SPIEGEL ONLINE - 20. Oktober 2005, 12:19
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Bremens Große Koalition
 
"Schluss mit der Harmoniesoße"

Von Alwin Schröder

Nach dem Rückzug von Bremens Bürgermeister Henning Scherf steht es mit der Großen Koalition an der Weser nicht zum Besten. Sein designierter Nachfolger Jens Böhrnsen kündigt bereits einen härteren Kurs gegen die Union an. Ob das Bündnis noch bis 2007 hält, ist längst nicht mehr sicher.

Bremen - Als er noch Kandidat für die Nachfolge von Scherf war, hatte sich Bildungssenator Willi Lemke mit Kritik am Koalitionspartner CDU zurückgehalten. Doch nach seiner schweren Niederlage im Zweikampf mit Fraktionschef Böhrnsen schlug auch der frühere Manager von Werder Bremen härtere Töne gegen die Union an. "Schluss mit der Harmoniesoße. Wir müssen mehr streiten und kämpfen", forderte Lemke gestern Abend auf dem SPD-Parteitag.

Böhrnsen wurde dabei mit 97,6 Prozent der Stimmen zum offiziellen Nachfolger von Scherf nominiert. Anfang November soll der frühere Richter dann zum neuen Ministerpräsidenten des kleinsten Bundeslandes gewählt werden. Der Bündnispartner muss sich dann wohl warm anziehen: Es müssten mehr sozialdemokratische Positionen durchgesetzt werden, forderte Böhrnsen.

Seit zehn Jahren besteht das Bündnis aus SPD und CDU an der Weser. Vor allem dem Engagement von Scherf war es zu verdanken, dass die Koalition so lange hielt. Denn innerhalb der SPD hatte man die Ehe mit der Union immer mit viel Skepsis hingenommen. Doch nun wittern die Gegner der Großen Koalition offenbar Morgenluft.

Schon bei der Mitgliederbefragung der SPD, als sich die beiden Kandidaten Lemke und Böhrnsen der Basis präsentierten, hatte Böhrnsen gegen die "Schwarzen" vom Leder gezogen. "Neoliberale Verirrungen" und ein "einfältiges Konzept" in der Sozialpolitik warf er den Bremer Unions-Politikern vor. Während der Etat des CDU-Wirtschaftssenators offenbar "heilig" sei, forderten sie von ihrer SPD-Kollegin im Sozialbereich massive Einsparungen, wetterte Böhrnsen. Das dürfe "so nicht weitergehen".

In einem zehnseitigen Grundsatzpapier hatte Böhrnsen, der von sich sagt "Ich bin ein Roter", bereits Anfang des Jahres niedergeschrieben, was er vom Bündnis mit der CDU hält: "Eine Große Koalition ist kein Vereinigungsparteitag".

Selbstbewusster ist die Bremer SPD auch seit der Bundestagswahl. Da hatten die Sozialdemokraten die Union mit 42,9 zu 22,8 Prozent so weit hinter sich gelassen wie in keinem anderen Bundesland.

SPD-Landeschef Carsten Sieling beteuert noch, die Sozialdemokraten wollten am Koalitionsvertrag mit den Christdemokraten festhalten. "Wir haben den Vertrag bis 2007 und werden ihn auch einhalten."

Aber bei der CDU scheint man zurzeit nicht allzu viel auf solche Treueschwüre zu geben. Landeschef Bernd Neumann kündigte bereits Gesprächsbedarf mit der SPD-Spitze an. Die CDU müsse vor der Abstimmung über den Regierungschef wissen, ob und wie er den Kurs der Großen Koalition verändern wolle.

Die Skepsis der Christdemokraten scheint berechtigt. "Was 2007 ist, weiß kein Mensch", sagte Lemke kürzlich, als er in einem Interview mit der "taz" gefragt wurde, ob er eine rot-grüne Dämmerung am Horizont sehe. Rechnerisch ist ein Bündnis mit den Grünen schon heute in der Bremer Bürgerschaft möglich.

Schon nach dem angekündigten Scherf-Rücktritt hatten die Grünen ihre Bereitschaft signalisiert. Ein Ende von Rot-Schwarz würde sie angesichts der katastrophalen Haushaltssituation begrüßen, sagte Fraktionschefin Karoline Linnert damals zu SPIEGEL ONLINE. Denn die letzten Jahre habe Bremen nur in "Agonie" verbracht. "Wir würden gerne mitregieren und sind vorbereitet."
 


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