SPIEGEL ONLINE - 04. Januar 2006, 08:51
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Link-Wahnsinn
 
Blogger feiern "besten Blondinenwitz aller Zeiten"

In der Blogosphäre macht ein Blondinenwitz die Runde - und zwar eine extra große. Wer wissen will, worüber der Blogger so lacht, landet in einer Link-Orgie, aus der es kein Entrinnen gibt.

Kettenbriefe sind eine üble Mischung aus Belästigung, Zeitklau und Erpressung - die meisten zumindest. Darin wird gelogen, und gesponnen oder ordentlich auf die Tränendrüse gedrückt: Kranke Babys, der Regenwald oder ein Leukämiepatient brauchen ganz dringend Hilfe - und zwar durch das Weiterleiten der Nachricht an möglichst viele Freunde und Bekannte.

Weil inzwischen auch der dümmste Surfer kapiert hat, dass Ketten-Mails völliger Unsinn sind, probieren Blogger schon seit Monaten augenzwinkernd eine neue Hoax-Variante aus: den Kettenlink.

Nun, das soll hier nicht verschwiegen werden, die Blogosphäre, oder Klein-Bloggersdorf, wie sie liebevoll genannt wird, besteht zu einem nicht geringen Teil aus Links von Blog zu Blog: Schau mal, was ich bei X gelesen habe. Und das schreibt Y. Und vielleicht, so hofft mancher Autor, bedanken die sich ja einen Tag später mit einem Link zurück.

Der angeblich "beste Blondinenwitz aller Zeiten", zu dem derzeit in deutschen Blogs allerorten verlinkt wird, erweist sich jedoch als schwer auffindbar. Um einen Einstieg in den Kettenlink zu finden, genügt eine Suchmaschinenanfrage nach den Begriffen "Blog" und "Blondinenwitz", etwa bei Yahoo oder Google.

Klickt man dann auf einen Treffer, beginnt eine fröhliche Tour durch die hiesige Blogosphäre. Von "Bester Blondinenwitz ever! Ungelogen und passend zur Weihnachtszeit!" geht es über "Wahnsinns Blondinenwitz. Taschentuch bereithalten!" und "Normalerweise sind ja Blondinenwitze IMHO nix, was in ein Blog gehört, aber der hier ist so genial wie alt" zu "Blondinenwitz ... und zur Abwechslung mal ein guter!".

Schnell ist klar: Der Blondinenwitzsucher wurde gelinkt - und zwar richtig. Woher die Idee zu dem Witz kommt, den es gar nicht gibt, lässt sich nur schwer recherchieren. Als mögliche Quellen gelten Blogger auf livejournal.com. Dort tauchten schon im Sommer 2003 die ersten Hinweise auf Blondinenwitze auf. Wer sie anklickt, landet mitunter nach einem Dutzend Blogs wieder auf der Ursprungsseite - ein blonder Teufelskreis.

Aber was soll das Ganze nun eigentlich, fragt sich zu Recht der geneigte Surfer. Die Antwort ist einfach: Blogger wollen den Blondinenwitz meucheln - und zwar endgültig. In der Tat zeigt die Link-Orgie Wirkung bei Suchmaschinen, die Webseiten auch über die zu ihnen führenden Links gewichten. 

Wer etwa bei Google nach dem Stichwort "Blondinenwitz"  fahndet, bekommt sehr viele Treffer in Blogs - und keine dümmlichen Witze. Der erste Blogger befindet sich bereits auf Rang fünf. Wenn das so weiter geht, werden Blondinenwitze bald nur noch ein Mythos aus vergangenen Tagen sein. Denn was sich mit einer Suchmaschine nicht finden lässt, das kann es ja in Wirklichkeit gar nicht geben.

Holger Dambeck
 


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