SPIEGEL ONLINE - 21. Dezember 2005, 16:35
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Strafrechtler Schünemann zu Mannesmann-Prozess
 
"Es kann nun keinen faulen Frieden mehr geben"

Nach dem BGH-Entscheid im Fall Mannesmann hält der Strafrechtler Bernd Schünemann eine Verurteilung des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann für sehr wahrscheinlich. "Eine Verteidigung, die auf Freispruch setzt, wird es juristisch sehr schwer haben", sagte er im Interview mit SPIEGEL ONLINE.

SPIEGEL ONLINE: Herr Professor Schünemann, was war Ihr erster Gedanke, als Sie gehört haben, dass die Freisprüche für Josef Ackermann und die anderen Angeklagten im Mannesmann-Verfahren aufgehoben worden sind?

Schünemann: Es gibt noch Richter in Karlsruhe!

SPIEGEL ONLINE: Was ist aus Ihrer Sicht das entscheidende Element des BGH-Entscheids?

Schünemann: Dass das Urteil an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Der BGH hat sich nicht auf Formelkompromisse oder wachsweiche Formulierungen zurückgezogen.

SPIEGEL ONLINE: ... insbesondere hat er nahe gelegt, bei Ackermann, Joachim Funk und Klaus Zwickel sei wohl doch strafbare Untreue gegeben, weil sie die Millionenprämien an Ex-Manager wie Klaus Esser ermöglicht haben.

Schünemann: Deswegen ist das Urteil ein Markstein. Der BGH hat bewiesen, dass es in Deutschland noch möglich ist, in dieser Frage das Recht zur Geltung zu bringen. In den letzten Jahren haben viele versucht, den Tatbestand der Untreue madig zu machen. Auf diesem Terrain wurde reichlich Pulverdampf verschossen, es ist sehr unübersichtlich geworden. Ich meine: Wenn dieser Tatbestand richtig gehandhabt wird, ist er überzeugend und völlig unentbehrlich.

SPIEGEL ONLINE: Sie selbst haben schon seit langem ähnlich argumentiert. Man könnte meinen, dass Sie auch persönlich erfreut sind.

Schünemann: Erfreut wäre zu viel gesagt - ich bin ja persönlich nicht betroffen. Aber als Wissenschaftler verspüre ich eine gewisse Genugtuung. Aus meiner Sicht war der Fall nie so kompliziert, wie er gemacht wurde: Es gab einen Sachverhalt der Selbstbedienung - und der wurde von einem Aufsichtsratspräsidium gedeckt, das seine Pflicht nicht wahrnahm. Es ist erfreulich, dass auch der BGH das so sieht. Man muss auch mal klare Worte finden.

SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von dem Argument, das Urteil sei wirtschaftsfeindlich und erschwere es Konzernen künftig, Leistung angemessen zu honorieren?

Schünemann: Ich glaube, dass alle Aufsichtsräte in Deutschland mit dem Urteil zufrieden sein können. Sie wissen jetzt, wie sie sich zu verhalten haben. In der Diskussion wurde immer so getan, als gebe es Grauzonen. Der BGH sagt: Nein, die gibt es nicht. Verträge, die man mit dem Vorstand hat, sind einzuhalten. Nachträglich kann man ihm nicht mehr zahlen als vereinbart war.

SPIEGEL ONLINE: Sind nachträgliche Boni denn für den Fall möglich, dass sie im Vertrag ausdrücklich als Möglichkeit erwähnt werden?

Schünemann: Auch dann nur, wenn sie im Unternehmensinteresse liegen. Wenn aber eine AG übernommen wird wie Mannesmann, kann sie kein Interesse mehr haben, Incentives zu zahlen. Als Aufsichtsrat einer Firma verwalte ich Vermögen. Das darf ich nicht für firmenfremde Zwecke verschenken - so was darf ich nur als Privatmann.

SPIEGEL ONLINE: Welchen Fortgang des Verfahrens erwarten Sie?

Schünemann: Eine Verteidigung, die auf Freispruch setzt, wird es juristisch sehr schwer haben. Es wird zwar völlig neu verhandelt. Aber die Rechtsauffassung des BGH ist bindend. Und alle zentralen Argumente der Verteidigung sind vom Tisch gefegt worden.

SPIEGEL ONLINE: Könnte das Verfahren gegen Josef Ackermann noch gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt werden?

Schünemann: Warum sollte es? Die Anklage wegen Untreue im besonders schweren Fall steht im Raum. Darauf steht als primäre Bestrafung Freiheitsentzug bis zu zehn Jahren. Ich glaube nicht, dass die Staatsanwaltschaft nun überhaupt noch in Erwägung zieht, das Verfahren gegen eine Buße einzustellen. Das hätte nur passieren können, wenn der BGH gesagt hätte, dass es eine Grauzone gibt und es nahe liege, dass die Beteiligten in einem Verbotsirrtum gehandelt haben und man dies prüfen müsse. Aber nach diesen klaren Worten heute kann es keinen "faulen Frieden" mehr geben.

Die Fragen stellte Matthias Streitz
 

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SPIEGEL ONLINE - 21. Dezember 2005, 14:30
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Mannesmann-Prozess
 
Wie der BGH die Freisprüche zerpflückte

Der Bundesgerichtshof hat die Freisprüche für Josef Ackermann, Klaus Esser und die anderen Angeklagten im Mannesmann-Prozess mit deutlichen Worten verworfen. In seiner Urteilsbegründung dekonstruiert er die Argumente der Vorinstanz. SPIEGEL ONLINE dokumentiert einige der kritischen Punkte.

Untreue: Das Düsseldorfer Landgericht mit der Vorsitzenden Richterin Brigitte Koppenhöfer hatte die Angeklagten Josef Ackermann, Joachim Funk, Klaus Zwickel und Jürgen Ladberg vom Vorwurf der schweren, strafbaren Untreue und Klaus Esser und Dietmar Droste vom Vorwurf der Beihilfe zur Untreue freigesprochen.

"Das Landgericht hat den objektiven Tatbestand der Untreue rechtsfehlerhaft verneint", stellt der BGH heute dazu in seiner Urteilsbegründung fest. Bei Ackermann, Zwickel und Funk könne sehr wohl strafbare Untreue gegeben sein. Denn sie hätten "ihre Vermögensbetreuungspflicht ... gegenüber der Mannesmann AG verletzt und dieser dadurch einen Vermögensnachteil zugefügt." Die Zahlung von Prämien an Esser und andere Ex-Manager sei "für die Mannesmann AG ohne jeden Nutzen" gewesen, heißt es weiter auf Seite 14 der Begründung. "Ein Interesse der Gesamtheit der Aktionäre, ... der Arbeitnehmer oder der Öffentlichkeit lag nicht vor."

Für ihre Leistungen seien Manager wie Esser bereits durch ihre "dienstvertraglich vereinbarten Vergütungen" bezahlt worden, so der BGH. Weitere Zahlungen hätten die Verträge nicht vorgesehen. Das Präsidium des Aufsichtsrates - Ackermann, Funk, Ladberg und Zwickel - habe auch überhaupt nicht über eine nachträgliche Kompensation für die Manager entscheiden dürfen. Diese hätte zum Beispiel von Seiten der Hauptversammlung beschlossen werden müssen. Dass Zwickel sich bei der kritischen Abstimmung über die Prämien im Präsidium enthielt, entlaste ihn nicht, so der BGH - er hätte schon mit Nein stimmen müssen.

Auch die Freisprüche gegen Esser und Droste seien aufzuheben, befand der BGH. Beide hätten die Prämienbeschlüsse mit vorbereitet und "alle Umstände, welche die objektive Pflichtverletzung begründeten", gekannt. Eine Beihilfe zur Untreue scheide daher nicht aus. Esser und Droste hätten sich auch der Ungewöhnlichkeit der Prämien bewusst sein müssen - die Vorbereitungen der Beschlüsse seien nämlich für sie keine "berufstypischen Handlungen mit Alltagscharakter" gewesen. Es könne bei Esser und Droste eine "Solidarisierung mit dem Täter" vorgelegen haben, die "nicht mehr als sozialadäquat angesehen werden kann".

Gravierende Pflichtverletzung: Das Gericht um Brigitte Koppenhöfer hatte zwar festgestellt, dass die Präsiden des Aufsichtsrates mit der Prämien-Gewährung ihre Vermögensfürsorgepflicht verletzt und somit gegen das Aktienrecht verstoßen hätten. Strafrechtlich relevant sei dies aber nicht, da die Pflichtverletzung nicht "gravierend" gewesen sei, urteilten die Düsseldorfer im Sommer 2004.

Auch dieser Argumentation kann der BGH nicht folgen - ob die Pflicht gravierend verletzt worden sei oder nicht, sei im vorliegenden Fall völlig irrelevant. In seiner Urteilsbegründung legt der BGH dar, dass die Düsseldorfer Richter frühere Entscheidungen des Bundesgerichtshofes missverstanden hätten.

Verbotsirrtum: Eine "gravierende" Pflichtverletzung sah das Düsseldorfer Gericht nur im Falle der Millionenprämie für den damaligen Mannesmann-Aufsichtsratchef Joachim Funk, der im ersten Schritt auch noch selbst, unterstützt von Ackermann, für seine eigene Belohnung abstimmte. In diesem Fall sei eine strafrechtliche Verurteilung aber nicht möglich, befanden die Düsseldorfer, weil die Angeklagten kein Unrechtsbewusstsein gehabt hätten. Auch wenn sie rechtlichen Rat eingeholt hätten, wäre ihnen die Pflichtwidrigkeit ihres Tuns nicht mitgeteilt worden. Diese Gedanken-Konstruktion galt schon seit langem als einer der größten Schwachpunkte des Urteils.

Ihre Richtigkeit sei durch die Beweiswürdigung in Düsseldorf auch nicht belegt, befand der BGH nun. Wenn die Angeklagten Ackermann und Zwickel vor der Überweisung an Funk einen Anwalt gefragt hätten, ob ohne Unternehmsinteresse eine nachträgliche Zahlung möglich ist, hätten sie sicher die Rechtsauskunft bekommen, dass dies pflichtwidrig wäre, sagte der BGH-Richter Klaus Tolksdorf.

Beweisaufnahme: Für die anstehende Neuverhandlung gab Tolksdorf dem Landgericht Düsseldorf daher einige Hinweise. Danach kommt es nun entscheidend auf die subjektive Sicht der Angeklagten an. Es müsse Beweis erhoben werden, welche Vorstellungen sie bei ihrem Tun hatten. Diese Beweisaufnahme habe bei der ersten Verhandlung gefehlt. Möglicherweise könnten dann doch ein Verbotsirrtum oder Tatbestandsirrtum vorgelegen haben. Tolksdorf bemerkte aber, dass der dritte Strafsenat bisher dazu neige, einen Verbotsirrtum eher zu verneinen.

Er fügte hinzu, dass unter anderem bei Ackermann die Schuld dadurch relativiertwürde, dass er sich nicht selbst habe bereichern wollen und dass Vodafone als der eigentlich wirtschaftlich Betroffene Einverständnis mit den Zahlungen signalisiert habe.

Matthias Streitz
 


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