Seit 1. Januar 2005 sind bundesweit »Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung« nach »Hartz IV« eingerichtet worden. Anspruch dieses Sozialgesetzes ist es, Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt wieder einzugliedern. In einer Studie von Irina Vellay, Wolfgang Richter und anderen wird gefragt, ob diese Zielstellungen bisher realisiert werden konnten. Nach einer Analyse der Ein-Euro-Jobs in Dortmund stellt Irina Vellay im ersten Teil des hier veröffentlichten Beitrags fest, daß es sich bei solchen Anstellungsverhältnissen überhaupt nicht um Qualifizierungsmaßnahmen handelt, vielmehr soll die notwendige gesellschaftliche Reproduktion, wie Krankenpflege oder Inschußhalten öffentlicher Parkanlagen, auf diese Weise geleistet werden. Morgen lesen Sie im zweiten Teil von Wolfgang Richter, wie mit Ein-Euro-Jobs der Wohlfahrtsstaat in einen Workfare state umgewandelt werden soll, in dem Arbeit Pflicht ist, um Sozialleistungen auf dem Niveau des Existenzminimums zu erhalten.
Mit der Einführung einer Dienstpflicht zur »gemeinnützigen Arbeit« für alle, die im Rahmen der Warenproduktion überflüssig sind, wird gegenwärtig ein wesentlicher Eckpfeiler des neoliberalen Workfare state etabliert. »Workfare« bezeichnet in diesem Zusammenhang die Pflicht zur Arbeit, um vom Staat, »state«, Sozialleistungen auf dem Niveau des Existenzminimums zu erhalten. Die Zwangsmechanismen in der bürgerlichen Gesellschaft werden erweitert. Ihr Freiheitsversprechen gerät immer mehr in Widerspruch zu einem rigiden Zwangsapparat, bestehend aus zerstörerisch entgrenzten Erwerbsarbeitsverhältnissen und der Dienstpflicht zu »gemeinnütziger Arbeit« für die auf dem Arbeitsmarkt »Überflüssigen«.
Gleichzeitig entstehen gerade in Städten und Regionen Zonen der »Überflüssigkeit«, die weitgehend aus den Kapitalverwertungsprozessen herausfallen, und Zonen verschärfter Ausbeutung mit hohem Renditedruck. Diese Fragmentierung der Gesellschaft erfordert immer mehr direkte Zwangsinstrumente, um den systemischen Zusammenhang in diesem zerfallenden Puzzle aufrechtzuerhalten. Die angeheizten Existenzängste der Menschen führen zu mehr Gewalt in der Gesellschaft und werden wiederum mit verschärfter staatlicher Repression beantwortet. In dieser Phase des Zerfalls kommt den Ein-Euro-Jobs auf dem Weg zu einer allgemeinen Dienstpflicht, einer Pflicht zu »gemeinnütziger Arbeit« eine Katalysatorfunktion zur Absicherung der gesellschaftlichen Reproduktion und der auf direkten Zwang gestützten gesellschaftlichen Integration der »Überflüssigen« zu. Am Beispiel der Ruhrgebietsstadt Dortmund zeigen sich deutlich die Widersprüche zwischen der Lyrik neoliberaler Propaganda, den gesetzlich vorgegebenen Ansprüchen und der realen Umsetzungspraxis in der Kommune.
In offenbar großer Einhelligkeit hatten sich die Akteure der lokalen Arbeitsmarktpolitik zusammengefunden, um Regeln für das neue arbeitsmarktpolitische Instrument der Ein-Euro-Jobs zu entwickeln. Der »Dortmunder Leitfaden zur Umsetzung von Arbeitsgelegenheiten« stellt den »Dortmunder Konsens« zwischen Arbeitsverwaltung, Kommune, Unternehmern und Gewerkschaften dar. Arbeitsgelegenheiten sollen danach als Baustein eines »arbeitsmarktlichen« Gesamtkonzeptes die Eingliederung in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt vorbereiten und dienen dazu, die soziale Integration zu fördern sowie Beschäftigungsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen. Darüber hinaus sollen sie dazu beitragen, »die Qualität im Bereich sozialer Dienstleistungen zu steigern und bestehende gesellschaftliche Problemlagen zu mindern. Die Arbeitsgelegenheiten dienen der Teilhabe an und der Integration in die Gesellschaft und der Wahrung der Menschenwürde.«
Keine Qualifizierungsmaßnahme
Die Vermittlungsquote aus den Arbeitsgelegenheiten in den ersten Arbeitsmarkt liegt in Dortmund nach unseren Beobachtungen bei zirka fünf Prozent und ist damit verschwindend gering. Weitere zirka fünf Prozent können durch den Einstieg in eine »Kettenmaßnahme« in der Förderung gehalten und damit aus der Arbeitslosenstatistik eliminiert werden. Männer sind hierbei offenbar erfolgreicher als Frauen, nicht zuletzt weil sie häufiger eine Berufsausbildung aufweisen.
Es zeichnet sich ab, daß der Übergang aus einem öffentlich organisierten Reproduktionssektor in den ersten Arbeitsmarkt genausowenig umstandslos gelingt wie aus dem privaten Haushalt ohne weitere Ausbildung. Analog zu anderen Formen erzwungener Arbeit ist die Produktivität im Rahmen der Dienstverpflichtung als Ein-Euro-Jobber eher gering. Sie liegt nach Auskünften sozialgewerblicher Träger durchschnittlich bei etwa einem Drittel der marktüblichen Leistung. Da die Arbeitskraft kaum mehr einen Marktpreis aufweist, sondern nur noch einen fiktiven Unterhaltsbedarf hat und ohnehin im Überfluß vorhanden ist, läßt sich die niedrige Produktivität jedoch durch ausgeweiteten Personaleinsatz oder längere Arbeitszeiten kompensieren. Das niedrigere Professionalitätsniveau kann bei weniger komplexen Anforderungen ebenfalls mit einem höheren Zeitaufwand aufgefangen werden. Öffentliche Reproduktionsarbeit erfüllt also zwar das Kriterium der »Zusätzlichkeit« wie des »öffentliches Interesses« – sie ist regelmäßig außerhalb von Warenproduktion und Markt angesiedelt –, sie leistet aber keine Sozialisation als warenförmige Arbeitskraft.
Eine Planung der Weiterbildung für den einzelnen findet nicht statt. Die Qualifizierungsangebote bestehen in Einarbeitung und Durchführung von Alltagstätigkeiten. Ihr überwiegender Teil bezieht sich auf das Einüben von sozialen Tugenden wie Pünktlichkeit, regelmäßiges Erscheinen am Arbeitsort und gewissenhaftes Ausführen übertragener Aufgaben. Ergänzend werden Bewerbungstraining, Erste-Hilfe-Kurse, Sprach- und Alphabetisierungskurse, EDV- und Internet-Grundkenntnisse usw. sowie für Jugendliche Schulabschlüsse und Berufsorientierung angeboten. Fachliche Qualifizierungen, die für berufliche Arbeit unerläßlich sind, fehlen. Allerdings haben die verpflichtenden Bildungsangebote insbesondere bei Migranten den Effekt einer Alphabetisierungskampagne, für die unter anderen Vorzeichen nie Mittel bereitgestellt worden wären.
Demgegenüber nimmt berufliche Ausbildung regelmäßig zwei bis drei Jahre in Anspruch, an die sich in der Biographie auch kürzere ergänzende Weiterbildungen anschließen können. Maximal 120 Stunden Anlernen in einem Tätigkeitsfeld und »Benimmregeln« für Ein-Euro-Jobber ersetzen keine berufliche Ausbildung und eröffnen keine Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt, weil selbst im Niedriglohnsektor bereits 75 Prozent der Beschäftigten über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen.
Die Menschen in Arbeitsgelegenheiten werden als Tätige mit Betreuungsbedarf eingeordnet. Die Vertragsregelungen sind durch das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis mit der Arbeitsgemeinschaft der Arbeitsagentur und der Kommune (ARGE) (als Leistungsträgerin und »Bestellerin« der Arbeitsgelegenheiten), den Maßnahmeträgern (als Leistungserbringern im Rahmen der Arbeitsgelegenheiten) und den Arbeitslosen (als Leistungsbezieher) komplex und wenig transparent. Sie reichen von Leiharbeit über die »Lehrwerkstatt« bis hin zu Quasiarbeitsverhältnissen, bei denen die Ein-Euro-Jobber im üblichen Betriebsablauf der Maßnahmeträger eingesetzt werden. Das Hauptkennzeichen der »neuen« Arbeitsbeziehungen ist die Unausgesprochenheit der vertraglichen Situation.
Asymmetrisches Vertragsverhältnis
Die Träger von Arbeitsgelegenheiten treten den Ein-Euro-Jobbern wie Unternehmen gegenüber, ohne daß dies den realen Vertrags- und Rechtsverhältnissen entspricht. Teilweise wird in den »Vereinbarungen« zwischen Trägern und Ein-Euro-Jobbern sogar von Direktionsrecht gesprochen. Dadurch wird verschleiert, daß im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis der Maßnahmeträger gegenüber den Ein-Euro-Jobbern die Leistung zu erbringen hat und nicht umgekehrt. Letztere sind Teilnehmer an der Maßnahme und sollen mit deren Abschluß besser für den ersten Arbeitsmarkt qualifiziert sein. Dieses Ziel läßt sich anhand der uns vorliegenden Vereinbarungen zum »berufspraktischen Einsatz in Arbeitsgelegenheiten« nur schwer nachvollziehen. Die inhaltliche Ausgestaltung der einzelnen Maßnahme und damit zu erreichende Ziele sind nur vage beschrieben und die Leistungen der Träger hierzu bleiben weitgehend unbestimmt. Teilweise wird nicht einmal der Einsatzort oder der durchführende Kooperationspartner benannt. Der konkrete Bezug der angebotenen Maßnahme zur Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt wird durchweg nicht thematisiert. Man spricht zwar von einem »berufspraktischen Einsatz«, dieser findet jedoch häufig außerhalb der eigentlichen Arbeitswelt und ohne Leistungsanforderung jenseits der Anwesenheitspflicht statt. Besonders ausführlich sind die von den Ein-Euro-Jobbern einzuhaltenden Regeln und ihre Pflichten in den Vereinbarungen mit den Maßnahmeträgern dargestellt. Ähnlich asymmetrisch ist das »Kündigungsrecht« ausgestaltet. Die Vereinbarungen zwischen Maßnahmeträgern und Ein-Euro-Jobbern können innerhalb von zwei Wochen oder sogar jederzeit ohne Begründung gekündigt werden. Der Ein-Euro-Jobber kann faktisch nicht kündigen – schon gar nicht ohne Begründung–, ohne Gefahr zu laufen, wegen des Bruchs der Eingliederungsvereinbarung mit der ARGE Leistungskürzungen hinnehmen zu müssen. Teilnehmer können eine Maßnahme allenfalls abbrechen und sind dafür der ARGE Rechenschaft schuldig. Bei nicht vertragskonformem Verhalten drohen den Ein-Euro-Jobbern Sanktionen, die aktuell noch einmal verschärft werden. Für die ARGE hingegen bleibt dies folgenlos. Diese Aberkennung der Vertragsfreiheit und des Status als selbständig handelndes Vertragssubjekt wird begleitet von einer »Befehls- und Gehorsamsstruktur«, widergespiegelt im Verwaltungsakt. Der Ausschluß von formalisierter Interessenartikulation z.B. durch Personal- oder Betriebsräte verweist die Ein-Euro-Jobber auf informelle Strategien und Bittstellerei, um über persönliche Beziehungen zu den Sachbearbeitern Zugang zu »freiwilligen« Leistungen der ARGE, Berücksichtigung der eigenen Wünsche oder Schutz vor Sanktionen bei Ermessensfällen zu erlangen.
Die rechtlose Situation der Ein-Euro-Jobber führt in den prekarisierten Verhältnissen zu Entgrenzungen in den Arbeitsbedingungen. Vor allem private Träger ohne entwickelte betriebliche Arbeitsbeziehungen – viele erst in den letzten Jahren unter neoliberaler Prägung entstanden– nutzen Ein-Euro-Jobber zur Gewährleistung ihres Tagesgeschäfts und zur Absicherung des zum Teil hohen Wachstums des Vereins. Sie müssen über die festgelegte Arbeitszeit von maximal 30 Stunden wöchentlich in erheblichem Umfang unbezahlte Überstunden leisten. Das können durchaus bis zu 30 Stunden sein, die oft umstandslos zum Ehrenamt erklärt werden. Ein Freizeitausgleich ist äußerst schwierig. Die zusätzliche Arbeit gilt als »Dankeschön« an den Verein. Hinzu kommt eine extreme Flexibilisierung des Arbeitstages. So werden in einer noch jungen sozialen Einrichtung Arbeitstage von bis zu 17 Stunden oder auch mehrfach aufgesplittete Arbeitsphasen über den Tag verteilt verlangt. Unausgesprochen gilt eine Rufbereitschaft, falls andere Mitarbeiter ausfallen. Ähnlich der Allverfügbarkeit der Hausfrau soll der Ein-Euro-Jobber ständig für die Bedürfnisse der Träger bereitstehen, immer gut gelaunt sein und den Dresscode beherrschen.
Die Umsetzung der Dienstverpflichtung orientiert sich insbesondere an der Verwendungsfähigkeit bzw. der »Verwertbarkeit« der Menschen und stützt sich dabei vor allem auf die vorhandenen Erfahrungen und Kenntnisse. Entsprechend werden den Jugendlichen wie den Erwachsenen geschlechtsspezifische Angebote gemacht, die die traditionellen Rollenzuschreibungen verfestigen. Das »Stärken und Schwächen«-Profiling arbeitet ein solches Muster vorhandener verwertbarer Kompetenzen heraus. So landen z. B. in der Kostümschneiderei eines Trägers ausschließlich junge Frauen zur beruflichen Orientierung. Andererseits werden in der Grünpflege wie beim öffentlichen Müllaufsammeln oder im Garten-, Land- und Baubereich überwiegend Männer eingesetzt.
Welche Schlußfolgerungen lassen sich ziehen, wenn die vorliegenden Ergebnisse so wenig den erklärten Zielstellungen entsprechen? Als arbeitsmarktpolitisches Instrument sind die Ein-Euro-Jobs faktisch wirkungslos – sie schönen nur die Erwerbslosenstatistik. Soziale Integration in und Teilhabe an einer Warengesellschaft kann nur zu dem Armutsniveau des Arbeitslosengeld II und der Maßgabe bedingungslosen Gehorsams angeboten werden. Auch wenn jeder heute weiß, daß Gehorsam keine gute Ausrüstung ist, um sich in einer komplexen Gesellschaft erfolgreich zurechtzufinden. Der Anspruch, die Qualität im Bereich sozialer Dienstleistungen zu steigern und bestehende gesellschaftliche Problemlagen zu mindern, läßt sich ohnehin mit ungelernter Arbeit kaum angemessen erfüllen. Die Untersuchungsergebnisse und die aufgedeckten Widersprüche weisen daher eher in eine andere Richtung.
Ausweitung unbezahlter Tätigkeit
Die sogenannte Hausfrauisierungsthese von Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies und Claudia von Werlhof erfährt ganz offenbar nach mehr als 20 Jahren eine späte Bestätigung in den Kernländern des Kapitalismus: »Die Hausfrau ist der klassische Nichtlohnarbeiter, deren Arbeit dennoch vom Kapital angeeignet wird. Nach diesem Modell teilt der Kapitalismus alle Arbeit auf in Lohnarbeit und Nichtlohnarbeit. Weltweit ist diese Nichtlohnarbeit oder hausfrauenähnliche Arbeit die allgemeinste Basis der Kapitalakkumulation. Das Charakteristikum dieser Arbeit: Sie wird angeeignet, nicht gekauft. Darum nimmt auch diese Arbeit in der Krise zu, nicht die Lohnarbeit.« Und: »Je mehr Arbeitskraft durch Technik verdrängt wird, desto mehr werden Menschen nicht etwa absolut ›überflüssig‹, sondern desto mehr ist das System darauf angewiesen, auf andere Weise, in anderen Bereichen menschliche Arbeitskraft zum Einsatz zu bringen, und zwar möglichst massenhaft.«1
In dieser Ausgangslage wundert es nicht, daß die »Hausarbeit« auch für Reproduktionsaufgaben in öffentlicher Verantwortung entdeckt wird. Die neoliberale Restrukturierung der Gesellschaft ist in der Sphäre der Reproduktion angekommen. Die Pflicht zur »öffentlichen Hausarbeit« bildet eine wesentliche Stütze bei dem Versuch, die entfaltete Krise der Gewährleistung gesellschaftlicher Reproduktion zu bearbeiten.
Dennoch ist »Hausarbeit« bis heute ein Reizwort: Die unbezahlte Arbeit zur Versorgung der eigenen Alltagsbedürfnisse wie die der Familie in privaten Haushalten ist im gesellschaftlichen Ansehen auf der untersten Stufe angesiedelt. Die Abhängigkeit der Hausfrau vom Familienernährer ist lediglich mit einem Anspruch auf Unterhalt, ein dem Haushaltseinkommen angemessenes Taschengeld und eine über die Ehe abgeleitete Sozialversicherung verknüpft. Im Gegenzug wird die eigene Arbeitskraft nahezu unbegrenzt im Haushalt und zur Betreuung von Kindern oder auch Eltern zur Verfügung gestellt.
Die Umsetzung der Dienstverpflichtung in den Ein-Euro-Jobs weist deutliche Analogien zu der gesellschaftlichen Konstruktion der »Hausfrau« auf: Das Hauptaufgabenfeld ist Reproduktionsarbeit in der Pflege und Betreuung von Menschen wie Kindererziehung und Altenpflege, sind Reparaturen und der Unterhalt öffentlicher bzw. öffentlich-rechtlicher Einrichtungen und Anlagen, sind hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Kochen, Aufräumen und Putzen. Die Dienstverpflichteten erhalten Unterhalt und Mehraufwandsentschädigung statt Lohn oder Gehalt. Sie werden für die Tätigkeiten, die sie ausüben, nicht ausgebildet, sondern nach Bedarf im Alltagsvollzug angelernt und erwerben aus der Dienstverpflichtung keinen eigenen Rentenanspruch. Der reglementierte Unterhalt des ALG II wird im Alter zum Sozialgeld als Grundsicherung (soweit kein eigenes Vermögen oder ältere Rentenanwartschaften bestehen).
Hausarbeit im öffentlichen Raum
»Hausarbeit« im öffentlichen Raum paßt nahtlos in das Konzept der neoliberalen Stadt mit ihrem Entertainmentcharakter für die Besitzbürger und den möglichst unsichtbaren »Rückseiten« für die neuen Dienstboten. Sie ist eine weitere Facette öffentlicher Ordnungspolitik, die in besonderer Weise symbolisch die Handlungsfähigkeit des Staates unterstreicht.
»Hausarbeit« im öffentlichen Raum bedeutet für die befragten Mitarbeiter von sozialen Trägern und der ARGE Dortmund Aufsicht und Ordnung halten, Reinigung und Grünpflege. Wie mit Hausarbeit wird man mit diesen Tätigkeiten nie fertig. Die Wahrung öffentlicher Ordnung ist das bestimmende Thema. Diese Bemühungen, eine saubere und von sozialadäquatem Verhalten geprägte Umgebung zu schaffen, werden von den Bürgern der Stadt positiv wahrgenommen und vermitteln den Eindruck von sozialer Stabilität. Entsprechend der Logik der Gebrauchssphäre wird von den befragten Experten vorgeschlagen, die »Bedürfnisse der Stadt« zum Fokus »öffentlicher Hausarbeit« zu machen. Umgekehrt kann mit einer solchen gemeinnützigen Anforderung dem Bedürfnis vieler bislang ausgegrenzter Menschen nach sozialer Beachtung entsprochen werden.
Zur Wahrung der Hierarchie zwischen Lohnarbeit und Dienstverpflichtung ist es jedoch notwendig, diese Tätigkeiten gegenüber der Lohnarbeit als minderwertig zu kennzeichnen. Anders als im »Arbeitshaus« früherer Zeiten werden solche Tätigkeiten im Dienste der Stadt und ihrer Infrastrukturbetriebe öffentlich ausgestellt. Die modernen Dienstboten dürfen und sollen als »Ordnungsgeister« im öffentlichen Raum anwesend sein und erfahren so statusbezogen soziale Anerkennung ihrer Existenz. Dabei treten »Dienen und Bedientwerden« als soziale Platzanweiser in der Gesellschaft wieder deutlich hervor. Mit der »Uniform« als Arbeitskleidung und Dresscode für die Hilfskräfte in kommunalen Diensten wird den Ein-Euro-Jobbern überdies das den von staatlicher Unterstützung unabhängigen Bürgern zugestandene Privileg der Individualität genommen. Die »Uniform« ist Ausdruck eines besonderen Zwangs, sich regelgerecht in der Öffentlichkeit zu verhalten.
Hieran zeigt sich die Ambivalenz dieser Konzeption in einer Gesellschaft, in der soziale Anerkennung und Macht über Geld verteilt werden. Niemand soll etwas ohne »Leistung« bekommen. Das würde das Prinzip der Leistungsgesellschaft untergraben. Daher wird als verbreitete öffentliche Meinung kolportiert, daß es gerecht sei, wenn man nichts ohne Gegenleistung bekommt. Andererseits darf es für gemeinnützige Arbeit nur ein Taschengeld sein. Für die Ein-Euro-Jobber bleibt dieses »Angebot zur Reintegration« zwiespältig. Sie müssen »öffentlich« unter Beweis stellen, daß sie bereit sind, auch zu sehr schlechten Konditionen zu arbeiten, um sich auf unterster Stufe als würdige Mitglieder der Gesellschaft zu erweisen.
Die Arbeitsgelegenheiten sind im Sozialgesetzbuch II als arbeitsmarktpolitisches Instrument konzipiert. Sie sind daher in ihren Wirkungen auf den Arbeitsmarkt zu beurteilen und dürfen auch nicht für andere, z. B. sozialpolitische oder fiskalische Zwecke der Kommunen genutzt werden. Die Realität ist jedoch eine völlig andere. In der Alltagspraxis der Kommunen werden die Widersprüche eher situativ, also pragmatisch im Tagesgeschäft bearbeitet. Die Kommunen sehen sich wie die anderen lokalen Akteure der Wohlfahrtspflege, Unternehmer oder Gewerkschaften mit der noch kaum abzuschätzenden Herausforderung konfrontiert, daß der von ihnen unverstandene neue Sektor öffentlich mittels Zwang regulierter unbezahlter Arbeit vielfältige Rechts- und andere komplexe Probleme erzeugt.
So tritt die Konstruktion von Über- und Unterordnung im öffentlichen Recht bei den Ein-Euro-Jobbern an die Stelle formal gleicher Vertragsparteien und etabliert ein Patronatsverhältnis. Die ausgeprägte Asymmetrie zwischen den Ein-Euro-Jobbern und der staatlichen Gewalt erlaubt den direkten Herrschaftszugriff auf die Betroffenen und verweist damit auf eine gesellschaftliche Verfaßtheit außerhalb der Warenproduktion. Arbeitsbeziehungen in solchen Kontexten gleichen einem Dienstverhältnis hausrechtlicher Art vorkapitalistischer Zeit. Zudem wird das System einer nicht bedarfsdeckenden Regelleistung durch ein Versorgungssystem entwerteter, »überflüssiger« Lebensmittel und Gebrauchsgüter (das »Tafelmodell«) ergänzt. Diese in noch unscharfen Konturen bereits aufscheinende gesellschaftliche Zone ohne Wertgesetz, reguliert über unmittelbare Herrschaft, eröffnet offenbar einen Weg, die anvisierte drastische Ausgrenzung der Überflüssigen vom Warenkonsum beherrschbar zu halten. Der Transfer des »Hausarbeitsverhältnisses« in die öffentliche Sphäre, von der privaten in die öffentliche Abhängigkeit und Unterwerfung, erlaubt die Absorbierung der für die Warenproduktion überflüssigen Menschen und deren Instrumentalisierung für die gesellschaftliche Reproduktion.
1 Claudia von Werlhof/Maria Mies/Veronika Bennholdt-Thomsen: Frauen, die letzte Kolonie – Zur Hausfrauisierung der Arbeit, Reinbek 1983, S. 8 und S. 128
Unsere Autorin, Irina Vellay (Tischlerin, Dipl.-Ing.), forscht zu unbezahlter Arbeit und Stadtentwicklung. Sie ist Mitautorin der Studie »Der Workfare State – Hausarbeit im öffentlichen Raum?«, Dortmund 2006