SPIEGEL ONLINE - 16. November 2005, 14:47
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Unruhen in Frankreich
 
Minister sieht Polygamie als Ursache für Krawalle

Auf der Suche nach den Gründen für die Gewaltausbrüche in den Vorstädten glauben französische Politiker fündig geworden zu sein: Die in vielen Immigranten-Familien verbreitete Polygamie führe zu "antisozialem Verhalten", sagte Arbeitsminister Larcher.

London/Paris - Einem Bericht der Londoner "Financial Times" zufolge sieht der französische Arbeitsminister Gerard Larcher in der Polygamie unter Einwanderern eine Ursache für die Jugendkrawalle der vergangenen Wochen. "Da einige Teile der Gesellschaft dieses antisoziale Verhalten zeigen, ist es nicht verwunderlich, das manche von ihnen Probleme bei der Arbeitssuche haben", zitiert die Zeitung Larcher. Die Mehrehe unter Immigranten sei einer der Gründe für das Entstehen rassistischer Vorbehalte gegenüber der Minderheit, die letztlich zur Abweisung auf dem Arbeitsmarkt führten.

Große, polygame Familien könnten bei Jugendlichen antisoziales Verhalten hervorrufen, sagte der Minister. Deswegen seien Arbeitgeber sehr zurückhaltend bei der Einstellung von Angehörigen ethnischer Minderheiten. Dem Bericht zufolge sagte Larcher weiter: "Es muss von beiden Seiten Anstrengungen geben. Wenn man jemanden nicht beschäftigen kann, dann wird derjenige auch keine Beschäftigung finden."

Polygamie ist in Frankreich gesetzlich verboten und kann mit Gefängnis bestraft werden. Nach Schätzungen gemeinnütziger Vereine sind in Frankreich dennoch bis zu 30.000 Familien und 500.000 Menschen davon betroffen. Die Toleranz dieses ungesetzlichen Verhaltens durch Einwanderer vor allem aus Afrika gründet sich auf eine Tradition, nach der der Personenstand eines Ausländers respektiert wird. Im Juli 1980 erlaubte der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht des Landes, sogar eine Familienzusammenführung der von Polygamie betroffenen Menschen. Tausende Zweitfrauen aus Mali, Mauretanien, Senegal und Gambia kamen damals nach Frankreich.

"Polygamie widerspricht den Rechten der Frau"

Auch der Fraktionsvorsitzende der französischen Regierungspartei UMP, Bernard Accoyer, machte die Polygamie für die Gewalt in den Problemvierteln mitverantwortlich. Im Rahmen der Familienzusammenführung seien in den vergangenen Jahrzehnten viele polygame Familien nach Frankreich gekommen, sagte Accoyer im Rundfunksender RTL. Die Vielweiberei "widerspricht den Rechten der Frau und schafft gewaltige Wohnprobleme", erklärte der Regierungspolitiker.

In der Regierungspartei UMP mehren sich die Stimmen, den Zuzug von Ausländern über Familienzusammenführung zu beschränken. In der Presse war ein Beispiel aus Aubervilliers bei Paris genannt worden, wo eine Familie aus Schwarzafrika "mit vier Ehefrauen und 30 Kindern in einer Vierzimmerwohnung lebt".

Welle der Gewalt ebbt ab

In der Nacht zum Mittwoch zündeten Randalierer in französischen Vorstädten wieder Autos an. Die Zahl der Brandstiftungen ging jedoch im Vergleich zu den Nächten zuvor weiter zurück. 163 Fahrzeuge wurden nach einer Bilanz der Polizei in Brand gesetzt, 50 Menschen festgenommen. Seit Beginn der Unruhen am 27. Oktober sind 8973 Fahrzeuge in Flammen aufgegangen.

Die Nationalversammlung hatte am Dienstagabend gegen den Widerstand der linken Opposition die Verlängerung des Notstandsrechtes um drei Monate gebilligt. Nach der erwarteten Zustimmung des Senats an diesem Mittwochabend kann die Regierung damit bis zum 21. Februar 2006 weiter Ausgangssperren für Jugendliche in Problemvierteln durchsetzen.
 


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SPIEGEL ONLINE - 15. November 2005, 20:32
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Frankreich
 
Ausnahmezustand um drei Monate verlängert

Das französische Parlament hat die Verlängerung des Ausnahmezustands um drei Monate beschlossen. Zuvor hatten Regierung und Opposition angesichts der Beruhigung der Lage über den Sinn der Maßnahme gestritten.

Paris - Die Verlängerung des Ausnahmezustands ums drei Monate soll am 21. November in Kraft treten, wenn die derzeitige Notstandsregelung ausläuft. Der Entscheidung war eine heftige Debatte vorausgegangen.

Innenminister Nicolas Sarkozy von der konservativen Regierungspartei erklärte, die Verlängerung sei notwendig, um die seit mehr als zwei Wochen anhaltenden Unruhen in den Griff zu bekommen. Noch sei nichts endgültig erreicht. Die Gewalt werde von Leuten gewollt, die sich hauptsächlich der Kriminalität hingeben und "die sich dem Willen der Republik widersetzen, auf ihrem Gebiet Ordnung und Recht wieder herzustellen". 75 bis 80 Prozent der Festgenommenen seien polizeibekannte Kriminelle, sagte Sarkozy.

Die KPF-Chefin Marie-George Buffet entgegnete: "Das Notstandsrecht ist eine Kriegserklärung an die Armen." Wenn man nicht schnell Wohnungen, Arbeit und Hilfen für die Familien bereitstelle, werde es in wenigen Monaten neue Ausschreitungen geben. Die Sozialisten, die den Rückgriff auf das Notstandsgesetz zunächst mitgetragen hatten, lehnten die Verlängerung per Gesetz ebenfalls ab. Die Regierung verfüge auch so über genügend Mittel, die Ordnung zu sichern.

Premierminister Dominique de Villepin sagte zur Begründung für die Verlängerung des Ausnahmezustands, die Situation sei in zahlreichen Vierteln immer noch ernst. Die Entscheidung fiel schließlich mit 346 zu 148 Stimmen. Am Mittwoch muss nun noch der Senat über den Regierungsantrag entscheiden.

Die Krawalle verloren in der 19. Nacht weiter an Stärke. Landesweit wurden noch 215 Autos angezündet, 71 Menschen wurden festgenommen. Die Polizeiführung sprach von einer "Rückkehr zu einer quasi-normalen Lage". Seit Beginn der Unruhen am 27. Oktober wurden der offiziellen Bilanz zufolge bislang 2838 Menschen vorübergehend festgenommen. 8810 Fahrzeuge von Bussen und Autos bis hin zu zu Motorrädern gingen in Flammen auf. In Dijon gingen am Dienstagabend rund 200 Menschen auf die Straße und forderten ein Ende der Gewalt.
 


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