1.2.2007

Die meisten Bagis-Bescheide sind falsch
Rechnungshofbericht zeigt gravierende Mängel auf / Träger wollen am Montag über Lösungen reden

Von unserem Redakteur
Bernd Schneider

 
 
Foto: Jochen Stoss
   
BREMEN. Der Landesrechnungshof hat gravierende Schwächen bei der Bagis (Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales) aufgedeckt. Er hat 335 zufällig ausgewählte Fallakten geprüft und "eine Fehlerquote von rund 58 Prozent" festgestellt. Allein bei den Kosten für die Unterkunft habe das zu Mehrausgaben in Millionenhöhe geführt."Arbeitsorganisation und Verwaltungsverfahren" weisen "erhebliche Schwächen auf", heißt es in dem Bericht.

Nebenkosten wurden falsch oder nicht nachvollziehbar berechnet, es wurde mehr als die tatsächliche Miete gezahlt, die angemessene Miete war fehlerhaft berechnet, Einkommen, etwa aus Minijobs und Untervermietung, wurden gar nicht oder falsch angerechnet. Die falsche Berechnung von Heiz- und Warmwasserkosten, die voll zu Lasten Bremens gehe, macht ein Drittel aller Fehler aus. Fast jeder fünfte geprüfte Empfänger habe mehr Geld für Heizkosten bekommen als ihm zusteht. So seien 1,4 Millionen Euro zu viel gezahlt worden.Unterhaltsansprüche wurden fast nie geprüft - weder bei Alleinerziehenden mit Kindern noch bei dauernd getrennt lebenden oder geschiedenen Ehepaaren.

Was das den Steuerzahler gekostet hat, lässt sich kaum nachvollziehen, heißt es im Bericht. Und weiter: "In einem Fall konnte nachträglich die Höhe der Überzahlung ermittelt werden. Sie betrug für sieben Monate 7246,35."Zudem bestehe "die Gefahr, dass fiktive Ansprüche im System aufgebaut und Beträge veruntreut werden". Mitarbeiter könnten "in alleiniger Verantwortung" und ungeprüft Datensätze bearbeiten und ändern, auch Barauszahlungen. Diese stellen "ein hohes Risikopotenzial dar", heißt es in dem Bericht. Oft hätten Beschäftigte Fälle bis zur Barauszahlung komplett eigenständig bearbeitet.

Um welche Summen es dabei gehen kann, macht der Bericht an einem Beispiel deutlich: In einem Fall seien an einem einzigen Tag fast 450 Euro überwiesen und zusätzlich 1500 Euro bar ausgezahlt worden.Was viele Bagis-Beschäftigte besonders interessieren dürfte, die von sperrigen Arbeitsabläufen genervt sind: Der Rechnungshof moniert die Fallbearbeitung in "Teams" von zwölf bis 15 Mitarbeitern. Zuständig für eine Akte sei nicht ein einzelner Sachbearbeiter, sondern das ganze Team.

Folge: Der Arbeitslose habe es "mit häufig wechselnden Ansprechpartnern zu tun", die sich immer wieder neu in den Fall einarbeiten müssten. Aus den Unterlagen sei zudem "häufig nicht ersichtlich, wer den Fall zuletzt bearbeitet hat und verantwortlich ist". Akten seien teils unübersichtlich, teils unvollständig und oft nicht nachvollziehbar gegliedert. Arbeits- und Zeitaufwand für die Fallbearbeitung würden so unnötig erhöht.Altbekannt, aber längst nicht gelöst, sind die Probleme mit dem bundesweit eingesetzten Computerprogramm "A2LL".

Es weise nach wie vor "erhebliche systembedingte Mängel" auf und müsse als "Arbeitshemmnis erster Güte" angesehen werden. Bestimmte Fallkonstellationen könnten gar nicht direkt eingegeben werden, eine Dokumentation für "Umgehungslösungen" für die Mitarbeiter umfasse inzwischen über 100 Seiten. Fast scheine es sinnvoll, die Software komplett neu zu programmieren, statt sie immer weiter umzuarbeiten."Wir sind dabei, die Qualität der Arbeit bei der Bagis zu verbessern", sagte Sozialstaatsrat Joachim Schuster. Ab April solle ein eigener Prüfdienst aus dem Sozialressort bei der Bagis den Sachbearbeitern auf die Finger gucken.

Zwei bis drei Fachleute sollen so auf Schwächen hinweisen und kontinuierlich Verbesserungsvorschläge einbringen. Zudem sei sich das Ressort im Klaren darüber, "dass wir Verwaltungsanweisungen klarer machen müssen".Die Bagis wirbt um Verständnis für ihre Lage: Nach der mühseligen Aufbauarbeit in den ersten zwei Jahren seit Einführung der "größten Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik" habe man vieles abgearbeitet. Mitarbeiter seien dabei im laufenden Betrieb geschult worden, die teils aus Bereichen fern der komplizierten Sozialgesetzgebung stammten.

Dennoch sind viele Beschäftigte nicht ausreichend qualifiziert, die Qualitätssicherung sei mangelhaft, moniert der Rechnungshof. Einer der Gründe: Viele Bagis-Beschäftigte haben befristete Verträge, die Bundesagentur für Arbeit - mit der Stadt Bremen Träger der Bagis - gewährt kaum Anschlussverträge. Seit Bestehen der Bagis ist schon ein Drittel des Personals ausgetauscht worden. Mit jedem, der geht, so kritisieren Insider, verliere die Bagis Erfahrung und Kompetenz. Montag tagt die Bagis-Trägerversammlung. Thema, so wird versichert, ist auch der Rechnungshofbericht.

Nach der Kritik des Rechnungshofes an der Bagis, zuständig für die Umsetzung von Hartz IV, fordert die Opposition einen Kurswechsel. "Arbeitslose brauchen soziale Sicherheit und eine optimale Beratung, damit sie auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen können", sagte die Grüne Silvia Schön. Dazu seien unter anderem feste Ansprechpartner nötig. Außerdem müsse die Bagis "nach zwei Jahren nun endlich ihre Computerprobleme in den Griff" bekommen. "Es kann nicht sein, dass sich eine Verwaltung über so lange Zeit mit sich selbst beschäftigt und dabei ihre eigentlichen Aufgaben auf der Strecke bleiben."

Die Kritik des Rechnungshofs an der Bagis entspreche auch den Erfahrungen aus der Arbeitslosenberatung, heißt es bei der Solidarischen Hilfe. "Allerdings vermittelt der Rechnungshof die Botschaft, zu Lasten der Haushaltskasse würden zu viele Leistungen ausgeschüttet." Die Prüfer hätten dabei "die sozialpolitische Dimension" der Bagis-Probleme außer Acht gelassen.In den Beratungsstellen suchten vor allem Menschen Rat, die "um ihnen zustehende Leistungen betrogen" würden. Es gebe "ungerechtfertigte Einschränkungen der Leistung bei Heizung oder Miete". Zudem würden Zahlungen "über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus" gekürzt.Bei der Beurteilung der Bagis müsse die "Sicherung eines menschenwürdigen Lebens" im Mittelpunkt stehen, "nicht die Haushaltslage". Schließlich sei Hartz IV "die unterste Sicherung des Existenzminimums".
© Bremer Tageszeitungen AG



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