Ein Antrag, zwei Bescheide?
Bagis muss bis 2010 aufgelöst sein - und niemand weiß derzeit, wie es weitergeht
Von unserem Redakteur Bernd Schneider

BREMEN. Die Tage der Bagis sind gezählt. Noch bis 31. Dezember 2010 läuft die Gnadenfrist, die das Bundesverfassungsgericht der grundgesetzwidrigen Hartz-IV-Verwaltung in Deutschland gesetzt hat. Was danach kommt, ist ungewiss. Seit vergangener Woche sucht eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe nach einer Lösung. Bremens Position: "Am liebsten würden wir die Verfassung ändern", erläutert Sozialstaatsrat Joachim Schuster. Aber bundesweit sieht er dafür wenig Chancen.

Miete, Heizung, Schuldnerberatung, die Suche nach einem Kindergartenplatz für die Kinder arbeitsloser Mütter - dafür ist die Stadt zuständig. Arbeitslosengeld II und Hilfen zur Eingliederung in den Beruf dagegen fällt in den Bereich der "Bundesagentur für Arbeit" (BA). In der Bagis (Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales) ist beides zusammengefasst. Wenn ein Sachbearbeiter der Stadt Entscheidungen fällt, betrifft das schon mal den Zuständigkeitsbereich der BA. Und umgekehrt. Diese Mischverwaltung lassen die Verfassungsrichter nun nicht mehr zu (siehe Kasten).

Bis Ende 2010 haben Bund und Länder nun Zeit, die Hartz-IV-Verwaltung umzukrempeln. "Das Schlimmste, das uns passieren kann, ist, dass am Ende jede Verwaltung einen eigenen Bescheid erlässt", schildert Staatsrat Schuster seine Horrorvision. Aus rechtlichen Gründen müssten die Verwaltungen Hartz-IV-Anträge unabhängig voneinander berechnen. Schuster: "Wenn zwei Sachbearbeiter aus zwei Behörden die Ansprüche berechnen, aber sich gegenseitig nicht über die Schulter gucken dürfen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die Bescheide nicht übereinstimmen."

Die Sorge ist nicht unbegründet: Sobald Vermögen im Spiel ist oder eine kleine Rente, Unterhaltszahlungen, ein geringer Arbeitslohn oder untypische Wohn- und Lebensverhältnisse, wird die Berechnung von Hartz-IV schnell so kompliziert, dass bis heute ein erheblicher Teil der Bescheide fehlerhaft ist. Das haben nicht nur Rechnungshöfe festgestellt, sondern auch die Innenrevisionen der Hartz-IV-Verwaltungen. Im Prinzip wäre anstelle von zwei Bescheiden auch ein zweistufiges Antragsverfahren denkbar, meint Peter Prill aus der Sozialbehörde - erst zur Stadt, dann zur BA. "Aber das wäre alles andere als bürgerfreundlich."

Probleme erwartet Prill zudem bei "Eingliederungsvereinbarungen". In diesen Verträgen zwischen Bagis und Arbeitslosen könnte der städtische Sachbearbeiter den Besuch bei der Drogenberatung oder beim Zahnarzt vereinbaren, um die Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Der Kollege von der Arbeitsverwaltung aber legt unter Umständen größeren Wert auf Bewerbungstraining und Gabelstaplerschein. Zwei unabhängige Behörden, zwei widersprüchliche Vereinbarungen - das programmierte Chaos.

Und: Wird die Hartz-IV-Verwaltung nach ihren städtischen und BA-Anteilen entflochten, müssten "72 000 Datensätze allein in der Stadt Bremen neu eingegeben werden", fürchtet Schuster. "Ein Jahr bräuchte so ein Trennungsprozess." Ein Jahr, in dem die Bagis wieder - wie schon in ihrer Aufbauphase 2005 - fast mehr mit sich selbst beschäftigt wäre als mit den Arbeitslosen.

Das will Bremen nicht. Die inzwischen vergleichsweise gute Zusammenarbeit in der Bagis will man gern erhalten und weiter verbessern. Unterstützung aus einer Hand, relativ unkomplizierte Abläufe, ein einziger Hartz-IV-Bescheid für jeden Antragsteller und eine eingearbeitete, "möglichst effiziente Verwaltung" - das verspricht Schuster sich davon. Die Verfassung ändern, um die Mischverwaltung der Bagis auf rechtlich sichere Füße zu stellen, wäre ihm daher das Liebste. "Aber das Modell ist wohl vom Tisch, auch wenn die Bund-Länder-Arbeitsgruppe es noch prüft", fürchtet er. Gerade erst habe die Föderalismuskommission I eine "klare Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern" verabredet, Bayern sowie Baden-Württemberg wollten die Verfassung sowieso nicht ändern, und im Bundestag sei eine Mehrheit auch nicht in Sicht. "Wenn schon eine getrennte Trägerschaft, dann wenigstens möglichst eng zusammen", sagt Schuster. Die neue Bagis, die dann als "Kooperatives Jobcenter" geführt würde, soll alle

Geldleistungen bewilligen, einen Teil im Auftrag des Bundes. Ob eine solche "Bundesauftragsverwaltung" - wie heute etwa beim Bafög - rechtlich möglich ist, werde derzeit geprüft. Die BA bliebe dann zuständig für die berufliche Eingliederung und Qualifikation. Einzelheiten würden BA und Stadt künftig in einem "Kooperationsausschuss" gemeinsam regeln.