SPIEGEL ONLINE - 03. Januar 2006, 13:50
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Aufschwung 2006
 
Hoffnung auf neue Jobs

Immer mehr Ökonomen heben ihre Wachstumsprognosen für 2006 an. Einige Beobachter erwarten sogar, dass die anziehende Konjunktur auch für Bewegung am Arbeitsmarkt sorgt. Einen ersten Hoffnungsschimmer geben die Arbeitslosenzahlen vom Dezember.

Nürnberg/Berlin - Frank-Jürgen Weise suchte bewusst nach einer besonders vorsichtigen Formulierung für seine guten Nachrichten. Es sei jetzt möglich, dass in diesem Winter die Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen nicht überschritten werde, sagte der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), als er die Daten vom Dezember verkündete. "Die Entwicklung der letzten Monate gibt uns Zuversicht für das jetzt begonnene Jahr 2006."

Zwar stieg die Zahl der Arbeitslosen im Dezember im Vergleich zum Vormonat um rund 75.000 auf 4,606 Millionen und damit auf einen Prozentsatz von 11,1 Prozent. Doch sowohl die Arbeitsagentur als auch zahlreiche Ökonomen hatten aufgrund saisonaler Effekte mit Schlimmerem gerechnet. Üblich sei für das Jahresende ein Anstieg um 170.000 bis 180.000, erklärten Fachleute einhellig.

Der Anstieg der unbereinigten Arbeitslosenzahl ist sogar der geringste in einem Dezember seit der Wiedervereinigung. Nach Abzug der jahreszeitlichen Einflüsse ging die Arbeitslosenzahl um 110.000 auf 4,638 Millionen zurück.

Zum zweiten Mal hintereinander hat sich damit die Lage am Arbeitsmarkt überraschend günstig entwickelt - im November war die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Oktober auf 4,531 Millionen gesunken. Damals hatten Experten den Rückgang allerdings vor allem mit dem milden Wetter und dem vorgezogenen Stichtag für die Zählung begründet.

Ökonomen rechnen mit neuen Jobs

Auch im Dezember habe die Tatsache eine Rolle gespielt, dass die Zahl erstmals vor Weihnachten erfasst wurde, erklärten Insider der Arbeitsagentur im Vorfeld - damit sei die nach dem Fest übliche Entlassungswelle etwa im Handel noch nicht erfasst. Trotzdem sehen sowohl die Arbeitsagentur als auch mehrere Wirtschaftswissenschaftler erstmals die Möglichkeit, dass sich das prognostizierte moderate Wirtschaftswachstum des nächsten Jahres auch positiv auf den Arbeitsmarkt auswirkt.

Für 2006 rechnet die BA mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit auf durchschnittlich 4,6 bis 4,7 Millionen. Arbeitsagenturchef Weise erklärte außerdem, die konjunkturelle Entwicklung habe in der zweiten Jahreshälfte so an Schwung gewonnen, dass der Abbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zum Ende gekommen zu sein scheine.

Mehrere Ökonomen rechnen sogar damit, dass 2006 mehr als 300.000 neue Jobs entstehen, berichtet die "Financial Times Deutschland" (FTD). Durch die Arbeitsmarktreformen entstünden zunächst vor allem Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor, sagte demnach Wolfgang Leim von der Dresdner Bank. "Im Laufe des Jahres wird dann aber auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs zunehmen", erklärte er. Auch Deka-Bank-Chefvolkswirt Ulrich Kater erklärte: "Es wird zu einer leichten Erholung am Arbeitsmarkt kommen."

Skeptiker sehen keine Erholung am Arbeitsmarkt

Kritiker wenden allerdings gegen diese optimistischen Prognosen ein, die konjunkturelle Erholung sei zu unsicher, als dass Betriebe im großen Stil neue Stellen schafften. "Die Unternehmen sind sehr vorsichtig, wenn es darum geht die Beschäftigung auszuweiten", erklärte der "FTD" zufolge Arbeitsmarktexperte Alkis Otto vom Hamburgischen Weltwirtschaftsarchiv (HWWA).

Ähnlich äußerte sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Nach mehreren anderen Einrichtungen hat heute zwar auch das DIW seine Prognose für dieses Jahr nach oben korrigiert. Demnach wird das Bruttoinlandsprodukt 2006 um 1,7 Prozent wachsen statt nur um 1,5 Prozent, wie bisher prognostiziert. Allerdings werde schon im nächsten Jahr dieser Schwung durch die anstehende Mehrwertsteuererhöhung wieder abgebremst, erklärten die Forscher. Dann werde das Wachstum nur noch 1,2 Prozent betragen.

"Die konjunkturelle Entwicklung bleibt weiterhin fragil und nicht gewappnet für Rückschläge aus dem internationalen Umfeld", hieß es außerdem aus dem DIW. Solche Rückschläge könnten von einer neuen Erhöhung des Ölpreises kommen, aber auch von einer Aufwertung des Euro, weiter steigenden Zinsen oder einem Crash der Immobilienpreise in den USA.

Als Erfolg versprechend bewertete das DIW die Bemühungen der Bundesregierung, den Haushalt zu konsolidieren. Das Staatsdefizit werde 2006 auf drei Prozent und 2007 durch die Mehrwertsteuererhöhung sogar auf 1,9 Prozent sinken. Aufgrund seiner vorsichtigen Prognose sieht das DIW - im Gegensatz zur Bundesarbeitsagentur - aber kaum Chancen für eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt. So werde die Arbeitslosigkeit zwar vermutlich nicht weiter steigen, eine nennenswerte Zunahme der Beschäftigung sei jedoch nicht in Sicht, erklärten die Forscher.
 


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