26.4.2008

"Erschreckendes Ausmaß an menschlicher Kälte"
Kontroverse um parlamentarischen Zwischenruf
des CDU-Fraktionsvorsitzenden Thomas Röwekamp

Von unserem Redakteur Wigbert Gerling

BREMEN. "Unter Brücken sollen sie schlafen." Mit diesem parlamentarischen Zwischenruf in einer Debatte um Wohnungen für Bedürftige hat sich CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp Kritik eingehandelt.

Laut Parlamentsprotokoll hatte die SPD-Abgeordnete Karin Garling das Wort. In der Debatte über Sozialpolitik wandte sie sich an die christdemokratische Fraktion und sagte: "Sie fordern eine Absenkung der Mietobergrenzen für Menschen im Leistungsbezug. Man muss hier auch mal erklären, was das bedeutet. Unsere CDU-Opposition will wieder Tausende Menschen in Bremen zum Verlassen ihrer Wohnungen und ihres sozialen Umfeldes zwingen."

An dieser Stelle kam der Zwischenruf des CDU-Fraktionschefs, der in Kürze auch neuer Landesvorsitzender der Partei werden möchte: "Unter Brücken sollen sie schlafen."

Das griff die SPD-Fraktion auf. Ihr Vorsitzender Carsten Sieling schrieb einen Brief an Röwekamp. Eine "derartige Herabwürdigung all jener Menschen, die am Existenzminimum oder gar unterhalb dessen leben müssen, ist unerträglich", so der Sozialdemokrat. Die Bemerkung zeuge "von einem erschreckenden Ausmaß an menschlicher Kälte" und sei "eines Mitglieds des Parlaments unwürdig". Abgeordnete müssten auch in der politischen Auseinandersetzung "Anstand zeigen und auch zur Nächstenliebe fähig sein". Mit dem Zwischenruf habe sich Röwekamp, so Sieling, "eine inakzeptable Grenzüberschreitung" geleistet. Er solle sich öffentlich entschuldigen.

Der grüne Fraktionschef Matthias Güldner sagte, er habe den Zwischenruf gehört, sich sehr darüber geärgert und teile die Kritik der SPD.

CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp erklärte, er bedauere es, wenn der Eindruck entstanden sei, er habe die Empfänger von staatlicher Unterstützung verunglimpft. Dies sei auf keinen Fall seine Absicht gewesen. Die Bemerkung sei in einer sehr lebhaft geführten Bürgerschaftsdebatte gefallen. Er habe auf die Attacke der SPD-Parlamentarierin Karin Garling "bewusst überspitzt und sarkastisch" reagiert. Wenn der Zwischenruf nun missverständlich angekommen sei, dann, so Röwekamp, " habe ich das zu vertreten".

Röwekamp fügte hinzu, es sei verwunderlich, dass Abgeordnete anderer Fraktionen erklärten, sie hätten den Zwischenruf gehört - gleichwohl habe niemand in dem Moment darauf reagiert. Erst jetzt werde plötzlich, ausgelöst durch den Sieling-Brief, mit zeitlicher Verzögerung die Kritik laut.

Der christdemokratische Fraktionschef hat unterdessen einen Antwortbrief an seinen SPD-Kollegen Carsten Sieling verfasst. Darin schlägt er vor, dass Sieling künftig versuchen sollte, ihn "in ähnlichen Fällen zunächst persönlich anzusprechen".

 

Zuchtmeister ja, Zugpferd nein
Wigbert Gerling

Ein bemerkenswerter CDU-Dreisprung: Erst gießt ein Senator namens Peter Gloystein einem Arbeitslosen reichlich Sekt über den Kopf, dann entdeckt der Unions-Spitzenkandidat Thomas Röwekamp im vergangenen Wahlkampf die Sozialpolitik als Schwerpunktthema, und nun findet sich Fraktionschef Röwekamp offenbar originell, wenn er Bedürftigen öffentlich einen Schlafplatz unter Brücken anempfiehlt.

War Röwekamp an dem Tag, an dem er diese Bemerkung im Parlament vom Stapel ließ, lediglich mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett gestiegen? Wohl nicht. Mit der Entgleisung verfestigt sich eher der Eindruck, dass er sich in der Rolle des Scharfmachers mit Rambo-Vokabular gefällt - auch mit Rücksichtslosigkeit als Risiko.

Das passt sogar - und zwar zur Diskussionskultur im CDU-Haus. Dort können sich manchmal Sarkasmus, Ironie, Zynismus und Herabsetzungen mehr zu Hause fühlen als christlich geprägte Gedanken.

Intern mag also Röwekamp mit einer solchen Entgleisung punkten und seine Rolle als CDU-Zuchtmeister festigen. Als Zugpferd in einem Wahlkampf hat er sich disqualifiziert.

© Bremer Tageszeitungen AG



DRUCKEN   |   FENSTER SCHLIESSEN