SPIEGEL ONLINE - 07. September 2005, 19:10
URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,373595,00.html

SPD
 
Schröder gibt als Wahlziel 38 Prozent aus

Die SPD schöpft angesichts massiver Zuwächse in den Umfragen neue Hoffnung: Bundeskanzler Schröder gab für seine Partei jetzt 38 Prozent als Wahlziel aus. In der Union wird angesichts der wackelnden Mehrheit laut über den Ernstfall der großen Koalition nachgedacht.

Berlin - Er habe sich vorgenommen, "jetzt noch vier Prozent draufzulegen in den nächsten zehn Tagen", sagte Schröder heute in einem Interview mit dem Nachrichtensender n-tv zu einer aktuellen Forsa-Umfrage, nach der die Sozialdemokraten auf 34 Prozent kommen. Weiter sagte er: "Wir brauchen noch vier Prozent Zuwachs, die anderen müssen genau die verlieren, dann haben wir ein Ergebnis, wie wir es 2002 auch hatten." 2002 hatte die SPD 38,5 Prozent erzielt.

Nach den neuen Forsa-Zahlen hätten SPD, Grüne und Linkspartei eine Mehrheit. Da Schröder eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei ausgeschlossen hat, wäre derzeit eine große Koalition aus CDU/CSU und SPD die wahrscheinlichste Lösung. Schröder zeigte sich zuversichtlich, dass es zu einer solchen Patt-Situation nicht kommen werde: "Das wird nicht Wirklichkeit werden".

Der Kanzler betonte, mit einem solchen Ergebnis könne er "in der Konstellation weiter arbeiten können, in der ich diese Erneuerung nach innen und die außenpolitische Positionierung Deutschlands als Friedensmacht begonnen habe". "Ich will das fortsetzen."

Verwundert zeigte sich Schröder, dass Union und FDP schon jetzt die Wahl für gelaufen hielten. "So etwas zahlt sich nicht aus", betonte er. Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel reagierte gelassen auf die Zugewinne der SPD. Dem Nachrichtensender N24 sagte sie, sie nehme die Umfrage als Ansporn. Die Union habe eine hervorragende Ausgangsposition. "Wir kämpfen bis zur letzten Stunde", betonte die CDU-Chefin.

Nach der heute veröffentlichten Forsa-Umfrage für "Stern" und RTL hat die SPD massiv aufgeholt, so dass es erstmals seit Wochen nicht mehr für eine schwarz-gelbe Regierung reichen würde. Die Befragung von insgesamt 1030 Bundesbürgern erfolgte am Montag und Dienstag, also unmittelbar nach dem Fernsehduell zwischen Schröder und seiner Herausforderin Angela Merkel vom Sonntagabend, das der Kanzler den Blitzumfragen zufolge klar gewonnen hatte.

Danach legte die SPD laut Forsa um drei Prozentpunkte von 31 auf 34 Prozent zu. CDU/CSU verloren dagegen einen Punkt und liegen jetzt bei 42 Prozent. Auch die FDP sank von sieben auf sechs Prozent, so dass Union und Liberale zusammen nur noch auf 48 Prozent kommen. Die Grünen blieben unverändert bei sieben Prozent, die Linkspartei Gregor Gysis und Oskar Lafontaines sank um einen Punkt auf acht Prozent.

Schröder 17 Prozentpunkte vor Merkel

Damit liegen SPD, Grüne und Linkspartei zusammen bei 49 Prozent und damit erstmals seit Wochen wieder einen Punkt vor der Wunschkoalition von Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle. Bei den Kanzlerpräferenzen konnte sich nach dem TV-Duell allerdings auch Merkel um einen Punkt verbessern, Schröder jedoch um vier Prozentpunkte. Mit insgesamt 48 Prozent liegt der Bundeskanzler damit jetzt 17 Prozentpunkte (Vorwoche: 14 Punkte) vor seiner Herausforderin.

Forsa-Chef Manfred Güllner sagte: "Es ist der SPD offensichtlich gelungen, auf Grund des guten Eindrucks von Gerhard Schröder beim TV-Duell einen Teil der bislang unentschlossenen SPD-Wähler wieder zurückzuholen." Wenn sich diese Entwicklung stabilisiere, werde es knapp für Schwarz-Gelb.

In den Blickpunkt rückt dagegen wieder eine mögliche große Koalition. Für Unions-Fraktionsvize Wolfgang Schäuble kann eine CDU/SPD- Bundesregierung nur ein zeitlich sehr begrenztes Bündnis sein. "Selbst wenn es zu Schwarz-Rot käme, was ich nicht glaube, wäre die SPD nach ein bis anderthalb Jahren innerlich so paralysiert, dass sie aus der Regierung ausscheiden und in ein Linksbündnis eintreten würde", sagte der CDU-Politiker der "Leipziger Volkszeitung".

Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) sagte der Zeitung "Die Welt": "Wir kämpfen natürlich für den Sieg von Schwarz-Gelb. Eine große Koalition wäre nur die zweitbeste Lösung. Wir zeigen in Sachsen, dass in einer CDU-geführten großen Koalition auch gute Politik gemacht werden kann."

Der Spitzenkandidat der Linkspartei, Oskar Lafontaine, sähe es als Erfolg an, wenn es zu einer großen Koalition. Es sei ein entscheidender Erfolg des Zusammenschlusses von PDS und WASG, dass die Mehrheit von CDU und FDP inzwischen nicht mehr sicher sei, sagte Lafontaine heute in Köln.

Sollte es dank des Ergebnisses der Linkspartei nur zu einer großen Koalition kommen, käme der von CDU und FDP geplante weitere Sozialabbau "faktisch zum Erliegen", sagte der ehemalige SPD-Vorsitzende. "In der großen Koalition wird der Sozialabbau wegen der Konkurrenz der SPD zur Linkspartei wesentlich schwieriger." Der PDS-Spitzenpolitiker Gregor Gysi äußerte die Erwartung, dass die SPD in der nächsten Zukunft ihren Kurs korrigieren und sich den Vorstellungen der Linkspartei annähern werde. "Vielleicht gibt es ja 2009 eine Koalition mit der SPD, wenn die wieder sozialdemokratisch geworden ist", meinte Gysi.

Emnid sieht noch Mehrheit für Schwarz-Gelb

Eine Umfrage des Instituts Emnid für die "Berliner Morgenpost" ergab ebenfalls einen deutlichen Aufwärtstrend für die SPD, danach würde es aber dennoch weiter ganz knapp für Union und FDP reichen. Allerdings wurde diese Befragung von 4058 Wahlberechtigten vom 29. August bis 5. September vorgenommen, so dass nur der letzte Tag in die Zeit nach dem Fernsehduell fiel.

Danach verbesserte sich die SPD von 30 auf 32 Prozent, während CDU/CSU unverändert bei 42 Prozent blieben. Auch FDP und Grüne kamen in der Umfrage wie in der Vorwoche wieder auf sieben Prozent, während die Linkspartei einen Punkt verlor und bei neun Prozent landete. Damit ergäbe sich ein Vorsprung von 49 zu 48 Prozent für Union und FDP.
 


© SPIEGEL ONLINE 2005
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH



SPIEGEL ONLINE - 08. September 2005, 20:00
URL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,373756,00.html

Umfrage
 
SPD holt auf - CDU-Vize sieht offenes Rennen

Die zweite Umfrage nach dem TV-Duell bestätigt: Schwarz-Gelb schafft nicht die absolute Mehrheit. Die SPD legt im Vergleich zur Vorwoche deutlich zu. Kanzler Schröder spricht schon von Sieg. CDU-Vize Böhr befürchtet, dass Union und FDP die klare Mehrheit verfehlen könnten.

Berlin - War das TV-Duell von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und seiner Unions-Herausforderin Angela Merkel Ausschlag gebend für eine Trendwende? Es scheint so. Seit dem Duell holt die SPD enorm auf. Union und FDP haben ihre wochenlange Mehrheit in der Wählergunst auch in der zweiten Umfrage nach dem Duell verloren.

Würde am nächsten Sonntag gewählt, bekäme die Union zwei Punkte weniger als in der Vorwoche und läge wieder bei 41 Prozent. Dies ermittelte das Institut Infratest dimap für den "ARD-Deutschland-Trend". Im Gegenzug gewinnt die SPD zwei Punkte hinzu und erreicht 34 Prozent.

Die Linkspartei verliert einen halben Punkt und bekommt 8,5 Prozent. Die Grünen bleiben stabil bei 7 Prozent. Die FDP verbessert sich um einen halben Punkt auf 6,5 Prozent. Einen ähnlichen Trend hatte das Institut Forsa am Vortag veröffentlicht.

Lager-Gleichstand bei Emnid

Auch in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid im Auftrag von N24 verbucht die SPD in der Wählergunst einen deutlichen Zugewinn gegenüber der Vorwoche. Diese ergab ein Plus von zwei Punkten auf 33 Prozent bei der so genannten Sonntagsfrage. Unverändert sah Emnid die Union bei 42 Prozent, Grüne und FDP bei jeweils sieben Prozent. Damit herrscht laut Umfrage ein Gleichstand zwischen den Lagern Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün. Beide würden 49 Prozent erreichen.

Die Umfrage ergab auch, dass der SPD im Verlauf des Wahlkampfes wieder eine deutlich höhere Kompetenz in der Sozialpolitik zugemessen werde. Während die Union im Juli auf 28 Prozent und die SPD auf 26 Prozent kam, drehte sich das Bild jetzt um. Im September glaubten 32 Prozent, dass die SPD die bessere Sozialpolitik mache, während das nur noch 27 Prozent von der Union erwarteten. Dabei spielt laut Analyse vor allem die Diskussion um die Steuer- und Rentenpläne des Wissenschaftlers Paul Kirchhof eine Rolle, der Mitglied im Kompetenzteam der Union ist. Die Sonntagsfrage wurde von Montag bis Mittwoch 3000 Bundesbürgern gestellt.

Schröder optimistisch

Zuvor hatte Kanzler Schröder erklärt, nach dem TV-Duell mit seiner Herausforderin gebe es Rückenwind für einen Wahlsieg der SPD. Die aktuellen Umfragen seien Ansporn, den Wahlkampf noch entschiedener fortzusetzen. Nach einer Forsa-Umfrage hat die SPD so weit aufgeholt, dass es derzeit nicht mehr für einen Sieg von Schwarz-Gelb reichen würde. Der Kanzler hatte zuvor 38 Prozent als Wahlziel für die SPD vorgegeben. Forsa hatte die SPD bei 34 Prozent gemessen. Schröder sagte, er brauche noch vier Prozent auf Kosten von Union und FDP. Dann gebe es ein Ergebnis wie 2002, als sich die Union vorzeitig zum Sieger erklärt habe.

Die Umfrageergebnisse veranlassen Kanzler Schröder zu Optimismus. Die Wechselstimmung sei verflogen, sagte er in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Darin bestreitet er nicht, dass das gegnerische Lager in Umfragen noch vorne liege. "Aber die Dinge verändern sich", sagte er. Wenn nach der Präferenz des Regierungschefs gefragt werde, dann liege er mit "deutlicher Mehrheit" vorn, erklärte Schröder. "Und auch die SPD holt immer weiter auf. Da ist viel Bewegung und noch alles möglich."

Ähnlich sieht es CDU-Vize Christoph Böhr. "Das Rennen ist offen", sagte der Parteichef von Rheinland-Pfalz dem "Handelsblatt". "Es gibt möglicherweise in dieser Gesellschaft keine klare Mehrheit für den Kurs, für den Schwarz-Gelb steht." In der Bevölkerung herrsche ein "flaues Magengefühl" vor: "Wer weiß, welche Medizin uns die Union verabreichen will." Dieses Grundgefühl in den letzten zehn Tagen vor der Wahl noch zu drehen werde "sehr schwer".
 


© SPIEGEL ONLINE 2005
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH