SPIEGEL ONLINE - 30. November 2005, 16:32
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Discounter
 
Mit Gottes Hilfe gegen Aldi

Von Viktor Funk

Neue Strategien gegen schlechte Arbeitsbedingungen: Beschäftige bei Discountern tragen ihren Protest gegen die Arbeitgeber von der Straße in die Kirchen. In München klagen sie Lidl und Aldi vor Gott an.

Hamburg - Die Dreifaltigkeits-Kirche aus der Rokoko-Zeit in der Münchener City wird heute Abend ganz in der Hand von Arbeitnehmern sein. Frauen und Männer aus der Discounterbranche wollen in dem 300 Jahre alten Prachtbau ab 18 Uhr ihre Nöte vortragen: Überstunden ohne Entgelt, Streichung des Weihnachtsgeldes, willkürliche Entlassungen.

Die Gewerkschaft Ver.di und Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche haben das Aufbegehren gegen Aldi, Lidl, Tack und andere Billiganbieter organisiert. Thema: "Die Würde des Menschen ist unantastbar - auch am Arbeitsplatz." Die Passende Bibelstelle steht auch schon fest: Altes Testament, Prophet Amos, Kapitel fünf, Verse 7 bis 14. Lidl & Co sollen sich angesprochen fühlen: "...die ihr das Recht in Wermut verkehrt und die Gerechtigkeit zu Boden stoßt... weil ihr die Armen unterdrückt und nehmt von ihnen hohe Abgaben..."

Mit Bibel und Gebet gegen das Discounterregime: Jasna Schmidt will dabei neue Kraft schöpfen. Die 35-Jährige hat mehr als vier Jahre für Aldi-Süd gearbeitet. Nein, mehr geschuftet als gearbeitet, sagt sie. "Ich bekam so viele Aufgaben, dass ich sie unmöglich erfüllen konnte", berichtet sie im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Weil sie das nicht schaffte, wurde sie oft "vor versammelter Mannschaft runter geputzt". Dann wurde sie gefeuert.

Aber sie habe nicht deswegen gehen müssen, weil sie die Arbeit nicht erledigt habe. "Ich wolle einen Betriebsrat gründen", erzählt sie. Sie wollte Mitbestimmung für die Angestellten. Sie wollte ein Wort mitreden in der Aldi-Filiale im Münchner Stadtteil Großhadern. Sie wollte mitwirken, wenn die Arbeitsbedingungen gestaltet werden. Doch ihr Arbeitgeber habe davon nichts wissen wollen. Das Unternehmen selbst will zu diesem konkreten Fall nichts sagen.

Betriebsratfreie Zone

Ver.di-Mann Orhan Akman kritisiert die Einschränkungen der Arbeitnehmerrechte: "Aldi-Süd ist eine betriebsratfreie Zone", sagt er. Akman beschäftigt sich schon lange mit den Discountern. Gutes kann er über sie nicht erzählen. Die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich seit Jahren: mehr Produktfläche, weniger Personal, längere Arbeitszeiten, Entlassungen von Vollbeschäftigten und Ausweitung von Teilzeitarbeit.

Zumindest die Lohnentwicklung bei den Discountern erscheint zunächst positiv. Zurzeit verdienen die Beschäftigten nach dem Tarifvertrag in Vollzeit zwischen 7,55 und 12,18 Euro Brutto die Stunde. In den vergangenen vier Jahren sind die Gehälter auch stärker als die Inflationsrate gewachsen.

"Auf den ersten Blick bezahlen sie auch mehr", erklärt Akman. Doch dafür müssten die Mitarbeiter häufig Überstunden leisten, die nicht verrechnet werden. "Wir registrieren Fälle bei Aldi und Lidl, in denen auf diese Weise die Tariflöhne unterlaufen werden", berichtet der Discounter-Experte von Ver.di. Stress, Überstunden und niedriger Lohn sind Alltag. Dieser Alltag greife aber die Würde der Menschen an, sagen die Organisatoren des ungewöhnlichen Gottesdienstes.

Wer aufmuckt, fliegt

"Wir müssen uns einfach einmischen, wir müssen uns auf die Seite der Betroffenen stellen", sagt der Sozial- und Industriepfarrer Roland Pelikan. "Viele von ihnen reden aber nicht öffentlich. Heute sollen sie dann zu Wort kommen." Pelikan wird sie gemeinsam mit seinem Kollegen von der katholischen Betriebseelsorge, Charles Borg-Manché, mit Predigt und Gebet unterstützen.

Ohne öffentliche Hilfe könnten die Betroffenen die Hemmschwelle nicht überwinden und reden, sagt Pelikan. Kein Wunder: "Die meisten Beschäftigen trauen sich nicht, über die Probleme zu sprechen", berichtet Jasna Schmidt. Wenn sie es tun und versuchen, sich zu organisieren, "werden sie schnell gefeuert". Vor allem Frauen.

Anklage vor Gott

Nicht nur bei Aldi wird Druck auf die Beschäftigten ausgeübt. Eine ehemalige Verkäuferin des Schuhbilliganbieters Tack berichtet, sie sei ebenfalls entlassen worden, als sie sich gegen schlechtere Arbeitsbedingungen wehren wollte. "Wir haben neue Verträge vorgelegt bekommen. Das Weihnachtsgeld war gestrichen, Urlaubsgeld halbiert, Arbeitszeit erhöht worden", berichtet die 54-jährige Münchnerin, die ungenannt bleiben möchte. Nach vier Jahren bei Tack sei sie entlassen worden, "weil ich einen Betriebsrat gründen wollte, als die neuen Bestimmungen kamen."

Die Frau hatte bereits drei Kollegen für ihren Plan gewonnen. Dann, einen Tag vor der Wahl der Arbeitnehmervertretung, "wurden wir alle entlassen". Für Geschäftsführung von Tack hatte aber die geplante Betriebsratsgründung nichts mit den Entlassungen zu tun. In einer schriftlichen Mitteilung an SPIEGEL ONLINE heißt es: "Die Gründe liegen im kranheits-, verhaltens- und organisatorischen Bereich."

Die ehemalige Tack-Verkäuferin wird heute Abend auch auf der Kirchenbank sitzen. Sie will gemeinsam mit den Kirchenvertretern die Discounter anklagen. "Gemeinsames Beten ist für uns Christen nicht nur ein Akt des Glaubens, sondern auch ein Akt des Protestes, des Klagens vor Gott", sagt Charles Borg-Manché. Gerade zur Adventszeit soll daran erinnert werden, dass die Würde des Menschen auch am Arbeitsplatz gelte. "Sie kann nicht vor der Tür eines Betriebes abgegeben werden wie ein Mantel an der Garderobe."

Während Lidl gegenüber SPIEGEL ONLINE zu den Vorwürfen der Mitarbeiter und Gewerkschaftsfunktionäre gar nichts sagen wolle, erklärte Aldi-Süd: "Wir legen im Umgang mit unseren Mitarbeitern sehr viel Wert auf Fairness und Respekt. Daher betreiben wir eine eigene Tarifpolitik - unabhängig von den Gewerkschaften und zum Vorteil unserer Mitarbeiter."
 


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