SPIEGEL ONLINE - 07. November 2005, 19:28
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SPD
 
Konzertierte Aktion gegen Reiche

Von Carsten Volkery

Mit einer Reichensteuer auf Jahreseinkommen ab 130.000 Euro will SPD-Chef Müntefering die Zustimmung der Partei zum Koalitionsvertrag erkaufen. Ist dies der Beginn eines Linksschwenks? Daran glauben nicht einmal die Linken in der SPD.

Berlin - Nachdem Franz Müntefering sich am Wochenende noch über die Geschwätzigkeit seiner Genossen beklagt hatte, nutzte er selbst heute wieder die Medien, um ein Zeichen zu setzen. "Wir werden in den Koalitionsverhandlungen anderen Steuererhöhungen nur zustimmen, wenn auch die hohen Einkommen stärker belastet werden", ließ der SPD-Chef via "Bild"-Zeitung mitteilen.

Die klare Ansage für eine Reichensteuer wurde von der Unionsseite prompt mit Protestgeheul beantwortet. "Öffentliche Erpressungsversuche" der SPD werde man nicht hinnehmen, sagte CDU-Generalsekretär Volker Kauder. Doch der gespielte Widerstand dürfte sich in Wohlgefallen auflösen. Eine oder zwei zusätzliche Milliarden, um das Haushaltsloch zu stopfen, dürften auch der Union gelegen kommen. Wichtige Unionspolitiker, darunter der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff und sein hessischer Kollege Roland Koch, haben denn auch bereits grundsätzliche Zustimmung zur Sondersteuer erkennen lassen.

Die SPD-Führung will die Reichensteuer im Tausch für die von der Union geforderte Mehrwertsteuererhöhung. Nur so, heißt es in der SPD, wird der Bundesparteitag nächste Woche den Koalitionsvertrag absegnen. "Die Symmetrie muss gewahrt bleiben", sagte Fraktionsvize Ludwig Stiegler SPIEGEL ONLINE. "Es muss klar werden, dass bei der Konsolidierung auch die starken Schultern belastet werden".

Gestern vereinbarten führende Genossen auf einer Klausurtagung, die Reichensteuer zum zentralen Thema der Woche zu machen. Dies wurde heute an der Zahl der öffentlichen Wortmeldungen deutlich. "Ich glaube, dass das ein sehr sinnvoller Beitrag ist", sagte etwa der designierte Parteichef Matthias Platzeck. Sein künftiger erster Stellvertreter Kurt Beck sprach von einem Gebot der "Fairness".

Einer der Betroffenen, der Hamburger Millionär Peter Krämer, kritisierte hingegen die SPD-Pläne als nicht weitreichend genug. Der Reeder hatte zusammen mit Gleichgesinnten am Wochenende eine Anzeige in großen Zeitungen geschaltet, in der er höhere Steuern für Millionäre forderte. Die geplante Reichensteuer bringe nur 1,2 Milliarden Euro, sagte er heute auf N24, ein Klacks im Vergleich zu den 16 Milliarden Euro, die eine Mehrwertsteuererhöhung um zwei Prozentpunkte bewirken würde.

SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter verteidigte den Plan heute nach den Sitzungen von SPD-Präsidium und Parteirat. Der Betrag von 1,2 Milliarden Euro sei "sicher nicht zu wenig". Dann fügte er noch den Satz hinzu, der die Journalisten aufhorchen ließ: "Außerdem muss das nicht das letzte Wort sein". Auf Nachfrage erklärte Benneter, dass die Einkommensgrenzen auch noch gesenkt werden könnten.

Die "Berliner Zeitung" meldete wenig später, dass Müntefering in der Präsidiumssitzung gefordert habe, den erhöhten Spitzensteuersatz von 45 Prozent schon bei 130.000 Euro Jahreseinkommen (Ledige) und 260.000 Euro (Verheiratete) anzuwenden. Bisher galt das SPD-Wahlmanifest, worin steht, dass der erhöhte Steuersatz bei Jahreseinkommen ab 250.000 Euro bzw. 500.000 Euro gelten soll. Die Absenkung der Einkommensgrenze würde 700 Millionen Euro mehr in die Staatskassen spülen, insgesamt also 1,9 Milliarden Euro.

Bringt die Einführung einer Reichensteuer nun die SPD auf Linkskurs? Das glauben nicht einmal die SPD-Linken. Der Anpassungsdruck in einer Großen Koalition werde die SPD in der Mitte halten, heißt es. Dafür spricht auch, dass die SPD eine andere Maßnahme der rotgrünen Regierung nicht rückgängig machen will: Die Steuerfreiheit von Gewinnen beim Verkauf von Unternehmensanteilen, die 2001 eingeführt worden war, soll nach dem bisherigen Stand der Koalitionsverhandlungen erhalten bleiben. Die Steuerfreiheit führte vielfach erst dazu, dass mittelständische Unternehmen für Finanzinvestoren interessant wurden, die Müntefering im Frühjahr als "Heuschrecken" verdammte.

Noch ungeklärt ist die Frage einer höheren Erbschaftsteuer. Der linke SPD-Flügel hat hier immer noch Hoffnungen. Auch Reeder Krämer forderte eine Anhebung der Erbschaftsteuer für zehn Prozent der reichsten Deutschen: "Das würde völlig ausreichen nach meiner Überzeugung, um die Steuerlöcher zu stopfen."
 


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