SPIEGEL ONLINE - 27. November 2005, 15:08
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Berlin-Hamburg
 
Bundesregierung schaltet sich in Umzugspläne der Bahn ein

Entgegen der Forderungen aus dem Hamburger Senat wird sich die Bundesregierung in der kommenden Woche mit einem möglichen Umzug der Bahn von Berlin nach Hamburg befassen.

Berlin - Den Angaben eines Sprechers des Bundesverkehrsministeriums zufolge werden die Umzugspläne am kommenden Dienstag Thema im Kabinett sein. Die Bundesregierung sei mit der Bahn im Gespräch und werde diese Kontakte Anfang der Woche fortsetzen und intensivieren, hieß es weiter. Hamburgs Wirtschaftssenator Gunnar Uldall forderte die Regierung auf, nicht gegen einen Umzug der Bahn zu intervenieren. Kritik an den Konzern-Plänen kam erneut von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit.

Die Bahn hatte am Freitag mitgeteilt, sie erwäge die Verlagerung ihrer Konzernzentrale nach Hamburg. Im Gegenzug bietet die Hansestadt dem Staatskonzern Beteiligungen an seinem Nahverkehrs-Konkurrenten Hamburger Hochbahn (HHL) und an der größten Hafengesellschaft HHLA an. "Es ist vorstellbar, dass der Sitz von Berlin nach Hamburg verlegt wird", hatte ein Bahn-Sprecher gesagt.

"Weder Frau Merkel noch die Bundesregierung insgesamt sollten sich einschalten", sagte der CDU-Politiker Uldall der "Berliner Morgenpost". Die Überlegungen der Bahn, die Konzernzentrale in die Hansestadt zu verlegen, seien betriebswirtschaftlich richtig und sollten nicht gebremst werden. Die Bahn wolle sich künftig als weltweit führendes Logistikunternehmen präsentieren. Von daher sei ein Umzug der Bahn nur konsequent, weil sich Hamburg zum weltweit führenden Logistikstandort entwickle. Auch Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust hatte die Pläne verteidigt.

Dagegen bezeichnete der Regierende Bürgermeister Wowereit eine Konzern-Verlagerung als Unsinn und forderte ein Eingreifen der Bundesregierung. "Es kann nicht sein, dass sich der Bund als Eigentümer so auf der Nase herumtanzen lässt", sagte Wowereit auf einem Landesparteitag der Berliner SPD. Wenn Bahn-Chef Hartmut Mehdorn gehen wolle, sollte die Stadt ihn nicht daran hindern. "Aber die Mitarbeiter bleiben in Berlin", forderte Wowereit.

Der Chef der Bahn-Gewerkschaft Transnet und stellvertretende Vorsitzende des Bahn-Aufsichtsrats, Norbert Hansen, kündigte Debatten im Aufsichtsrat über den Umzug an. Darüber sei in dem Kontrollgremium noch nicht diskutiert worden, sagte Hansen der "Berliner Morgenpost". Für die Gewerkschaft sei die Einbindung der Beschäftigten und ihrer Betriebsräte in die Planungen wichtig.
 


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SPIEGEL ONLINE - 28. November 2005, 09:02
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Umzug
 
Deutsche Bahn und Hamburg praktisch einig

Die Verhandlungen der Deutschen Bahn über eine Verlagerung der Konzernzentrale nach Hamburg sind weiter gediehen als bislang bekannt. Der Finanzsenator der Hansestadt, Wolfgang Peiner, sieht nur noch einige wenige Details, die zu regeln sind.

Berlin - Der Hamburger Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Senat und Bahn hätten die Eckdaten für den Kauf schon verabredet. "Wir stehen kurz vor einem 'Letter of Intent'", betonte er. Es seien nur noch die für eine langfristige Zusammenarbeit wichtigen Bedingungen auszuarbeiten.

Wie unternehmensnahe Kreise gegenüber der "Berliner Zeitung" bestätigten, bot Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) der Bahn für den Fall der vollständigen Verlagerung ihrer Zentrale von Berlin nach Hamburg an, stufenweise Mehrheitsbeteiligungen sowohl an der landeseigenen Hafen- und Logistik AG (HHLA) als auch an der Hamburger Hochbahn (HHA) zu übernehmen.

Berliner Senat als schlechter Verlierer

Der Berliner Senat steht in der Diskussion indes als schlechter Verlierer da. Von Beust und Peiner kritisierten Wowereits Aufforderung an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sich die Pläne von Bahnchef Hartmut Mehdorn nicht gefallen zu lassen. Gegen die Verlagerung des bundeseigenen Unternehmens von der Hauptstadt nach Hamburg einzuschreiten, nannte der Finanzsenator Ausdruck des Denkens von SPD und PDS in Berlin, ausschließlich auf politische Beziehungen und Mitleid zu setzen. Das dürfe nicht Parameter der Wirtschaftspolitik in Deutschland werden, meinte Peiner. "Es geht um nichts weniger als die Privatisierungsfähigkeit der Bahn."

Der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag und Landeschef der Hamburger CDU, Dirk Fischer, sagte der "Berliner Zeitung", wo die Bahn ihre Zentrale habe und ihre Mitarbeiter einsetze, sei allein Sache des Unternehmens. Von Beust riet seinem Kollegen Wowereit im "Hamburger Abendblatt" zur Mäßigung. Hamburg sei auch nicht Amok gelaufen, als der HEW-Eigner Vattenfall mit seiner Zentrale nach Berlin ging und als Berlin der Stadt an der Elbe Universal abgezogen hat. Im Gegenteil: "Hamburg hat sich da ausgesprochen fair verhalten, und ich denke, das können wir auch erwarten."

Merkel war fühzeitig informiert

Nach Informationen des "Abendblatts" waren Merkel und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) bereits seit Wochen in die Pläne eingeweiht. Der Bahnvorstand habe Mehdorns Vorhaben ohne Gegenstimmen gebilligt. Bahn-Aufsichtsratschef Werner Müller sei ebenfalls informiert worden, berichtet die Zeitung weiter.

Sollte das Geschäft zu Stande kommen, wird laut "Berliner Zeitung" der Vorstandschef der Hamburger Hochbahn, Günter Elste, in den Bahn-Vorstand aufrücken. Elste zählt zu den einflussreichsten SPD-Politikern der Hansestadt und hat sich als Präsident des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen in der Vergangenheit wiederholt für eine verbesserte Finanzausstattung der Nahverkehrsunternehmen wie auch der Bahn stark gemacht.

Mietvertrag für Bahn-Tower läuft aus

Der Bahn-Vorstand muss demnächst ohnehin ein Umzugskonzept beschließen, weil der Mietvertrag für den bisherigen Sitz im Bahn-Tower am Potsdamer Platz in Berlin im Jahr 2010 ausläuft. Weil hier die Mieten extrem hoch sind, favorisierte die Bahn bislang einen Umzug an den neuen Lehrter Bahnhof. Bei einer Verlagerung des Konzerns nach Hamburg könnte der von Mehdorn angestrebte Personalabbau in der Zentrale um knapp 400 der bislang 850 Stellen halbwegs geräuschlos abgewickelt werden.

Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums hatte gestern mitgeteilt, das Bundeskabinett werde sich am Dienstag mit einem möglichen Umzug der Deutsche-Bahn-Zentrale von Berlin nach Hamburg befassen. Davor werde es noch Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Bahn geben.
 


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SPIEGEL ONLINE - 28. November 2005, 17:22
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Hamburgs Wirtschaftssenator Uldall im Interview
 
"Wir haben die Bahn nicht gelockt"

Der mögliche Umzug der Bahn von Berlin nach Hamburg empört die Bundeshauptstadt. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE verteidigt Hamburgs Wirtschaftsenator Gunnar Uldall (CDU) die Abwerbeaktion und sagt, warum sich der Schienenkonzern für die Hansestadt entschieden hat.

SPIEGEL ONLINE: Herr Uldall, vergangenen Freitag haben Hamburg und die Bahn einen möglichen Umzug des Schienenkonzerns von Berlin nach Hamburg angekündigt und damit vor allem in der Hauptstadt für Unmut gesorgt. Morgen will sich das Bundeskabinett mit dem Fall beschäftigen. Rechnen Sie mit einem Veto?

Uldall: Nein, es ist verständlich, dass Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit versucht, die Entscheidung zurückzudrehen. Wir müssen in Deutschland aber mittlerweile jedes Wachstumspotential nutzen. Und wenn die Bahn in Hamburg im Logistikbereich zulegen will, kann ich das nur unterstützen. Sollte jetzt die Politik dieses Vorhaben blockieren, wäre das gegen jede Wachstumspolitik. Deswegen wird sich im Kabinett dafür keine Mehrheit finden.

SPIEGEL ONLINE: Wachsen könnte die Bahn im Logistikbereich, indem sie wie geplant Anteile der Hamburger Hafengesellschaft HHLA erwirbt. Was aber hat der Umzug der Konzernzentrale von Berlin nach Hamburg damit zu tun?

Uldall: Hamburg nimmt im Bereich Logistik schon heute einen Spitzenplatz ein und wird bundesweit seine Führungsposition ausbauen. Hier geht die Post ab. Das ist auch der Bahn klar. Deswegen hat sie sich für den Standort Hamburg entschieden.

SPIEGEL ONLINE: Es ist doch wohl eher so, dass Sie die Verlegung der Konzernzentrale zur Bedingung für den Einstieg der Bahn bei der HHLA und bei der Verkehrsgesellschaft Hamburger Hochbahn (HHA) gemacht haben.

Uldall: Das ist nicht richtig. Die Bahn hat das jetzt diskutierte Paket von sich aus vorgelegt. Dies sieht die Übernahme von Anteilen an HHLA und HHA und eben auch die Investition in eine neue Zentrale vor. Es ist nicht so, dass wir ein Angebot unterbreitet haben. Wir haben die Bahn nicht gelockt.

SPIEGEL ONLINE: Berlins Bürgermeister Wowereit hat die Pläne harsch kritisiert, auch weil er erst aus der Presse davon erfahren hat. Wäre es nicht der bessere Stil gewesen, mit offenen Karten zu spielen?

Uldall: Das Theater wäre genau das gleiche gewesen. Wir haben im Stillen konstruktiv mit der Bahn gesprochen und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel frühzeitig informiert. Ich glaube auch nicht, dass die aktuelle Debatte einen negativen Effekt auf unser Vorhaben hat. Alles andere wäre gerade hinsichtlich des bevorstehenden Börsengangs der Bahn falsch. Die Bahn muss aus dem Berliner Dunstkreis der Politik verschwinden. Wenn der Umzug nach Hamburg jetzt blockiert wird, ist der Börsengang so gut wie beendet. Kein Mensch möchte Aktien einer Behörde kaufen.

SPIEGEL ONLINE: Wie hat die Kanzlerin auf diese Argumente reagiert?

Uldall: Ich weiß, dass Angela Merkel zunächst nachdenklich reagiert hat, später aber dann auch die positiven Effekte eines Umzugs sah.

SPIEGEL ONLINE: Berlin trifft es hart, zumal die Hauptstadt sowieso schon unter hoher Arbeitslosigkeit leidet. Wowereit sieht in den Umzugsplänen eine Schwächung für den Aufbau Ost. Ein berechtigter Vorwurf?

Uldall: Ich sehe es genau umgekehrt. Hätte man jetzt von staatlicher Seite die Standortwahl beeinflusst, hätte das abwertende Wirkung für Ostdeutschland gehabt. Da hätten Investoren doch gefragt, wie schlecht die Situation sein muss, wenn eine Regierung den Unternehmen schon sagt, wo sie sich niederlassen sollen? Statt zu meckern hätte Wowereit die Vorteile des Standorts Berlin auflisten sollen. Nur auf die Mitleidsschiene zu setzen, ist absolut kontraproduktiv.

SPIEGEL ONLINE: Welche Beteiligungsstruktur streben Sie bei HHLA und HHA an? Wie viel Prozent will Hamburg an den Unternehmen nach dem Einstieg der Bahn noch halten?

Uldall: Die Bahn möchte bei beiden Gesellschaften eine Mehrheit haben. Auf diese Forderung werden wir uns nicht ohne weiteres einlassen. Hamburg verzichtet nicht vollständig auf seinen Einfluss. Entscheidender ist aus unserer Sicht, dass beispielsweise die Investitionstätigkeit bei der HHLA durch die Bahn weiter erfolgt. Wir wollen, dass das Potential der Hafengesellschaft den Wachstumschancen entsprechend weiter genutzt wird. Ich gehe jedoch davon aus, dass die Bahn im großen Stile Logistikaktivitäten auf die HHLA übertragen wird und den Logistikstandort Hamburg weiter stärkt.

SPIEGEL ONLINE: Mit anderen Worten: Je mehr Zugeständnisse und Garantien die Bahn macht, desto mehr Anteile darf sie erwerben?

Uldall: Die Gleichung würde ich nicht herstellen. Diese und andere Fragen werden wir in den weiteren Verhandlungen klären. Ich bin sicher, dass wir da mit der Bahn zu einem guten Ergebnis kommen.

SPIEGEL ONLINE: Mit welchen Einnahmen rechnen Sie aus dem Verkauf ihrer Anteile?

Uldall: Auch das werden die Verhandlungen zeigen. Gehen Sie aber davon aus, dass sich die positive Geschäftsentwicklung etwa bei der HHLA im Kaufpreis abbilden wird. Grundsätzlich gilt, dass wir nicht nur Kasse machen wollen. Einen Verkauf um jeden Preis wird es nicht geben. Alleine für die HHLA hat es in der Vergangenheit viele Kaufangebote gegeben. Für uns war es aber wichtig, dass die strategische Ausrichtung des Partners passt. Bei der Bahn ist das der Fall.

SPIEGEL ONLINE: Wie konkret sind die Pläne für eine neue Konzernzentrale der Bahn in Hamburg? Gibt es schon Gespräche über einen möglichen Standort?

Uldall: Die Bahn hat drei Standorte in Hamburg genannt. Es gibt ein Grundstück in der Nähe des Hauptbahnhofs. Eine zweite Fläche steht beim Altonaer Bahnhof zur Verfügung. Auch die Hafencity ist im Gespräch. Die Entscheidung hierüber liegt aber bei der Bahn.

SPIEGEL ONLINE: Mit wie vielen neuen Jobs rechnen Sie durch den Umzug der Bahn nach Hamburg?

Uldall: Wir rechnen mit über 1000 Arbeitsplätzen. Hinzu kommt der indirekte Effekt durch die Stärkung des Logistikstandortes Hamburg. Die Sogwirkung könnte ein Vielfaches an Jobs mit sich bringen.

SPIEGEL ONLINE: Inwieweit plant der Senat den Verkauf von HHA und HHLA für andere Interessenten zu öffnen?

Uldall: Wir haben bislang keine weiteren Interessenten für das Paket, über das wir derzeit mit der Bahn verhandeln. Wir sind hanseatische Kaufleute und führen keine Scheinverhandlungen mit irgendwelchen dritten Parteien.

SPIEGEL ONLINE: Drohen Probleme? Die Öffentliche Hand ist bei Privatisierungsverfahren doch dazu angehalten, das Verfahren diskriminierungsfrei zu halten?

Uldall: Nicht unbedingt. Wir haben ja keine Ausschreibung für unsere Beteiligungen gemacht. Die Bahn ist auf uns zugekommen. Und jetzt überlegen wir gemeinsam, wie wir das Ganze zu einem guten Abschluss bringen. Ob wir in dieser Situation eine Ausschreibung machen müssen, wird noch zu klären sein.

Das Interview führte Jörn Sucher
 


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SPIEGEL ONLINE - 29. November 2005, 18:33
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Kabinettsrüffel
 
Bundesregierung pfeift Mehdorn zurück

Von Michael Kröger

Mit einer beispiellosen Zurechtweisung hat die Bundesregierung auf die von Bahnchef Mehdorn ins Spiel gebrachte Standortverlagerung der Konzernzentrale nach Hamburg reagiert. Die öffentliche Ohrfeige schwächt Mehdorn, trotzdem glaubt niemand an einen Rücktritt.

Berlin - Mit feiner Diplomatie hielt sich das Kabinett heute nicht auf. Die Ansage für Bahnchef Hartmut Mehdorn war vielmehr klar und unmissverständlich. Der Umzug der Konzernzentrale der Bahn von Berlin nach Hamburg sei aus strukturpolitischen Gründen nicht akzeptabel, hieß es nach der heutigen Sitzung. Kein Hintertürchen im Tenor "müssen wir prüfen" oder "weitere Diskussionen sind erforderlich".

Der Rüffel für den obersten Angestellten des letzten bundeseigenen Großkonzerns hat es in sich. Noch nie wurde ein Manager in der Weise vor aller Öffentlichkeit zurückgepfiffen. Mehdorn selbst blieb nicht mehr als der Hinweis darauf, dass schließlich noch nichts entschieden sei, weder im Bahnvorstand, noch im Aufsichtsrat. Fragen der Verlagerung von Arbeitsplätzen, des künftigen Konzernsitzes oder des Kaufpreises seien "noch gänzlich offen".

Am Abend zuvor hatte Mehdorn Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee noch mit dem Argument zu überzeugen versucht, dass schließlich der Mietvertrag für den Berliner Sony-Tower in wenigen Jahren auslaufe. Schon von daher müsse eine Entscheidung für die Unterbringung der Konzernzentrale getroffen werden. Doch Tiefensee konterte kühl - und in aller Öffentlichkeit: "Ich bin mir sicher, dass Berlin die Chance nutzen wird und dem Unternehmen attraktive Unterbringungsmöglichkeiten anbieten kann".

Der Wind weht künftig von vorn

Zuletzt nutzte der Minister noch die Möglichkeit, Mehdorn noch einmal daran zu erinnern, wer letztendlich der Herr im Haus ist. Er habe mit Mehdorn vereinbart, dass man auch künftig wichtige Entscheidungen der Bahn intensiv und frühzeitig miteinander abstimmen werde, sagte Tiefensee. Er sei sich sicher, dass dies eine gute und belastbare Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen dem Eigentümer und dem Unternehmen sein werde.

Die Reaktion der Regierung dürfte bei Mehdorn endgültig Klarheit geschaffen haben, woher künftig der Wind weht - von vorne. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein kurzes Gespräch mit dem Kanzleramt die Wogen glätten konnte. Die Narrenfreiheit, die er unter Bundeskanzler Gerhard Schröder genoss, gehört endgültig der Vergangenheit an. Rückhalt, so die Botschaft, ist keineswegs mehr uneingeschränkt gesichert.

Schon frohlocken die Kritiker des Bahnchefs, die Eskapade könnte das Ende seiner Amtszeit einläuten. "Mehdorn hat sich vergaloppiert" sagte ein Bundestagsabgeordneter am Rande einer Sitzung. Alle Erfahrung zeige, dass der Mann nicht zu disziplinieren sei. "Beliebt hat sich Mehdorn mit dieser Aktion nicht gemacht", sagt ein anderer. Alles deute darauf hin, dass Mehdorn die Interimszeit bis zur Regierungsübernahme für seinen Coup habe nutzen wollen.

"Nicht mehr tragbar"

Omid Nouripour, im Bundesvorstand der Grünen für Verkehrsfragen zuständig, wurde sogar noch deutlicher: "Mehdorn hat für sein selbstherrliches Vorgehen vor aller Augen eine herbe Klatsche kassiert. Das macht man doch nicht, wenn man mit so einem noch friedlich zusammenarbeiten will", sagt er. "Man muss die Frage stellen, ob der Mann überhaupt noch tragbar ist."

Dass der Bahnchef tatsächlich kurz vor dem Rausschmiss steht, glauben jedoch nicht einmal seine schärfsten Widersacher. "Mehdorn ist zwar nicht mehr sakrosankt", sagt Grünen-Verkehrsexperte Winfried Hermann. "In einem zentralen Punkt hat das Kabinett seine Strategie jedoch bestätigt." Die Bahn dürfe sich von nun an auch den letzten Konkurrenten einverleiben.

Tatsächlich hat das Kabinett Mehdorns Plan gebilligt, die Bahn zum Logistikdienstleister umzubauen. Gegen die Beteiligungen an der Hamburger Hochbahn und an der Hafengesellschaft HHLA bestehen keine Einwände, auch wenn Opposition und unabhängige Fachleute massiv dagegen aufbegehren.
Es handle sich um zukunftsweisende Strategien, sagte Tiefensee. Mit der Umsetzung der Pläne könne es der Bahn gelingen, sich auf den europäischen und internationalen Transport- und Logistikmärkten stärker aufzustellen.

Eine solche Zukunftsstrategie lässt sich aber nur mit einem Vorstandvorsitzenden verfolgen, der über entsprechenden Rückhalt von Seiten der Eigentümer verfügt, darüber sind sich auch die verantwortlichen Verkehrspolitiker von Union und SPD im Klaren. Diese versuchten denn auch anschließend, die Zurechtweisung als Petitesse hinzustellen.

"Was wirklich gestört hat, war die Art und Weise, wie diese Standortentscheidung herbeigeführt werden sollte", sagte der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Georg Brunnhuber. Auch SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler, sonst nicht eben zurückhaltend mit seinen Äußerungen, betrachtet die Angelegenheit als beendet. "In den eigentlich wichtigen unternehmerischen Fragen hat Mehdorn volle Rückendeckung." Was die künftige Zusammenarbeit von Bahnchef und Bundesregierung betreffe, seien lediglich noch einige Stilfragen zu klären.
 


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SPIEGEL ONLINE - 29. November 2005, 07:22
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Hamburg vs. Berlin
 
FDP und Grüne attackieren Bahn-Umzug

FDP und Grüne haben die Bundesregierung aufgefordert, die Verlagerung der Bahn-Zentrale von Berlin nach Hamburg zu verhindern. Heute beschäftigt sich das Kabinett mit dem Vorhaben. Der Konzern selbst will erst 2006 über den Umzug entscheiden.

Berlin - Die Verlagerung des Konzernsitzes sei zwar eine unternehmerische Entscheidung, "aber wenn der Hamburger Senat seine Hochbahn und Hafengesellschaft der Deutschen Bahn quasi unter der Bedingung anbietet, dass die dafür ihre Zentrale mitbringt, hat das einen üblen Beigeschmack", sagte der verkehrspolitische FDP-Sprecher Horst Friedrich der "Berliner Zeitung". Der richtige Weg wäre, Hamburg würde den Verkauf seiner Gesellschaften ausschreiben. Dann hätten auch andere Interessenten eine Chance.

Der Grünen-Verkehrsexperte Winfried Hermann sagte dem Blatt, die Bahn hätte bei einem Kauf der Hochbahn auf Anhieb eine Monopolstellung im Nahverkehr der Regionen Hamburg und Schleswig-Holstein. Damit würde jeglicher Wettbewerb erdrückt. Deshalb müsse der Bund als hundertprozentiger Gesellschafter die Pläne verhindern.

Bahn entscheidet 2006 über Umzug

Die Entscheidung über einen möglichen Umzug der Bahn-Zentrale solle frühestens im April 2006 fallen, teilte der Konzern nach einem Treffen von Bahnchef Hartmut Mehdorn und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) mit. Der Bund als Eigentümer der Bahn solle "eng in den Entscheidungsprozess eingebunden werden".

Mehdorn betonte, die Frage des künftigen Konzernsitzes sei noch "gänzlich offen". Die geplante Beteiligung der Bahn am Hamburger Hafen und an der Hamburger Hochbahn sei aber auch im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Tiefensee erklärte: "Für die Bundesregierung ist entscheidend, dass noch keine Beschlüsse in Aufsichtsrat und Unternehmen gefallen sind." Der Bund werde darauf achten, dass "alle Interessen sorgfältig berücksichtigt werden".

Kabinett berät über Bahn-Pläne

Am Freitag hatten die Bahn und Hamburg verkündet, dass der Schienenkonzern bei der Hamburger Hafengesellschaft HHLA und bei dem Hamburger Verkehrsbetrieb Hamburger Hochbahn einsteigen will. Zudem plant der Schienenkonzern die Verlagerung seiner Zentrale in die Hansestadt. Der geplante Umzug steht heute auf der Tagesordnung des Kabinetts. Bundesverkehrsminister Tiefensee wird die Regierungsmitglieder über die konkreten Standortabsichten der Bahn unterrichten. Zur Vorbereitung sollte der Ressortchef gestern mit Bahnchef Mehdorn zu einem Gespräch zusammenkommen.

Darüber hinaus will die Ministerriege unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erste Schritte zur Umsetzung des Koalitionsvertrages einleiten. Unter anderem will das Kabinett die geplante Abschaffung der Eigenheimzulage sowie Neuregelungen im Bereich Arbeit auf den Weg bringen. Dazu gehören nach Angaben eines Sprechers des Arbeitsministeriums unter anderem die Verlängerung der Ich-AG um sechs Monate bis 30. Juni 2006, die Reduzierung der Personal-Service-Agenturen sowie kleinere gesetzgeberische Bestimmungen zur Verlängerung von Arbeitsmarktmaßnahmen. Die Verlängerung solle genutzt werden, um alle Existenzgründungsmaßnehmen zu überprüfen und ein "geschlossenes neues Konzept zu entwickeln", sagte der Sprecher.
 


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SPIEGEL ONLINE - 29. November 2005, 17:05
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Streit um Bahn-Umzug
 
Von Beust erbost über Merkels Weichenstellung

Im Streit um den Umzug der Bahnzentrale von Berlin nach Hamburg setzt Bürgermeister Ole von Beust die Regierung von Angela Merkel unter Druck: Das Bundeskabinett hatte den Verlagerungsplänen zuvor eine Absage erteilt.

Hamburg - "Das ist ein Testfall für die Wirtschaftspolitik der neuen Bundesregierung", sagte von Beust am Nachmittag vor Journalisten in Hamburg. Schwarz-Rot stehe im Falle der Bahn vor einer grundsätzlichen Weichenstellung. "Will die Regierung die Bundesunternehmen - wie bei Lufthansa, Post und Telekom erfolgreich geschehen - für den Markt öffnen oder durch politische Einflussnahme gute wirtschaftliche Entwicklung verhindern", erklärte von Beust. Struktur- und Regionalpolitik mit Hilfe bundeseigener Unternehmen sei jedenfalls nicht die Aufgabe der Regierung, fügte er hinzu.

Das Bundeskabinett hatte die Umzugspläne der Bahn zuvor ausgebremst. Ein Verlegen der Zentrale des staatseigenen Unternehmens von Berlin nach Hamburg sei "aus strukturpolitischen Gründen nicht akzeptabel", zitierte Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) nach der Kabinettssitzung aus den Beratungen. Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat sich für einen Verbleib der Bahn-Zentrale in Berlin ausgesprochen. "Ich glaube, dass die Konzernleitung der Deutschen Bahn in Berlin sitzen sollte", sagte Steinbrück vor Journalisten in Berlin. Allein "aus patriotischen Gründen" sollte das Unternehmen in Berlin angesiedelt sein.

Die Bahn hatte im Zusammenhang mit Verhandlungen um eine Beteiligung an dem Hamburger Hafenbetreiber HHLA und dem Verkehrsbetrieb Hamburger Hochbahn AG einen Umzug "zentraler Funktionen" in die Hansestadt erwogen. Bis zu 1000 Arbeitsplätze wären davon betroffen. Die Pläne hatten in Berlin zu lautstarken Protesten geführt. Bürgermeister Klaus Wowereit hatte vor negativen Folgen für den Aufbau Ost gewarnt.

Hamburg stellt Ultimatum

Von Beust sah in den Verlautbarungen aus dem Kabinett keine endgültige Absage an eine Verlegung des Bahn-Hauptquartiers. "Gegen den Umzug gibt es politisches Bauchgrimmen in Berlin, aber das ist noch keine abschließende Festlegung", sagte er. "Wir haben keinen Grund die Ohren hängen zu lassen." Hamburg werde die Pläne weiter mit Nachdruck verfolgen, weil sie betriebs- und volkswirtschaftlich vernünftig seien. Gleichzeitig stellte von Beust ein Ultimatum: "In den nächsten sechs bis acht Wochen brauchen wir ein Ergebnis." Gemeinsam mit der Bahn wolle man nun der Bundesregierung die Vorteile der Transaktion deutlich machen.

Auf Abstriche will sich die Stadt nicht einlassen. "Der Vorstand der Bahn hat Hamburg ein Paket angeboten, das auch nur als Paket verhandelbar ist", sagte von Beust. Will heißen: Einen Verkauf der stadteigenen Unternehmen HHLA und HHA ohne eine Verlegung der Bahn-Zentrale wird es nicht geben. Dabei hatte die Bundesregierung die geplanten Zukäufe in Hamburg gelobt. Sie passen in die Zukunftsstrategie, den Konzern als Mobilitäts- und Logistik-Dienstleister zu stärken, hatte Tiefensee erklärt. Nur von der Zentrale mochte sich das Kabinett nicht trennen.

Hamburgs Finanzsenator Peiner (CDU) verwies zudem auf mögliche Folgen für den bevorstehenden Börsengang des Schienenkonzerns: "Die Kapitalmärkte prüfen genau, ob die Bahn reif für die Börse ist." Auch vor diesem Hintergrund sei ein Umzug weg von Berlin nach Hamburg im Sinne des Unternehmens. Gleichzeitig schloss Peiner seinerseits eine Anpassung des aktuellen Angebotes aus: "Hafenpolitik kann man nicht von Berlin aus machen."

Bundesregierung will sich ein vollständiges Bild machen

Nach Angaben von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm hat das Bundeskabinett tatsächlich noch keinen förmlichen Beschluss zu einem möglichen Umzug der Deutschen Bahn von Berlin nach Hamburg getroffen, wobei die Pläne jedoch politisch bewertet würden. Demnach liege es im Interesse der Stärkung der Wirtschaftskraft der neuen Länder, dass eine relevante große Unternehmenseinheit ihren Sitz und ihre Zentrale in Berlin hat. Das sei die Bahn.

Die betriebswirtschaftlich relevanten Fragen hingen entscheidend von den kommenden Verhandlungen ab, sagte Wilhelm weiter. Bahnvorstand Hartmut Mehdorn habe jedoch erklärt, dass es über die Verhandlungen mit dem Land Hamburg noch keinen Vorstandsbeschluss gebe. Ebenso wenig sei der Aufsichtsrat mit dem Thema befasst gewesen. Die Bundesregierung werde, wenn am Ende der Verhandlungen ein vollständiges Bild vorliege, eine Gesamtabwägung vornehmen. Erst dann könne ein förmlicher Beschluss des Kabinetts gefasst werden, sagte Wilhelm.

Jörn Sucher
 


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