Zu einer ersten Kundgebung aufgerufen hat das „Bremerhavener Aktionsbündnis Montagsdemo“. „Es ist Zeit, im Armenhaus des Landes Bremen Flagge zu zeigen“, heißt es in der Erklärung des Zusammenschlusses von „Unabhängiger Wählervereinigung“, „Pro-Bürger-Partei“ und der Bürgerinitiative „Projekt Neue Wege“. Die Demonstranten fordern neben Nachbesserungen bei Hartz IV auch den Erhalt der Werft-Arbeitsplätze bei SSW. Die Kundgebung beginnt um 18 Uhr auf dem Fritz-Reuter-Platz.
Am „Bremer Bündnis gegen Sozialkahlschlag und Bildungsabbau“ sind
Aktivistinnen und Aktivisten aus verschiedenen Bereichen –
sozialen Projekten, Gewerkschafts- und Friedensbewegung,
Erwerbsloseninitiativen, politischen Organisationen – und
Einzelpersonen beteiligt. Anlässlich der wöchentlichen Proteste in vielen
Städten rufen wir seit dem 16. August 2004 auch in Bremen zur
Montagsdemonstration auf. Bei den ersten zwei Veranstaltungen hatten wir sowohl
mit Widrigkeiten zu kämpfen als auch Erfolge zu verbuchen.
Unsere Moblisierung gegen den Sozialkahlschlag ist gleichzeitig auch eine gegen die PRO-nahe Bürger-Initiative „Aufrechter Gang“, die mit allerlei Unappetitlichem im Hintergrund („Weg mit sozialen Hängematten“, „Sozi für alleinerziehende Frauen schädigt die Familie“) ihre eigene Montagskundgebung veranstalten wollten. Das ist ihnen nicht gelungen, da sich die immer mehr werdenden Teilnehmer(innen) unseren Aufrufen, Inhalten und der Demo an den vergangenen zwei Montagen angeschlossen haben.
Wir werden auch in den nächsten Wochen in Bremen mobilisieren: zur Demonstrationen gegen Hartz IV und Agenda 2010, immer montags um 17:30 Uhr auf dem Markplatz. Unser Anliegen ist es, dass auf den Montagsdemos diejenigen zu Wort kommen, die von Sozialkürzungen und Verdrängungspolitik durch Hartz IV, Agenda 2010 und anderen „Reformen“ sowie steigenden Lebenserhaltungskosten betroffen sind. Es geht um Milliardensummen, die den Sozialfonds entzogen werden und die das Lebensniveau von vielen hier lebenden Menschen senken sollen.
Die „Sparpolitik“ und der Versuch, den ständig wachsenden Reichtum für wenige zu reservieren, hat viele Gesichter: Für die einen bedeutet es eine gravierende Einschränkung bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, für die anderen hemmt es die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Für wieder andere bedeutet es die Vernichtung der bisherigen Existenz. Wenn zum Beispiel eine Abschiebung mit dem Hinweis auf knappe öffentliche Kassen begründet wird, ist das eine extreme und zynische Form der Existenzbedrohung.
Vielen tritt die Verteidigung des Reichtums in Gestalt eines Bollwerks, als „Festung Europa“, gegenüber. Gegen diesen in der Geschichte der Bundesrepublik bisher nicht dagewesenen Sozialangriff rufen wir auf, sich zur Wehr zu setzen. Die Montagsdemos können ein Anfang dafür sein, die Kursbestimmung nicht einer selbsternannten Elite zu überlassen, sondern uns wieder mehr in Politik einzumischen, sie verstärkt in die eigenen Hände zu nehmen und gemeinsam darüber nachzudenken, wohin die Reise gehen soll.
Dass Politiker nichts taugen, ist bekannt! Politik wird bloß für die Reichen
gut gemacht, für die Armen wird sie nur schlecht erbracht!
Die Reichen schweben auf „Wolke sieben“, die Armen sollen die Armut lieben! Dass wir zu dumm seien, um zu begreifen, muss erst noch in unseren Köpfen reifen!
Wir seien zu dumm und auch zu faul, wir hätten ja bloß ein großes Maul! Das Wirtschaftswunder kommt nicht von alleine: Steht auf und stellt was auf die Beine!
Unsere Politiker hinterlassen uns ein Armenhaus und machen sich da gar nichts draus! Unsere Politiker müssen nicht von Sozialhilfe leben: Wie schön ist doch ein Politiker-Leben!
Und haben sie auch ganz und gar keinen Schimmer, tun sie doch, als wären sie die Schlausten immer! Nun aber haben wir die Nase voll und zeigen lauthals unsern Groll!
Uns passt es nicht, was ihr da treibt, was ihr so habt und was ihr zeigt! Ihr nehmt noch den Kleinen die Butter vom Brot, und Arbeitslose schickt ihr in Not!
Den Blinden nehmt ihr das Blindengeld! Was ist das für eine Politikerwelt? Die Blinden hätten sogar zu viel zum Leben, ihnen reiche doch die Sozialhilfe eben!
Die Politiker machen alle Blinden ärmer und folglich auch vor Wut kochend und wärmer! Die Kinder, Jugendlichen, Armen, Kranken, Schwachen haben bei dieser Politik nichts mehr zu lachen!
Wir haben so viele Verlierer wie noch nie, drum zwingen wir die Politiker auf die Knie! Was sollen wir mit Politikern ohne Verstand? Nehmt euren Hut, verlasst auch das Land!
Ihr habt zu viel gelogen, betrogen und gestohlen! Woher wollt ihr unser geklautes Rentengeld holen? Wann kriegen die Rentner das geklaute Geld zurück? Politiker, ihr lügt uns nur was vor, Stück für Stück!
Milliarden habt ihr den Rentnern geklaut! Wer hat eure Lüge damals geglaubt? Zurückzahlen wolltet ihr, Stück für Stück! Wir warten heute noch auf unser Glück!
Wer so viel lügt und die Armen bescheißt, der braucht nicht zu glauben, dass man ihn preist! Die bestohlenen Rentner sterben dahin! Hat Beitragszahlung noch einen Sinn?
Warum hat man das Geld nicht „oben“ geklaut? Hat man sich etwa dort nicht getraut? Glaubt man, die da „unten“ verstünden das nicht, sie hätten keine Berater von teurem Gewicht?
Doch habt ihr schon einmal daran gedacht: Wir fordern das Geld zurück, mit all unsrer Macht! Wir glauben euch fortan kein einziges Wort und versammeln uns darum an diesem Ort!
Milliarden vergeudet ihr heute noch und jammert laut über das Rentenloch! Wir sind enttäuscht von den Beratern und euch auch, denn ihr denkt alle nur gierig an euren Bauch!
Doch endlich werden wir jetzt wach und machen auf der Demo Krach! Politiker, hört uns nur zu, wir lassen euch nicht mehr in Ruh!
Macht ihr weiter solchen Brei, landet doch noch mal ein Ei! Das hätte dann sogar einen guten Zweck: Es wären gleich tausend Arbeitslose weg!
Die „Ich-AG“ wäre sehr im Kommen, würde Eierwerfen ernst genommen! Doch ärgert euch nicht und kriegt nicht die Krätze: Politiker, schafft neue Arbeitsplätze!
Der „Spiegel“ betreibt im Internet
ein Diskussionsforum, worin uns fast jeder sagen darf, was er über
die Arbeitsmarktreform denkt. Zum Beispiel schreibt ein Herr
Bruno Boskop in Redebeitrag Nummer 1290 vom 10. August 2004: „Wer nicht
arbeiten will, dem sollte gehörig in den Hintern getreten
werden!“
Meinen Antwortbrief hat der „Spiegel“ nicht gebracht. Er lautet: Verehrter Herr Boskop! In einem Nebensatz bringen Sie hier eine weitverbreitete, sehr deutsche, nichtsdestoweniger entsetzliche Geisteshaltung auf den Punkt: Die Überzeugung, man müsse den Verlierer immer weiter erniedrigen, beginnend damit, dass man ihm schlechte Absichten unterstellt und ihm abspricht, sich wie alle andren Menschen nützlich machen zu wollen, um für sein Tagewerk Anerkennung zu bekommen.
Wie findet man heraus, ob jemand etwa nicht arbeiten will? Längst haben zu diesem Zweck die Fürsorgeämter das Marterbesteck des fingierten Vorstellungsgesprächs ersonnen, bei dem das tatsächliche Vermitteln eines der knappen Plätze bloß die zweitbeste Lösung ist, weil es in Wirklichkeit um das Überprüfen des Arbeitswillens eines Hilfeempfängers geht: Ein überführter Arbeitsunwilliger kostet nämlich noch weitaus weniger als ein Straßenkehrer oder Abfalltrenner!
Angeboten wird irgendein Drecksjob, den der Vermittler selbst im Leben nicht annehmen würde, da er schließlich eine Ausbildung hat. Wehe dem Vorgeladenen, der mit der Wimper zuckt oder durchblicken lässt, dass er solch einen – Entschuldigung – Scheiß nur ungern täte, anstatt nun dem Vermittler, dankbar für diesen Ausweg aus der Hölle der Arbeitslosigkeit, gleich die Füße zu küssen!
Wer jetzt nicht ja sagt, dem wird die Unterstützung gestrichen, so einfach geht das. Damit ist er ausgestoßen aus dieser Gesellschaft und kann sich bloß noch bei Verwandten und Bekannten durchschnorren, bis ihn keiner mehr leiden mag. Ich versichere Ihnen, lieber Herr Boskop: Wenn die Behörden dieses Landes angefangen haben, Ihnen gehörig in den Hintern zu treten, dann sind Sie binnen kurzer Zeit selbstmordgefährdet.
Mit Ihrer zu Beginn angeführten Bemerkung reden Sie einer Mobbing-Gesellschaft das Wort, die massenhaft seelisch Kranke gebiert. Planmäßiges Unterstellen von Arbeitsunwilligkeit, verbunden mit dem Grundsatz des Kanzlers, zumutbar sei, was dem Gesetz entspricht, bedeutet die künftige Aberkennung jeglicher Bildungsabschlüsse und die Abschaffung der freien Berufswahl. Menschen hingegen, die Jahre und Jahrzehnte an Lebenszeit auf Ausbildung verwendet haben, führt diese Erkenntnis unmittelbar in schwärzeste Niedergeschlagenheit.
Lieber Herr Boskop, wie ermuntern Sie denn Ihre Kinder zum fleißigen Lernen in der Schule, wenn der Arbeitsvermittler ihnen später nur sagen wird: Du nicht schlau reden, du putzen!?
In der Sache jedoch sprechen wir über ein Almosen, über einen Betrag von knauserigen 345 Euro, der den Bedürftigen davon abhalten soll, Mundraub zu begehen. Schamlos, für das Gewähren dieser Barmherzigkeit mehr an Leistung zu verlangen als den schieren Verbrauch, also das Wiedereinbringen des Geldes in den Wirtschaftskreislauf durch Nachfrage nach Gütern des täglichen Bedarfs! Unserem Land hilft es nicht, wenn als arbeitsunwillig entlarvte Mitbürger in den Wald gehen müssen, um sich dort Beeren zu pflücken! Spart euch das Geld für Vermittler, die nichts zu vermitteln haben!
Wofür steht Hartz IV? Für Enteignung von Vermögen und Alterssicherungen, für Zwangsumzug und soziale Entrechtung, für Zwangsarbeit zu Niedriglöhnen und „kommunale Beschäftigung“ für einen Euro Stundenlohn! Was wir als Gewerkschaft leisten wollen, ist die Mobilisierung des Widerstandes, nicht einen biederen bürgerlichen Protest. Wir fordern einen richtigen, einen anständigen Aufstand gegen die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und all die anderen arbeiterfeindlichen Schweinereien von Regierung, Staat und Kapital! Klassensolidarität statt Almosen!
Die Dimension des plötzlichen Protestes gegen Hartz IV verblüfft eigentlich. Was bisher für Sozialhilfe-Bezieher(innen) galt, soll künftig auch für Langzeitarbeitslose gelten – und der Sturm der Entrüstung ist groß. Warum aber hat es bisher keinen Widerstand gegen die Regelsätze zum Lebensunterhalt in der Sozialhilfe gegeben? Weil es keine Enteignung und keine Zwangsumzüge gegeben hat? Wohl eher, weil es jetzt den „erwerbslosen Mittelstand“ trifft, der sich bisher – trotz Langzeitarbeitslosigkeit bei hoher Arbeitslosenhilfe – noch über Wasser halten konnte. Der ist jetzt entsetzt und fragt: „Wieso soll ausgerechnet ich verarmen? Ich habe jahrlang eingezahlt, ich will arbeiten, ich bin doch kein Penner!“ – „Warum nicht?“, sagt die Regierung, „das ist gerecht!“
Die bürgerlich-liberale „Zeit“ fordert eine notwendige „Unterklassen-Politik“, die Springer-Presse mit ihrer „Bild“ ist „entsetzt“ über die brutalen Folgen von Hartz IV. Na und? Davon reden wir seit Jahren – und nichts ist passiert. Heute geht es um die Organisierung eines effektiven Widerstandes, der auch tatsächlich die Herrschenden in Angst und Schrecken versetzt und die Regierung dazu zwingt, die Gesetze zurückzunehmen: Hartz I bis IV und die Agenda 2010 müssen weg! Wir planen keine Unterschriftensammlungen, keinen Volksentscheid, wir gründen keine linkspopulistische Wahlalternative oder mobilisieren einen rechtsradikalen „Volkszorn“ – wir wollen gewerkschaftliche und klassenkämpferische Aktionen!
Die Angsthasen wie die sozialdemokratische Arbeiterwohlfahrt schüren bereits
jetzt die Angst vor einer neuen „außerparlamentarischen
Opposition“, die im Januar 2005 zu Straßenkämpfen führen könnte. Wieso
auch nicht, denn sie entpuppen sich langsam als große Nutznießer dieser ganzen
Reform. Schließlich sind sie es, die tatkräftig an der Entstehung der
Ein-Euro-Jobs arbeiten. Und der DGB? Er ruft gar nicht mehr zum Widerstand auf.
Wozu auch – für diese „guten Demokraten“ ist es für den
Protest jetzt „zu spät“, weil die Gesetze bereits beschlossen sind.
Im Juni hatte der DGB bundesweit noch zum Stopp des ALG II aufgefordert, auch
wenn es „fast zu spät“ sei. Aber diesen sozialpolitischen
Heuchlern glauben wir ohnehin nichts mehr, sie machen jede Schweinerei der
Kapitalisten zur Profitmaximierung und zur Verteidigung des Standortes
Deutschland auf dem Rücken der Kolleginnen und Kollegen mit!
Gegen Staat und Kapital! Wir verteidigen nicht den „Sozial“- oder „Wohlfahrtsstaat“. Der Staat nimmt jederzeit – wie jetzt! – soziale Leistungen, wenn die Kapitalisten ihre Abschaffung fordern. Basta! Wir sind keine Anhänger des Sozialstaates, wir verteidigen diese „parlamentarische Demokratie“ nicht, die diese Gesetze gemacht hat. Wir berufen uns auch nicht auf den Paragrafen im Grundgesetz, der „alle Deutschen“ zum Widerstand gegen die Änderung der Verfassung aufruft. Ein bürgerliches Recht auf Widerstand gegen soziale Verelendung sieht das Grundgesetz nicht vor, denn die „soziale Marktwirtschaft“ wird nicht abgeschafft. Diese Diskussion interessiert uns auch nicht, weil wir gar keinen Bock auf irgendwelche sinnlosen Gespräche mit Politikern haben – wir sind grundsätzlich gegen diese kapitalistische Gesellschaftsordnung, ob parlamentarisch legitimiert oder per Diktatur à la CDU/SPD/PDS/NPD/Grüne!
Zum Schluss ein Gedicht von John Henry Mackay (1864–1933) zur „Anarchie“: Immer geschmäht, verflucht, verstanden nie, bist du das Schreckbild dieser Zeit geworden. Auflösung aller Ordnung, rufen sie, seist du und Kampf und nimmerendend Morden. 0 lass sie schrein! Ihnen, die nie begehrt, die Wahrheit hinter einem Wort zu finden, ist auch des Wortes rechter Sinn verwehrt. Sie werden Blinde bleiben unter Blinden. Du aber, Wort, so klar, so stark, so rein, das alles sagt, wonach ich ruhlos trachte, ich gebe dich der Zukunft! Sie ist dein, wenn jeder endlich zu sich selbst erwachte. Kommt sie im Sonnenblick? Im Sturmgebrüll? Ich weiß es nicht. Doch sie erscheint auf Erden! Ich bin ein Anarchist! Warum? Ich will nicht herrschen, aber auch beherrscht nicht werden!
Wir machten eine Kundgebung am Bremer Marktplatz mit 700, eine Demonstration zum Hauptbahnhof mit 500 Teilnehmern und anschließend eine Abschlusskundgebung.
Wieder etliche Menschen waren zum ersten Mal dabei. Mehr Kinder und Jugendliche. Beim offenem Mikrofon redeten circa 20 Menschen. Die Beiträge hatten eine breite Vielfalt und räumten mit Mythen der herrschenden Propaganda auf. Es gab lebendige Berichte von Betroffenen und einem Betriebsratsmitglied.
Kultureller Höhepunkt waren zwei Gedichte einer Kollegin, die in witziger Form die Meinung der Teilnehmer zu dieser Politik auf den Punkt brachten und begeistert aufgenommen wurden. Viele Gespräche kreisten um Vorschläge, wie der Kampf weitergehen soll. Am Schluss der Kundgebung wurde die Leipziger Resolution vorgetragen und mit großer Mehrheit, bei etwa zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen, angenommen.
Als nächste Aktion wurde vorgeschlagen, dem „Weser-Kurier“ für sein Schönreden der Regierungspolitik und Nichtbeachten des örtlichen Protestes einen Besuch abzustatten, ebenso der „Tageszeitung“ und den Parteibüros von SPD und Grünen. Weiter wollen wir die Aktivitäten in den Stadtteilen verstärken und damit mehr Menschen für die Proteste heranziehen. Das fordert Diskussion und Abstimmung über neue Formen solcher Aktionen und deren Koordinierung heraus.
Zwei anwesende stadtbekannte Faschisten wurden mit großer Zustimmung aufgefordert, die Kundgebung zu verlassen. Die Aktivität unter den Teilnehmern nimmt weiter zu, neue Ideen kommen auf. Bei sachlicher Auseinandersetzung werden Einzelinteressen dem Aufbau einer breiten Bewegung der Montagsaktionen untergeordnet.
Auf dem Marktplatz waren weit mehr als 500 Zuhörer, manche haben um 18 Uhr sogar zwischen 700 und 800 geschätzt, und es gab keine langweiligen Reden von Splittergrüppchen, sondern neben einem längeren (und sehr informativen) PDS-Beitrag kürzere Wortmeldungen von Bremer Bürgern, ein längeres und sehr witziges Knittelvers-Gedicht einer Büttenrednerin von den „Grauen Panthern“ sowie die circa fünfminütige Rede einer mit der WASG sympathisierenden Bremerin, die wie das Gedicht beigeisterten Beifall fand, und zwar bei allen Versammelten.
Tatsache ist: „Buten un binnen“ hat bewusst tendentiös berichtet. Der Kameramann hat die meiste Zeit über gefilmt, also gesehen, dass gegen 18 Uhr mehr Zuhörer als am letzten Montag auf dem Marktplatz waren. Gezeigt wurden zu Beginn des Beitrags aber nur Aufnahmen, die gegen 17:30 Uhr gemacht wurden, als die Kundgebung noch gar nicht begonnen hatte, und behauptet wurde, es seien nur 250 Leute dagewesen. Eine dreiste Lüge! Um sie als wahr erscheinen zu lassen, wurde der Ton aus der später gehaltenen oben genannten Rede eingespielt. Die passenden Bilder aber wurden nicht gezeigt. Und dies aus gutem Grunde – denn es war die bisher größte Bremer Montagsdemo mit den besten Redebeiträgen.
Mindestens 70.000 Menschen forderten in rund 200 west- und ostdeutschen Städten erneut die Rücknahme des umstrittenen „Hartz-IV“-Gesetzes. In Berlin beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter etwa 5.000 Menschen an zwei Protest-Zügen, in Magdeburg waren es rund 8.000 Demonstranten. Auch in Dortmund und zahlreichen weiteren Städten gab es Protestmärsche.
Die größte Veranstaltung gab es in Leipzig, wo nach Polizeiangaben rund 20.000 Menschen auf die Straße gingen – die Veranstalter sprachen dagegen von 60.000. Dort kritisierte der frühere SPD-Vorsitzende Lafontaine, die Arbeitsmarktreform belaste ausschließlich die sozial Schwachen. Zu Beginn der Veranstaltung war Lafontaine mit einem Ei beworfen worden, das ihn aber verfehlte. Sein Auftritt war im Vorfeld der Demonstration von einem Teil der Veranstalter kritisiert worden.
Im ARD-Fernsehen verlangte Bundeskanzler Schröder mit Blick auf die Proteste gegen die Änderungen am Arbeitsmarkt und in der Sozialgesetzgebung, die Ostdeutschen müssten anerkennen, welche Aufbauleistung es in ihren Ländern gegeben habe. Er verwies darauf, dass von den 15 Millionen Ostdeutschen nur etwa 70.000 gegen seine Politik protestierten. Schröder warnte angesichts der Demonstrationen vor einer neuen Ost/West-Spaltung in Deutschland. Niemand, der politisch verantwortlich handele, könne ein Interesse an einem solchen Gegensatz haben.
Bundestagspräsident Thierse sprach sich im MDR-Fernsehen gegen radikale Tendenzen auf den Protestmärschen aus und kritisierte in diesem Zusammenhang insbesondere die PDS. Die beiden größten Kommunalverbände, der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund, stellten sich hinter die Arbeitsmarktreformen. Die meisten Menschen würden dadurch besser gestellt, sagten Sprecher der Verbände dem „Hamburger Abendblatt“.
Eine Massenbewegung gegen die Hartz-Gesetze kommt in Bremen nicht in die Hufe. „Es müssen immer mehr werden“, sagte gestern der Redner auf der dritten Bremer Montagsdemo, dann würde die Regierung merken, was los ist im Land und Abstand nehmen von den Hartz-Gesetzen. Allein, es werden nicht mehr, jedenfalls nicht in Bremen. 200 bis 250 Leute, schätzte ein Polizist, sein Kollege ist mit 300 Demonstranten noch etwas großzügiger. „Letzte Woche waren es mehr“, sagt er.
„Stimmt nicht“, kontert Sebastian Rave von der „Sozialistischen Alternative“, einer von zahlreichen Gruppierungen, die sich im „Bündnis gegen Sozialkahlschlag und Bildungsabbau“ zusammengefasst haben und die Demos organisieren. Dass sich bis gestern keine Massenbewegung entwickelt hat, liege daran, dass „die Bewegung in den Medien schlecht gemacht wird“, glaubt Rave. Es werde behauptet, die Demos seien von Rechten unterwandert. „Absoluter Quatsch“, sagt Rave.
Tatsächlich sind die Mitglieder des „Aufrechten Gangs“ nicht zu entdecken. Vor zwei Wochen hatte die Teilnahme des Vereins von Rechtsaußen Mathias Henkel noch für Zoff gesorgt, dieses Mal waren die Linken – dem äußeren Anschein nach – weitgehend unter sich.
Neben der IG Metall hielt die PDS gleich zwei Flaggen hoch, auch die „Wahlalternative“ und „Attac“ waren vertreten. Das Mikro hingegen stand ausdrücklich allen zur Verfügung. „Jeder, der will, kann etwas sagen gegen Hartz IV.“ Und sie wollten. Zum Beispiel Jörg, der arbeitslose Metaller, der wissen wollte, warum die hohen Löhne den Standort Deutschland gefährdeten, wenn Deutschland gleichzeitig „Exportweltmeister“ sei. „Das sollen die Unternehmer mal erklären!“