12. Bremer Montagsdemo
am 01. 11. 2004  I◄◄  ►►I

 

Der Freimarkt ist vorbei

Ursula GatzkeUnd der Spaß ist vorbei! Bremer müssen sich jetzt warm anziehen! Die Devise für unsere Stadt wird sein: „Sparen, dass die Schwarte kracht!“

Was ist passiert? Herr Dannemann hat laut in den Wald des gemeinsamen Verdrängens gerufen: „Erwartet keine dauerhafte Hilfe aus Berlin! Der Kanzlerbrief bedeutet keine Lösung der miesen Finanzlage in Bremen!“

So wurde das Pferd notgeschlachtet, und alle reißen sich um die größten Brocken! Nehmt euch doch endlich mal den Schröder vor, vielleicht hat er noch einen Euro in seiner Hosentasche!

Die könnte er wenigstens Bremen zum Überleben ausleihen und später vielleicht erlassen, wenn er mal wiederkommt! Stattdessen will er uns lieber einen Feiertag streichen, den „Tag der Deutschen Einheit“, um die Wirtschaft anzukurbeln und eine Winzigkeit mehr Steuern einzunehmen!

Wie viel hochbezahlten „Verstand“ muss man haben, um sich solche Lösungen auszudenken? Tatsächlich freuen sich doch nur die Bosse über das Geschenk unserer verlängerten Arbeitszeit!

Ursula Gatzke (parteilos)

 

Der Sozialstaatsprügelknabe

In der letzten Woche hat sich gezeigt, dass Deutschland tatsächlich ein Sozialstaat ist: Das belegt der Rücktritt des baden-württembergischen Staatsministers Christoph Palmer von der CDU, nachdem er einen Bundestagsabgeordneten seiner Partei in der Öffentlichkeit geohrfeigt hatte. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, sollte man denken, aber dem ist nicht so!

Was würde uns wohl passieren, wenn wir einen Arbeitskollegen verprügeln, sofern wir noch einen haben? Fristlose Kündigung? Sperre beim Arbeitslosengeld? Strafverfahren mit saftiger Geldbuße? Und was passiert dem armen ehemaligen Staatsminister Palmer dagegen?

Matthias BrittingerEr erhält für die nächsten drei Monate ein Übergangsgeld in Höhe von 11.041 Euro, das war sein bisheriges Gehalt. Danach steht ihm zusätzlich zu seinen Abgeordnetendiäten in Höhe von 4.750 Euro, denn der Prügelknabe bleibt dem Landtag natürlich erhalten, ein monatliches Ruhegeld von 6.334 Euro zu. Da dieses nun doch teilweise verrechnet wird, bleiben dem Bedauernswerten unterm Strich monatlich 9.050 Euro!

Falls er nach dieser Legislaturperiode nicht mehr in den Landtag gewählt werden sollte, denn vielleicht nehmen ihm seine Parteifreunde die Ohrfeige tatsächlich übel, erhält er bis zu seinem Lebensende weiterhin 6.334 Euro. Auch wenn er einen zusätzlichen Job in der Privatwirtschaft annimmt, zum Beispiel als Personalchef bei Volkswagen, erhält er dieses Geld in voller Höhe weiter. Das bedeutet rund gerechnet bis zu seinem 65. Lebensjahr circa 1,71 Millionen Euro brutto. Bei der gegenwärtigen durchschnittlichen Lebenserwartung von 78 Jahren bei Männern kommen dann noch etwa 900.000 Euro hinzu!

Daran kann man doch erkennen, dass der Sozialstaat, wie im Grundgesetz garantiert, funktioniert, wenn er gebraucht wird! Zumindest unsere verehrten Politiker erhalten eine kleine monatliche Rente auf Lebenszeit, damit sie nicht am Hungertuch nagen müssen!

Und was machen wir? Wir beschweren uns wegen 345 Euro monatlich! Das wären doch bis zum 65. Lebensjahr hochgerechnet immerhin circa 95.000 Euro. Wenn wir jetzt noch die Miete hinzurechnen, etwa 82.000 Euro, erhalten wir doch auch rund 177.000 Euro, gute zehn Prozent von dem Geld, das dieser arme Prügelknabe erhält!

Dies ist nur ein Beispiel von Tausenden, die zeigen, wie „sozial“ unser Staat wirklich ist. Besonders zu seinen ehemaligen Staatsdienern! Denn jeder Abgeordnete, Minister oder Staatssekretär erhält nach acht sogenannten Dienstjahren ein entsprechendes lebenslanges Ruhegeld. Wen kann es jetzt noch wundern, dass unsere ach so geliebten Volksvertreter ihren Sozialstaat mit allen Mitteln schützen wollen? Und was machen sie mit uns? Sie vertreten uns! Im wahrsten Sinne des Wortes.

Matthias Brittinger (parteilos)

 

Billig, willig!

Christine WegenerSchätzungen gehen von 60 bis 80 Milliarden aus oder noch höher, die Schwarzgeldbesitzer außer Landes schaffen. Das ist Betrug! Ich habe hier aufgeschrieben, was mich bewegt: Ein-Euro-Job für Langzeitarbeitslose! Firmen und Organisationen, besonders im Sozialbereich, besetzen freie Stellen nicht mehr oder nur sehr gering, zum Beispiel auf 400-Euro-Basis. Zeitverträge werden mit fadenscheinigen Ausreden wegen Einsparungen in diesem beziehungsweise im nächsten Jahr auslaufen, weil die Arbeitgeber jetzt schon gierig auf die Langzeitarbeitslosen waren, die für einen Euro arbeiten sollen.

Das Motto: Geiz ist geil! Billig, willig! Das ist Werbung, die ich grauenvoll finde, vor allem, wenn man noch ein Kind durchs Bild jagen lässt. Die Bürger, die das täglich durch die Medien hören müssen – besonders Schröder, Clement und Konsorten –, hören das auch mit Freuden! Denn ab 2005, einige Firmen machen das jetzt schon, ist es absehbar: Agentur für Arbeit bietet – billig, willig! – lebende Produkte an. Das ist eine neue Form von Sklaverei, menschenverachtend, erniedrigend und entwürdigend!

Selbst kirchliche Einrichtungen stürzen sich schon habgierig darauf, denn man muss ja sparen. Sonntags predigen die Pfarrer auf der Kanzel von der Nächstenliebe, sind aber selber auf die Produkte von Agenda, äh, Agentur für Arbeit, schon sehr scharf drauf! Daher fordere ich die Firmen, Konzerne und auch gerade die christlichen Organisationen auf, uns wie Menschen leben zu lassen und uns dementsprechend zu behandeln! Wir sind Menschen und haben ein Recht darauf. Wir leben als Bürger hier im Lande! Für einen Euro sollte man Menschen nicht kaufen. Das ist nicht richtig!

Christine Wegener (parteilos) – Tonaufnahme (MP3, 785 kB)

 

Hin zu einer Diskussions-
und Debattenpolitik!

Das Herbstgutachten der sechs „Wirtschaftsweisen“ zu Hartz IV ist negativ ausgefallen: Es werden noch mehr Arbeitslose erwartet, und die Regierung soll weitere Sparprogramme auflegen!

Diese sogenannten „Weisen“ wollen die gleichen Bedingungen wie in den Vereinigten Staaten: 90 Prozent der US-Bürger verdienen heute weniger als vor 20 Jahren. Zwei Drittel haben in einer Hinsicht mehr: nämlich zwei Jobs, ohne damit anständig durchzukommen!

Eine eigene Studie der Bundesagentur für Arbeit besagt, dass der Abbau des Kündigungsschutzes keine neuen Arbeitsplätze schafft. Warum hören Schröder und Konsorten nicht einmal darauf?

Wir müssen weg von der Verkündungspolitik, hin zu einer neuen Diskussions- und Debattenpolitik! Ich habe etwas gegen Geheimverhandlungen, wo im Vorfeld von internationalen Treffen Fakten geschaffen werden, die dann in den heimischen Parlamenten nur noch abgenickt werden: Wo bleibt da die Demokratie?

Zum Beispiel die Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich zum Beitritt der Türkei zur EU. Oder der Schuldenerlass um 80 Prozent von 42 Milliarden Euro an den Irak, einem der reichsten Länder der Erde, obwohl doch angeblich die Staatskassen leer sind! Bist du dazu gefragt worden? Und wo bleibt die Schamesröte in den Gesichtern der Demokraten in Sachsen? Passen wir auf, wen wir wählen!

Es gibt kein richtiges Leben im falschen, sagt Adorno. Fordern wir, dass wir selbst die 500 Euro ausbezahlt bekommen, die es angeblich kostet, eine „Beschäftigungsmöglichkeit“ zu schaffen! Der Betroffene sieht davon nur circa 100 Euro. Warum gründen wir nicht so einen eingetragenen Verein, um an das Geld zu kommen?

Übrigens kann von euren Erben das „HIV“-Geld über zehn Jahre zurückgefordert werden. Wo ist der Sozialstaat? Wo bleibt die Menschenwürde? Herr Robbe, natürlich SPD, fordert mehr Geld für die Bundeswehr, sie brauche neues Gerät für neue Aufgaben. Woher nimmt Hans Eichel das wohl? Ich fordere die Abschaffung der Bundeswehr! Was kostet die Einrichtung der neuen „battle groups“? Weg damit!

Was hilft es uns, wenn Jürgen Habermas den diesjährigen Kyoto-Preis bekommt, die Politiker aber nicht lesen können oder wollen oder das, was sie vielleicht lesen, aber nicht verstehen, keinesfalls umsetzen? Immerhin herzlichen Glückwunsch, Jürgen!

Roland Springborn (parteilos)

 

Unsanfte Türsteher beim
AWO-Bundeskongress

Die zwölfte Montagsdemo umfasste wieder circa 150 Menschen. Erstmals nahmen daran auch einige junge Punks teil, die bei ihrem Auftreten mit Bierflasche in der Hand nicht immer ein gutes Bild boten. Ältere Teilnehmer sind verschiedentlich mit diesen Jugendlichen ins Gespräch gekommen, um sie für ein alkoholfreies, anders geartetes Auftreten zu gewinnen, denn Wut im Bauch haben wir alle.

Auf der Kundgebung mit offenem Mikrofon wurde eine Resolution für die Rücknahme der Kündigung der beiden Opel-Kollegen verlesen und angenommen. Wieder sprachen einige zum ersten Mal am Mikrofon.

Während der Woche war das Bremer Bündnis gegen Sozialkahlschlag und Bildungsabbau aktiv gewesen: mit Transparenten und Flugblättern vor dem Bremer Rathaus, zu einem Empfang von städtischen Betriebsräten durch den Senat und auf dem AWO-Bundeskongress. Beim Eintreten dort in den Saal mit Protestrufen gegen die Ein-Euro-Jobs zeigten die AWO-Türsteher, dass sie auch recht unsanft mit Menschen umgehen können. Gespräche mit einzelnen Delegierten zeigten, wie gespalten einige Delegierte bei den Ein-Euro-Jobs anscheinend sind, aber auch, dass sie den massiven Abbau von Vollarbeitsplätzen zugunsten der Ein-Euro-Jobs klar sehen. Eine Großstadt in Rheinland-Pfalz brüstet sich bereits, 60 Planstellen zugunsten dieser neuen „Sparmöglichkeiten“ abgebaut zu haben.

Rote Fahne News

 

Nur wenige Hundert
Demonstranten in Berlin

In Berlin hat es am Abend erneut Proteste gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV gegeben. An zwei Kundgebungen beteiligten sich jedoch nur wenige Hundert Menschen. Zu Beginn der Aktionen im August waren noch mehr als 15.000 Demonstranten auf die Straße gegangen.

Im festgefahrenen Tarifkonflikt bei Volkswagen bemühen sich Gewerkschaft und Arbeitgeber um eine Lösung. In Hannover begann die sechste Runde der Tarifgespräche für die 103.000 VW-Beschäftigten in Westdeutschland. IG-Metall-Bezirkschef Meine erklärte, er hoffe auf eine Annäherung der Standpunkte. VW-Verhandlungsführer Senn äußerte sich ebenfalls zuversichtlich.

Das Unternehmen will bis 2011 seine Arbeitskosten um zwei Milliarden Euro senken. Von den Beschäftigten wird daher eine zweijährige Nullrunde verlangt. Die IG Metall fordert eine Beschäftigungsgarantie sowie zwei Prozent mehr Lohn und Gehalt. Bundespräsident Köhler rief die Tarifparteien zu einer raschen Einigung auf. Alle hätten ein Interesse daran, dass der Konflikt bei Volkswagen möglichst bald beigelegt wird, sagte Köhler bei einem Besuch in Hannover.

Bei der Deutschen Bahn haben die Verhandlungen über ein neues Beschäftigungsbündnis erste Ergebnisse gebracht. Bei einem Spitzengespräch in Frankfurt am Main erklärte sich der Konzern-Vorstand bereit, bis zum Jahr 2010 auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Zunächst sollte die Garantie nur bis 2008 gelten. Das Unternehmen rückte aber nicht von seinem Kurs ab, die Arbeitskosten für die rund 150.000 Bahn-Mitarbeiter um zehn Prozent zu senken. Diese Forderung halten die Gewerkschaften für nicht akzeptabel. Beide Seiten wollen am 24. November in Berlin erneut zusammenkommen. Der bisherige Beschäftigungspakt läuft Ende dieses Jahres aus.

Die Arbeitgeberverbände haben Tarifvereinbarungen kritisiert, die Bonus-Leistungen für Gewerkschaftsmitglieder vorsehen. Ein Sprecher von Gesamtmetall sagte in Berlin, das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit im selben Betrieb dürfe nicht verletzt werden. In der „Berliner Zeitung“ nannte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Göhner, entsprechende Regelungen abwegig und verfassungswidrig. Die IG Metall hat in Nordrhein-Westfalen etwa ein Dutzend einzelbetriebliche Verträge abgeschlossen, bei denen Gewerkschaftsmitglieder Sonderkonditionen erhalten. Dazu zählten ein höheres Entgelt, mehr Urlaub oder eine bessere Altersvorsorge.

Deutschlandradio“ am 1. November 2004
www.Bremer-Montagsdemo.de – 17:30 Uhr am Marktplatz