SPIEGEL ONLINE - 01. Dezember 2005, 11:33
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Bundestag
 
Opposition beklagt ziellose Wirtschaftspolitik

Die Daten kamen wie gerufen. Die Arbeitslosenzahlen sind im November überraschend gesunken: eine Vorlage für Schwarz-Rot in der Bundestagsdebatte über die Wirtschaftspolitik. Die FDP verglich Kanzlerin Merkel dennoch mit "Frau Holle, die überall weiße Flocken auf die Problemfelder ausstreut".

Berlin - Im November sei es zu einer Beruhigung auf dem Arbeitsmarkt gekommen, sagte Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), bei der Generalaussprache über die Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Nach den vorliegenden Zahlen sei der vergangene Monat der erste November seit der Wiedervereinigung gewesen, in dem es zu keiner Zunahme der Arbeitslosigkeit gekommen sei. Die Regierung hoffe außerdem, dass die von ihr geplanten Maßnahmen dazu beitrügen, die so genannte Beschäftigungsschwelle zu senken, sagte glos weiter. Die Beschäftigungsschwelle bezeichnet den Wert, ab dem Wirtschaftswachstum wieder zu zusätzlicher Beschäftigung führt. "Das Ziel der Bundesregierung ist eindeutig: Wir wollen, dass wieder mehr Menschen Arbeit in Deutschland haben", sagte Glos.

Auch Bundesarbeitsminister Franz Müntefering bewertete den Rückgang der Arbeitslosigkeit im November als Bestätigung des arbeitsmarktpolitischen Kurses der Bundesregierung. "Das ist die günstigste Entwicklung in einem November seit der Wiedervereinigung", sagte Müntefering. "Die weiterhin zu hohe Zahl der Arbeitslosen ist Auftrag, diesen Kurs konsequent, mutig und zuversichtlich weiter zu verfolgen. Dafür stellt unser Koalitionsvertrag die Weichen", sagte der SPD-Politiker weiter.

Deutlich nüchterner hatte die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Entwicklung analyisiert. Zwar habe sich die Arbeitslosigkeit im November viel günstiger entwickelt als jahreszeitlich üblich. Dabei hätten aber auch das milde Wetter und der frühe Zähltermin beim Rückgang eine Rolle gespielt, sagte BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt heute in Nürnberg.

Damit wieder mehr Menschen Arbeit haben, werde wirtschaftliches Wachstum gebraucht, sagte Glos. Dazu sei auch vor allem mehr Zuversicht bei den Bürgern erforderlich, betonte der Minister und fügte hinzu, der "Zukunftspessimismus" im Land müsse überwunden werden. Die Regierung hoffe außerdem, dass die von ihr geplanten Maßnahmen zu einem Absinken der sogenannten Beschäftigungsschwelle auf ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent führe. Nur Wachstum, das über diese Schwelle hinausreicht, führe zu neuen Arbeitsplätzen. Deshalb müsse dem Trend sinkender Wachstumsraten entgegengewirkt werden.

Der CSU-Politiker versprach eine bessere Förderung des Mittelstandes. "Wir starten eine breite Mittelstandsoffensive, die sich sehen lassen kann", sagte er. Als erste Schritte nannte er die Erbschaftsteuerreform, die verbesserte steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerarbeiten und ein breiteres Angebot von Beteiligungskapital für den Mittelstand.

Glos kündigte zudem einen Abbau von Bürokratie an. Kleine Unternehmen würden vier bis sechs Prozent ihrer Einnahmen für Bürokratie aufwenden müssen. "Da läuft etwas falsch", so sein Urteil.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Rainer Brüderle, betonte, dass die Arbeitslosigkeit in einer Zeit zurückgegangen sei, da Deutschland keine handlungsfähige Regierung gehabt habe. Die Zeichen seien deutlich, der Staat müsse sich aus dem Markt heraushalten, folgerte Brüderle. Die Große Koalition habe bisher aber keine Reformpläne vorgelegt, die Deutschland voranbringen könnten. Bundeskanzlerin Merkel habe im Wahlkampf "die Maggie Thatcher gespielt. Jetzt spielt sie die Frau Holle, die überall weiße Flocken auf die Problemfelder ausstreut", sagte Brüderle. Die für 2007 geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent führe zu höheren Preisen und weniger Beschäftigung.

Auch der Linkspartei-Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine übte Kritik. Die Reformpolitik der vergangenen Jahre basiere auf einer "einzigen Lüge", sagte Lafontaine. Es werde immer behauptet, dass der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar sei. Würde man aber "die Reichen zur Kasse bitten", etwa so wie in den USA, wären bis zu 50 Milliarden Euro mehr in der Kasse, sagte Lafontaine. Deutschland mache Politik nicht für das Volk, sondern "nur für die oberen Zehntausend". Die geplante Lockerung des Kündigungsschutzes und der Ausbau des Niedriglohnsektors seien der falsche Weg.

Die Grünen-Politikerin Thea Dückert warf Wirtschaftsminister Glos vor, keine Konzepte vorgelegt zu haben, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Er habe sein "Geheimnis noch nicht gelüftet", sagte Dückert.
 


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