.

 

7. Ein erfahrener Gastronom lehrt im „Hartz-IV-Kochkurs“, wie mensch ohne Tiefkühlpizza, Ein-Euro-Burger und Fertiggerichte überleben kann. Er will den neun Kursteilnehmern zeigen, wie sich mit wenig Materialaufwand ein gutes Essen zaubern lässt, sogar mit viel Geschmack für wenig Geld. Dem Starkoch Oliver Schneider ist aufgefallen, dass die Deutschen stetig zunehmen, vor allem die in der Unterschicht. Arme Menschen essen weniger Lebensmittel mit günstiger Nährstoffzusammensetzung, zum Beispiel Hülsenfrüchte, Obst und Fisch. Stattdessen wird eher zu Fast Food und Süßem gegriffen. Je reicher und gebildeter die Deutschen, desto schlanker, fitter, erfolgreicher sind sie. Die Unterschicht jedoch quillt auf: Hartz IV macht dick.

Weil Schneider dies nicht hinnehmen will, lädt er einmal im Monat Einkommensschwache in sein Restaurant und bietet für neun Euro inklusive Materialkosten seinen Kochkurs an. Der Gastronom gibt Tipps, wie sich zum Beispiel aus Gemüseschalen noch ein leckerer Sud aufkochen lässt, ganz ohne Glutamat oder ähnliche Stoffe. Aber vielleicht mit einer Extraportion Pestiziden? Oliver Schneiders Vorhaben mit seinem „Hartz-IV-Kochkurs“ in allen Ehren – es hat leider einen ganz entscheidenden Haken: Es ist zu teuer für Hartz-IV-Bezieher! Schneider hat ausgerechnet, dass acht Euro benötigt werden, um sich täglich vollwertig ernähren zu können. Bedauerlicherweise beträgt der Regelsatz von Hartz IV jedoch nur 351 Euro im Monat. Für Lebens- und Genussmittel sind fatalerweise lediglich schlappe 4,32 Euro pro Tag vorgesehen, also gerade mal die Hälfte!

Der Koch ist selbst einmal arbeitslos gewesen und sollte eigentlich wissen, wovon er redet. Aber wahrscheinlich erhielt er damals das noch etwas höher dotierte ALG I, das den meisten ein doch eher auskömmliches Dasein beschert. Jedenfalls zeigt sich, dass er – mit den besten Absichten – leider von Hartz IV keine Ahnung hat, und dass es selbst Kochprofis nicht möglich ist, vom Hartz-IV-Ernährungsanteil eine vollwertige Ernährung zustande zu bringen! Dennoch behaupten etliche Wissenschaftler und Politiker einfach völlig haltlos, dass mensch sich von 4,32 Euro prima ernähren könne. Das Berliner Finanzministerium etwa hat einen Speiseplan anfertigen lassen, der das nun genau belegen soll. Die aufgelisteten Mahlzeiten stammen vom Discounter. Es gibt Leberkäse, Instant-Kartoffelbrei und Sauerkraut aus der Dose. Hm, wie lecker! Und so gesund!

 

8. Unsere Bundesregierung beschließt ein Rettungspaket von 500 Milliarden Euro. Ja, jetzt zeigt sich, wie leicht das Geld, das sonst ganz einfach nicht da ist, mal eben locker gemacht werden kann! Für notleidende Menschen? Weit gefehlt, für die ist kein Geld vorhanden. Nein, für notleidende Banken natürlich, die uns, stellvertretend durch ihre viel zu hoch dotierten Manager, mit großen gierigen Augen anschauen, aus denen dicke Kullertränen des Selbstmitleids laufen. Wenn die Bundesregierung den Ausverkauf der Republik an das Kapital beschließt, dann begeht sie damit in meinen Augen Hochverrat am deutschen Staat! Mit der ungeheuren Summe von 500 Milliarden Euro schmeißt sie mehr, als für den gesamten Haushalt 2009 vorgesehen war, in den Gierschlund der Banker!

Ach, das ist ja auch nicht wirklich weiter wichtig. Die paar zehntausend Kindergärten, die Hunderte von Universitäten, die auf Jahre hinaus kostenlosen Zugang bieten können, die vielen sinnvollen Konjunkturprogramme für Millionen von Menschen, das ist doch nicht zum Verrücktwerden! „Sat1“ wird sicherlich keine Sondersendung über die erpresste Sozialhilfe für Bankrotteure in Höhe eines Staatshaushaltes für ein ganzes Jahr ausstrahlen. Alle werden das vollkommen normal finden, wenn sie abends flimmernd vor Glück vor der Glotze sitzen und sich regungslos von den durch anonyme Syndikate kontrollierten Fernsehsendern alles ganz plausibel erklären lassen und danach erstaunlicherweise immer noch glauben, in einer Demokratie zu leben. Geradezu pervers klingt es in meinen Ohren, wenn die Kanzlerin nachmittags lapidar behauptet, der Staat schütze nicht die Banken, sondern seine Bürger!

Elisabeth Graf (parteilos, aber Partei ergreifend)

 

Ob die Politik zur Vernunft kommt?

An der 202. Montagsdemo in Bremen am 13. Oktober 2008 um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz nahmen circa 30 Personen teil. Hauptthemen waren die vielen Aspekte der Banken- und Börsenkrise. Einige Kollegen haben noch Hoffnungen, dass die Politik nun zur Vernunft komme, während andere diese Zuversicht nicht teilen und zum Selberaktivwerden in größerem Rahmen aufrufen.

Jobst Roselius für die „Bundesweite Montagsdemo
 
Finanzkrise frisst Hungerhilfe auf: Die Milliarden für die Rettung der Bankhäuser fehlen auch in der Entwicklungshilfe („Stern“)
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz