SPIEGEL ONLINE - 29. Dezember 2005, 11:31
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Uno-Fahndung
 
Wie ein Arbeitsloser zum Terrorverdächtigen wurde

Von Severin Weiland

Einem jungen Mann aus Berlin wurde zeitweise das Arbeitslosengeld verweigert, weil sein Name auf einer Uno-Liste der Terrorverdächtigen landete. Eine Verwechslung. Der Fall illustriert, wie durchgreifend internationale Beschlüsse sind.

Berlin - Für Mohamed H. ging diese Woche eine Odyssee zu Ende. Nach fast zwei Monaten konnte der 25-Jährige an diesem Dienstag endlich sein Arbeitslosengeld II beim Jobcenter in Berlin-Neukölln abholen. In bar. Bis dahin hatte der junge Mann auf die Auszahlung warten müssen - weil er irrtümlich für einen Terrorverdächtigen gehalten wurde.

Der bizarre Fall aus Berlin wirft ein Schlaglicht auf die Praxis, die seit dem Beginn des Anti-Terror-Kampfes im September 2001 deutsche Behörden beschäftigt. Und sie offenbart, wie schnell Menschen in die Grauzonen des Rechts geraten können. Denn Mohamed H. wurde offenbar Opfer eines Irrtums - sein Name landete auf einer Uno-Liste von Terrorverdächtigen, die nach den Anschlägen in den USA vom September 2001 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Rahmen zahlreicher Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus beschlossen worden war.

Damit soll das Netzwerk der Szene trocken gelegt werden. Auf der ständig aktualisierten Liste stehen die Namen von Personen und Organisationen, deren Bankguthaben eingefroren und deren Überweisungen unterbunden wurden.

Doch die von der Uno verwaltete Namenskolonne lädt offenbar zu Verwechslungen geradezu ein. Viele arabische Namen sind identisch und wegen fehlender Geburtsdaten gar nicht auseinander zu halten. So geriet Mohamed H. wohl in Verdacht, ein Unterstützer der internationalen Terrorszene zu sein - und erhielt bei seinem Besuch am 4. November vom Jobcenter Neukölln schriftlich die lapidare Begründung: "Personen, die in dieser Liste vermerkt sind, dürfen durch den Leistungsträger vorerst keine Zahlungen erhalten."

Fast 500 bundesweite Überprüfungen in sechs Monaten

Mohamed H. ist nicht der einzige Fall, dessen Identität die Aufmerksamkeit der Behörden erregte. In den Berliner Jobcentern wurden in diesem Jahr rund 90 Arbeitslosengeldempfänger wegen Terrorverdachts überprüft. Das Jobcenter Neukölln - ein Bezirk mit hohem Anteil von Kunden nichtdeutscher Herkunft - zählte allein rund 50 Fälle. Bundesweit überprüfte die Bundesarbeitsagentur im zweiten Halbjahr 458 Leistungsempfänger - bei allen kam man zu einem negativen Befund.

Die deutschen Behörden halten sich bei ihrem Vorgehen strikt an EU-Recht. Die Europäische Union hatte den Uno-Beschluss umgesetzt - so festgehalten zum ersten Mal am 27. Dezember 2001 in der Verordnung 2580/2001. Zu den Restriktionen hat Bundesbank eine Homepage eingerichtet, das Geldinstitut ist laut EU-Verordnung für den Embargoverkehr zuständig. Zudem gibt es auf einer EU-Homepage eine umfangreiche Uno-Liste terrorverdächtiger Personen. Das Problem: Wer von der Uno registriert ist, muss noch lange nicht als Terrorist überführt worden sein.

Innensenator schaltete sich ein

Von der komplizierten Rechtslage ahnte Mohamed H. nichts, als er Anfang November zum Jobcenter seines Berliner Bezirks ging, weil der eigentlich fällige Scheck der Postbank nicht bei ihm angekommen war. Dort aber musste er zu seiner Überraschung erfahren, dass ihm kein Arbeitslosengeld II ausgezahlt werden würde. Weil er das nicht glauben wollte, ließ er vorsorglich seinen Fall von einer Sachbearbeiterin des Jobcenters in Neukölln festhalten. Dann hatte er es schwarz auf weiß: "Sie sind ein sogenannter Embargofall. Das heißt, dass sich Ihre Daten in einer Liste, in welcher terroristenverdächtige Personen geführt werden, befinden", heißt es in dem Schreiben.

Nachdem die "taz" vor Weihnachten den Fall publik gemacht hatte, wurde aus dem jungen Mann aus Neukölln sehr schnell ein Politikum. Sogar Berlins Innensenator Erhart Körting schaltete sich ein und mahnte die Weltorganisation zu Änderungen ihrer bisherigen Praxis. "Auf einer der Uno-Listen als Terrorverdächtiger genannt zu werden, hat weitreichende Folgen, die einem Urteilspruch gleichkommen", so der SPD-Politiker. Die Bundesregierung müsse sich daher für eine Änderung des Völkerrechts einsetzen, damit den Betroffenen Rechtsschutz gewährt werde. Wer auf der Liste lande, habe keine Möglichkeit, sich vor der Uno Gehör zu verschaffen, so Körting.

Probleme mit der Embargoliste

Der Fall Mohamed H. zeigt erneut die Grauzonen des Rechts unter dem Zeichen der internationalen Anti-Terror-Bekämpfung. Im Auswärtigen Amt ist die Problematik der Uno-Embargoliste schon seit längerem bekannt. Bereits im November 2003 hatte das Amt dazu mit Hilfe der Schweiz und Schwedens in New York ein Expertenseminar abgehalten. Die Ergebnisse waren anschließend dem Uno-Sicherheitsrat, dessen nichtständiges Mitglied die Bundesrepublik zum damaligen Zeitpunkt war, übermittelt worden - und damit auch dem Uno-Sanktionsausschuss. Auf EU-Ebene sprach die deutsche Seite das Thema wiederholt an.

Im kommenden Jahr sollen erneut Handlungsempfehlungen in Sachen Embargofälle an den Uno-Sicherheitsrat weitergeleitet werden. Es sind Ergebnisse einer Studie, die ein amerikanischer Thinktank zum Thema erarbeitet und die mit Mitteln des Auswärtigen Amtes gefördert wird. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes versicherte am Mittwoch gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Die Bundesregierung ist um die Erhöhung des Rechtsschutzes bemüht". Dazu zähle unter anderem "auch die Präzisierung von Personendaten in der Uno-Liste".

H.'s Berliner Anwalt Christian Zimmer betont, es gebe viele Unklarheiten in der jetzigen Praxis. So sei nicht nachvollziehbar, wie überhaupt die Daten zwischen den Behörden "hin- und hergetauscht würden". Auch sei es, glaubt der Anwalt, rechtmäßig zweifelhaft, "Leistungen zum Lebensunterhalt vollständig zu entziehen, wenn jemand als Terrorverdächtiger auf einer Liste landet". Schließlich würde selbst Strafgefangenen, die rechtsstaatlich verurteilt worden seien, ein Mindestmaß an staatlichen Leistungen zukommen. Im Falle der Uno-Liste gehe es hingegen um Verdächtige. "Wie man auf die Liste kommt, ist völlig unklar, und wie man wieder da runter kommt ebenso", beschreibt der Anwalt das Problem im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

Im Falle seines Mandanten wurden keine näheren Angaben gemacht. Mohamed H. erhielt lediglich ein kurzes Schreiben des Jobcenters, in dem der entscheidende Satz lautete, dass sich der Verdacht nicht bestätigt habe und er sich sein Geld auszahlen lassen könne.
 


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