Kennen Sie das? Eine Party, ein Treffen unter Freunden, irgendeiner dieser Anlässe und Sie treffen ihn: Einen Arbeitslosen.
Max Weber, der einfältige Unterschichtler, kennt das gut. Allerdings aus der anderen Perspektive. Doch, doch, berichtet er, der Anteilnahme dürfe man sich nach einem kurzen Moment des Erschreckens stets gewiss sein. Was dann aus daraus erwachse, laufe eigentlich immer nach dem gleichen Muster ab.
EDDY RENARD
Phase 1 - Prüfung der Person:
Ja wie lange sind sie denn schon..., was habe Sie denn vorher gemacht..., würden Sie denn auch, also so zum Beispiel als einfacher Verkäufer. Die Leute sind durchaus nicht ohne Wohlwollen, aber eben auch skeptisch. Das Vorgehen lautet: Bevor man sich ein Urteil bildet, will erst geprüft sein, ob er nicht vielleicht doch selbst Schuld, oder sagen wir es etwas freundlicher: mitverantwortlich, sei. Vielleicht ist es ja ein Lebenskünstler, der eigentlich gar nicht so richtig will, oder er ist zu anspruchsvoll, zu schwierig, zu unflexibel. - Der erste Teil der Prüfung ist, so Max, meist gut zu bestehen. Er endet meist mit dem - häufig sogar ausgesprochenen - Eindruck: „Mensch, Sie sind doch ein prima Kerl, haben was auf dem Kasten, stellen sich sicher nicht dumm an und haben keine überzogenen Forderungen, da....“ - und hier stockt auch wieder ganz regelmäßig die Schlussfolgerung. Es folgt
Phase 2 - Prüfung der Methode:
„Eigentlich“, so heiße es dann meistens, „ist es doch nicht zu verstehen, dass jemand wie Sie keine Stelle findet. Sagen Sie mal, wo haben Sie sich denn so beworben? Konzentrieren Sie sich auf bestimmte Branchen? Schicken Sie Arbeitsproben mit, ich meine, das geht ja sicher auch ins Geld ... wie viele Bewerbungen haben Sie denn so geschrieben?“ – „Eigentlich, so denkt sich Max dann meistens, geht Dich das einen feuchten Scheißdreck an. Wer bist Du, dass ich mich hier vor Dir rechtfertigen muss?“ Da Max nicht immer Unterschichtler war, kommt ihm an dieser Stelle seine Erziehung in die quere. Außerdem ist er auf seine Bewerbungen ja durchaus stolz. „Rund 350 Bewerbungen im Jahr, also pro Tag im Schnitt eine,“ gibt er dann doch bereitwillig Auskunft. „Jeweils“, fährt er fort, denn er kennt die übernächste Frage auf der Checkliste ja schon, „mit Anschreiben, Arbeitsproben und kleiner individualisierter Bewerbungswebsite.“ - „Unglaublich“ wird darauf zumeist erwidert. Und man meint das wortwörtlich. Entweder die Zahl wird bezweifelt, oder man mäkelt etwas subtiler an der vermeintlichen Masse herum: „Aber das machen Sie doch sicher in Serienproduktion. Schreiben Sie denn auch individuelle Bewerbungen?“ An dieser Stelle, so Max, fallen ihm gerne Szenen aus Western ein, in denen der Held unberechtigt des Falschspielens bezichtigt wird: „Okay Mister, ich bin ein gutmütiger Mensch. Deshalb gebe ich Ihnen jetzt Gelegenheit, das zurückzunehmen. Ich bin allerdings auch ein Mensch mit einem sehr nervösen Zeigefinger. Und da der grad am Abzug meines 45‘ers liegt, würde ich Ihnen empfehlen. zügig von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.“ Ein schöner Gedanke. Auch deshalb, weil er Max die Zeit verschafft, nicht zum Party-Stimmungskiller zu werden. Denn nun ist höchste Zeit für
Phase 3 - verdrängende Leugnung:
In seiner eingestandenen Einfältigkeit hat Max, der Unterschichtler, lange geglaubt, dass das offensichtliche nicht dauerhaft zu Leugnen sei. Wenn er kompetent, motiviert und flexibel sei, er sich sozialverträglich zeige und viele professionelle Bewerbungen schreibe, so - glaubte er - wäre er doch ein gutes Beispiel, dass es nicht an ihm liege, wenn er immer noch arbeitslos sei. Gut, man müsse den Leuten schon auch sagen, dass 5 Millionen statistisch erfassten zuzüglich rund 2 Millionen statistisch nicht mehr erfassten Arbeitslosen gerade mal 300.000 offene Stellen gegenüber stünden, die noch dazu meist technische Spezialqualifikationen erfordern. Max schlichter Schluss lautet: „Es gibt zu wenig Stellen! Du kannst Dich anstrengen wie Du willst. Es ist wie bei dem Spiel ‚Reise nach Jerusalem. Wenn es für 10 Leute nur 8 Stühle gibt, dann bleiben immer zwei übrig. Oder nicht?“ Er wundere sich noch immer darüber, was für ein Affentanz aufgeführt wird, um dies nicht eingestehen zu müssen. Schon der Satz, dies sei ein gesellschaftliches Problem, löst Abwehrreflexe aus. Stichworte wie Globalisierung, Marktgesetze und der Konkurrenz in Asien fallen. Außerdem, so fügen die politisch Gebildeteren gerne hinzu, sei der real existierende Sozialismus doch nun nachweislich gescheitert. Max denkt sich dann, dass im Osten alles mögliche gescheitert ist, der Versuch, anständige Autos zu bauen, das Westfernsehen zu verbieten, ein Volk durch Vollüberwachung und Mauer dauerhaft unter der Knute zu halten, nur von einem wirklichen Sozialismus, der hätte scheitern können, hatte er eigentlich nie was gesehen. Darüber zu streiten, würde ihn aber zum Spielverderber machen. Zu so einem, der nix gebacken bekommt, und dann noch das Maul aufreißt.
Hier beginnt dann
Phase 4 - Die gut gemeinten Ratschläge:
„Habe Sie schon mal daran gedacht...?“ - „Ein Bekannter von mir hatte ziemlich schnell eine neue Stelle weil...“ - „Probieren Sie doch mal...“ So fängt es meistens an. Ein guter Moment, um zu erwähnen, dass man sowieso mal nach der Gastgeberin schauern wollte...
Auf dem Nach-Hause-Weg denke er oft noch über das Spiel nach. Reise-nach-Jerusalem, das verstehe er. Auch das man dabei keine Spielverderber brauche. Denn wenn man sich hinstelle und fordere, für 10 Leute solle es auch 10 Stühle geben, würde das Spiel nicht mehr funktionieren. Und der Gedanke, dass auf 8 Stühlen - wenn man denn ein bisschen zusammen rückt - ja auch 10 Menschen Platz haben könnten, ist dem Spiel nun wirklich fremd. Dieser Gedanke helfe ihm aber immer wieder nachzuvollziehen, warum man darüber nicht reden wolle. 10 Leute auf 8 Stühlen wäre für die 8, die zuvor schon saßen, deutlich unbequemer. Und wäre es nicht ganz und gar undemokratisch, wenn eine Mehrheit sich den Bedürfnissen einer Minderheit beugen sollte.
Max‘ Überlegungen enden wie so oft mit einer einfachen Frage: Warum eigentlich nicht?